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Der Regent an seinem Platz


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Otto-Suhr-Allee
Stadtplanaufruf: Berlin, Alt-Lietzow
Datum: 9. Januar 2012

Unser Spaziergang im Kerngebiet Charlottenburgs führt uns zu zwei Plätzen, die nach Regenten (Regierenden) benannt sind, und die nach deren Tod mit dem Trauerzug in Berührung kamen. Der erste deutsche Kaiser Wilhelm I. starb 1888. Der Trauerzug ging vom Dom durchs Brandenburger Tor zum Charlottenburger Schloss. Soldaten mit Pferden, Geschütze, Hofbeamte, Leibärzte, Minister gingen dem von acht Pferden gezogenen Leichenwagen (Lafette) voraus, dem Sarg folgten sein Leibpferd, das Reichsbanner und die Trauergemeinde aus Königen, Prinzen, Fürsten, Deputierten. Auf dem Weg passierte der Trauerzug den Richard-Wagner-Platz, der zu dieser Zeit noch Wilhelmplatz hieß und nach dem Soldatenkönig, einem früheren Regenten benannt war. Ein Foto zeigt die Begegnung des toten Monarchen mit "seinem" Platz. Es ist nicht überliefert, ob das Zusammentreffen von einer besonderen Geste begleitet war.

Der Ernst-Reuter-Platz hieß früher "Knie". Ernst Reuter war der erste (West-)Berliner Regierende Bürgermeister, sein Kampf um das Überleben Berlins als Insel im kommunistischen Machtbereich wurde international beachtet ("Völker der Welt, schaut auf diese Stadt"). Als er 1953 starb, nahm die Bevölkerung starken Anteil. Von Zehlendorf ging der Trauerzug zum "Knie", dem Platz am Ende der Charlottenburger Chaussee (Straße des 17.Juni). Aus dem Leichenwagen wurde der Sarg auf einen offenen Wagen umgesetzt, der "mit sechs Rappen bespannt war", und auf den Platz gezogen. Dann hielt die SPD (nicht der Senat!) auf dem Platz eine Trauerfeier ab, in deren Verlauf der Charlottenburger Bezirksbürgermeister das "Knie" nach dem Verstorbenen umbenannte. Nach der Aufbahrung vor dem Rathaus Schöneberg - Reuters Amtssitz - wurde der Sarg auf einem Polizei-LKW im Konvoi zum Waldfriedhof Zehlendorf gebracht.

Zwischen der kaiserlichen und der "demokratischen" Beerdigung liegen zwei Generationen. Aus dem militärischen Zeremoniell wurde ein schlichteres ziviles, aber Pferde mussten sein, wenn auch in geringerer Zahl. Der Platz hatte während Ernst Reuters Amtszeit eine besondere Bedeutung bekommen. Kurz vor seinem Tod hatten sich am 17.Juni 1953 Werktätige in der DDR gegen ihre Regierung erhoben. Reuter erneuerte daraufhin seinen Appell für die Freiheit, die vom Platz Richtung Ost-Berlin führende Straße wurde nach dem Datum des Volksaufstandes umbenannt ("Straße des 17.Juni"). Auf dem Platz sollte ein Denkmal für den Volksaufstand errichtet werden. Als der Platz im Angesicht seines Sarges den Namen Ernst Reuters bekam, war dies auch ein Gelöbnis, in seinem Sinne weiter zu kämpfen.

Die Otto-Suhr-Allee wird links und rechts von acht Plätzen und Parkanlagen flankiert, durchschnittlich alle 200 Meter liegt ein Platz oder Park an der 1,6 km langen Straße oder in ihrem Hinterland. Das ist eine erstaunliche Häufung, vielleicht sogar die höchste Dichte in dem auch sonst an Grünflächen und Plätzen reichen Berlin. Entstanden sind diese Charlottenburger Plätze und Parks aus der dörflichen Keimzelle (Alt-Lietzow), aus einem Marktplatz (Richard-Wagner-Platz), aus einem Kirchplatz (Gierkeplatz) und dazugehörigem Kirchhof (Luisenkirchhof), aus angekauften Privatgärten (Schustehruspark) und im Zusammenhang mit dem Charlottenburger Schloss (Ernst-Reuter-Platz, Luisenplatz, Eosanderplatz).

Alt-Lietzow ist die Dorfaue des seit 1239 bekannten Dorfes Lützow, das 1705 zu Charlottenburg wurde, als die Schlossherrin Sophie Charlotte gestorben war (--> 1). Der dichte Verkehr geht über die Otto-Suhr-Allee, auch die Spreeüberquerung an der Röntgenstraße lockt wenige Fahrzeuge, und so ist es hier ruhig, fast verschlafen, nur die aus der Evangelischen Schule an der Guerickestraße heimkehrenden Kinder bringen etwas Bewegung ins Bild. Die 1961 erbaute Kirche Alt-Lietzow hat den Platz der mehrfach erneuerten Dorfkirche Lietzow eingenommen und inzwischen selbst Denkmalstatus erworben. Hier stand seit 1850 ein Stüler-Bau, der 1911 durch einen größeren Bau ersetzt wurde, bis dieser 1943 Fliegerbomben zum Opfer fiel.

Der Richard-Wagner-Platz war ein Marktplatz, der bis 1934 nach dem Soldatenkönig "Wilhelmplatz" genannt wurde. Im Dritten Reich erfolgte die Umbenennung nach dem von Hitler verehrten Komponisten Richard Wagner. Von dem Platz ist nur ein kleiner Rest vor dem historischen Eckhaus an der Schustehrusstraße übrig geblieben, einem Haus mit einem Doppelgiebel nach beiden Seiten. Auf der gegenüberliegenden Seite der Otto-Suhr-Allee gibt es Nachkriegsmoderne zu sehen, einen grauen Beton-U-Bahnhof, der an Hochhäuser angedockt ist. Es handelt sich um einen Rümmler’schen Bahnhof, der einem abgerissenen Bahnhof "Wilhelmplatz" von Alfred Grenander nachfolgt (--> 2).

Der Schustehruspark war anfangs ein aus mehreren Gärten bestehendes Privatgelände des Bankiers Alexander Mendelssohn und seines Schwiegersohns Hugo Otto Joseph Oppenheim. Die Stadt Charlottenburg kaufte den aus elf Grundstücken bestehenden Komplex mit Gebäuden 1911, ihr Gartendirektor Erwin Barth verwandelte das Gelände in einen fast intimen Park. Auch die Ausstattung wie Sitzbänke, Eingangstore, Lampen hat Barth entworfen. Der Park wurde 1987 nach alten Plänen wieder hergestellt und ist eine Überraschung für den Fußgänger, der unwissend auf der Schustehrusstraße entlang eilt. Die von Barth schon damals eingeführte neuartige Regelung, den Park bei Dunkelheit abzuschließen, verwundert uns: Gab es damals Vandalismus? Die Umbrüche am Ende des 1.Weltkriegs und zu Beginn der Weimarer Zeit könnten dafür sprechen.

Dem Schloss Charlottenburg verdankt der Bezirk an der Otto-Suhr-Allee insgesamt drei Plätze. Entlang der Straße zwischen dem Stadtschloss und dem Schloss Charlottenburg bestand ein Verkehrsknotenpunkt, der seit 1830 zunächst "Umschweif", später "Knie" genannt wurde, seit 1953 ist es der Ernst-Reuter-Platz. Weiteres über die Geschichte des Platzes hatte ich bereits bei einem früheren Spaziergang geschrieben (--> 1). Die Otto-Suhr-Allee (benannt nach dem Nachfolger Ernst Reuters als Regierender Bürgermeister) wies früher als Berliner Straße auf ihre Zubringerfunktion Richtung Residenzstadt hin.

Der zweite mit dem Schloss in Zusammenhang stehende Platz ist der Luisenplatz. Der nach Königin Luise benannte Platz war seit 1806 eine kunstvolle gärtnerische Anlage östlich des Schlosses Charlottenburg. Sie wurde dem Autoverkehr geopfert, nur noch ein Straßenschild verweist auf den verkehrreichen Straßenabschnitt zwischen Otto-Suhr-Allee und Schlossbrücke, auf dem kein Platz mehr erkennbar ist. Und schließlich der Eosanderplatz: Er ist ein von drei Seiten umbauter Innenhof nördlich der Otto-Suhr-Allee, zu dem selbst dem Bezirksamt auf seiner Homepage nichts einfällt. Der auskunftsstarke Berliner Straßenführer Kaupert weiß auch nicht viel mehr als die Postleitzahl. Studiert man alte Stadtpläne, dann kann man vermuten, dass hier ein begrünter, unbebauter Bereich vor dem Luisenplatz mit zur Schlossanlage gehörte. Hat der Berliner Schlossbaumeister Eosander von Göthe das verdient, einen Platz "verliehen" zu bekommen, der außer der Nähe zu seinem Werk Schloss Charlottenburg keine Eigenschaften aufweist?

Die Kirche (am Gierkeplatz) und ihr Kirchhof sind nach Königin Luise benannt. Der Kirchhof wurde zur Cauerstraße "außerhalb des Ortes" verlegt, aber bald von ihm eingeholt (1a). Mit dem Luisenkirchhof verbindet sich eine besondere Geschichte aus der Berliner Unterwelt, wobei man "Unterwelt" hier ganz wörtlich nehmen darf. Wer einen geheimen Tunnel baut, hat ein logistisches Problem: wohin mit dem ausgehobenen Sand? Die Fluchthelfer, die zu Mauerzeiten Tunnel unter der Grenze hinweg gebuddelt haben, mussten mit diesem Problem umgehen. Vor diesem Problem standen auch die Gebrüder Sass, die in den 1920er Jahren die Berliner Kripo und Justiz mit Tresoreinbrüchen auf besondere Art narrten: Sie gruben von außerhalb des Gebäudes einen Tunnel in den Tresorraum einer Bank und raubten dort in Seelenruhe Geld und Schließfachinhalte. Technisch waren sie auf der Höhe der Zeit, als erste Bankeinbrecher benutzen sie Schneidbrenner. Am bekanntesten ist der Einbruch in die Diskontogesellschaft am Wittenbergplatz, der eindrucksvoll die Qualität der Tresore bewies: Die Tresorfirma konnte nach dem Einbruch den von ihr gebauten Geldschrank nicht knacken, man musste durch eine Seitenwand in den Tresorraum eindringen, so wie es zuvor die Gebrüder Sass von einer anderen Wand aus geschafft hatten. Die Sass-Brüder wurden danach verhaftet, aber weder hier noch bei anderen Taten konnten die Geldschrankknacker verurteilt werden, die Beweise reichten nicht, die Justiz setzte sie wieder auf freien Fuß. Sie feierten ihre Freilassung in einer Pressekonferenz bei Lutter & Wegener, fuhren mit einem teuren Auto umher, als freie Leute immer verfolgt und beschattet von der Polizei.

Die Bevölkerung war auf Seiten der Gentleman-Ganoven, die auch schon mal im armen Moabit Geldscheine in Briefkästen steckten, kamen sie selbst doch aus ärmlichen Verhältnissen - zwei Arbeiterkinder, die es geschafft hatten. Und dann schien sich das Glück zu wenden: auf dem Luisenkirchhof in der Cauerstraße tauchte immer wieder verdächtiger Erdaushub auf, die Polizei entdeckte sogar einen professionell ausgebauten Schacht mit mehreren Einstiegen auch zur angrenzenden Schule und legte sich auf die Lauer. In der Dunkelheit tauchte einer der Sass-Brüder auf, doch der Kripobeamte stolperte über einen Komposthaufen, ehe er ihn fassen konnte. (Wie sich Geschichte wiederholt: der Kaufhaus-Erpresser Dagobert entkam einem verfolgenden Polizisten, als dieser auf einem Hundehaufen ausrutschte). Und wieder waren es ungenügende Indizien, die Sass-Brüder blieben frei. In der Nazi-Zeit gingen sie nach Dänemark, und plötzlich gab es auch dort solche Tresoreinbrüche, anders als in Berlin aber mit erfolgreichem Polizeizugriff: Nach Strafverbüßung wurden sie nach Deutschland ausgewiesen und von den Nazis in einem Konzentrationslager ermordet. Die Beute wurde nie gefunden.

Von Alt-Lietzow zum Richard-Wagner-Platz kann man - von der Wetterlage unabhängig - den Weg durch den Bauch des Rathauses Charlottenburg nehmen. Als wir zur Otto-Suhr-Allee herausgehen, finden wir über der Tür den Spruch: "Unablässige Arbeit überwindet alles". Wenn man damit die Rathausmitarbeiter motivieren will, warum sehen sie es erst beim Herausgehen? Jetzt umkehren wird doch wohl keiner mehr.

Von Platz zu Platz sind wir getigert, links und rechts der Otto-Suhr-Allee mäandert. Völlig eingeregnet (wie wäre es im Januar mal mit Schnee?) flüchten wir in das Eosander, wo wir uns stärken.

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(1) Lietzow/Charlottenburg: 300 Jahre Charlottenburg
(1a) Mehr über die Luisenfriedhöfe: Säuglingspalast mit Kuhstall
(2) U-Bahnhof Wilhelmplatz, Richard-Wagner-Straße: Metropolis im Untergrund
(3) Ernst-Reuter-Platz: Bewegung aus dem fahrenden Auto heraus






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... und hier sind weitere Bilder ...
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Alt-Lietzow und Rathaus Charlottenburg

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Unsere Route:
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