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Geheime Orte auf dem Campus


Stadtbezirk: Charlottenburg
Bereich: Campus Technische Universität
Stadtplanaufruf: Berlin, Müller-Breslau-Straße
Datum: 12. Dezember 2011

"Feuerland" nannten die Berliner das Fabrikgelände an der Chausseestraße zwischen Invaliden- und Torstraße, wo Borsig Lokomotiven und Maschinen herstellte. Schornsteine, die viel Rauch und "Feuer" in die Luft blasen, galten in der Zeit der industriellen Revolution als Symbole des Fortschritts. 1837 gegründet, blieb die Fabrik 50 Jahre lang an diesem Standort, bis sie wie andere große Industrieunternehmen die "Randwanderung" zu einem neuen Quartier außerhalb der Stadt antrat. Zurück blieben ein reich geschmücktes Kontorgebäude in der Chausseestraße und ein kleines Fabrikgebäude im Blockinnenbereich. Der Arkadengang vom Oranienburger Tor wurde zum Campus der Königlichen Technischen Hochschule Charlottenburg versetzt, die ab 1878 an der Charlottenburger Chaussee (heute Str. des 17.Juni) erbaut wurde. Heinrich Strack hatte die Arkaden entworfen, von ihm stammen beispielsweise die Alte Nationalgalerie und die Siegessäule.

Die Technische Hochschule wird nach dem Zweiten Weltkrieg als Technische Universität Berlin neu gegründet. Eine neue Humanistische Fakultät soll verhindern, dass Technokraten ohne Verständnis für die gesellschaftlichen Wirkungen ihres Tuns herangebildet werden. Das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU beispielsweise ist einzigartig in Europa und besitzt ein weltweites Renommee.

Der Campus wird immer weiter ausgebaut, im "Garten" hinter dem Hauptgebäude schlummern die Borsig-Arkaden weiter vor sich hin, teilweise von Gestrüpp umgeben. Auch eine Schinkel-Säule aus dem Berliner Dom steht nebenan und weitere "Spolien", wie Architekten die wieder verwendeten Überreste aus Bauten älterer Epochen nennen. In einer Ecke des Campus gelegen, fallen sie dem Benutzer des Geländes kaum auf, es gibt keine Hinweisschilder und keine Beschreibung auf der TU-Homepage. Wir beide Flaneure als (ehemalige) Studierende an der TU Berlin haben sie im Studienalltag nicht gesehen, sondern erst jetzt durch Recherchen von diesen historischen Bauresten erfahren und auch hier nur herausbekommen, dass sie "im Garten" der TU stehen. An der Eisenbahnlehranlage (Campusplan: SE-RH Reuleaux-Haus) haben wir sie dann gefunden. So spannend "geheime Orte" sind (Stadtführer und Internetseiten leben davon), so sehr bleibt unverständlich, dass die Universität so unsensibel damit umgeht. Das Wissen ist vorhanden, fand ich doch in einer TU-Pressemitteilung diesen Satz: "Es ist ein - heute von Vegetation verdecktes - Arkadenfragment, das von besonderem Wert ist."

Einen weiterer TU-Bau, der ebenfalls vor sich hin gammelt, haben wir bei unserem heutigen Spaziergang vom Bahnhof Zoo zum Ernst-Reuter-Platz gesehen: Auf der Schleuseninsel (Müller-Breslau-Straße) steht die ehemalige Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau, dort erzeugt man "Sturm und Seegang made in Berlin" (Welt Online). Ein ringförmiges Rohr mit acht Meter Durchmesser („Rosa Röhre“) tritt auf beiden Seiten aus dem Gebäudequader aus und kommt darunter wieder zusammen. Dieser "Große Umlauftank" zur Untersuchung der Propellerdynamik kann für unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeit und Propellerdrehzahl Schub und Drehmoment bestimmen. Im Gebäude gibt es weiterhin einen Schlepptank und ein Manövrier- und Seegangsbecken, mit denen Manövierverhalten und Stabilität von Schiffen gemessen werden können. Der Bau wurde in den 1970er Jahren von Ludwig Leo entworfen, der als Assistent an der TU und später als Professor an der UdK tätig war. Die auf die Darstellung der inneren Funktion minimalisierte Architektur erinnert an den Windkanal und den Trudelturm im Aerodynamischen Park in Adlershof (--> 1), ebenfalls Versuchslabore, die nicht mehr als die Versuchsanordnung nach außen spiegeln und damit als außergewöhnliche Skulpturen wahrgenommen werden. Das mag nicht jeder, den Titel "Das große hässliche Ding" (riesenmaschine.de) hat die außergewöhnliche Versuchsanstalt aber sicher nicht verdient. Seit 1903 war auf der Schleuseninsel die Preußische Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau ansässig, die später mit der Technischen Universität verschmolzen wurde (--> 2).

Zur Schleuseninsel gehört natürlich eine Schleuse, die im Landwehrkanal eine Wasserstandsdifferenz von 1,30 Meter ausgleicht. Die Schleuse wurde wie die Königliche Technische Hochschule in den 1880er Jahren erbaut. Der Landwehrkanal wird heute nur noch von Sportbooten und Fahrgastschiffen befahren, der Güterverkehr geht über die Spree-Oder-Wasserstraße mit der (neuen) Schleuse Charlottenburg am Nonnendamm. An der alten Schleuse könnte sich eine Moritat abgespielt haben, wie Ulrich Roski sie 1972 besang: "Am Schleusenrand im Abendscheine / Steht eine liebliche Gestalt / Sie hält den Schleusenkater an der Leine / Sie fasst ihn sicher und sie gibt ihm Halt / Das ist des Schleusenwärters blindes Töchterlein / Das winkt die Schiffe ein mit sanftem Schwung." Ein "wohlgestalter junger Maat" hatte es auf ihren Bruder abgesehen und sie verschmäht, das brachte schließlich die ganze Familie einen nach dem anderen "in das feuchte Grab". Auch die Schleusenoma fiel ins Wasser fiel und ertrank, mehr können Sie bei Ulrich Roski nachhören.

Wer gern umsonst ins Museum geht, kann zwischen Schleuse und Straße des 17.Juni das Freilichtmuseum mit 90 Gaslaternen besichtigen. Den Nachteil der völligen Öffentlichkeit haben die 1978 von Senat und Gaswerken aufgestellten Laternen bereits einmal erfahren, 2006 wurden sie durch Vandalismus stark beschädigt, danach hat man die Exponate neu aufgebaut und einheitlich beschriftet. Zu den Exponaten gehört auch die weit verbreitete "Schinkel-Laterne", die zwar klassizistisch ist, aber nicht von Schinkel entworfen wurde, sondern von den Gaswerken.

Am nördlichen Ende der Fasanenstraße, in der Universitätsmeile, ist eine neue Gemeinschaftbibliothek für die Technische Universität und die Universität der Künste errichtet worden: die Volkswagen Universitätsbibliothek. 18 Jahre lang wurde geplant und 2 Jahre gebaut, 5 Mio. Euro hat der Sponsor dazu gegeben, deshalb trägt die Bibliothek "Volkswagen" im Namen ("Ein Namensschild für 5 Mio. Euro", lästerte die Berliner Zeitung).

7 km lang sind die Bücherregale, 3 Mio. Medien können hier untergebracht werden (Heise Online behauptet sogar 14 km und 5 Mio. Medien, der Phantasie sind wohl keine Grenzen gesetzt). Die Zeiten, in denen man in einer Bibliothek nur Bücher lesen und ausleihen konnte, sind vorbei: multimediale und digitale Medien sowie umfangreiche Notendrucke und Lesesäle mit Angeboten für die elektronische Recherche stehen hier zur Auswahl. Der Buch-Altbestand der Bauakademie Berlin und des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin ging mit dem 2.Weltkrieg verloren, nur die Gartenbaubücherei macht noch einen ganz kleinen Teil des TU-Katalogs aus. Architekturzeichnungen sind weiterhin im Architekturmuseum am Ernst-Reuter-Platz zugänglich, im Internet sind aus diesem Bestand mehr als 120.000 Zeichnungen, Drucke und Fotografien in hoher Auflösung allgemein zugänglich.

Für den Büchertransport verwendet die VW-Bibliothek ein Förderbandsystem, das bisher nur Versandhäuser oder Autofabriken einsetzen (also hat der Autobauer nicht nur das Namensschild, sondern auch Technik hier eingebracht). Der "Informationstempel am Bahnhof Zoo" (Heise Online) steht auch der Bevölkerung offen. Ob der Zweckbau Industriedesign ist oder sein Aussehen Sparzwängen verdankt ("Parkhaus der Bücher"), mag der Betrachter entscheiden. Schon beim Richtfest hatte der damalige Stadtentwicklungssenator Strieder die "preußische Einfachheit" gerühmt.

Das Charlottenburger Tor an der Straße des 17.Juni (--> 3) war jahrelang mit Werbung zugehängt, vielleicht länger als für die Renovierung notwenig, weil das Geld gelockt hat. Eine Zeit lang war ein Megaposter mit Wahlwerbung der CDU angebracht, das dann wegen Protesten Slogan und Parteilogo einbüßte. Inzwischen sind die auf Charlottenburger Seite stehenden Kandelaber und das Tor restauriert, Friedrich I. und Sophie-Charlotte schauen wieder auf die Bürger, die sich von Berlins Mitte her nähern.

Das Hauptgebäude der Technischen Universität stammt noch aus der königlichen Gründungszeit, es wurde aber nach Kriegsbeschädigung zu einem janusköpfigen Alt-und-Neu-Bau. Dem rückseitigen Neorenaissance-Teil wurde eine moderne Fassade samt Halbgebäude vorgesetzt. Nun müssen sich Menschen hier zurecht finden in unterschiedlichen Nummerierungssystemen der Räume (drei- und vierstellig). Die Übergänge zwischen den Gebäudehälften sind wegen unterschiedlicher Etagenhöhen nicht synchron, vom Sichtbeton des Neubaus findet man nicht immer leicht zu den umbauten Lichthöfen des Renaissance-Teils.

Auf der Nordseite der Straße des 17.Juni sind weitere Nachkriegsbauten entstanden. Im Architekturgebäude am Ernst-Reuter-Platz ist das Treppenhaus sehenswert, das freitragend mit unterschiedlichen Achsen den großflächigen Raum in eine Raumskulptur verwandelt. Die Bronzeskulptur "Flamme" vor dem Gebäude leitet thematisch zum Platz über (--> 4), sie wurde 1963 zur Erinnerung an den großen Nachkriegs-Bürgermeister aufgestellt.

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(1) Aerodynamischer Park in Adlershof: Fliegen als Grober Unfug
(2) mehr über die Versuchsanstalt: Schiefe Erinnerung an einen Inselbesuch
(3) Charlottenburger Tor: Fortschritt im Ledigenheim
(4) Ernst-Reuter-Platz: Bewegung aus dem fahrenden Auto heraus


Das fünfte Element
Der Regent an seinem Platz