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Kirche, Moschee und Kathedrale


Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Hohenzollerndamm
Stadtplanaufruf: Berlin, Hohenzollernplatz
Datum: 16.Januar 2012

In Lichtenberg hatten wir erfahren, dass die Stasi eine neue Kirche baute, weil ihr das alte Kirchengebäude im Wege war (1). In Wilmersdorf gibt es eine Geschichte, die beim ersten Blick ähnlich aussieht: Die NS-Arbeitsfront und das Ministerium für kirchliche Angelegenheiten bauten am Hohenzollerndamm 1936 eine Russisch-Orthodoxe Kathedrale, die das mehrere Straßenkreuzungen entfernt liegende alte Kirchengebäude ersetzte. Hinter diesem Umzug steckt aber mehr als ein Wechsel des Gebäudes, es steht exemplarisch für die Geschichte der russischen Emigranten, die nach der Oktoberrevolution ihre Heimat verlassen hatten, und für die politische Einflussnahme auf ihre Kirche.

Russisch-Orthodoxe Kathedrale
Die eng mit dem Zarenreich verbundene orthodoxe Kirche verlor mit der Oktoberrevolution 1917 ihre konfessionellen Vorrechte, ihre Kirchenschätze wurden beschlagnahmt, ihre Priester verfolgt. Bis 1923 emigrierten 600.000 Russen nach Deutschland, viele zogen weiter nach Nord- und Südamerika oder in andere europäische Staaten. Die verbliebenen Emigranten waren verarmt, nur in Berlin schafften sie es 1928, ein Mietshaus zu errichten mit einem Gottesdienstraum im dritten Stock und einem Restaurant im Erdgeschoss - Hohenzollerndamm Ecke Ruhrstraße. Ein Jahr später folgte die Zwangsversteigerung - es hatte nicht gereicht.

Zwischen den Auslandsbischöfen und der Moskauer Heimatkirche kam es wegen der Frage zum Bruch, ob man sich gegenüber dem Sowjetstaat loyal verhalten müsse oder die Wiederherstellung des russischen Zarentums verlangen sollte. Die Nationalsozialisten griffen nach 1933 mit ihrer Kirchenpolitik in diesen Streit ein, sie verliehen der Berliner Russisch-Orthodoxen Gemeinde, in der sich die Antibolschewisten zusammen gefunden hatten, den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Ihr errichteten sie die neue Russisch-Orthodoxe Kathedrale am Schnittpunkt von Hohenzollerndamm, Berliner und Konstanzer Straße, die moskautreuen Orthodoxen wurden rechtlos. In das ehemals gemeindliche Wohnhaus an der Ruhrstraße zog die NS-Arbeitsfront ein. Den mit Zwiebeltürmen reich geschmückten malerischen Aufbau ließ sie beseitigen. Das Restaurant gibt es bis heute, das Haus wird als Hotel genutzt.

Erst nach der Perestrojka konnte die russisch-orthodoxe Kirchenspaltung überwunden werden. Die Zeremonie dazu fand 1993 an dem dazu am besten geeigneten historischen Ort statt, nämlich in der Kathedrale am Hohenzollerndamm. Heute ist die Kathedrale städtebaulich von einer anderen Spaltung bedroht: sie steht auf einem dreieckigen Grundstück, einer Insel, die von einer Stadtautobahn, einer Ausfallstraße und einer Regionalstraße umgeben ist und gegen Straßenlärm und Abgeschlossenheit ankämpft. Hier kann man studieren, wohin autogerechte Stadt im Extremfall führen kann.

Evangelische Kirche am Hohenzollernplatz
Unser heutiger Spaziergang am Hohenzollerndamm zwischen Bundesallee und Stadtautobahn ist ein Weg zu drei sehr unterschiedlichen Gotteshäusern: einer evangelischen Kirche, einer Moschee und der erwähnten Russisch-Orthodoxen Kathedrale. Die evangelische Kirche am Hohenzollernplatz ist eine Ikone der Architektur, nach Kriegsbeschädigung hat das von Fritz Höger erbaute Kirchenhaus seine ausdrucksvolle Gestalt zurück erhalten. Höger hat seine Ziegelbauten - wie auch hier - mit Klinkern zweiter Wahl herstellen lassen, nicht um zu sparen, sondern um eine lebendige Oberfläche zu erzeugen ("Bauedelsteine") (2). Die Tragkonstruktion befindet sich hinter der Fassade, da lasse man sich von dem äußeren Eindruck nicht täuschen: Eisenbeton ist das tragende Element, nicht Ziegel. Hier steht ein "Kraftwerk Gottes": Der schlanke Turm und die breiten Treppentürme zeigen himmelwärts, ohne Anleihen bei der gotischen Architektur aufzunehmen, das schmächtige Kupferdach lässt den Monumentalcharakter des Baues hervortreten, eine halbrund ausschwingende Freitreppe bildet den Eingang, Im Innern wird die Inszenierung fortgesetzt, mit Licht und Schatten entsteht "Licht als Baustoff".

Mit dem "NoonSong" verstärkt die Kirchengemeinde die Anziehungskraft ihrer Kirche. "Balsam für die Seele, engelsgleiche Klänge für die Ohren" werden jeden Samstag um 12 Uhr von einem Vokalensemble - acht Sängerinnen und Sänger in festlichen Gewändern - dargeboten. Am Ausgang lädt anschließend das Buffet vom Berliner Naschmarkt ein, denn draußen läuft der Wochenmarkt. Himmlische Liturgie, verbunden mit Kompositionen für den Gaumen, und - wie gratis-in-berlin.de hervorhebt - alles kostenlos, aber natürlich kann man einen Obolus in die Kirchenkollekte tun.

Ahmadiyya-Moschee
In der Brienner Straße, einer Seitenstraße des Hohenzollerndamms, steht die Ahmadiyya-Moschee, Deutschlands älteste Moschee, errichtet 1928. Nach außen offene Bogennischen sowie mehrere Säulenpavillons (Schhatri) - von vier Säulen getragenen Kuppeln - auf dem Dach sind charakteristische Zeichen des "indischen Mogulstils" dieser Moschee (3). Auch dieses Gotteshaus wurde für Hitlers Religionspolitik missbraucht. Mohammed Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem, "Hitlers arabischer Freund", lebte ab 1941 in Berlin und predigte in dieser Moschee. Er war eine Leitfigur islamistischer Antisemiten, befürwortete die Vernichtung der Juden, verbündete sich mit den Nationalsozialisten, war Mitglied der SS, betrieb Propaganda für Deutschland in arabischer Sprache, mobilisierte Moslems für die Waffen-SS auf dem Balkan. Adolf Hitler empfing den Palästinenserführer "zu einer herzlichen und für die Zukunft der arabischen Länder bedeutungsvollen Unterredung" und stellte ihm und seinem Stab eine Villa in Zehlendorf und eine Suite im Hotel Adlon zur Verfügung.

Vor seiner Verbrüderung mit den Nazis hatte der arabische Agitator teilweise mit den Briten in Palästina zusammen gearbeitet, zum Teil gegen sie. Er wurde für blutige Ausschreitungen verantwortlich gemacht, bei denen vor allem Juden verletzt und getötet wurden. Churchill nannte ihn zum Schluss den "tödlichsten Feind des britischen Empire", aber da hatte al-Husseini sich bereits nach Deutschland abgesetzt.

Nikolsburger Platz
Die Gänseliesel am Nikolsburger Platz - und damit kommen wir zum Spaziergang zurück - ist eine Nachschöpfung, das Original wurde 1940 eingeschmolzen, weil Kriegwaffen wichtiger waren als Bronzebrunnen. Der Platz selbst gehört zu der Wilmersdorfer Carstenn-Figur, einer symmetrischen Anlage von Straßen und Plätzen (4). An diesem Platz finden wir wieder eine Schule, die auf den Wilmersdorfer Stadtbaurat Otto Herrnring zurückgeht (5). Das im Neorenaissance-Stil erbaute Schulgebäude wurde als Höhere Mädchenschule (Lyzeum) von der Kronprinzessin Cecilie "persönlich" eingeweiht, erst 1962 erhielt sie den Namen Cäcilien-Grundschule.

Im Amtszimmer dieser Schule wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nach ihrer Festnahme am 15.Januar 1919 verhört, in der folgenden Nacht sind sie ermordet worden. Weitere Stationen in der Geschichte des Schulgebäudes sind: Lazarett im Zweiten Weltkrieg, Kulturveranstaltungen und Kino in der Aula in der Nachkriegszeit. "2003 besichtigte Bundespräsident Johannes Rau die Schule und aß Schokokekse im Speiseraum" - die Homepage der Schule berichtet über die Maßen ausführlich, aber auch sehr ehrlich über die Historie, Kompliment für letzteres.

Fehrbelliner Platz
Am Fehrbelliner Platz passt sich das Haus Nr.2 mit kühnem Schwung an den Platz an. Es wurde 1935 für die Nordstern-Versicherung errichtet. Und am Haus Nr.4 sollte man nicht vorbeigehen, erbaut für die NS-Arbeitsfront, heute als Rathaus genutzt. Bemerkenswert ist der großzügige Innenhof mit toskanischen Doppelsäulen, eine mediterrane Anmutung, die man hinter dieser Fassade nicht vermuten würde.

Am Abend treffen wir uns noch einmal für das Flaniermahl, heute bei einem Libanesen in der Paretzer Straße. Ähnlich wie beim Spanier die Tapas werden kleine Gerichte serviert, die man zu einer Gesamtkomposition zusammen fügen kann. Durchaus empfehlenswert. In einem anderen Lokal war es mir einmal passiert, dass das Geld aus meiner Jacke verschwunden war, die ich über eine leere Stuhllehne gegenüber gehängt hatte. Mehrere Männer setzten sich an den Nebentisch und drängten nahe an den Stuhl mit der Jacke, nach kurzer Zeit brachen sie auf, mein Geld war weg. Heute erlebte ich ähnliches, nur dass ich sofort aufstand und das Geld aus meiner Jacke nahm. Erfolg: Ohne zu bestellen verließen die Männer hastig das Lokal. Auch das ist Berlin, Glück gehabt.

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(1) Stasi-Kirchenbau: Die Stasi baut eine Kirche
(2) Architekt Fritz Höger: Eine weitere Architektur-Ikone hat er in Hamburg errichtet: das Chile-Haus, ein Kontorhaus. Unten in der ZWEITEN BILDERGALERIE finden Sie Fotos des Chilehauses.
(3) Innenaufnahmen der Moschee: Kirche und Moschee in Farbe
(4) Wilmersdorfer Carstenn-Figur: Nierentisch-Moderne und Frieden im Kloster
(5) "Schulpalast" von Otto Herrnring: Das fünfte Element


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... hier folgt die zweite Bildergalerie ...
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Chilehaus in Hamburg (Franz Höger)


Der Regent an seinem Platz
Zweideutiger Willkommensgruß