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Vom Reichsadler zum Bundesadler


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Olympiastadion, Olympiapark
Stadtplanaufruf: Berlin, Jesse-Owens-Allee
Datum: 12. September 2021
Bericht Nr.:748

Wieviel bleibt nach einem Systemwechsel, einer Wende, einem Umsturz von dem alten System erhalten? Der Dramatiker Jean Anouilh hat in seinem Stück "Majestäten" die Rückkehr Napoleons aus der Verbannung nach Elba aufs Korn genommen. Nach seinen am Ende erfolgslosen Feldzügen gegen die halbe Welt hatten die Siegermächte Napoleon zur Abdankung gezwungen, doch er kam noch einmal für hundert Tage zurück. In Anouilhs Drama ruft das Volk dem Rückkehrer begeistert zu "Es lebe der Kaiser". Der opportunistische Polizeiminister bleibt weiterhin im Amt, auch "die Wachtposten bleiben bestehen, während die Regimes vergehen".

Neuanfang nach 1945
Gab es nach dem Ende der Nazi-Herrschaft 1945 einen radikalen Neuanfang? Demokratische Institutionen wurden geschaffen, aber in Verwaltung, Rechtsprechung, Industrie, Universitäten waren viele - zu viele - Aktive der Nazizeit tätig, jetzt "demokratisch gewendet".

Im Bereich der Kunst kann man in einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums verfolgen, wie die Schöpfer ideologischer Kunstwerke aus der Nazi-Zeit ihre künstlerische Tätigkeit in der Bundesrepublik fortsetzen konnten, gestützt durch Netzwerke von Verantwortlichen aus der Nazizeit. Eine geradezu klassische Vorlage für die Nachforschungen ist die "Gottbegnadeten-Liste" der Nazis, eine amtliche Liste der den Nazis wichtigen Künstler, auf der mehr als einhundert Bildhauer und Maler verzeichnet sind. Wie konnten die Schöpfer ideologischer Kunstwerke aus der Nazi-Zeit ihre künstlerische Tätigkeit in der Bundesrepublik fortsetzen?

Der Versuch, in der Nachkriegszeit mit der "Entnazifizierung", die Verantwortlichen der Nazizeit aus den Institutionen der Gesellschaft zu entfernen, konnte nicht vollständig gelingen. Wer als "Minderbelasteter" auf Bewährung in die neue Gesellschaft entlassen wurde, war vielfach bald wieder ganz oben mit dabei. Belastete Industrielle wurden im Wirtschaftsaufschwung wieder gebraucht, sogar einen aus der Nazizeit belasteten Bundeskanzler hat es gegeben.

Ein Netzwerk ehemaliger Mitarbeiter von Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer besetzte nach Kriegsende in der Düsseldorfer Stadtplanung führende Positionen. Unter Protektion des Düsseldorfer Stadtplanungsleiters wurden diese Architekten in städtische Ämter lanciert oder bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt. Bereits vor Kriegsende hatten sie in Speers "Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte" städtebaulichen Konzepte entwickelt, nach Kriegsende wurde die nationalsozialistische Vorstellung von Baukultur bruchlos umgesetzt. Kritische Architekten stellten fest: "Unter den großen Städten Deutschlands hat Düsseldorf den traurigen Ruhm, diese Kulturspitzen des damaligen Systems in seine Aufbauarbeiten einzuspannen".

Der Maler Karl Hofer, der in der Nazizeit wegen "entarteter Kunst" verfemt war, hat als erster Direktor der HdK (Hochschule der bildenden Künste, jetzt UdK) nach dem Krieg gefordert: "Wir fangen vollständig neu an. Es darf nicht die allergeringste Verbindung zur alten Zeit bestehen". Tatsächlich ist im Bereich der Kunst der Versuch gescheitert, zu verhindern, dass "gottbegnadete" Bildhauer und Maler weiterhin staatliche Posten, Aufträge und Auszeichnungen bekamen. Es ging nicht um Berufsverbote, sondern um die Vermeidung institutioneller Förderung der Künstler von gestern. Aber der Ausstellungsbetrieb der Bundesrepublik hat geschwiegen zur persönlichen Verstrickung der Künstler der NS-Zeit, wollte dieses Thema nicht zur Kenntnis nehmen.

Im Olympiapark am Olympiastadion - dem Reichssportfeld der Olympischen Spiele 1936 - nehmen wir bei einem Rundgang die Spur der Künstler aus der Nazizeit auf. Eine Vielzahl von Skulpturen steht dort, die überwiegend von "gottbegnadeten" Künstlern geschaffen wurden: Vor der Waldbühne, auf dem Maifeld zwischen Olympiastadion und Waldbühne und im Außenbereich des Sportforums.

Nazi-Ästhetik und -Ideologie
Was ist das Spezifische an den Standbildern und Skulpturen der Nazi-Zeit? Sie berufen sich auf antike Vorbilder, doch die Themen sind an ihre Ideologie angepasst. So zeigt das Relief vor der Waldbühne "Vaterländische Feier" zwei Männerbildnisse, als Aktfiguren wie in der Antike. Sie bestehen aus großen Blöcken von Muschelkalk, nicht wie in der Antike aus Bronzeguss oder Marmor mit seinen feinen Schattierungen und wachsartigem Aussehen. Mit fast vier Metern Höhe sind sie ins Monumentale gesteigert. Die Fackel in der Hand des einen steht nicht für Erleuchtung oder Freiheit, sondern mit dem Schwert in der Hand des anderen verbunden als drohendes kriegerisches Symbol. Mit derselben Symbolik hat Arno Breker die Standbilder "Wehrmacht" und "Partei" an der Neuen Reichskanzlei versehen.

Richard Scheibe
Staatliche Aufträge für die "Gottbegnadeten" gab es im Nachkriegsdeutschland viele, in einem Fall sogar so schamlos, dass es einem die Zornesröte ins Gesicht treiben kann: Das Gedenken an den Widerstand gegen Hitler bildhauerisch von einem "Gottbegnadeten" gestalten zu lassen: Richard Scheibe - "Deutscher Widerstand“, Ehrenmal 20. Juli 1944. In den letzten Tagen vor Kriegsende, als der Kampf um Berlin tobte, hatte er in der Nazi-Postille Völkischer Beobachter geschrieben, "daß die deutsche Kunst von neuem emporwachsen wird und daß sie allen Verfolgungen zum Trotz weiterleben und daß sie bleiben wird, was sie seit Jahrhunderten gewesen ist, die Kulturträgerin des Abendlandes".


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Richard Scheibe hatte 1941 beschrieben, was die Ideologie der Nazi-Kunstwerke ausmachte: Das "offenkundig Minderwertige und Angekränkelte" sollte nicht mehr zum Gegenstand bildnerischer Wiedergabe gemacht werden, dem "Artfremden und Zersetzenden, intellektuell Zerfaserten" sollte bewusst entsagt werden. Bei seinem Widerstandskämpfer für das Mahnmal des Berliner Senats hatte er "noch einmal auf sich zurückgegriffen", denn bei den Hinterbliebenen der Opfer, meist ehemalige Offiziere und Beamte, vermutete er zu Recht künstlerisch eine konservative Haltung, so dass er "tatsächlich mit seiner Kunstanschauung nicht ganz allein dastand.“ Eine Chance war vertan, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Scheibe erhielt dann noch den Verdienstordens der Bundesrepublik, die Ehrendoktorwürde der FU Berlin und wurde zum Ehrensenator der Berliner Akademie der Künste ernannt.

Willy Meller
Genauso instinktlos, einen "gottbegnadeten" Künstler mit sogar zwei Mahnmalen für die Opfer der Gewaltherrschaft zu beauftragen, waren zwei Städte im Rheinland in den 1960er Jahren: Skulpturengruppe "Die Opfer", Frechen 1961 und Denkmal "Die Trauernde", Oberhausen 1962. Das Mahnmal "Opfer" ist einseitig auf Deutsche ausgerichtet, zeigt unter anderem Soldaten, dagegen kommen Opfer der Konzentrationslager und Menschen aus anderen Nationen nicht vor. Von der künstlerischen Erfahrung des Bildhauers Willy Meller erhoffte Oberhausen sich "eine reibungslose Umsetzung des Entwurfs", für welche Themen er vorher stand, war dabei nicht im Fokus.

Willi Meller schuf die Bauplastik für zwei "Ordensburgen" der Nazis mit Ehrenmalen für die Ermordeten der Nazi-Bewegung. Im Olympiapark steht auf einem hohen Sockel seine monumentale "Deutsche Nike", eine Siegesgöttin mit Eichenlaub in der Hand, mit dem Fuß zertritt sie eine Schlange. Dieses biblische Motiv des Bösen galt in der Nazi-Ideologie als Warnung an die Feinde des "Dritten Reichs". Ebenfalls für den Olympiapark hat Meller einen Pfeiler mit "Flachrelief mit Reichsadler" geschaffen. Auf der Schmalseite in der typischen Symbolik mit einem flachen Reichsadler, der einen Eichenkranz mit Hakenkreuz in den Fängen hält.


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Viele Reichsadler und Parteiadler hat Meller geschaffen, für das Propagandaministerium von Goebbels, für einen Flughafen und eine Autobahnbrücke in Köln, für Ordensburgen. Ich komme später darauf zurück, dass er diese Reihe mit einem Bundesadler fortsetzte. Wohin richtet sich der Blick des Adlers? Adler haben nach rechts zu blicken, so war es geregelt im preußischen Staat. Erst im Dritten Reich wurde differenziert, die Adler des NSDAP-Parteilogos schauten nach links, die "staatlichen" Adler wie gehabt nach rechts. Auf dem Flachrelief im Olympiapark schaut er als Reichsadler über seine rechte Schulter. Später wurde das nicht mehr konsequent getrennt.

Im Nachkriegsdeutschland versorgte die Bundespost Meller immer wieder mit Aufträgen, beispielsweise für ihre Filialen in Dortmund, Bochum, Lüdenscheid, Hagen. Meller hat die Entnazifizierung als „Mitläufer“ passiert, er war nach eigener Einschätzung aber unbelastet aus der Nazizeit hervorgegangen. An Hitlers Geburtstag 1939 wurde Meller auf Hitlers Anweisung zum Professor ernannt, nach seiner Ansicht vor allem wegen seiner Arbeiten auf dem Reichssportfeld. Trotzdem behauptete Meller in der Nachkriegszeit: "Meine Auftraggeber waren Architekten. Die eigentlichen Auftraggeber kannte ich meist nicht oder nur am Rande. Ich frug nicht nach ihrer Religion oder Weltanschauung".

Josef Wackerle
Das Monumentale, das Material und die Ideologie machen auch die "Rossebändiger" vor dem Marathon-Tor des Olympiastadions zu einer ikonografischen Figur der Nazi-Zeit. Von Josef Wackerle geschaffen, ist dieses Motiv von ihm mehrfach und auch von anderen Bildhauern jener Zeit bedient worden. Seit der Antike als Symbol für die lenkenden Kräfte des Menschen stehend, ist das ins Gigantische überhöhte Kunstwerk als Macht des Hitlertums, von Partei und Staat zu verstehen.


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Fünf Meter hoch sind die spiegelbildlich angeordneten Figuren, aus Muschelkalkstein zusammengesetzt. Wackerle wurde vom Auftraggeber angewiesen, die Figuren gegenüber seinem ersten Entwurf "weniger bewegt zu gestalten", Dynamik und Unbeschwertheit in der Darstellung waren unerwünscht.

Der Bildhauer wurde von der Nazi-Prominenz geschätzt, Hitler selbst hatte Werke von Wackerle in der Reichskanzlei, in seiner Berliner Wohnung und am Obersalzberg zu stehen. Wackerle war nicht Parteimitglied, bei der Entnazifizierung stufte man ihn als nichtbelastet ein. Im Dritten Reich war und in der Bundesrepublik blieb er Professor an der Münchener Kunstakademie. Für Siemens hat er in der Nachkriegszeit in Erlangen, Nürnberg und Berlin mehrere Bildhauerarbeiten gefertigt. Das klingt nicht nach der Fortführung einer großen Karriere in der Bundesrepublik.

Bundesadler
Noch einmal zurück zu Willy Meller, dem "Adlermacher". Vom Reichsadler bis zum Bundesadler reichte seine Karriere als Gestalter des deutschen Wappentiers. Wie bereits berichtet, schuf er unter anderem den Reichsadler für das Propagandaministerium von Josef Goebbels. Im Nachkriegsdeutschland folgte dann sein Bundesadler, wieder an einer prominenten Stelle: Dem Palais Schaumburg des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Den alten Herrn wird das - falls er es wusste - nicht weiter gestört haben, hatte er doch mehr als ein Jahrzehnt lang mit Hans Globke einen Altnazi als engen Berater und Staatssekretär an seiner Seite. Dabei war Adenauer selbst von den Nazis verfolgt und inhaftiert worden, sein Umgang damit als Bundeskanzler war wohl altersmilde Realpolitik. Hans Globke hatte als Jurist im Dienst des Dritten Reichs Hitlers Rassegesetze ausgelegt. Globkes Vorschlag folgend wurden alle Juden gezwungen, die zusätzlichen Vornamen "Israel" und "Sara" zu tragen. Bei soviel realpolitischer Nachsicht Adenauers schadete ein Bundesadler auch nicht mehr, der als demokratisch gewendeter Reichsadler über dem Kanzleramt hing.
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Kleingartenland im Wasser versunken
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