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Im Innenraum der Rennbahn


Stadtbezirk: Charlottenburg
Bereich: Ruhleben, Olympiastadion
Stadtplanaufruf: Berlin, Murellenweg
Datum: 22. Februar 2011

Unser Ziel heute ist Ruhleben, ein Zipfel der Kolonie Westend an der Grenze zu Spandau, und dann kommt alles ganz anders und das Sportforum hinter dem Olympiastadion wird unser "Star". Überraschend ändern sich für uns "on the fly" immer wieder auch vorbereitete Ziele, erst nach dem Flanieren folgt dann das Erforschen, um die Geschichte oder vielleicht auch das Geheimnis des Gesehenen zu ergründen.

Ruhleben liegt an einer Kante des Berliner Urstromtals, der Gletscher der letzten Eiszeit hat hier einen Wall aufgeschüttet (Endmoräne), den wir vergeblich zu überwinden versuchen, aber dazu später. Ruhleben ist Teil des Gebietes, das die im Westend tätige Terraingesellschaft bebauen wollte. Aber erst nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren haben auf eigene Rechnung hundert Siedler Straßen angelegt und das Gelände parzelliert und bebaut. Dazu mussten sie die Wälle ehemaliger Schießstände abgetragen, denn seit 1855 ging es auf den eiszeitlichen Fließwiesen ums Schießen. Es gab hier also nicht nur den vom Gletscher vor sich her geschobenen Wall, sondern auch von den Preußen angelegte Wälle für militärische Zwecke.

Am östlichen Ende der Siedlung liegt der Murellenteich, südwestlich der Siedlung erstreckt sich bis zur Waldbühne die Murellenschlucht und das Murellental. Als wir versuchen, das südlich an den Murellenweg angrenzende Gelände zwischen Siedlung und Olympiastadion zu erklimmen, scheitern wir nicht an der eiszeitlichen Aufschüttung, sondern an der Einzäunung des Geländes, die uns zwingt, weit bis zum U-Bahnhof Olympiastadion herumzulaufen. Bei soviel Widerstand neugierig geworden, lassen wir uns auch durch Schranke und (inaktive) Zugangskontrolle nicht davon abbringen, ins Innere des Sportforums vorzudringen.

Wenn man die Geschichte der Sportbauten anschaut, könnte man meinen, dem Generationskonflikt einer Architektenfamilie auf der Spur zu sein. Vater Otto March errichtet um 1909 die Rennbahn Grunewald und das Deutsche Stadion, Sohn Werner March reißt unter tatkräftiger Hilfe seines Bruders Walter 25 Jahre später Vaters Werke ein und baut das Olympiastadion und das umliegende Sportgelände neu. Tatsächlich war aber Hitlers Darstellungsbedürfnis dafür verantwortlich, dass die vorhandenen Anlagen für die Olympischen Spiele 1936 nicht ausreichend erschienen, obwohl schon zu Kaisers Zeiten eine Bewerbung für Olympia lief. Für die Spiele 1916 hatte man gebaut, der erste Weltkrieg kam dazwischen. In der Weimarer Republik waren deutsche Sportler bis 1928 als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs durch den Versailler Vertrag von der Teilnahme an den Olympischen Spielen ausgeschlossen, 1931 wurde die Austragung der Spiele für 1936 an Deutschland vergeben, wodurch Hitler ein internationales Forum für die Darstellung des Dritten Reichs in die Hände gespielt bekam.

Die von Otto March erbauten Rennbahn für Galopprennen und Hindernisrennen war für den aufstrebenden Berliner Westen das, was Karlshorst für den Osten war. Um den Blick auf das Renngeschehen nicht zu stören, hat Otto March das "Deutsche Stadion", die damals größte Sportarena der Welt, im Innenraum der Rennbahn versenkt angelegt. Dort gab es in der ovalen Stadionanlage mit umlaufenden Tribünen und dem Fußballfeld eine Bahn für den 600-Meter-Lauf, eine Radrennbahn und Turnplätze. Ab 1925 baute sein Sohn Werner March das Stadionsgelände weiter aus zum Deutschen Sportforum, einem nationalen Zentrum für Sport und Körperkultur.

Das erstaunliche ist, dass auch nach dem Zweiten Weltkrieg Werner March mit Restaurierungen und Umbauten an "seinen" und zugleich Hitlers Sportbauten (Glockenturm, Langemarckhalle) beauftragt wurde. In der Nachkriegszeit war er Professor und später Ehrensenator der TU Berlin und errichtete auch Bauten für seine Universität. Eine Magistrale zum Ernst-Reuter-Platz trägt den Namen March, ist allerdings nach seinem Großvater benannt. Näheres zu Werner Marchs Entnazifizierung (Aufarbeitung der Nazi- Vergangenheit) ist im Internet nicht veröffentlicht, für die Behauptung "Überzeugter Nazi" gibt es genauso wenig eine Bestätigung wie für einen Streit mit Hitler über die Olympiabauten.

Das "Reichssportfeld", das sämtliche Sportanlagen von Olympiastadion bis Sportforum umfasste, wurde nach Kriegsende geteilt in einen öffentlich zugänglichen Bereich (insbesondere Olympiastadion, Schwimmstadion, Waldbühne) und einen militärischen Bereich, in dem das Hauptquartier der britischen Streitkräfte seinen Sitz nahm. Dieser Teil des Sportforums ist bis heute eingezäunt, 1994 verabschiedete der Regierende Bürgermeister Diepgen unter den goldenen Adlern von Waldemar Raemisch (1936) die ehemalige britische Besatzungsmacht. Viele der bei den Sportanlagen aufgestellten Skulpturen (überwiegend von 1936) zeigen die Handschrift der NS-Zeit, zum Beispiel die Figuren zwischen den Säulen am Haus des Sports "Zehnkämpfer" und "Siegerin" von Arno Breker. Den „Faustkämpfer“ von Josef Thorak, für den der Boxer Max Schmeling Modell stand, hatte ich früher bereits erwähnt (-->1). Aber auch Georg Kolbe ist mit dem "Ruhenden Athleten" vertreten, denn die stilistischen Merkmale dieser Skulpturen (wenig Dynamik, vereinfachte, gröbere Formen) wurde bereits vor den Nationalsozialisten von ihm und anderen Bildhauern entwickelt, Kolbe selbst widerstand aber der Vereinnahmung durch die NS-Kulturpolitik.

Auch der Eingang zur Waldbühne ist von zwei monumentalen Reliefs flaniert, "Heldenehrung" und "Poesie" von Adolf Wamper (1936). Gegen Ende des Krieges hatten Goebbels und Hitler eine Liste der 1041 wichtigsten und unersetzlichen Künstler (Schauspieler, Schriftsteller, Komponisten, Architekten usw.) verfasst, die als "Gottbegnadetenliste" apostrophiert wird. Wamper stand auf dieser Liste genauso wie Thorak und Breker, aber auch Georg Kolbe war hier aufgeführt.

Von der Waldbühne ist der S-Bahnhof Pichelsberg die nächste Verbindung für den Heimweg. Das 1911 entstandene repräsentative Bahnhofsgebäude enthielt auch die Dienstwohnung des Stationsvorstehers. Der aktuelle sachliche Bau konnte kleiner ausfallen, da es keinen Stationsvorsteher mehr gibt.

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(1) Josef Thorak, "Denkmal der Arbeit", siehe Fortschritt im Ledigenheim
mehr zum Olympiastadion: Gestell für Flaschen


Ein lichtes Berliner Dörfchen
Murellenschlucht