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Schokolade und grüner Fisch


Stadtteil: Weißensee
Bereich: Gründerviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Bühringstraße
Datum: 29. Oktober 2018
Bericht Nr.: 635

Im Gründerviertel von Weißensee ist an der Kreuzung der Gustav-Adolf-Straße mit der Charlottenburger Straße ein ganzes Ensemble von Häusern als Denkmal ausgewiesen. Als wir beim Fotografieren von zwei Anwohnern angesprochen werden, wappnen wir uns innerlich gegen die üblichen Besorgnisse von Einheimischen, wir könnten kriminelle Taten ausbaldowern, einem Investor dienen oder den Datenschutz verletzen wollen. Heute ist es anders, ein Ehepaar erzählt uns die Geschichte des Hauses, in dem sie wohnen.

Ein Haus und seine Geschichte
Das Haus in der Charlottenburger Straße mit einer unscheinbaren grauen Fassade hat wegen der Gliederung der Fassade und der Fenster unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es ist offensichtlich nicht als Wohnhaus gebaut worden und befindet sich ziemlich sicher nach Umbauten nicht mehr in seinem originalen Zustand. Tatsächlich wurde es 1887 als Bäckerei erbaut, wahrscheinlich mit einer Wohnung im ersten Stock. Es war die Kiezbäckerei - würde man heute sagen - in der die Bewohner aus dem Einzugsgebiet Brot, Brötchen und Kuchen gekauft haben. Aus dieser Zeit sind noch Einbauten für den Backbetrieb im Haus vorhanden. Mehrere Nutzungen wechselten sich ab. Es gab dort eine Fleischerei, danach eine Lampenfabrik.

Das Grundstück erstreckt sich weit in die Tiefe und ist mit langen Seitengebäuden parallel zur Grundstücksgrenze und mit Remisen bebaut. Offensichtlich enthielten die Seitengebäude eine Vielzahl von Wohnungen oder Wohnräumen. Im Adressbuch von 1913 sind 29 Bewohner aufgeführt, fast ausschließlich Arbeiter und Handwerker, beispielsweise Kutscher, Schmied, Tapezierer, Friseur, Maurer, Fabrikarbeiter, Näherin. Aus dieser Auflistung fällt eine Eintragung heraus: "Schneider, E., Frau". Eigentümer des Grundstücks ist 1913 Fleischermeister Greiling, die Großfleischerei wird aber von J. Liebig betrieben.

Das Gespräch mit den heutigen Hauseigentümern - einem Künstler und seiner Frau - hat uns beflügelt. Als dann noch an einem markierten Zebrastreifen die Autos bereitwillig für uns anhalten, wissen wir: heute ist ein guter Tag zum Flanieren.

Trumpf Schokoladen
In den 1870er Jahren begann die Wohnbebauung von Weißensee. Später siedelten sich auch Industriebetriebe an wie die Lackfabrik Warnecke und Böhm an der Goethestraße, die Goldleistenfabrik Ruthenberg an der Lehderstraße oder die Maschinenbaubetriebe an der Industriestraße. An der Bühringstraße Ecke Gustav-Adolf-Straße baute 1921 die Fabrikantenfamilie Monheim einen Fabrikkomplex für ihre Schokoladenproduktion. Sie waren mit ihrer Fabrik sozusagen politische Flüchtlinge, denn ihr Stammwerk in Aachen lag in französisch besetztem Gebiet, wodurch ihr deutscher Absatzmarkt wegfiel. Von Berlin aus sollte dieser Markt wieder beliefert werden.

Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten 1919 französische und alliierte Truppen das an Frankreich angrenzende deutsche Reichsgebiet bis zum Rhein ("linksrheinisch"). Ein Viertel der hier eingesetzten französischen Soldaten waren Kolonialtruppen mit Schwarzafrikanern, was von Deutschen als "Schwarze Schmach" empfunden wurde.

Den Schwarzen wurden massenhafte Übergriffe auf deutsche Frauen und Kinder angedichtet. Selbst Reichspräsident Friedrich Ebert sah die Zivilisation in Gefahr, weil "farbiger Truppen niederster Kultur" über die "geistig hochstehende Bevölkerung der Rheinländer" herrschen würden. Es war eine deutsche Propagandakampagne zur "Rettung der weißen Rasse", die nicht enden wollte.


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In Weißensee errichtete Monheim 1921 Backsteingebäude für Produktion, Versand und Verwaltung, außerdem eine Wohnung für die Monheims und ein eigenes Kraftwerk, das Strom und Wärme für die Fabrik lieferte. Mit dem Marketing war Trumpf seiner Zeit voraus: Zuerst wurden Flugzeuge eingesetzt, um Werbung für Trumpf zu fliegen. Danach schaffte Monheim eigene Werbeluftschiffe an, die nur die Aufgabe hatten, den Firmennamen großflächig am Himmel sichtbar zu machen.

Nach dem verlorenen Krieg wurde die Monheimsche Schokoladenfabrik von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet. Viele Produktionsanlagen wurden demontiert und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion geschafft. Anschließend setzte die DDR die Fabrikation mit den verbliebenen Anlagen bis 1954 als VEB Trumpf fort. Dann ging Trumpf in dem VEB Elfe Berliner Schokoladenwerk auf und verließ den Standort an der Bühringstraße.

Doch es gab ein Problem bei der Schokoladenherstellung: Die DDR hatte nicht genug Devisen, um Kakaobohnen auf dem Weltmarkt zu kaufen. So musste sie eigene Kakaobohnen erfinden. Zerstoßene rote Rüben wurden als Ersatzstoff patentiert. Ein weiteres Patent gab es für einen Ersatz aus erhitzten Getreidekeimen und Zucker. Das erklärt, warum West-Schokolade bei den DDR-Bewohnern so beliebt war.

Kunsthochschule Weißensee
In das freigeräumte Verwaltungsgebäude der Trumpf-Fabrik zog 1956 die Kunsthochschule Weißensee ein. Die Kunstdarstellungen im und am Gebäude im Stil des sozialistischen Realismus' verweisen auf diese Periode. Am Eingangstrakt, der den alten Gebäuden vorgesetzt wurde, wird man von Keramikreliefs mit "Szenen aus dem Hochschulleben" begrüßt. Die 12 Werke eines an der Kunsthochschule lehrenden Dozenten zeigen beispielsweise Maler, Skulpteure, Steinbildhauer bei der Arbeit.


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Wandmalereien und Deckenbilder finden sich in einem Treppenhaus. Vor der Aula zeigt ein Wandbild "Wendepunkt", wohin der sozialistische Weg gehen soll: In der Bildmitte Karl Marx mit in die Ferne gerichtetem Blick, links erheben sich Arbeiter gegen die mit der Pferdekutsche ausfahrende Bourgeoisie, rechts formiert sich die Bevölkerung zu produktivem Schaffen.

Drei Friedhöfe im Gründerviertel
Drei Friedhöfe liegen im Gründerviertel nahe beieinander: Der Friedhof der Segenskirche in der Gustav-Adolf-Straße, der Städtische Friedhof und der Friedhof Georgen-Parochial III in der Roelckestraße. Auf dem Georgen-Parochial-Friedhof gibt es einige bemerkenswerte Grabanlagen und Erbbegräbnisse. Wie andere Begräbnisstatten leidet auch dieser Friedhof unter der veränderten Bestattungskultur mit anonymen Gräbern und Gemeinschaftsgräbern, durch die weniger Friedhofsflächen gebraucht werden. Der evangelische Friedhofsverband hat deshalb eine Planungswerkstatt beauftragt, Ideen für eine Umgestaltung des Friedhofs zu entwickeln.

Was die Planer machen wollen, haben sie so formuliert: "Begleitung des partizipativen Prozesses und Erarbeitung eines städtebaulichen Konzeptes zur Entwicklung eines kooperativen und innovativen Modellvorhabens [...] unter Berücksichtigung ökologischer sowie denkmalpflegerischer Aspekte". Begleitung, Prozess, Erarbeitung, Konzept, Entwicklung, Modellvorhaben, Berücksichtigung, Aspekte - kann man noch mehr Hauptwörter in einem Text unterbringen? Ein Drittel ist jedenfalls schon ganz gut, so konnten Tätigkeitswörter komplett vermieden werden. Hoffentlich können die Planer besser mit ihrer Aufgabe umgehen als mit der deutschen Sprache.

Ein gekacheltes Grabmal
Aus hygienischen Gründen sind Räume einer Fleischerei gekachelt. deren Ladengeschäfte erkennt man auf den ersten Blick. Merkwürdig mutet es an, wenn Fliesen auf einem Grabmal anzeigen, dass hier ein Fleischer beerdigt wurde. Auf dem Friedhof Georgen-Parochial III in der Roelckestraße ist die Rückwand eines Erbbegräbnisses weiß gekachelt, vier stilisierte Säulen deuten einen Raum in einem Gebäude an. Beerdigt wurde hier 1896 laut Grabinschrift ein "Schlächtermeister".


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Grabmal der Behrendt-Dynastie
In der Südecke des Friedhofs steht ein gotisierendes Grabdenkmal mit 5 Ziergiebeln und 4 Türmchen, das von seiner Ecklage und seiner Ausdehnung her an den Friedhof der Wannseekolonie erinnert, wo "Grabstellen so groß werden konnten wie eine Zweizimmerwohnung". Kein anderes Erbbegräbnis auf dem Weißenseer Friedhof ist mit diesem vergleichbar. Es ist doppelt so hoch wie die Friedhofsmauer, auch von den Straßen her ist es als üppiges Bauwerk unübersehbar. Das Monument ist der Berendt-Dynastie gewidmet, deren Senior - der Pfarrer Ernst Berendt - 1878 die Stephanus-Stiftung gegründet hat. Angesichts des konfessionellen Zusammenhangs bleibt die Frage, wie es um die christliche Demut steht, also die Haltung, sich selbst zurückzunehmen.

Die Stephanus-Stiftung ist eine der ältesten sozialen Einrichtungen in Weißensee. Sie betreute und betreut Strafgefangene, Obdachlose, Heimatlose, Flüchtlinge, Behinderte, Alte und ist inzwischen in diesen "Geschäftsbereichen" mit Tochtergesellschaften an über 100 Orten in Berlin und Brandenburg tätig. 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden "auf Basis christlicher Grundwerte beschäftigt". Für die "Erschließung neuer Geschäftsfelder" hat die Stiftung eine "Stabsstelle Unternehmensentwicklung" eingerichtet. Man sieht, die Stiftung erstellt Produkte und Dienstleistungen wie ein Konzern.

Der Jazzpionier Joachim Ernst Berendt war ein Sohn des Stiftungsgründers. Mit Leidenschaft widmete er sich mit Sendungen im Hörfunk und Fernsehen, als Schriftsteller und Herausgeber von Platten und Tonkassetten. "Das Leben - ein Klang", Behrendt ist tief in die Wunder des Hörens eingedrungen. Er wurde bei einem Unfall tödlich verletzt, als er bei roter Ampel über eine Straße lief - dumm gelaufen.

Opfer und Helden
Der preußische Polizeibeamte Wilhelm Krützfeld hatte bei den Nazi-Pogromen vom 9.November 1938 durch sein beherztes Eingreifen die Zerstörung der Synagoge an der Oranienburger Straße verhindert. Er stellte sich den eingedrungenen SA-Leuten mit vorgehaltener Pistole entgegen unter Hinweis auf den Denkmalwert des Gebäudes und holte die Feuerwehr zum Löschen des bereits gelegten Brandes. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Georgen-Parochial III in der Roelckestraße.

Peter Fechter, ein 18jähriger Maurer, wohnte in Weißensee in der vor kurzem nach ihm benannten Straße. Sein Fluchtversuch nach West-Berlin endete vier Tage nach dem Mauerbau tödlich, er war der erste Mauertote. Volkspolizisten hatten ihn angeschossen, er blieb auf Ost-Berliner Gebiet fast eine Stunde im Todesstreifen liegen, bevor er von ihnen herausgeholt und ins Krankenhaus gebracht wurde, wo er starb. In der Bevölkerung hat dieser Vorfall verständliche Wut ausgelöst, die sich gegen die Volkspolizisten ("Mörder") richtete, aber auch gegen die US-Soldaten, die nicht eingegriffen hatten.

Grüner Fisch
Von der Charlottenburger Straße zweigt die Max-Steinke-Straße ab. Im Innenbereich des Straßenkarrees arbeitete mehr als 70 Jahre lang die Fischräucherei von Max Steinke, die schließlich - auch wegen der Geruchsbelästigung der Anwohner - geschlossen wurde. Das Bezirksamt hat danach eine öffentliche Grünfläche im Innenbereich angelegt. Bei der Suche nach einen Namen. wurde ein Anwohnervorschlag übernommen: "Grüner Fisch" heißt der kleine Park jetzt.

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Zwischen den Dörfern
Überflüssige Rathäuser