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Rede und Gegenrede mit Geist und Anmut


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Großer Wannsee
Stadtplanaufruf: Berlin, Colomierstraße
Datum: 24. April 2017
Bericht Nr: 585

"Strömt herbei, ihr Völkerscharen" - in dem Volkslied wird man "zu des deutschen Rheines Strand" gelockt, der prächtiger sei als "tausend schöne Frauen". Als die Villenkolonie Alsen am Großen Wannsee ihr 25jähriges Bestehen feierte, dichteten die Gratulanten diesen Hymnus um zu einem Dankeslied auf Wilhelm Conrad, den Gründer der Kolonie. Conrad war ein äußerst durchsetzungsfähiger Mann. Als Bankier verfügte er über beste Verbindungen zum Berliner Großbürgertum, um für seine Idee zu werben und über die nötigen Mittel, um das Projekt umzusetzen.

Im Jahr 1863 hatte er die Kolonie zur Ansiedlung von Sommerresidenzen gegründet, war bald die glanzvolle Welt des Berliner Großbürgertums hier vertreten mit den führenden Köpfen des Geistes- und Kulturlebens. Wilhelm Conrad gehörte dem "Club von Berlin" an, zeitweise als Vorsitzender, "Rede und Gegenrede mit Geist und Anmut" wollte man gemeinsam pflegen und nebenbei wirtschaftliche Interessen voranbringen. Hier trafen sich nach britischem Club-Vorbild Männer aus den gehobenen Schichten - hohe Staatsbeamte, erfolgreiche Künstler, Bankdirektoren, Industrielle, oft waren es getaufte Juden - "zur geselligen Unterhaltung und persönlichen Annäherung der Mitglieder". Conrad konnte zahlreiche Clubmitglieder für die Villenkolonie begeistern.

Nicht nur die Villenkolonie geht auf seine Initiative zurück, auch die Bahnlinie nach Wannsee konnte er durchsetzen. War Conrad doch im Aufsichtsrat der Bahngesellschaft, die die Wannseebahn (Bankierszüge, "Wahnsinnsbahn") nach langem Ringen durchsetzen konnte. Und er gehörte zu den Gründern des Segelvereins "Seglerhaus am Wannsee". Heute nutzen Sport- und Segelclubs mehrere Villen am Großen Wannsee, weil private Eigentümer sich das Wohnen hier nicht mehr leisten können. Das Clubhaus der Segler (Seglerhaus) war aber schon damals inmitten der hochherrschaftlichen Villen ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens über den reinen Sport hinaus.

Wilhelm Conrad kaufte große Wald- und Heidegebiete in Wannsee und die Gaststätte "Stimmings Krug" gleich hinter der Wannseebrücke rechts, um hier als erstes seine eigene Villa zu errichten. Diese Gaststätte hatte eine traurige Vergangenheit, waren hier doch Heinrich von Kleist und Henriette Vogel abgestiegen, bevor sie am Kleinen Wannsee Selbstmord begingen. Die Villenkolonie, die sich entlang des Großen Wannsees nach Norden erstreckt, erhielt ein "Hippodrom" als Mittelpunkt. Das ist kein realer Reitplatz, sondern eine Figur im Stadtgrundriss, deren anliegende Straßen ein Oval bilden. Die dänische Insel Alsen hat Conrad deshalb zum Namenspaten der Kolonie gemacht, weil sein Schwager Colomier dort an einer siegreichen Schlacht gegen die Dänen teilgenommen hatte.

Schwedenpavillon, Kaiserpavillon
In welchen Dimensionen Conrad dachte, kann man daraus ersehen, dass er zwei Pavillons der Wiener Weltausstellung von 1873 kaufte, sie vor Ort zerlegen und am Wannsee wieder aufstellen ließ. Beide Pavillons sind heute nicht mehr vorhanden. Der "Kaiserpavillon", diente der Wannseebahn als Bahnhofsgebäude, wahrscheinlich war zu dieser Zeit bereits eine Restauration dort vorhanden. Später wurde ein massives Bahnhofsgebäude erbaut, der Kaiserpavillon rückte dafür etwas weiter und wurde nur noch als Gaststätte genutzt. "Loretta am Wannsee" hat zwar nicht das alte Restaurationsgebäude übernommen, aber den historischen Ort.

Rundfunktechnische Versuchsanstalt
Der hölzerne Schwedischen Pavillon ist 1900 abgerissen worden, das massive Wohngebäude als Nachfolgebau hat den Namen übernommen. Hier eröffnete eine Gaststätte, in der Max Liebermann oft zu Gast war, wenn er in seinem Sommerhaus am Großen Wannsee wohnte. 1940 wurde der Schwedenpavillon zur Tarnung für die größte und wichtigste Rundfunkabhöranlage in Deutschland. "Rundfunktechnische Versuchsanstalt" nannte das Auswärtige Amt die mit Spezialantennen ausgerüstete Anlage, in der der "Sonderdienst Seehaus" Feindsender abhörte. Auch Goebbels' Propagandaministerium wurde mit den Berichten des Sonderdienstes versorgt.

Reichsluftschutzschule
Es gab eine weitere Tarnanlage im Villenviertel Alsen, diese diente dem Militär. In einem bewaldeten Areal am Heckeshorn erbaute der Architekt Eduard Jobst Siedler - ein Onkel des Verlegers Wolf Jobst Siedler - mehrere an die Landschaft angepasste zweigeschossige Bauten aus rötlich-braunem Klinker, die auf dem Gelände verstreut sind. Genutzt wurden sie als Reichsluftschutzschule, in der Luftschutzwarte aus ganz Deutschland geschult wurden. Bemerkenswert ist, dass mit den Bauten schon 1937 begonnen wurde. Das zeigt, wie weit die Nazis den Krieg vorausgedacht hatten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Tuberkulose-Krankenhauses Heckeshorn in der ehemaligen Reichsluftschutzschule eingerichtet.

Während des Krieges entstand auf dem Gelände ein Hochbunker mit sechs Ebenen und bis zu vier Meter dicken Stahlbetonwänden, von dem aus die gesamte Luftverteidigung im Umkreis von Berlin gesteuert wurde, Sirenen, Flakgeschütze, Jagdbomber. Als es mit Nazi-Deutschland zu Ende ging, kam die Wehrmachtsführung aus Wünsdorf hier für mehrere Tage unter. Der Plan, auch Hitler in diesem Schutzbau unterzubringen, wurde aber nicht verwirklicht. In der Nachkriegszeit richtete das Bezirksamt 1985 im Bunker ein Notkrankenhaus für 400 Patienten ein, das ständig betriebsbereit gehalten wird, um bei Epidemien, Gasangriffen und anderen Katastrophen einsatzfähig zu sein.

Haus der Wannseekonferenz
Mit dem Großen Wannsee verbindet sich die Erinnerung an die Wannseekonferenz in der Villa Minoux. Der Architekt Paul Baumgarten hatte diese Villa 1914 für einen Industriellen auf einem 30.000 Quadratmeter großen Seegrundstück erbaut, auf der Seeseite wirkte sie wie ein spätbarockes Gartenpalais. In der Nazizeit wurde sie als Gästehaus von Sicherheitspolizei (SS) und Sicherheitsdienst (SD) und für Arbeitstreffen und Konferenzen des Reichssicherheitshauptamtes genutzt. Hier trafen sich im Januar 1942 Staatssekretäre aus mehreren Ministerien, um die Ermordung der europäischen Juden administrativ zu organisieren ("Wannseekonferenz"). Heute ist das Haus eine Bildungs- und Gedenkstätte.

Bewohner und Villen
Wenn Max Liebermann mit seinem Dackel spazieren ging, traf er manchmal seinen Freund Professor Ferdinand Sauerbruch hoch zu Ross. Sauerbruch - Direktor der Charité - war ein passionierter Reiter und hatte einen eigenen Pferdestall auf seinem Grundstück. Liebermanns Landhaus war 1909 von dem Architekten Paul Baumgarten errichtet worden. Liebermann und seine Familie nutzten das Haus regelmäßig in den Sommermonaten, mehr als 200 Gemälde entstanden in dem großen Garten.


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Heute ist sein Landhaus eine feine Museumsvilla. Baulich ist sie mit der ebenfalls von Baumgarten entworfenen Villa Hamspohn auf dem Nachbargrundstück verbunden.

Auch der Fabrikant Paul Herz hatte ein stattliches Stallgebäude auf seinem Anwesen. Sein Landsitz im Schlösserstil - ein Neorenaissancebau - taucht wie ein Märchenschloss zwischen den hochherrschaftlichen Villen auf, wenn man der Straße Am Großen Wannsee nach Norden folgt.

Der Wissenschaftsverlag Springer hatte während der Studentenunruhen in den 1960er Jahren einen schweren Stand, weil er oft mit dem von Linken verhassten Verlagsimperium von Axel Caesar Springer ("Bild", "Welt", "Berliner Morgenpost") gleichgesetzt wurde. Mit einer klugen Medienoffensive wusste er sich zu wehren: "Jeder Schachspieler hat zwei unabhängige Springer", warb er.

Am Großen Wannsee hat der Architekt Alfred Messel 1901 ein Landhaus für den Verlagsbuchhändler Ferdinand Springer auf die höchste Stelle seines Grundstücks gestellt. Es lehnt sich an die englische Landhausarchitektur an mit weit heruntergezogenen Dächern, Erkern, Loggien, überdachten Austritten. Die Villa hat eine ungewöhnliche hellgraue Fassadenbekleidung. Auch der Industrielle Franz Oppenheim ("Agfa"), ein Ururenkel des Philosophen Moses Mendelssohn, ließ sich von Messel eine Villa bauen, einen langgestreckten Bau, in dem auch für die eigene Kunstsammlung Platz war.


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Eduard Arnhold war zu seiner Zeit der drittreichste Berliner, sein beträchtliches Vermögen erwirtschaftete er beim Handel mit schlesischer Steinkohle. Arnhold war "ein freigeistiger Konservativer jüdischer Herkunft, sozialer Philanthrop und Kunstmäzen". Den Umfang seines Reichtums und seines Mäzenatentums kann man daran ermessen, dass er dem preußischen Staat die Villa Massimo in Rom samt Stiftungskapital schenkte und damit bis heute Studienaufhalte von Künstlern ermöglichte.

Die Langenscheidts sind durch ihren Wörterbuchverlag bekannt, ihr Anwesen liegt an der Colomierstraße der Villa Liebermann gegenüber. Der Historienmaler Anton von Werner ("Kaiserproklamation in Versailles") war ein berühmter Künstler, der in der Villenkolonie wohnte.

Der Architekt Johannes Otzen - "Kirchenbaumeister" - lebte in der Villenkolonie. Er entwarf die Anlage des Villenfriedhofs an der Lindenstraße und wird dort mit einem ausladenden neugotische Wandgrab geehrt: Ein Engel hält eine Kirche in der Hand, auf einem Pfeiler ist ein Reliefbildnis von Johannes Otzen zu sehen.

Der Millionenfriedhof
"Millionenfriedhof "- mit diesem despektierlichen Spottnamen bedachten die Berliner den Friedhof der reichen Wannseekolonie, der wie die Landhäuser und Villen ungewöhnlich viel Raum bot. Eine Familiengrabstelle hat heute maximal 15 Quadratmeter, auf dem Villenfriedhof konnten Grabstellen so groß werden wie eine Zweizimmerwohnung. Der Gründer der Wannseekolonie, Wilhelm Conrad, hat natürlich für sich und seine Familie das größte, über Eck angelegte Grabfeld. Auf der gegenüberliegenden Friedhofsseite ist später eine merkwürdige Verdichtung der Gräber entstanden. Auf den ausladenden alten Grabflächen sind eine oder mehrere Reihen weiterer Begräbnisse angeordnet.

Der Friedhof wurde für alle Glaubensrichtungen eingerichtet. Ein christliches Kreuz, verbunden mit einem Davidstern, wurde zur Bekräftigung als Symbol auf die Friedhofsmauer gesetzt.

Der Industrielle Arnold von Siemens, älteste Sohn des Unternehmensgründers Werner von Siemens, ist hier in einem "Privatbegräbnis" bestattet. In seinem ummauerten Grabhof befindet sich außerdem der Begräbnisplatz des Physikers Hermann von Helmholtz. Beide Familien waren durch berufliche Zusammenarbeit, freundschaftliche Kontakte und durch Heiraten miteinander verbunden. Das Siemens-Grabdenkmal schuf Adolf von Hildebrand, der ebenfalls mit der Siemens-Familie befreundet war. Auch das Marmorrelief auf dem Grab von Werner von Siemens in Stahnsdorf ist ein Werk Hildebrands.


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Flensburger Löwe
Die Straße zum Löwen muss ohne ihren Löwen auskommen. Die von Wilhelm Conrad georderte Kopie des Flensburger Löwen steht schon lange am Heckeshorn mit Blick aufs Wasser, weil der ursprüngliche Standort als wertvolles Bauland gebraucht wurde. Die Original-Bronzeplastik war als Zinnguss abgeformt worden. Während der Kolonie-Namen Alsen symbolisch für eine Niederlage der Dänen steht, ist der Löwe ein Siegessymbol der Dänen (Schlacht von Idstedt anlässlich der Schleswig-Holsteinischen Erhebung von 1850). Man könnte meinen, dass Conrad mit der Löwenkopie eine Art Wiedergutmachung an den Dänen im Sinn hatte. Tatsächlich ehrte er damit den preußischen Prinzen Friedrich Karl, den er verehrte und der mit ihm zusammen im Aufsichtsrat der Wannseebahn saß. Der Prinz hatte sich in einem letztlich verlorenen Kampf gegen die Dänen "durch persönlichen Mut ausgezeichnet".

Der Original-Löwe war sehr mobil, so wie sein deutsch-dänischer Schöpfer wechselte er zwischen beiden Ländern hin und her. Als "Idstedt-Löwe" im damals dänischen Flensburg eingeweiht, ging er 1864 nach einem weiteren deutsch-dänischen Krieg auf Bismarcks Veranlassung nach Berlin zum Zeughaus Unter den Linden und später zur Kadetten-Anstalt in Lichterfelde. Die amerikanische Siegermacht sorgte nach ihrer Vorstellung für Ordnung und brachte den Löwen 1945 nach Dänemark zum Kopenhagener Zeughaus. An dieser Aktion war Eisenhower persönlich beteiligt. Vor sechs Jahren beendete der Original-Löwe seine Rundreise, jetzt steht er wieder in Flensburg, das aber inzwischen deutsch ist.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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Villenkolonie Alsen

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... und hier sind weitere Bilder ...
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Friedhof Wannsee, Lindenstraße

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