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Universitätscampus und akademische Räume


Stadtteil: Charlottenburg, TU Berlin, Straße des 17.Juni
Stadtteil: Mitte, Humboldt-Universität, Unter den Linden
Stadtteil: Zehlendorf, FU, Garystraße
Datum: 20. Januar 2014
Bericht Nr: 448

Ist der Universitätscampus ein öffentlicher Raum, in dem man flanieren darf? Was sind öffentlich "zugängliche" Räume, die von einem "unbestimmten Personenkreis" betreten und genutzt werden können, so wie es Datenschützer zum Thema Videoüberwachung definieren? Darf die Universität (als Raum, als Institution) "privat" oder "geheim" sein, anstatt "öffentlich“? Ist ihr Wissen dann noch frei zugänglich, kann die Allgemeinheit ihre Diskurse verfolgen und darauf Einfluss nehmen? Wie eignet sich der Mensch Raum an, wie wird der Raum zum Lebensraum, zum Ort für kommunikative und soziale Prozesse? Wie wird der eroberte akademische Raum zum Ort, an dem man lernt, die menschliche Kultur in allen ihren Ausprägungen und Symbolen zu verstehen, sich damit auseinander zu setzen und sie weiter zu entwickeln?

Gerade setzen wir den ersten Schritt auf den Universitätscampus, und schon haben die Sozialwissenschaft und die Juristerei uns in ihren Fängen. Soviel wissen wir aber jetzt, der Campus der Universität ist ein öffentlicher Raum, es gibt hier aber auch halböffentliche Bereiche wie Seminare, Labore, von denen die Nicht-Berechtigten ausgeschlossen sind. Schauen wir uns an, wie drei Berliner Universitäten sich dem Eintretenden präsentieren. Es sind drei Hochschulen mit Wurzeln in sehr unterschiedlichen Epochen. Die Humboldt-Universität ist die historische Berliner Alma Mater, die 1809/1810 von Wilhelm von Humboldt als Friedrich-Wilhelms-Universität gegründet wurde. Sie hat die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, das Nazireich und die Teilung in der DDR-Zeit überdauert und nutzt viele historische Gebäude im Herzen Berlins kontinuierlich seit ihren Anfangsjahren.

Die Freie Universität ist ein Produkt der Nachkriegsjahre, als die sowjetische Militärverwaltung ein "anderes" Deutschland schaffen wollte, das nichts mehr mit dem preußischen Militarismus gemein hat. In der Praxis bedeutete das die Unterdrückung und Ausgrenzung aller Nichtkommunisten. Professoren und Studenten wichen nach West-Berlin aus, wo sie zwischen dem Amerikanischen Hauptquartier in der Clayallee und dem Standort der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Thielallee eine neue Hochschule errichteten. Die Freie Universität ist damit die jüngste dieser drei Berliner Hochschulen.

Technische Universität

Auch die Briten und Amerikaner wollten einen Neuanfang, eine Umerziehung der ehemaligen Kriegsgegner zu Demokraten. Im neuen Studentendorf Schlachtensee, das von den Amerikanern finanziert wurde, lief ein Tutorenprogramm für die politische Bildung der Studenten (5). Im britischen Sektor lag die Technische Hochschule, deren Wurzeln bis zu Schinkels Bauakademie zurückreichten, die aber in der Nazizeit aktiv die Diskriminierung und Vertreibung jüdischer oder kritischer Wissenschaftler betrieben hatte. Diese Hochschule wurde nach Kriegsende bewusst nicht wieder eröffnet, sondern mit einer humanistischen Ausrichtung neu gegründet. Ein Zentrum für Antisemitismusforschung entstand, Geisteswissenschaften sollten fortan als integraler Bestandteil der Technischen Universität die Heranbildung von Technokraten verhindern. Das teilzerstörte Uni-Hauptgebäude ermöglichte es, diesen Neuanfang auch baulich sichtbar zu gestalten. Zur Straßenseite steht ein zehngeschossiger Hochhausneubau, zur Rückseite ist der Rest des historischen Neo-Renaissance-Baus stehen geblieben. Beide Bauteile verbinden sich zu einem Gesamtgebäude, in dem die Geschosse von Altbau und Neubau unterschiedlich hoch sind. Dadurch wird leider die Orientierung und Durchlässigkeit erschwert. Im Erdgeschoss wurde aber durch nachträglich geschaffene Durchgänge inzwischen für mehr Transparenz gesorgt.

Goethes "Faust" zählt in seinem Monolog die klassischen akademischen Studienfächer auf:
"Habe nun, ach! Philosophie / Juristerei und Medizin
Und leider auch Theologie / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn [...]
Heiße Magister, heiße Doktor gar"

Technische Fächer gehörten nicht dazu. Das änderte sich mit der industriellen Revolution, die in Deutschland - insbesondere in Berlin - dem Maschinenbau und der Elektrizität ("Elektropolis") zu Weltgeltung verhalfen. Jetzt drängten die technischen Hochschulen auf das Promotionsrecht, um ihren qualifizierten Wissenschaftlern den akademischen Grad des Doktors verleihen zu können. Sie wollten mit ihren Leistungen gesellschaftlich und wissenschaftlich anerkannt werden. 1899 wurde der Technischen Hochschule Berlin das Promotionsrecht verliehen, mit dem Ingenieure den humanistisch gebildeten Akademikern erstmals formal gleichgestellt wurden. Von nun an gab es den "Dipl.Ing" als Studienabschluss und den "Dr.Ing" als Abschluss des Promotionsverfahrens.

Die Feier fand in Gegenwart von Kaiser Wilhelm II. im Lichthof der Hochschule statt. Dieser Lichthof im Altbauteil des TU-Hauptgebäudes blieb von der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg verschont und wird weiterhin für repräsentative Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt. Französische Hochschulen haben der TU 1956 den Abguss der "Nike von Samothrake" gestiftet, die im Lichthof aufgestellt ist. Diese Siegesgöttin steht wie eine Galionsfigur auf dem Bug eines (angedeuteten) Schiffes, eine beziehungsreiche Anerkennung des richtigen Kurses der jetzt humanistisch ausgerichteten Technischen Universität durch die französischen Kollegen.

Auf dem Nordcampus der TU jenseits der Straße des 17.Juni wurden nach dem Krieg sukzessive neue Institutsgebäude errichtet. Das Architekturgebäude direkt am Ernst-Reuter-Platz ist zugleich Anschauungsobjekt für die Architekturstudenten und akademischer Raum. Die Ästhetik der Baukunst zeigt sich in akkurat verarbeitetem Beton, Glas und Holz, Säulen demonstrieren das Verhältnis von Last und Stütze, das offene Treppenhaus wird durch freitragende Treppen in eine Raumskulptur verwandelt. Studenten haben entdeckt, dass sich ein weiteres verstecktes internes Treppenhaus in eine informelle Partylocation verwandeln lässt, die on the top einen fantastischen Ausblick auf die Umgebung bietet.

Auch das Mathematikgebäude ist ein Lehrstück für Architekturstudenten. Hier wird erfahrbar, dass ein Architekt neben völlig neuen Bauideen auch die Erfahrung mitbringen sollte, um die gewünschte Wirkung in der Praxis dann auch tatsächlich zu erzielen. Der unter dem Eindruck der Ölkrise umgeplante Bau stellt die TU heute vor erhebliche Probleme, um Raumklima, Ökobilanz und Kosten in den Griff zu bekommen, ohne die äußere Erscheinung des Gebäudes wesentlich zu verändern. Angehende Architekten sollten diesen Hinweis an der Fassade der Architekturbibliothek verinnerlichen: "Ärzte können ihre Fehler begraben, ein Architekt kann seinen Kunden nur raten, Efeu zu pflanzen".

Humboldt-Universität

Die Humboldt-Universität (HU) Unter den Linden bekam bei ihrer Gründung gleich ein prinzliches Palais mit vorgeschaltetem Ehrenhof als Morgengabe. Das Palais des Prinzen Heinrich stand leer, hier zog die Berliner Alma Mater ein. Allerdings ist das heutige Hauptgebäude der HU nicht mit dem historischen Bau identisch, sondern ein Nachbau des weitgehend kriegszerstörten Hauses überwiegend nach historischem Vorbild. Das ist ein typischer Berliner Befund, wenn man die Palais' in Mitte näher anschaut: Fast alle sind Repliken, kaum ein Original ist von Bomben verschont geblieben (6). Und so weist das Humboldt-Hauptgebäude im Innern die ursprünglichen Proportionen auf, aber auch die von der DDR vorgenommenen Veränderungen. Drei fast sakral anmutende Glasfenster von Walter Womacka (7) im Treppenhaus vor der Aula zeigen Marx und Engels, Wissenschaftler, Studenten, Errungenschaften, Friedenssymbole, Hammer und Zirkel unter dem Titel "Die Wissenschaft erobern". Die DDR-Symbole Hammer und Zirkel blieben erhalten, obwohl unser Staatssymbol doch der Bundesadler ist - eine tolerante Handlung, die sich nicht von selbst verstand, sondern mühsam gegen Bilderstürmer durchgesetzt werden musste.

Über der Treppe im Foyer ist auch nach dem Untergang der DDR die These von Karl Marx zu lesen, "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern". Ein wörtliches Zitat ist das nicht, denn die DDR-Kulturfunktionäre hatten dem Philosophen ein zusätzliches "aber" und noch ein "a" bei "darauf" in den Text geschummelt, wohl weil sie befürchteten, man könnte ihn sonst nicht verstehen, denn er schrieb nur "... es kommt drauf an ...". Nach der Wende war auch dieser Text als "Herrschaftssymbol" gefährdet, er sollte von der Wand entfernt werden. Stattdessen ist er durch eine fast dadaistisch anmutende Intervention in einen neuen sprachlichen Kontext gestellt worden, der jede Interpretation unmöglich macht: "Vorsicht Stufe" steht jetzt an jeder Stufe, die zu dem nicht ganz wörtlichen Marx-Zitat führt. Jetzt sind "Stufe" wie die "Weltveränderung" banale Texte, wer mag die noch entfernen?

Freie Universität

Für die Freie Universität gab es kein Vorbild, es warteten auf sie keine Bauten, sie musste sich erst selbst erfinden. Die Institute drängten sich - soweit dies möglich war - in die umliegenden Zehlendorfer Villen und die Gebäude der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft an der Thielallee. Fakultäts-Neubauten für die Juristen und die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler schwingen sich als Flachbauten entlang einer "Studentenaue", die als grünes Tal zwischen den Bauten liegt. Die Handschrift der amerikanischen Förderer und Mäzene war hier genau wie beim Henry-Ford-Bau (1954) und der Mensa unverkennbar.

Die geisteswissenschaftlichen Institute erhielten mit der "Rostlaube" (1973) und der "Silberlaube" (1979) neue Gebäude, die als Stadt in der Stadt ganz eigenen Regeln folgen. Anstatt in die Höhe zu bauen, wurden Flachbauten auf der Grundstücksfläche ausgedehnt, die sich auf allen Seiten jederzeit erweitern lassen. Im Innern erschließen "Hauptstraßen" (mit Buchstaben) und rechtwinklig kreuzende "Nebenstraßen" (mit Zahlen) die Gebäude. Die Koordinaten fangen nicht mit A1 an, sondern mitten drin im Alphabet und Zahlenraum, damit das Kennzeichnungssystem der Erweiterung nicht im Wege steht. Hat man das System erst einmal begriffen, dann fällt die Orientierung ganz einfach, bis dahin ist es ungewohnt und wirkt wie ein Geheimwissen. Sanfte Höhenverschiebungen der Gänge verhindern den Eindruck langweiliger uniformer Wege. Die straßenseitigen Eingänge sind inzwischen deutlich markiert, zu Anfang waren sie in dem gleichmäßigen Raster schwerer zu finden. Seitlich neben den Gebäuden gibt es auf der Ebene der Untergeschosse Erschließungsstraßen für Anlieferung und Service.

Innerhalb des Gebäudes können die Strukturen nahezu beliebig verändert werden. Die Konstruktion besteht aus Stützen mit feststehenden Rastermaßen, vorgefertigte Zwischenwände können hier ein- und ausgehängt werden. Die Außenfassade der "Rostlaube" hat den Architekten viel Spott eingebracht, weil die Metallplatten weiter gerostet sind, als der Witterungsprozess nach deren Planung mit einer Patinabildung aufhören sollte. Der ursprünglich verwendete Cortenstahl wurde bei der Renovierung gegen Bronzebleche ausgetauscht. Bei der "Silberlaube" wurden von vornherein helle Aluminiumplatten verwendet.

Zwischen den Räumen, die in strengem Raster gegliedert sind, gibt es einzelne Innenhöfe, die von den Büros eingesehen werden können und von denen in die Büros hineingeschaut werden kann. Durch die soziale Kontrolle sind diese grünen Oasen in gepflegtem Zustand. Teilweise sind Skulpturen vorhanden, die den Aufenthalt noch beschaulicher und meditativer werden lassen können.

Die flexible Raum- und Rasterstruktur machte es möglich, Platz für einen spektakulären Bibliotheksneubau von Norman Foster zu schaffen. Der in doppelter Anspielung auf die Form und die Funktion "The Brain" (Das Gehirn) genannte Baukörper ist zwischen den Straßen K und L der Rostlaube angedockt. Leider ist das Innenleben in der sphärisch gekrümmten Hülle nicht ohne technische Probleme, herabtropfendes Wasser wird mit Eimern aufgefangen und entsorgt. Respektlos titelte die taz: "Der FU schifft's ins Hirn", aber recht hat sie ja, Mayonnaise-Eimer und intelligente Star-Architektur passen schlecht zusammen.
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Andere Stadtspaziergänge zu den Universitäten:
A. Humboldt-Universität
(1) Dorotheenstraße: Wieso ist die Bananenflanke krumm
(2) Medizinstudium: Eiskunstlauf und Sommerkonzert
B. Freie Universität
(3) FU und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: Amerikanische Vorbilder
C. Technische Universität
(4) Hauptgebäude und Südcampus: Geheime Orte auf dem Campus l
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Weitere Hinweise auf andere Stadtspaziergänge:
(5) Studentendorf Schlachtensee, Umerziehung Studenten zur Demokratie: Kiefern und Heidegestrüpp
(6) Wieder aufgebaute Palais': Spiritus is ooch Nahrung
(7) Mehr über Walter Womacka, den DDR-"Staatskünstler": Womacka, Walter



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... ACHTUNG, es folgen DREI Bildergalerien ...
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Humboldt-Universität


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Freie Universität


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Technische Universität


Aufstieg und Fall (in) der Wilhelmstraße
Der geheime Park