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Landvillen wie in der Toskana


Stadtteil: Steglitz
Bereich: Lichterfelde-Ost
Stadtplanaufruf: Berlin, Boothstraße
Datum: 12. Juni 2024
Bericht Nr.:838

Der zwischen dem Bahnhof Lichterfelde-Ost und dem Ortsteil Lankwitz liegende Teil von Lichterfelde führt in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein. Mit "Lichterfelde" verbindet sich vor allem die Landhauskolonie Lichterfelde-West, die die Johann Wilhelm von Carstenn einheitlich nach einem Plan entwickelt hat. Seine vorausschauenden Bauvorschriften sahen für die Käufer der Grundstücke höchstens zwei Stockwerke in den Villen oder Landhäusern vor. Der Abstand zu den Nachbarhäusern war ebenso geregelt wie die Anlage der Vorgärten.

In dem von uns besuchten Teil von Lichterfelde-Ost nördlich der Königsberger Straße herrschen dagegen individuelle Villen vor, die auf besonders großen Grundstücken errichtet wurden. "Frühe Lichterfelder Einzelbauweise" sagt das Denkmalhandbuch Dehio dazu. Nach Grundstücksteilungen stehen Gebäude heute oft eng an eng.

Toskana-Villen
Bei manchen historischen Häusern fühlen wir uns an die Toskana erinnert: Breite Dachüberstände, erdige Farben, quadratische Grundrisse, harmonische Proportionen, Rundbogenfenster, symmetrische Anordnung, Zypressen im Vorgarten. Am Ostpreußendamm Ecke Bahnhofstraße nennt sich das Anwesen selbst "Villa Toskana" (siehe oben Titelbild) und wird diesem Anspruch vom Anblick her gerecht.


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Aber auch Backsteinbauten, Häuser mit Barockelementen, Ziergiebel mit Ornamenten, verschiedene Dachformen, Türmchen, Säulenvorbauten kommen in diesem Quartier vor, eigentlich alles, was seit Ende des 19. Jahrhunderts üblich war.

Herwarthstraße
So sind an der Herwarthstraße mit 16 Grundstücken - einem zusammenhängenden Terrain - die meisten der 9 denkmalgeschützten Bauten um 1910 in einer Vielfalt von Architekturvariationen bebaut worden. Dort hat die Botschaft von Sierra Leone ihren Sitz. Botschaften brauchen repräsentative Bauten mit adäquaten Räumen, Lichterfelde Ost konnte das anbieten.


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Boothstraße
An der Boothstraße 20a hat die Äthiopische Botschaft eine Villa bezogen, die 1936 auf einem nachträglich geteilten Grundstück von 11.000 qm erbaut wurde. Dort stand seit 1904 ausschließlich die Villa des Industriellen Arthur Schwarz, der 1894 die "Neue Photographische Gesellschaft" gegründet hatte. Mit der Fabrikation lichtempfindlicher fotografischer Papiere, einer vielfältigen und hochwertigen Postkartenedition, aber vor allem mit der maschinellen Herstellung von Fotografien entwickelte er ein Weltunternehmen mit Niederlassungen in New York, Paris, Rom und London.

Seine Fabrik stand weiter nördlich an der Siemensstraße, sie umfasste eine Kantine, eine Bibliothek, eine Theaterbühne. Dort arbeiteten fast 1.000 Mitarbeiter. Nach dem Ersten Weltkrieg gingen die internationalen Beziehungen verloren, der Betrieb war am Ende.

Räumliche Eindrücke mit Stereobildern
Dreidimensionale Fotografie war Schwarz' Erfolgsprodukt: Er ließ von Fotografen mit Spezialkameras paarweise Bilder aufnehmen, getrennt für jedes Auge, die - durch ein Stereoskop betrachtet - ein dreidimensionales Bild ergaben. Diese Stereofotos wurden auch zusammen mit faltbaren Taschen-Stereoskopen aus Blech von den Kunden als Werbemittel genutzt, beispielsweise von der Margarinewerk Fritz Homann, von Stollwerck-Schokolade, der Sulima Cigarettenfabrik, der Schweizer Chocolat Suchard.


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Otto Lilienthal
Bescheidener als die Fabrikantenvilla war das Haus Boothstraße 17, das Gustav Lilienthal für seinen Bruder, den Flugpionier Otto Lilienthal erbaute (es steht heute nicht mehr). Vom Dach dieses Hauses oder von einer Rampe im Garten - die Berichte widersprechen sich in diesem Punkt - hat Otto Probesprünge mit seinen selbstgebauten Flugapparaten unternommen.

Lilienthal hatte den Flug von Störchen genau beobachtet, um die Kunst des Fliegens zu enträtseln. Der Flug selbst ließ sich leicht verfolgen, schwieriger war es, den Abflug der Tiere von einer ebenen Wiese aus zu studieren. Dass er auf seinem Grundstück "als Inspiration vier Störche gehalten haben" soll, gehört in den Bereich der Legende, die scheuen Störche waren keine Haustiere.

In der nahe gelegenen Eduard-Spranger-Promenade, der 500 Meter von seinem Haus entfernten Parkanlage zwischen Ostpreußendamm und Teltowkanal, strebt auf einem Sockel ein Jüngling mit ausgebreiteten Armen der Sonne entgegen. Dieser Ikarus ehrt den "Vater des Menschenflugs" Otto Lilienthals zu seinem 100. Geburtstag.


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Unser Rundgang begann an der Krahmerstraße, wo wir den Teltowkanal überquerten. An dem Abschnitt des Kanals südlich der Brücke war Ende 1906 der Durchstich erfolgt, um die Kanalabschnitte im Bereich der Bäke auf der einen Seite und Richtung Britz und Kleinmachnow auf der anderen Seite miteinander zu verbinden. Während die Yacht Kaiser Wilhelms II. bereits im Juni 1906 im Bereich der Schleuse Kleinmachnow kurvte, um ihn zu eröffnen, kämpften die Lichterfelder noch mit Bauproblemen im sumpfigen Bäketal. Für den durchgehenden Schiffsverkehr freigegeben wurde der Kanal erst ein Jahr später.

Ostpreußendamm
Der Ostpreußendamm führt den Namen der ehemaligen preußischen Provinz im Osten Deutschlands, die durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf Polen und die Sowjetunion aufgeteilt wurde. Die Ostpreußische Landsmannschaft ließ es sich nicht nehmen, 1961 am Ostpreußendamm einen Gedenkstein für ihr Heimatland aufzustellen, aus dem die Deutschen als Folge des Zweiten Weltkriegs geflüchtet sind oder vertrieben wurden.


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Sie bezeichnen es als "Sonderopfer" und sind für Völkerverständigung "auf der Grundlage der historischen Wahrheit". Ostpreußen solle "auch für deutsche Bewohner" zu einer lebenswerten Region Europas werden. Der frühere Anspruch der Landsmannschaften, die ehemaligen Ostgebiete politisch zu vertreten, ist durch Bedeutungs- und Mitgliederverlust faktisch verschwunden.

Baumeister Richard Reinhold Hintz
In dem Kiez, in dem er am Jungfernstieg 25 selbst wohnte, hat der Baumeister Richard Reinhold Hintz vier Landhäuser und als zusammenhängende Anlage 11 Reihenhäuser erbaut. Er errichtete phantasievolle Bauten, meist aus gelbem Backstein, mit weiß umrahmten Türen und Fenstern. Ungewöhnliche Variationen mit dem Baustoff Holz - ebenfalls in weiß - finden sich bei diesen Bauten: Zwei überdachten Holzveranden (Boothstraße 15) und einer kombinierten Balkon- und Giebelkonstruktion in Holz (Gartenstraße 12).


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Über den Baumeister Hintz wurde praktisch nichts publiziert. In Wikipedia gibt es keinen Artikel über ihn und in Architektenregistern wird er nicht erwähnt. Hintz errichtete seine Bauten in den 1880er Jahren. Im Adressbuch von Groß-Lichterfelde ist er 1909 verzeichnet. Bei der Ausschreibung des Lilienthal-Gymnasiums 1895 wurde ihm - zusammen mit einem anderen Architekten - der 1. Preis zuerkannt, den Auftrag für den Bau erhielt der andere Preisträger.

Villa Folke Bernadotte
Auch die Villa Folke Bernadotte, die rückwärtig an das Krankenhaus Bethel angrenzt, hat Richard Reinhold Hintz entworfen. Es ist ein mächtiger Baukörper mit symmetrischen Ecktürmen. Auch dieser Bau wurde aus gelben Backsteinen errichtet, zu denen die weißen Fensterumrandungen harmonieren. Umlaufende weiße Gurtbänder verstärken diese Wirkung. Dieses Gebäude erwarb 1928 der Wissenschaftler Manfred von Ardenne, der bis 1945 dort wohnte und arbeitete.


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Manfred von Ardenne
In seinem Lichterfelder Forschungslaboratorium für Elektronenphysik entstanden für die Geschichte des Fernsehens wichtige Erfindungen wie die zeilenweise Abtastung des Fernsehbildes und die Wiedergabe des Fernsehbildes auf einer Kathodenstrahlröhre. Auf der Berliner Funkausstellung zeigte er 1931 die weltweit erste Fernsehübertragung mit dieser Technik. Insgesamt gehen rund 600 Erfindungen und Patente in der Funk- und Fernsehtechnik, Elektronenmikroskopie, Kern-, Plasma- und Medizintechnik auf ihn zurück. Bekannt ist in der Medizin die von ihm entwickelte Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie.

Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Inventar seines Instituts in einen Güterzug nach Moskau gebracht, die Sowjetunion hatte den Universalgelehrten zwangsverpflichtet. Zehn Jahre später konnte er zurückkehren, in der DDR setzte er in Dresden seine Tätigkeit fort. Von Ardenne hat in drei Systemen - NS-Regime, Sowjetunion und DDR - seine Forschungen betreiben können, indem er sich angepasst, aber nie politisch engagiert hat.

Sanatorium Lichterfelde
Stolpersteine in der Boothstraße, Königsberger Straße, Hartmannstraße und am Jungfernstieg erinnern daran, wie jüdisches Leben in Lichterfelde-Ost von den Nazis vertrieben und vernichtet wurde. Am Jungfernstieg Ecke Bruno-Walter-Straße hatten zwei jüdische Ärzte 1889 ein Sanatorium für Nervenkranke eröffnet, in dem bis 1940 Patienten des gehobenen Bürgertums behandelt wurden. Danach diente es nacheinander als jüdisches Siechenheim und zur Stationierung von SS-Mannschaften, nach Kriegsbeschädigung für Zwecke der Alliierten Kommandantur und des Bezirksamts, bis es 1962 abgerissen wurde.

BahnhofLichterfelde-Ost
Johann Wilhelm von Carstenn hatte das später als Sanatorim genutzte Haus 1870 als Gesellschaftshaus am Jungfernstieg erbauen lassen, um die Siedlung für das gehobene Bürgertum attraktiv zu machen. Als 1868 der erste Zug auf dem von ihm finanzierten Bahnhof Lichterfelde-Ost hielt, wurden die Gäste zum vornehmen "Pavillon-Restaurant" an der Dorfaue Hindenburgdamm geleitet. Entlang der Wegstrecke waren Lorbeerbäume in Kübeln aufgestellt worden, um die tristen Ackerflächen in ansprechenden Lichte vorzuführen und die Phantasie der Ankommenden zu beflügeln.


Für unser Flaniermahl finden wir am Hindenburgdamm Ecke Königsberger Straße das richtige Ambiente in einem Café mit großzügiger gewölbter Fensterfront zur Kreuzung. Durch den von den Proportionen misslungenen Anbau an das historische Postamt gegenüber lassen wir uns nicht davon abbringen, Kaffee und Kuchen zu genießen. Auch dass der Postadler drüben über die rechte und damit über die falsche Schulter blickt, soll uns nicht beirren.
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Unsere Route:
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Glück im Winkel