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LOT - Landet ooch in Tempelhof




Stadtbezirk: Tempelhof
Bereich: Flughafen
Stadtplanaufruf: Berlin, Platz der Luftbrücke
Datum: 28. August 2009

Als es noch zwei deutsche Staaten mit einem deutschen Volk gab und in Ostberlin und Westberlin verfeindete Brüder und Schwestern regierten, war Berlin eine Zwillingsstadt. Jede Hälfte hatte Funkturm/Fernsehturm, Kongresshalle/Kongresscenter, Zoo/Tierpark, die Reihe ließe sich fortsetzen. Und jede hatte einen Passagierflughafen, Tempelhof und Schönefeld lagen nur 16 km voneinander entfernt. Keine Entfernung, wenn man ein Flugzeug in Westberlin statt in Schönefeld landen lassen will.

Tempelhof wurde nur von drei Fluggesellschaften der Westalliierten angeflogen, die Route ging über drei Luftkorridore Richtung Westen (Frankfurt/M, Hannover, Hamburg). Eine Luftkontrollzone über Berlin mit 32 km Radius war viermal so groß wie die Stadt und umfasste auch den Flughafen Schönefeld. Gemanagt wurde die Kontrollzone von der Luftsicherheitszentrale, in der auch während der Blockade und nach dem Mauerbau bis zur Wende alle vier Alliierten, also auch die Sowjets, zusammen arbeiteten. So haben die Sowjets während der Blockade die Flüge der Rosinenbomber der Westalliierten mit gesichert.

Als Flugzeugentführungen in Mode kamen (-> 1), startete am 30.August 1978 in Danzig eine Tupolew mit 62 Passagieren, davon 50 Deutschen, nach Berlin-Schönefeld. Kurz vor Berlin nahm ein DDR-Bürger eine Stewardess als Geisel und verlangte die Landung in Tempelhof. Der Tower in Schönefeld spielt auf Zeit, bis der LOT-Pilot sagt: "Mein Terrorist will nicht warten." Obwohl die Landebahn in Tempelhof für diese Maschine zu kurz war, landete sie hier nach Freigabe mit gedrosseltem Tempo und niedriger Anflughöhe und kam 12 Meter vor Ende der Landebahn zum Stehen. Der Entführer informierte die Mitreisenden: "Wir sind in Westberlin gelandet, weil ich hier aussteigen will!" Die Passagiere aus der DDR standen nun vor der spontan zu treffenden schweren Entscheidung, im Westen zu bleiben oder in ihre Heimat zurückzukehren. Nur sechs entschieden sich für den Westen, obwohl die anderen einen halben Tag lang mit Cola, Hamburgern, Zigaretten und vielen Anpreisungen "angefüttert" wurden. Schließlich mussten sie noch eine Stadtrundfahrt mit Ansage (KaDeWe, Schnellstraßen, Wilmersdorf) über sich ergehen lassen, doch - Skandal! - keiner entschied sich anders, sie wurden im Bus nach Schönefeld gebracht.

Doch ihr Heimatstaat, in den sie freiwillig zurückgekehrt waren, ließ nach einem von Erich Honecker übermittelten Gruß: "Schön, dass Sie gesund, schön, dass Sie wieder da sind" die Stasi auf sie los. Zehn Befragungsräume waren eingerichtet worden, das Verhör dauerte zwei Stunden, bis sie nach Hause konnten. Die abhanden gekommenen Staatsbürger wollte die DDR auch wieder haben. Eine Frau reiste von allein am nächsten Tag zurück. Andere wurden von Verwandten bearbeitet, die die Stasi in den Westen losgeschickt hatte, ohne Erfolg.

Hijacking ist strafbar, also wurde der Entführer vor ein nur für diese Anklage eingerichtetes Gericht "United States Court for Berlin" gebracht, das natürlich in einem Gebäude des Tempelhofer Flughafens tagte. Zwölf deutsche Geschworene plädieren mehrheitlich auf "schuldig", das Strafmaß setzt der Richter fest: neun Monate Freiheitsstrafe, abgegolten durch die Untersuchungshaft.

Im Flughafengebäude sind auch heute - nach der unumkehrbaren Entwidmung des Flughafens Tempelhof vom Flugbetrieb - viele Spuren der Amerikaner sichtbar geblieben. Es fängt damit an, dass der in der Nazizeit begonnene Bau am Kriegsende unvollendet war, die Amerikaner als Besatzungsmacht übernahmen den Weiterbau für den Flugbetrieb und ihre eigenen Bedürfnisse, aber auch sie haben manche Innenausbauten nicht fertig gestellt und nicht benötigte Bereiche wie Treppen zugemauert. So kann man als Besucher den historischen Geschichten nachspüren und den Erläuterungen lauschen, aber: Der amerikanische Geheimdienst hatte sich hier in einer Etage und dem "blauen Keller" festgesetzt, und so weiß man nie Information und Desinformation zu trennen.

Ich habe das große Glück, dass die kleine Gruppe, der ich mich heute angeschlossen habe, von einem kenntnisreichen Mitarbeiter des Flughafens und von einem Profifotografen als fotografischer Coach begleitet wird und dass wir drei Stunden Zeit haben für Informationen und Fotos. Das leere Flugfeld mit zwei unter dem Dach der Flugsteige übrig gebliebenen Flugzeugen ist unser erstes Ziel. Die Ellipse des Flugfeldes wird 1,3 km weit von dem bügel- oder bogenförmigen Abfertigungsgebäude (Passagierhalle und Hangars) begleitet. Auf dem Dach, das von 40 Meter weit vorkragenden Stahlarmen getragen wird, sollte einmal für 65.000 Zuschauer eine Tribüne für Flugschauen entstehen, Teil von Hitlers gigantischer Germania-Planung. Heute gehen die Treppen auf dem Dach ins Leere. Die Aussichtsplattform auf dem Dach, die wir später besuchen, bietet einen weiten Blick über die Stadt.

Der erste Verkehrsflughafen der Welt (ab 1922) ist für den Architekten Sir Norman Foster die "Mutter aller Flughäfen", so vorausschauend hat der Architekt Ernst Sagebiel schon 1934 alle Anforderungen eines modernen Großflughafens in einer architektonischen Gesamtform mit getrennten Funktionsebenen für Ankunft, Abflug, Post- und Frachtverkehr organisiert. Jetzt hieß es "Abflug in die Geschichtsbücher" (Tagesspiegel), die Ankunftshalle ist leer, Über dem Eingangsbereich thront über einer Zwischendecke, also von unten unsichtbar die Ehrenhalle, 100 Meter lang mit einer endlosen Reihe von Pfeilern und einer bröckelnden Kassettendecke. Die Natursteinpfeiler sind irgendwann abhanden gekommen, die eisernen Armierungen ragen noch aus der Wand. Hier sollten Staatsgäste empfangen und mit den Dimensionen des Germania-Deutschlands beeindruckt werden.

In den Geschossen oberhalb der Abfertigung gab es Sportanlagen für die Amerikaner (Ballsaal, Basketballfeld, Sauna) und für die deutschen Flughafenmitarbeiter (Bowlinghalle, deren Geräusch die Amerikaner störte, weshalb sie nach Tegel umziehen musste, wo es schon 3 Anlagen gab). Diese Räume im Akustikdecken- und Retrocharme wirken, als seien sie gerade erst verlassen worden.

Im Keller arbeiten ein Heizkraftwerk sowie ein Wasserwerk. Hinter diesen Versorgungsräumen steht man plötzlich in einem blau gestrichenen Kellerraum, der mit einem Adlerkopf und dem Text "The Center of Intelligence" auf seine frühere Zweckbestimmung hinweist, genannt der "blaue Raum". No comment. Weiterhin wird in dem mehrgeschossigen unterirdischen Areal bei Führungen der Filmbunker gezeigt, in dem alte Zelluloidstreifen aus dem Dritten Reich mit unbekanntem Inhalt gelagert worden sein sollen. Die verkohlten schwarzen Wände werden bei Führungen so gedeutet, dass die Russen beim Sprengen der Zugangstür ein Inferno ausgelöst hätten, in dem das ganze Material verbrannte. No comment. Apropos Film: Von den vielen Filmen, die auf dem Flughafengelände gedreht wurden, seien hier nur stellvertretend Eins, zwei, drei von Billy Wilder und In weiter Ferne, so nah! von Wim Wenders genannt.

Und wieder im Tageslicht auf dem Platz der Luftbrücke. Der Flughafen ist in einer Achse zum Schinkeldenkmal auf dem Kreuzberg ausgerichtet. Eine Wasserkaskade sollte von dort zu einer Wasserfläche auf dem Platz führen, begleitet von einer architektonisch gestalteten Allee, Daraus wurde nichts, statt dessen verweist das von den Berlinern "Hungerkralle" genannte Luftbrückendenkmal mit drei westlich ausgerichteten Streben auf die Berliner Luftkorridore.

Nach der Fotoführung haben alle Teilnehmer gemeinsam die Bilder diskutiert, jeweils fünf Bilder wurden an ein Labor gegeben und konnten wenig später als DIN-A-5-Fotos mit nach Hause genommen werden.

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(1) Bis 1987 wurden sechzehn Flugzeugentführungen von Polen nach West-Berlin registriert. Die meisten von ihnen landeten in Tempelhof, was dem Kürzel der polnischen Fluggesellschaft LOT bald die Deutung "Landet ooch in Tempelhof" einbrachte

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Nollen-Dorfplatz
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