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Aufenthaltsort für Automobile


Stadtteil: Prenzlauer Berg
Bereich: Helmholtzviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Stubbenkammerstraße
Datum: 19. November 2018
Bericht Nr.: 637

Der Film "Ein Sommer vorm Balkon" hat das Bild des Helmholtzplatzes geprägt. Doch die Sonnenschirme wurden längst eingezogen, in der Novemberkälte sitzen die beiden Frauen aus dem Film nicht mehr draußen und diskutieren über das Leben. So lassen wir den Helmholtzplatz heute beim Flanieren aus dem Blick und umrunden das nach ihm benannte Viertel. Eine Gruppe von händchenhaltenden Kitakindern bremst unseren Schritt, hier läuft sich die zweite Generation der neuen Prenzelberger warm.

Gethsemanekirche
Die Gethsemanekirche muss man nicht vorstellen, ihr Einsatz für die DDR-Friedensbewegung ist unvergessen. Ein Meer brennender Kerzen auf dem Vorplatz wurde zum Symbol für den gewaltfreien Protest, mit Mahnwachen und Diskussionsveranstaltungen hat sie die Demokratiebewegung unterstützt.

Zwei Kunstwerke sind nach der Wende vor der Kirche aufgestellt worden: Ein Abguss der Bronzeplastik "Geistkämpfer" von Ernst Barlach aus dem Jahre 1928. Die Nazis entfernten die Plastik vor der Kieler Universitätskirche als "entartete Kunst". Jetzt wurde sie hier aufgestellt, um den Einsatz der Gethsemanekirche für den Frieden zu ehren. Und das Relief "Widerstand" des Berliner Bildhauers Karl Biedermann findet sich vor der Kirche. Auf einer weißen Steinplatte hebt sich reliefartig ein gestürzter Mann ab, der sich aufzurichten versucht.


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Friedhofspark Pappelallee
Der Friedhof in der Pappelallee wurde von der freireligiösen und freigeistigen Gemeinde auf einem Grundstück angelegt, das der Großgrundbesitzer Wilhelm Griebenow geschenkt hatte. Es war ein Dissidentenfriedhof, die Gemeinde grenzte sich von der Kirche ab und stand der Arbeiterbewegung und der Märzrevolution 1848 nahe. Zur Zeit des Nationalsozialismus war die Gemeinde verboten, auch in der DDR bekam sie keine Zulassung.

Der Friedhof war 6.000 qm groß, auf ihm stehen jetzt noch 35 Grabmale. In den 1990er Jahren hat das Bezirksamt den Friedhof in einen Park umgewandelt, mehrere Grabsteine wurden vor der Feierhalle abgestellt. Erhalten geblieben ist u.a. das Grab von Heinrich Roller, der die Kurzschrift von Leopold Arends maßgeblich verbesserte. Arends entwickelte 1850 seine "für jeden faßlich anwendbare Schreibschrift". Er ist auf dem Friedhof in der Liesenstraße beerdigt, auf dem sich die Gräber von insgesamt vier Stenografen befinden.


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Das Ballhaus Ost bespielt die ehemalige Feierhalle des Friedhofs, sie ist vom Nebengrundstück aus zugänglich. Dort hatte die Gemeinde ein Ledigen- und Altenheim und ein Verwaltungsgebäude errichtet. Auf der Friedhofsseite gehört ein Streifen vor der Feierhalle inzwischen einer Immobiliengesellschaft, die dort ein Café einrichten will. Für ein Gebäude, das dieser Investor an der angrenzenden Lychener Straße herrichtet, wirbt er: "Vis-á-vis des Hauseingangs liegt ein wunderschöner Park, der tagsüber öffentlich zugänglich ist". Die Tatsache, dass es sich um einen Friedhofspark handelt, wird schamhaft verschwiegen, sie wird wohl als wertmindernd angesehen.

Am Friedhofsrand an der Lychener Straße hat seinerzeit das Bezirksamt einen eingezäunter Spielplatz angelegt, um den jetzt Streit entstanden ist. Die Gemeinde ärgert sich schon lange darüber, dass die Kinder den Spielplatz verlassen und auf den Grabsteinen herumturnen. Wenn im Jahr 2020 die Spielplatznutzung ausläuft, soll dort ein Gebäuderiegel gebaut werden. Wie an anderen Stellen in der Stadt auch, führt der Begriff "Neubau" sofort zu einer Erhebung der Bewohner umliegender Häuser, die jede Veränderung vor ihrer Haustür ablehnen.

Garagen begleiten die Motorisierung
Eine ungewöhnliche Garagenanlage an der Stubbenkammer- Ecke Senefelderstraße macht uns auf den Boom von Garagen in Berlin mit Beginn der Motorisierung aufmerksam. Mehrere hundert Garagenanlagen unterschiedlicher Größenordnung soll es in den 1920er Jahren in Berlin gegeben haben. Die Garagengebäude waren keine Parkhäuser, sondern ein Aufenthaltsort für die Automobile in verschlossenen Boxen. Für die Monatsmiete mancher Garagen hätte man eine Zweizimmerwohnung bekommen.

In der Zwischenkriegszeit entwickelten sich Automobile zu Gebrauchsgegenständen für wohlhabende Bürger, denn nur die Oberschicht konnte sich die hohen Anschaffungs- und Unterhaltungskosten leisten. Die Automobile waren kompliziert, unzuverlässig und witterungsempfindlich. In Garagen mussten sie nicht nur sicher verwahrt werden, sondern brauchten auch eine Rundumbetreuung mit Pflege, Wartung, Reparatur und Kraftstoff.

Mit dem 1886 für Carl Benz patentierten Motorwagen begann die rasante Entwicklung der Automobile, die ab 1898 im Pariser Autosalon erstmalig international ausgestellt wurden. Mercedes, Opel, Ford in den USA produzierten Fahrzeuge, und eine Vielzahl weiterer Hersteller versuchte sich am Markt. Dann hatte die Rüstungsindustrie im Ersten Weltkrieg Vorrang, bis in den 1920er Jahren eine neue Automobilgeneration den Zeitgeist bestimmte.

Bei früheren Rundgängen lagen diese Garagen aus der Zeit der Automobilentwicklung bis vor dem Zweiten Weltkrieg an unserem Weg:

+ In der Fritschestraße wurde 1907 unter einem Gewerbehof eine Großgarage geschaffen. Als Bauherr wird eine nicht zuzuordnende "Kraftfahrzeug AG" genannt.

+ Die erste Hochgarage Berlins entstand auf dem zweiten Hof der Chausseestraße 117 in Mitte. Sie wurde im Jahr 1914 von der "AG für Automobilunternehmungen" errichtet.

+ Architektonisch an die umgebende Wohnbebauung angepasst wurde 1924 die Hochgarage in der Steglitzer Menckenstraße, von der nur noch eine leere Seitenwand ohne Gebäude erhalten geblieben ist. Die 175 Garagen auf zwei Etagen wurden von der "Steglitzer Garagen-Betriebsgesellschaft" vermietet.

+ Das Areal hinter der Dragoner-Kaserne am Mehringdamm wurde ab 1928 zu einem Ensemble von Gebäuden rund um automobile Dienstleistungen umgestaltet. Dazu gehörten auch 600 auf der Grundstücksfläche erbaute Garagen. Bauherr war die "Translag GmbH Großgaragenbetrieb“.

+ Ein Eckgrundstück in der Heilbronner Straße wird durch ein elegantes Tankstellengebäude geprägt. Im Hintergrund flankieren 45 Garagen in Reihe die Bahntrasse. Die "Deutsche Mineralöl-Vertriebs-Gesellschaft mbH" ließ diese Holtzendorff-Garage 1929 erbauen.

+ Im Kant-Garagenpalast von 1930 - einem sachlichen Bau mit einer Glasfront - sind vier Etagen über Rampen erreichbar, sozusagen auf einer Wendeltreppe für Autos. Hauptmieter war der Deutschen Auto-Club. Nach erfreulicherweise gescheiterten Abrissplänen wird das Gebäude jetzt zur Nachnutzung mit Eventcharakter umgebaut.

Garagenanlage Stubbenkammerstraße
Die "Derop Deutsche Vertriebsgesellschaft für russische Öl-Produkte" beauftragte 1929 den Architekten Hans Sigmund Jaretzki mit dem Bau einer Garagenanlage in der Stubbenkammerstraße. Die Derop - 1928 gegründet - war eine Tochtergesellschaft des Russischen Staatstrusts für Mineralöl, sie verfügte in Deutschland über mehrere tausend Zapfstellen und verkaufte dort den aus der Sowjetunion eingeführten Kraftstoff. Sie war reichsweit präsent mit Tanklagern, Tankwagen und Güterwaggons.

Sofort nach der Machtergreifung der Nazis versuchte der "Nationale Deutsche Automobilklub Nord" mit einem Schreiben an Hitler, den von Russen geleiteten Betrieb anzuschwärzen, weil der von linksradikalen Kräften unterwandert sein könne. Doch Hitler war auf die russischen Importe angewiesen, erst 1935 übernahm die aus dem Benzolverband hervorgegangene Aral das Tankstellennetz von Derop.

Der Architekt Hans Sigmund Jaretzki hat mit seinem Büropartner in Berlin Miethäuser und Wohnanlagen in Wilmersdorf, Steglitz, Pankow und Weißensee erbaut. 1933 emigrierte er nach England. Zu seinem Œuvre gehören ein Kino in Steglitz und die Garagenanlage im Helmholtzkiez. An der von fünfstöckigen Miethäusern umstandenen Ecke wirken die ebenerdig angeordneten Garagen unproportioniert wie Miniaturen.

Die zum Garagenhof gehörenden Gebäude staffeln sich dreifach in die Höhe: Auf dem einstöckigen gerundeten Eckgebäude mit einer "Krempe" am Dach (vorkragenges Pultdach) ruht über der Einfahrt ein ebenfalls einstöckiges abgerundetes Bauteil mit breitem Fensterband. Nach rechts angedockt ist dieser Mittelteil an einen Gebäudeteil mit drei Etagen, der überwiegend Wohnungen enthält.



Göhrener Ei
Phänomen einer Nische: Die Göhrener Straße verbindet mit einem Bogen zwei rechtwinklig zueinander verlaufende Straßen. An dem Scheitelpunkt der Kurve öffnet sich die Göhrener Straße zum Göhrener Ei, einem Platz der Ruhe mitten im quirligen Kiez. Der Brunnen in der Mitte des Platzes musste zu Kriegszeiten einem Feuerlöschteich weichen, der danach zugeschüttet wurde.

Das umgebende Hausensemble wurde überwiegend im Jugendstil gestaltet. Es waren kurz nach 1900 die ersten Wohnungen mit Innentoiletten in diesem Kiez. Ein Backsteinbau mit vergoldeten Medaillons hebt sich von den anderen Gebäuden ab. Die Medaillons zeigen den Propheten Elias, die Heilige Barbara und den Erzvater Abraham. Das Gebäude wurde als Pfarrhaus der gegenüberliegenden Eliaskirche errichtet. Zum Kuppelsaal im Hof kommt man durch eine Durchfahrt, die mit einem Kreuzgratgewölbe überspannt ist. In dem anfangs als Veranstaltungssaal genutzte Rundbau werden heute die Gottesdienste abgehalten, die eigentliche Kirche ist langfristig an ein Museum für Kinder vermietet.

Sowjetische Militäradministration, "Tägliche Rundschau"
Gemeindehaus und Kuppelsaal wurden nach Kriegsende von der sowjetischen Militäradministration requiriert. Der Prophet Elias an der Fassade war durch ein Bild von Lenin überdeckt, eingerahmt von Stalin und Schukow. Über dem Portal wies ein Werbeschild auf die "Tägliche Rundschau" hin. Bereits wenige Tage nach Kriegsende wurde vom Kommando der Roten Armee diese "Frontzeitung für die deutsche Bevölkerung" herausgegeben. Sie war natürlich parteiisch, erarbeitete sich trotzdem einen guten Ruf, weil sie gestaltet wurde von politisch unbelasteten Nachwuchsautoren und von russischen Redakteuren, die mit Deutschland vertraut waren. Die Redaktion blieb bis zum Sommer 1946 in diesem Gebäude. Erst im Juni 1955 wurde die Zeitung eingestellt, da war die DDR bereits sechs Jahre souverän.


Südlich des Helmholtzviertels kehren wir in der Kollwitzstraße in das Delizie d'Italia ein. Eine handgeschriebene Speisekarte, auf der die Schrift sich von gedachten Linien emanzipiert, einem einfach fröhlich entgegenfließt. Viele Gerichte sind sowieso Tagesangebote, die die Chefin zugewandt am Tisch vorträgt. Das ist ein gelungenes Flaniermahl nach einem erhellenden Stadtrundgang.

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Den Spaziergang können Sie hier fortsetzen von derGethsemanekirche Richtung Schönhauser Allee zu den Bauten der Genossenschaft "Bremer Höhe":
Gesetzestreue Steinewerfer
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Unsere Route:
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Doppelte Elisabeth
Fähnchen schwenkend in das Sprungtuch