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Ist die Zukunft bereits vergangen bevor sie begann


Stadtteil: Mitte
Bereich: Zwischen Fischerinsel und Luisenstädtischem Kanal
Stadtplanaufruf: Berlin, Köpenicker Straße
Datum: 29. Juni 2024
Bericht Nr.:839

Am Tag der Architektur 2024 stellt die Architektenkammer Projekte vor mit "guten und nachhaltigen Gebäuden, die Umwelt, Material, Mensch und Raum in Einklang bringen" und in denen sich auch zukünftige Generationen wohlfühlen können. Bauen ist nie nur privat, sondern immer auch öffentlich, weil die Bauten das Stadtbild prägen und die Menschen, die sich dort bewegen. Lassen die Bauten genügend Raum für Menschen, laden sie zum Verweilen ein, gibt es Stadtgrün, bieten sie Orientierung? Und in unserer heutigen Zeit, wo wir mit den begrenzten Ressourcen und den Klimafolgen umgehen müssen, um unserer Welt nicht noch weiter zu schaden, sind Architekten aufgefordert, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Ideen zu entwickeln oder vorhandene zur Reife zu bringen. Sonst ist die Zukunft bereits vergangen, bevor sie begonnen hat.

„Einfach (um)bauen“ lautet das Motto des diesjährigen Architekturtags. Umbauen statt abreißen, auch das schon Vorhandene ist ein Rohstoff. Und Bauen, aber einfach, um Ressourcen zu schonen und Betriebskosten zu sparen. Unsere beiden heutigen Architekturziele sind oder waren Ruinen. In Mitte stülpt sich ein Betongebäude über ein stehen gebliebenes Baufragment, das als Ruine die Zeiten überdauerte. In Lichtenberg ragen zwei vom Abriss verschonte Türme mit Aufforderungscharakter - Nachnutzung ! - in den Himmel.

Das Projekt "Telegraph" in der Köpenicker Straße 122 ist ein ehemaliges Telegraphenbauamt und Postamt, dessen straßenseitiges Gebäude im Krieg bis auf einen ebenerdigen Fassadenrest mit mehreren Rundbogenfenstern zerstört wurde. Bei unserem Besuch vor vier Jahren machte das Grundstück wie viele Nachbargrundstücke einen heruntergekommenen Eindruck. Bei einem Bombenangriff im Februar 1945 war das Gebiet um die Köpenicker Straße regelrecht ausgelöscht worden. Der Bereich wurde daraufhin von den Nazis für den öffentlichen Verkehr gesperrt und eingemauert. Noch vor vier Jahren prägten Ruinen, abgeräumte Grundstücke und zwei Wagenburgen den Charakter der Straße.


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Und jetzt ist das Grundstück mit zwei Hinterhöfen und denkmalgeschützten Magazin- und Werkstattgebäuden in den Höfen zu einem Leuchtturmprojekt geworden, wo sich die probaten Gestaltungsmittel Fassaden-, Dach- und Hofbegrünung, nachhaltiger Neubau, ökologisches Freiraumkonzept, umweltschonende Energieversorgung, Regenwasser-Management zur höchsten Perfektion miteinander verbunden haben. Entstanden ist ein zukunftsorientiertes und nachhaltiges Büroensemble.

Innenhof 1
Über der Tiefgarage mit 350 Fahrradstellplätzen ist der Boden für die Bepflanzung nur 40 cm hoch aufgeschüttet worden. Das reicht aus, um auf angehäufelten Beeten Pflanzen, Sträucher, sogar Bäume wachsen zu lassen. Das Wegenetz dazwischen ist verzweigt wie die Äste eines Baumes. Es gibt keinen rechten Winkel, aber immer wieder neue Perspektiven beim Durchwandern. Regenwasser wird durch Gefälle in die Bodenschicht geleitet und kann dort versiegen. Ein angestellter Gärtner ist ständig damit beschäftigt, die Anlage zu pflegen und weiter zu entwickeln. Die Gartenanlage zeigt nie ein "fertiges Bild".


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Landschaftsarchitektur, die nicht ständig gepflegt wird, verliert schnell ihr Gesicht, wenn die Idee zuwuchert oder vom Winde verweht wird. So sind beispielsweise die Werke der Landschaftsarchitektin Hertha Hammerbacher ("Mulden-Hertha") im Hansaviertel im Laufe der Zeit unsichtbar geworden.

Es gibt keine Autos auf dem Grundstück und keine Fahrradbügel. Auch die Feuerwehr muss die Höfe nicht befahren. Die Treppenhäuser sind als Sicherheitstreppenräume eingerichtet, so dass bauaufsichtlich kein zweiter Rettungsweg erforderlich ist. Die Treppen in den Altbauten mussten hinsichtlich der Höhe der Geländer und des Abstands von Geländerteile überarbeitet werden. Kleinkinder dürfen nicht hindurchklettern können. Hierzu wurde ein Drahtgitter hinter den Handläufen gespannt, das sich durch das ganze Treppenhaus zieht.


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Beton-Neubau
Der Neubau zeigt eine schlichte Betonfassade mit großen Glasfronten und üppigem Grün. Die Fassade ist unbearbeitet, einfach so, wie die Schalung abgenommen wurde. Es ist nicht der Aufwand getrieben worden wie bei Sichtbeton, der fast bildhauerisch mit Strukturen und Mustern der Oberfläche aufwartet. Es ist einfach Beton, wie das Motto des Architekturtages sagt: Einfach bauen! Außerdem konnte so die Plastizität des Betons ausgenutzt werden. Es wurden als Stütze gegossen, die nach oben breiter wird und so den Kräfteverlauf des Gebäudes sichtbar werden lässt.

Die Balkone gehen über die gesamte Breite des Neubaus. Mit Steinen gefüllter Drahtkörbe ("Gabionen") sind mit Gehölzen bepflanzt, die sich durch das Stahlgeflecht der Balkongitter ihren Weg ins Freie suchen. Diese grünen Balkone sind Teil des Regenwasser-Managements. Was auf dem Dach und an der Fassade nicht verdunstet, wird in die Bodenschicht des Hofs geleitet. Der Rest kommt über interne Kanäle in den dritten Hof, wo das Wasser verdunsten kann. Dort wäre als Überlauf der Weg in die Kanalisation möglich, wird aber praktisch nicht gebraucht.


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Intellektuell überhöht nimmt sich das im Architektensprech so aus: "Der Neubau wird als Ruine konzipiert, die von der Natur zurückerobert wird". Der Neubau ist einfach gebaut, aber keine Ruine. Und die Mieter werden nicht dulden, dass die Natur ihre Büros überwuchert. Unabhängig von dieser verdrehten Beschreibung ist hier im Zusammenwirken von Architekt und Landschaftsarchitekt eine kluge Lösung entstanden.

Über das zweite Ziel des Architekturtags - Türme mit Aufforderungscharakter in Lichtenberg - folgt ein weiterer Bericht.
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Das letzte Amen in der Kirche
Mehr als eine Kurznachricht per Druckluft