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Der glücklose Bildhauer


Stadtteil: Hellersdorf
Bereich: Kaulsdorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Giesestraße
Datum: 30. Januar 2017
Bericht Nr: 576

Berlin und Südtirol kommen manchmal emotional schwer zusammen. Das musste der Sohn einer Südtiroler Bergbauern-Familie bitter erfahren, der als Bildhauer in Berlin zwei Kruzifixe für zwei Kirchen schuf. Hans Perathoner hatte sich mit Stationen in München und Bielefeld zu einem anerkannten Künstler entwickelt, stieß aber schon in Bielefeld mit religiösen Darstellungen auf Unverständnis und Ablehnung.

Das Perathonerkreuz
Für die Kaulsdorfer katholische St. Martin-Kirche hatte Perathoner 1930 aus einem einzigen Eichenstamm eine Christusfigur gehauen, die vor einem massiven Backsteinkreuz vorübergeneigt hing. Eine Ästhetik, die wohl eher in ein Südtiroler Gotteshaus gepasst hätte. "Ohne Milde im Leiden erstarrt", "schauerlich-realistisches Ungetüm", "vor Qualen sich windender Gnom", "gotteslästerlich, die Abstammung des Menschen vom Affen vermittelnd". Das waren die vernichtenden Urteile, die Christusfigur musste nach einem halben Jahr abgehängt und zwischengelagert werden.



Der Künstler Perathoner bot an, unentgeltlich "einen neuen Kruzifixus zu machen, der der Gemeinde gefällt und von der bischöflichen Behörde voll gebilligt wird", doch das wurde entsetzt abgelehnt. Drei Jahre später schuf Perathoner eine weitere Christusfigur für einen anderen Auftraggeber, das Exerzitienhaus in Berlin-Biesdorf. Auch dieser Gekreuzigte befindet sich nicht mehr an seinem ursprünglichen Ort, der weitere Verbleib ist nicht bekannt.

Dreimal vertrieben, dreimal neu entdeckt
Doch die Geschichte mit dem zwischengelagerten Christus aus Kaulsdorf ging nach 32 Jahren weiter. Das Kunstwerk wurde wieder entdeckt und - diesmal in einer evangelischen - in der Hoffnungskirche in Pankow aufgehängt. 22 Jahre lang hing es da, dann fand der Denkmalschutz es unpassend für den geplanten Rückbau zur Jugendstilkirche. Wieder verschwand es in der Versenkung. Weitere 11 Jahre später war es wieder eine katholische Kirche, die ein Auge auf die Christusfigur geworfen hatte. Der Gekreuzigte bekam einen neuen Platz, diesmal in Marzahn in der Kirche "Von der Verklärung des Herrn" am Neufahrwasserweg. Und da hängt er heute noch, und wenn er nicht wieder abgehängt wird ...

St. Martin-Kirche Kaulsdorf
So wie Pfeilertürme (Pylone) einer Staustufe dem Wasser trotzen, so steht die mächtige St. Martin-Kirche in Kaulsdorf zwischen unscheinbaren Häusern. So sahen es überraschte Besucher, als sie des Kirchenbaus ansichtig wurden. Doch in welcher Form baut man eine Kirche? Diese Frage stellt sich in jeder Epoche neu, die Bauaufgabe als Gotteshaus ist klar, aber ihre zeitgemäße Umsetzung ändert sich. Kann, darf man Lösungen verwenden, die für einen Industriebau entwickelt wurden?

Ein 20 Meter breiter und 40 Meter hoher, eckiger Turmbau mit Bullaugen steht da als Kirche in Kaulsdorf. Der Schlitz, der die Fassade in voller Höhe teilt, wird als der Riss im Mantel des Heiligen Martin gedeutet, als er ihn mit einem Bettler teilte. An den Turm docken sich halbkreisförmige niedrige Baukörper an, die als Taufkapelle und Treppe zum Turm dienen. Die Fassade der Kirche besteht aus Klinkersteinen. Für das unsichtbare Zwischenmauerwerk hatte die Kirchengemeinde 400.000 Steine aus einem Abrissprojekt am Alexanderplatz erworben.


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Dort war Berlins Baustadtrat Martin Wagner dabei, den Platz umzubauen und zu einem "Weltstadtplatz", einem modernen Verkehrsknoten umzugestalten. Dazu mussten mehrere Häuser abgerissen werden, unter anderem das Haus mit den 99 Schafsköpfen, dessen Geschichte ich an anderer Stelle erzählt habe.

Dass die Kirchengemeinde für ihren Kirchenbau Recyclingmaterial verwendete, hatte einen schlichten Grund: Die Gemeinde war arm, der Pfarrer reiste als Bettelprediger fünf Jahre lang durch Deutschland und sammelte Geldspenden ein. Die Gemeindemitglieder arbeiteten am Bau mit und übernahmen beispielsweise das Ausschachten. Im Jahr 1929 entwickelten die Katholiken ein neues Selbstbewusstsein: die St. Hedwigskirche am Bebelplatz wurde zur Kathedrale, Berlin bekam einen Bischofssitz durch das Preußenkonkordat. Auch wenn die St. Martin-Kirche so weit draußen am Stadtrand lag, wurde sie doch von ihrem mächtigen Bau her und von der Innenausstattung einem Dom ähnlicher als einer Pfarrkirche.

Zwar lehnt sich der Bau im Innern an die frühchristliche Form einer Basilika an. Der Innenraum ist aber mit zahlreichen Kunstwerken des Mittelalters, der Renaissance und des Barock ausgestattet. darunter mehreren Schnitzwerken wie einem Marienaltar mit einer Mondsichelmadonna, einer Pietà, einem Tabernakel, unterschiedlichen Christusdarstellungen und natürlich Darstellungen des heiligen St. Martin. Diese Fülle von Kunstwerken mehrerer Epochen steht im starken Kontrast zu dem sachlichen Äußeren des Kirchenbaus von Josef Bachem, der ohne Ornamente auskommt und auf die Wirkung der Flächen und Formen setzt.

Kohlrübenbauer, Gastwirt, Immobilienentwickler
Das Siedlungsgebiet Kaulsdorf-Nord wurde nicht von einer Terraingesellschaft entwickelt. Es waren mehrere "Parzellanten", die große Flurstücke aufteilten. Dadurch erklärt sich die zusammengewürfelte Bebauung, die keine einheitliche Siedlung bildet. Um 1900 waren zwei Parzellanten tätig, nach denen die Hirtschulzstraße und die Nentwigstraße benannt sind.


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Paul Nentwig, ehemaliger Kohlrübenbauer, sicherte sich im Rahmen der Immobilienentwicklung ein Filetgrundstück, das an den Eberpfuhl angrenzte, und eröffnete hier das Ausflugslokal "Zum Wilden Eber". Es wird als Landhaus mit einer weinumrankten Laube beschrieben. Er lockte Ausflügler mit Bootsfahrten auf dem See. 1925 verkaufte Nentwig sein Grundstück an die katholische Kirchengemeinde für den Bau der St. Michael-Kirche. Nun hieß der See auch nicht mehr Eberpfuhl, sondern St. Martinpfuhl.

Friedhof Kaulsdorf
Der Dorffriedhof Kaulsdorf liegt landschaftlich schön eingefasst in der Niederung des Wuhletals. Hier gibt es keine Erbbegräbnisse, anders als auf dem benachbarten Friedhof Biesdorf. Die inzwischen auf fast allen Friedhöfen anzutreffenden Gemeinschaftsgräber gibt es hier natürlich auch, auf Stelen werden die Namen der Beerdigten verzeichnet.

Und man kann hier eine virtuelle Ruhestätte anlegen. Das wird nicht von der Friedhofsverwaltung angeboten, sondern von einem Internetportal "für digitale Unsterblichkeit". Dort kann man eine Grabstelle einrichten und einem Friedhof zuordnen. Hierzu wird ein "Baukasten" angeboten, man kann selbst Bilder hochladen. Familienmitglieder und Freunde werden über Facebook eingeladen, die Facebook-Liste der eigenen Kontakte ermöglicht auf diese Weise massenhaft Follower. Nur das Beamen der Asche klappt noch nicht.

Sowjetisches Ehrenmal
Auf dem Kaulsdorfer Friedhof wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs sowjetische Soldaten beerdigt, die im Umkreis bei der Eroberung Berlins gefallen sind. An der Brodauer Straße Ecke Waplitzer Straße steht ein Obelisk, der 1946 zur Erinnerung an die gefallenen Soldaten der Roten Armee aufgestellt worden ist. Im Folgejahr begann man, die in Kaulsdorf beerdigten Kriegstoten zum Sowjetischen Ehrenfriedhof im Treptower Park umzubetten.

Unser Stadtrundgang endet auf dem immer wieder erstaunlichen Bahnhof Wuhletal, der von S-Bahn und U-Bahn gemeinsam genutzt wird. An unserem Bahnsteig fährt links die U-Bahn und rechts S-Bahn, man kann auf derselben Plattform die unterschiedlichen Logos und Anzeigetafeln der beiden Berliner Verkehrsbetriebe miteinander vergleichen.

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Weitere Stadtspaziergänge im Umkreis:
> Kaulsdorf, Streusiedlung Mahlsdorf, Berliner Fenster: An der Kante
> Biesdorf, Biesdorfer Höhe: Wie alt ist Berlin
> Biesdorfer Sand, Karlshorst: Am Luftschiffhafen
> Mahlsdorf: Hier geht die Post ab

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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Die Hand zum Schwur erhoben
Zu abstrakt oder zu real - ein Künstlerleben