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Der versetzte Grenzstein


Stadtteil: Kreuzberg, Treptow
Bereich: Lohmühleninsel
Stadtplanaufruf: Berlin, Schlesische Straße
Datum: 3. August 2018
Bericht Nr.: 626

Die Lohmühleninsel ist in der Nachwendezeit ein Ausflugsziel, die "Arena" ein Veranstaltungsort, das Badeschiff ein belagertes künstliches Nass. Doch bis zur Wende war hier Grenzgebiet, Ost-Berlin (Treptow) und West-Berlin (Kreuzberg, Neukölln) stießen hier aneinander.

Die Grenze verläuft genau auf der Kante von Land und Wasser, wie baut man dort eine Mauer, um Flüchtlinge aufzuhalten? An der Lohmühleninsel hatte die DDR Schwierigkeiten, ihre "Staatsgrenze" nach West-Berlin abzudichten. Und im angrenzenden Kungerkiez verlief die Bezirksgrenze so im Zickzack, dass man im Westen Trampelpfade durch die Vorgärten anlegte, damit der Ost-Berliner Bürgersteig vor dem Haus nicht betreten werden musste.

Atelierhaus am Flutgraben
Die Spree gehörte an der Lohmühleninsel zu Ost-Berlin, der Landwehrkanal und der Flutgraben zum Westen. Am Flutgraben, direkt an der Kante von Land und Wasser, stand das Werkstattgebäude eines volkseigenen Autoreparaturbetriebes, das die DDR wunderlicherweise nicht abgerissen hatte, um freie Sicht und Schussfeld zu schaffen. Die linke Hauswand bildete die Grenzlinie, nicht einmal um das Haus herumgehen konnten die Grenzer.


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Und so schufen sie sich einen Patrouillenweg auf dem Dach, während in den Etagen darunter Werktätige ihre Arbeit verrichteten. Natürlich streng bewacht wie in einem "Hochsicherheitstrakt". Zu Anfang glückten - dramatisch genug - mehrere Fluchten durch den Flutgraben, bevor der letzte Schlupfwinkel "restlos dicht gemacht" wurde. Nach der Wende wurde aus dem "VEB OLW, Omnibus- und Lastkraftwagen-Reparaturwerk" das Atelierhaus am Flutgraben.

Steganlage in der Spree
Unser Blick von der Lohmühleninsel über die Spree hinweg zur Media-Spree bleibt an einer merkwürdigen Steganlage in der Mitte der Spree hängen. Ungefähr 500 Meter lang ist der Steg, der keine Verbindung zum Land hat. Ursprünglich 1913 als Liegeplatz für wartende Schiffe vor dem Osthafen erbaut, bekam der Steg als Teil der DDR-Sperranlagen 1961 eine neue Bedeutung. Die DDR-Schifffahrt fuhr nördlich vorbei, die südliche Zufahrt zum (West-Berliner) Landwehrkanal war nur für technische Fahrten wie Eisbrecher offen.



Natürlich blieb es nicht aus, dass auch dieser Schlupfwinkel für eine Flucht in den Westen genutzt wurde. Sie war halsbrecherisch, aber sie gelang. Ein leerer Ausflugsdampfer der Weißen Flotte sollte am frühen Morgen des 8. Juni 1962 zur Inspektion in die Werft fahren. Doch statt auf der Spree Richtung Oberbaumbrücke zu bleiben, drehte er hinter dem Steg plötzlich bei und fuhr mit voller Kraft in den West-Berliner Landwehrkanal ein. 135 Schüsse, die Volkspolizisten von mehreren Ost-Berliner Booten abfeuerten, konnten die Fahrt nicht stoppen - mit Eisenplatten hatten die Flüchtlinge den Motorraum gepanzert.

Den 13 Flüchtlingen - um die 20 Jahre alt - war unter der Führung des Schiffskochs die Flucht gelungen. Er hatte zusammen mit zwei Steuerleuten den Kapitän und den Maschinisten betrunken gemacht und eingesperrt. In Monteurs- und Reinigungsklamotten kamen die Familien der "Ausreisewilligen" an Bord, dann wurde die DDR-Fahne gehisst und los ging die Fahrt. Auf West-Berliner Seite gab die vorher eingeweihte Polizei Feuerschutz beim Anlegen und Verlassen des Bootes.

Kapitän und Maschinist kehrten nach Ost-Berlin zurück. Wie es ihnen ergangen ist, kann man nur vermuten. Die Ost-Berliner Seite reagierte verbittert, jede nur denkbare Fluchtmöglichkeit wurde unterbunden mit teilweise grotesken Anordnungen. So mussten die Steuerräder von Ausflugsdampfern über Nacht abgeschraubt und bei der Betriebsaufsicht hinterlegt werden. In der Ost-Berliner Innenstadt wurde der Ausflugsverkehr mit Fahrgastschiffen ganz eingestellt. Die Kapitäne von Güterschiffen mussten vor Erreichen des Osthafens auf die S-Bahn umsteigen und erhielten ihr Schiff erst in Stralau wieder.

Der Landwehrkanal
Das Thema "Grenze" hat beim Landwehrkanal schon früh eine Rolle gespielt. Der Landwehrgraben - Vorgänger des Kanals - wurde 1486 angelegt. Kurfürst Johann Cicero hatte in jenem Jahr das Schloss in Berlin-Cölln zur ständigen Residenz erhoben. Der Graben wurde angelegt, um das Spreehochwasser von der Innenstadt fernzuhalten und die sumpfigen Wiesen zu entwässern. Und im Namen des Landwehrgrabens steckt der Begriff "wehrhaft", er sollte die Stadt gegen das südliche Umland absichern, die "Tempelhofer Fehde" war unvergessen.

Südlich der Stadt hatten die Tempelritter die Dörfer Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und Richardsdorf (Rixdorf) gegründet, die später von den Johannitern übernommen wurden. Die christlichen Herren waren streitsüchtig, es war keine angenehme Nachbarschaft. Und als die Berliner bei einer Erntedankfestprozession feststellten, dass der Grenzstein am Schafgraben mutmaßlich von den ungeliebten Nachbarn ein ganzes Stück zu deren Gunsten versetzt worden war, kam es 1435 zu einer kriegerischen Auseinandersetzung. Die Johanniter verloren den Kampf. Sie verkauften ihre vier Ordensdörfer an Berlin-Cölln, das dafür aber einen hohen Preis bezahlen musste.

Als der Landwehrgraben angelegt wurde, hat man den Schafgraben in Tiergarten mit einbezogen. Der Maler Adolph Menzel lebte eine Zeit lang in der Schöneberger Straße. In mehreren Skizzen hat er die Landschaft am Graben festgehalten, aber auch dessen Überflutung. Während sonst in der künstlerischen Darstellung der Stadt noch Veduten vorherrschten (bedeutende Bauwerke oder pittoreske Stadtteile), zeichnete er einen Bauplatz, ein Abbruchhaus oder "Maurer auf dem Bau“ in realistischer Manier.


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Landwehrkanal, Brücken zur Lohmühleninsel
Nach den Plänen von Peter Joseph Lenné wurde der Landwehrgraben 1850 zu einem Kanal ausgebaut. Auf der künstlichen Wasserstraße konnten die Schiffe die Spree umgehen. Der Wasserstand wurde an der Unterschleuse nahe dem Zoologischen Garten und an der Oberschleuse am Schlesischen Tor reguliert. Ein Teil des alten Landwehrgrabens wurde am Schlesischen Tor als Flutgraben parallel zum Kanal belassen, dadurch entstand die Lohmühleninsel. Ihr Name verweist auf Windmühlen, in denen nicht Mehl hergestellt wurde, sondern Borkenmehl aus Eichen- und Fichtenrinde (Lohe). Gebraucht wurde die Lohe zum Gerben von Leder. Eine der Mühlen blieb erhalten, weil sie nach Tempelhof versetzt wurde. Heute steht sie als Adlermühle in der Säntisstraße.

Im Verlauf der Schlesischen Straße ("Vor dem Schlesischen Tor") führen zwei Brücken über die Wasserläufe zur Lohmühleninsel. Die Schlesische Brücke über den Landwehrkanal ist eine Balkenbrücke, die wie ein Baumstamm (Balken) von Ufer zu Ufer gelegt wurde, natürlich aus Blech mit schmiedeeisernem Geländer. Die Obere Freiarchenbrücke über den Flutgraben folgt demselben Bauprinzip. Dabei wurde eine anfangs installierte hölzerne Klappbrücke ersetzt. Beide Balken-Brücken wurden bei der Vorbereitung der Gewerbeausstellung 1896 im Treptower Park - die eine verhinderte Weltausstellung war - erneuert, weil man sich für den Besucherandrang wappnen wollte. An der Südspitze der Lohmühleninsel führt eine weitere Brücke, die Treptower Brücke, über den Flutgraben. Sie ist eine massive Bogenbrücke, die noch aus der Bauzeit von 1852 stammt.

Berlins älteste Tankstelle
Auch für den Straßenverkehr war die über die Lohmühleninsel verlaufende Schlesische Straße von wesentlicher Bedeutung. Sie begleitet als Ausfallstraße die Spree südöstlich aus der Stadt heraus, wobei sie mehrfach ihren Namen wechselt: Köpenicker Straße, Puschkinallee, Adlergestell. Die Fernverbindung führt über Cottbus und Warschau bis nach Schlesien.

So ist es nicht verwunderlich, dass Berlins älteste Tankstelle von 1929 an der Straße „Vor dem Schlesischen Tor“ erhalten geblieben ist. Man muss schon wissen, wo man sie finden kann, denn Aral hat die alte Zapfstelle so geschickt mit Vordächern, blauen Tanksäulen, Kassenhaus und Waschanlage eingebaut, dass man den schlichten Bau mit abgerundeten Gebäudeecken erst auf den zweiten Blick erkennt. Wie ein Schiffsaufbau steht er da, doch Raststätte, Garagen und das weitgespannte Tankstellenvordach sind verschwunden. Im ersten Stock wohnte der "Tankmeister". Heute steht das Gebäude leer, ein ehemals hier betriebenes Restaurant hat aufgegeben.


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Steuererhebung am Straßenrand
Unter diesem Titel hatte ich über ein Zollhaus an der Residenzstraße in Reinickendorf berichtet, an dem die Mahl- und Schlachtsteuer erhoben wurde. An der Straße „Vor dem Schlesischen Tor“ ließ die Königliche Wasserbauinspektion 1860 einen Backsteinbau errichten, der dieselbe Funktion hatte. Diese Verbrauchsteuer auf Mehl und Fleisch sollte die einheimischen Berliner Betriebe schützen vor billigeren Angeboten aus dem Umland, sozusagen "Berlin first". Der Effekt war aber, dass Minderbemittelte durch die höheren Preise für Brot und Fleisch benachteiligt wurden.

Ein Dreiecksgiebel hebt den Mittelteil des Gebäudes hervor, der als Risalit aus der Fassade herausragt. Als die Akzisegrenze (Zollgrenze) hier 1877 aufgehoben wurde, zog der Schleusenwärter in das Haus ein, vielleicht - frei nach Ulrich Roskis Moritat - mit seinem blinden Töchterlein.

Arena Treptow
Eine Halle, die wie ein Flugzeughangar aussieht: Zwischen Eichenstraße und Spree hat der Architekt Franz Ahrens 1927 für die Allgemeine Berliner Omnibus AG (ABOAG) eine 100 Meter lange Halle mit einer Spannweite von 70 Metern erbaut. In der Halle konnten Omnibusse bequem rangiert werden, notwendige Reparaturarbeiten ließen sich so schnell durchführen. 1928 ging das Omnibusunternehmen in den Berliner Verkehrsbetrieben auf, die die Halle bis 1993 verwendeten. Seitdem wird die Halle als Veranstaltungsort genutzt.

Bei unserem heutigen Rundgang ist das Gelände voll von Menschen mit gravierten Körperflächen, zusammenhänge Quadratzentimeter nackter Haut sind kaum zu sehen. In der Arena findet gerade die Tattoo-Convention statt mit internationalen Tattoo-Artisten, Piercing, Freak-Show, Wahl zur Miss Tattoo Berlin und Aftershowparty, auch US-Cars sind ausgestellt.



Heute hat wieder meine Enkelin Anna K. (12) unser Flaneurteam verstärkt. Vor ihrer Linse schwingt sich die Hochbahn von der Oberbaumbrücke zum Schlesischen Bahnhof, Wohnhäuser aus drei Epochen vereinen sich in einem Bild. Den Blumen und Pflanzen kommt sie mit der Kamera nah und sie fotografiert erschreckt den Müll, der sich an einer Ecke im Flutgraben absetzt.

Im "Freischwimmer" brauchen wir keine Badehose, am Rande des Flutgrabens bekommen wir von der Hitze ermattete Flaneure zu essen und zu trinken und haben sogar das Glück, dass ein heruntergefallener Akku nicht in den Zwischenräumen zwischen den Planken im Flutgraben verschwindet. Hier sollen schon Handys bewiesen haben, dass man unter Wasser nicht telefonieren kann.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Die Grenze an der Lohmühleninsel:
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Das Wohlergehen sei den Eintretenden
Der Deutsche Michel war ein Reitergeneral