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Berlin, halt ein, besinne Dich


Stadtteil: Wilmersdorf
Bereich: Grunewald
Stadtplanaufruf: Berlin, Hubertusbader Straße
Datum: 5. März 2018
Bericht Nr.: 617

Die Hollaenders waren eine Bühnenfamilie. Der Vater - ein Arzt und "dilettierender Dichter" - hatte es sich so gewünscht und zweien seiner Söhne schon mit der Namenswahl den Weg gewiesen: Victor Hollaender bekam den Vornamen von Victor Hugo, Felix den von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die Bühnenberufe verteilten sich dann etwas anders. Tatsächlich wurde Felix Dramaturg, Regisseur, Theaterkritiker und übernahm die Nachfolger Max Reinhardts am Deutschen Theater.

"Wenn du Musik studiert hättest, was aus dir hätte werden können", soll Felix zu seinem Bruder Victor Hollaender gesagt haben. Ein Scherz, denn Victor war einer der beliebtesten Komponisten von Unterhaltungsmusik seiner Zeit, gleichauf mit Paul Lincke und Walter Kollo. Als Theaterkapellmeister hatte er Engagements in Budapest, Milwaukee, Chicago, London. Victor verfasste Schlager, Revuen, Possen, Filmmusiken, Singspiele, Operetten. Das Metropol-Theater am Nollendorfplatz spielte seine Revuen, die Berliner sangen seine Gassenhauer. Sein Name ist der Nachwelt nicht vertraut, wahrscheinlich weil er - anders als Lincke und Kollo - vor den Nazis in die USA emigrierte.

Der Architekt Oskar Kaufmann erbaute für Victor Hollaender eine Villa an der Hubertusallee. Hier wuchs sein Sohn Friedrich auf, auch für ihn war die Bühne das Leben: Friedrich Hollaender, der berühmte Kabarettist der Zwanziger Jahre (Kabarett "Schall und Rauch", "Tingel-Tangel"; Chansons "Ich bin die fesche Lola", "Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt"; Schlager "Guck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin“). Er schuf nicht nur große Unterhaltung, sondern auch kabarettistische Zeitkritik, wie in seinem "Fox macabre":

____Berlin, halt ein, besinne Dich. Dein Tänzer ist der Tod.
____Berlin, halt ein, du bist in Not!
____Von Streik zu Streik, von Nepp zu Nepp,
____bei Mord und Nackttanz und beim Step,
____du musst dich amüsieren ohne Unterlass!
____Berlin, dein Tänzer ist der Tod!

Villa Hollaender
Oskar Kaufmann hat als Theater-Architekt eindrucksvolle Bühnenbauten geschaffen. Dazu gehören die beiden Kudamm-Theater (die jetzt zum Abriss freigegeben sind), das Hebbel-Theater, das Renaissance-Theater, die Volksbühne. Im Grunewald hat er zwei Villen gebaut, die ihre Kraft als architektonische Inszenierung entfalten.

Da war es naheliegend, dass Victor Hollaender - der Schöpfer von Theaterrevuen - und Oskar Kaufmann - der Theater-Architekt - sich fanden, um die Villa Hollaender an der Hubertusallee Ecke Berkaer Straße zu realisieren. Wie die alten Baupläne ausweisen, hat der Bauherr natürlich einen Theatersaal einbauen lassen. Es ist der größte Raum im Erdgeschoss der Villa.


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Cremer & Wolffenstein
Es ist, als sei ein archaisches Strafgericht gegen die Architekten Cremer & Wolffenstein vollstreckt worden. Fünfzehn Wohn- und Geschäftsgebäude, die sie zwischen 1886 und 1914 in Berlin errichtet haben, sind abgerissen oder zerstört worden, dazu die acht von ihnen gebauten Synagogen, die von den Nazis niedergebrannt wurden. Es war aber trotz des Umfangs der Zerstörung kein vernichtender Schlag gegen ihr architektonisches Werk, wenigstens einzelne repräsentative Bauten sind erhalten geblieben.

Beispielsweise der Altbaukomplex des Wirtschaftsministeriums (Akademie für Militärärzte) in der Invalidenstraße, die Handelshochschule neben der Heiliggeistkapelle, die Villa mit der Generalverwaltung der Staatlichen Museen in der Stauffenbergstraße, das Verwaltungsgebäude von Orenstein und Koppel in der Möckernstraße. An exponierter Stelle errichten Wilhelm Cremer und Richard Wolffenstein 1913 am Oranienplatz Ecke Oranienstraße ein markantes Geschäftshaus, das heute wegen der Nachnutzung als Hotel "The Orania" heftig umstritten ist, weil diese Nutzung die weitere Gentrifizierung des Kiezes befördern könnte.

In der Villenkolonie Grunewald treffen wir in der Furtwänglerstraße auf das Landhaus Imelmann, das als Beweis für die Vielseitigkeit der beiden Architekten gesehen werden kann, aber nicht typisch für ihre Handschrift ist. Schweizerhaus oder feudale Jagdhütte? Schnitzwerk an der Veranda, den Fenstern und am Giebel, Holz bestimmt den Bau des Bankiers, der Mitinhaber des Bankhauses Bleichröder war - Bismarcks Bankiers.


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Strafverteidiger Max Alsberg
Gegen den ausufernden Redeschwall eines Zeugen, der das eigentliche Thema aus dem Auge verloren hatte, pflegte sich der Strafverteidiger Max Alsberg zu verwahren mit der Aufforderung: "Beginnen Sie bitte mit dem Schluss, dann wollen wir auf den Ausgangspunkt kommen". Max Alsberg war das, was wir heute einen "Staranwalt" nennen. Außerdem hat er an der Berliner Universität gelehrt, hat zwei Theaterstücke und eine Vielzahl von Fachartikeln geschrieben, beispielsweise über Justizirrtum ("die Leichtigkeit der Entstehung und die Schwierigkeit der Beseitigung des Fehlurteils"), Untersuchungshaft, Plädoyer, Beweisantrag ("die Leidenschaft des Wahrheitssuchens"), über das Weltbild des Strafrichters. Man sagt, "er hatte die Leidenschaft, die Phantasie und die Intuition des wirklichen Künstlers, der man sein muss, um ein großer Advokat zu sein".

Alsberg stand nie "auf der falschen Seite", sein Ziel war immer die Suche nach der Wahrheit, egal für wen. Er verteidigte Carl von Ossietzky in einem Landesverratsprozess genauso wie den Wirtschaftsmagnaten Hugo Stinnes gegen den Vorwurf der Schieberei.

Noch im Jahr der Machtergreifung Hitlers wurde er von der Uni vertrieben, sein Verlag wollte ihn nicht mehr publizieren, die Rechtsanwaltskammer denunzierte ihn, er verlor seine Zulassung als Notar. Von vielen Seiten im Ausland wurde ihm Hilfe und berufliche Partnerschaft angeboten, die er ablehnte. Verzweifelt brachte er sich im September 1933 im Exil in der Schweiz um.

Max Alsberg wohnte in einem Landhaus, das sich ein Schraubenfabrikant 1914 an der Richard-Strauss-Straße Ecke Dachsberg errichten ließ. Hinter einem hohen Stabeisengitter und einer die Grundstücksecke umfassenden Mauer ist das Gebäude mit auffallend hohem Hauptgeschoß und niedrigem Obergeschoss nur teilweise sichtbar. Alsberg ließ 1925 ein Chauffeurhaus und eine Garage anbauen.


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Gustav Kemmann und die U-Bahn
Diesem Mann verdankt Berlin die U-Bahn: Der Bauingenieur Gustav Kemmann berechnete und plante 1897 die erste Berliner U-Bahn-Strecke von Warschauer Brücke zum Zoo. Er prognostizierte für das erste Betriebsjahr ein Fahrgastaufkommen von 22,5 Mio Fahrgästen. Es wurden 22,7 Mio, eine Unschärfe von weniger als einem Prozent. Für diese Treffsicherheit wird er immer noch bewundert, das schafft bis heute nicht einmal eine Computersimulation.

Das Geheimnis seiner "Verkehrs-Mathematik" lag in der systematischen Untersuchung der bestehenden Verkehrsströme. Seine Frau unterstütze ihn durch Verkehrszählung in der Straßenbahn. Tagelang fuhr sie mit den Straßenbahnen an der geplanten U-Bahn-Strecke und zählte die ein- und aussteigenden Fahrgäste. So konnte er den Übergangsverkehr zur U-Bahn zusätzlich zum Neuverkehr aufgrund (steigender) Einwohnerzahlen voraussagen.

Kemmann arbeitete in der Eisenbahnabteilung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten in Berlin. Auf Reisen in London, Paris, Nord- und Südamerika hatte er intensiv das städtische Verkehrswesen analysiert. Nach seinem zweiten London-Aufenthalt veröffentlichte er seine Studienergebnisse in einem Buch über den Nahverkehr Londons. Immenser Fleiß und geniale Intuition wurden ihm nachgesagt. So konnte er die Wirtschaftlichkeit der ersten Berliner U-Bahn nachweisen und später ihre Verlängerung planen. Auch die Einführung eines selbsttätigen Signalsystems auf der U-Bahn setzte er durch, wobei er hartnäckigen Widerstand von Fachleuten überwinden musste. Die Gummileisten an den U-Bahntüren, die beim Schließen Verletzungen verhindern, gehen auf ein Patent Kemmanns zurück.

Gustav Kemmanns Leben war dem Berliner Nahverkehr gewidmet, und auch im Tod blieb er diesem Thema treu. Er starb während einer Straßenbahnfahrt an einem Herzschlag. Im Labyrinth des U-Bahnhofs Alexanderplatz hängt verschämt im Zwischengeschoss zwischen zwei Bahnlinien eine Bronzetafel nur mit seinem Namen und drei Zeilen Text ("Schuf die verkehrswissenschaftlichen Grundlagen..."). Die Originaltafel wurde im Zweiten Weltkrieg als kriegswichtiges Material eingeschmolzen, jetzt hängt dort eine Replik.

Kemmanns Villa in der Wernerstraße, neobarock, mit viel Stuck verziert, hat 1896 der Architekt Wilhelm Walther erbaut. Walther war Königlicher Regierungsbaumeister, er entwarf in Berlin Versicherungspaläste, Industriebauten und Villen. An der Koenigsallee steht Walthers letzter Bau, eine eigentümliche, gigantische Villa, die seine architektonische Visitenkarte werden sollte, mit einer kaum steigerbare Anhäufung von Baudekor unterschiedlicher Kulturepochen.

Ullstein-Villa
Über zwei Villen der Verlegerfamilie Ullstein im Grunewald hatte ich bereits früher berichtet. Eine weitere Ullstein-Villa sehen wir bei unserem heutigen Rundgang in der Taunusstraße. Hermann Ullstein, jüngster Sohn des Verlagsgründers Leopold Ullstein, ließ dort 1908 ein Landhaus erbauen, das auf jeglichen historisierenden Bauschmuck verzichtet. Im Verlag war er für die Zeitschriften- und Buchabteilung verantwortlich. Er gründete die Zeitschrift "Uhu", ein Blatt mit hohem journalistischem Standard. Der "Staranwalt" Max Alsberg schrieb dort, ebenso Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Albert Einstein, Peter Suhrkamp, Kurt Tucholsky.


Das ist heute ein Stadtrundgang durch die Historie: Mit den Häusern verbinden sich die spannenden Lebenslinien von Menschen, aber deren Welt ist verschollen, versunken. Alles ist Geschichte, und doch ist ohne diese Vergangenheit unsere Gegenwart nicht denkbar.

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Unsere Route:
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Gaslaternen unter Strom
Die fehlende Biografie