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Ironischer Blick zurück aufs Leben


Stadtteil: Schöneberg
Bereich: Friedenau
Stadtplanaufruf: Berlin, Isoldestraße
Datum: 7. März 2024
Bericht Nr.:829

Friedenau, einen Ortsteil von Schöneberg, haben wir schon mehrmals besucht. Trotzdem blieben dabei weiße Flecken auf dem Stadtplan, wie bei anderen Stadtspaziergängen auch. Mehr als 800 Stadtrundgänge sind hier dokumentiert, alle "großen" Bereiche haben wir besucht, jetzt sind wir dabei, diese Lücken zu schließen, wie heute in Friedenau. Auch dabei haben wir immer wieder "Aha"-Erlebnisse.

Kurz noch einmal zur Geschichte des Ortsteils: Friedenau war kein Dorf, sondern ist in den 1870er Jahren von dem Kaufmann Johann Anton Wilhelm von Carstenn "auf dem Reißbrett" als Villenkolonie entwickelt worden. Das gab ihm Gelegenheit, hier wie anderswo einen hufeisenförmigen Straßenzuschnitt festzulegen, die "Carstenn-Figur". Zwischen vier Schmuckplätzen spannt sich ein Rechteck mit symmetrischen Straßenverläufen. Der südliche gerundete Abschluss wäre für die römischen Wagenrennen geeignet, wenn man den Circus Maximus vor sich sieht, der der Anlage als Vorbild gedient hat.


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Bauphasen
Bereits zwanzig Jahre nach der Gründung Friedenaus wurde wegen der hohen Wohnungsnachfrage in der Gründerzeit damit begonnen, die Villen abzureißen und durch mehrstöckige Mietwohnhäuser zu ersetzen. Nach der Jahrhundertwende 1900 entstanden in einer dritten Bauphase Mietshäuser mit gut ausgestatteten großen Wohnungen für das gehobene Bürgertum.

Handjerystraße
Auf alle drei Phasen stoßen wir auf unserem Rundgang. Beispielsweise in der Handjerystraße, in der Landhäuser der ersten Bauphase zusammen mit frühen Mietwohnhäusern der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts und großen Mietwohnhäusern der Zeit um 1910 in der für Friedenau typischen Mischung zu finden sind. Die Schnackenburgstraße führt direkt auf ein freistehendes Landhaus in der Handjerystraße zu, das 1885 errichtet wurde und von Mietwohnhäusern mit Vorgarten eingerahmt wird.


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In der Handjerystraße ereignete sich während der Blockade Berlins ein tragischer Flugzeugabsturz. Ein Flugzeug mit Versorgungsgütern für die eingeschlossene Berliner Bevölkerung ("Rosinenbomber") streifte während der Luftbrücke ein Hausdach und stürzte ab, beide Piloten starben.

Isoldestraße
Direkt südlich der Ringbahn finden wir bereits in der Isoldestraße die ersten beeindruckenden Bauten aus den Jahren ab 1900. Wuchtige neobarocke Bauten mit heller Fassade und bis zu sieben Fensterachsen nebeneinander. Was einem als Fußgänger entgeht, wenn man den Blick nicht auch nach oben richtet: Säulen über mehrere Etagen (Kolossalordnung), Loggien, Erker, Balkons, geschwungene Giebel (Schweifgiebel), Putten, Reliefs, Wappen. Im Sockelbereich grob behauenes Mauerwerk (Rustika), Hauseingänge mit Rundbögen und Läden mit Korbbögen. Die Reliefs zeigen Szenen mit Frauengestalten, Putten, aber auch Krieger.


(unbenannt)

Eines der Häuser mit neobarockem Giebel ist geschmückt mit einem großen ornamental eingefassten Feld (Kartusche), darin eine sich aufrichtende Schlange. Darüber ein fliegender Adler mit ausgebreiteten Schwingen, er hält die Kartusche in den Fängen. Zusätzlich wird sie getragen von zwei seitlich schwebenden weiblichen Figuren.

Sarrazinstraße
In der Sarrazinstraße steht ein 40 Meter langes Verwaltungsgebäude aus der NS-Zeit, 1939 erbaut. Der ansonsten schmucklose Bau wird im Eingangsbereich von sechs Pilastern (Flachsäulen) flankiert, die sich über mehrere Etagen erstrecken (Kolossalordnung). Eine Freitreppe, flankiert von zwei Standleuchten, führt zum Portal, das mit einem Jünglingskopf in der bekannten NS-Ästhetik bekrönt wird.


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Einküchenhäuser
Die als Zubringer zur Stadtautobahn ausgebaute Bundesallee trennt Friedenau faktisch in eine Ost- und eine Westhälfte. Am Friedrich-Wilhelm-Platz können wir queren, um zu den Einküchenhäusern in der Wilhelmshöher Straße zu gelangen. In der von Albert Gessner gebauten Häusergruppe hatten die Wohnungen keine Küchen. Gekocht wurde in einer professionell ausgestatteten Großküche im Untergeschoss, dort waren mehrere angestellte Köchinnen tätig.

Über die reine Essensversorgung hinaus verband sich mit diesem Modell ein gesellschaftlicher Reformansatz. Die Berufstätigkeit der Frauen sollte erleichtert werden, sie sollten mehr Zeit für die Familie haben, insbesondere für die Kinder. Das Projekt scheiterte nach mehreren Jahren. Die Zentralküche wurde aufgegeben und Küchen in den Wohnungen eingebaut.

Bildhauerhof Valentino Casal
Kaiser Wilhelm II. hatte mit seiner "Puppenallee" eine Auftragswelle bei Bildhauern ausgelöst. Er liebte Denkmale, deshalb verwandelte er ab 1895 die 750 Metern lange Parkallee zum Kemperplatz in einen Prachtboulevard mit 32 Marmor-Denkmälern aller preußischen und Brandenburger Herrscher seit mehr als 700 Jahren. Alle 50 Meter stand an diesem Boulevard eine 2,75 Meter hohe Skulptur mit Beiwerk. 27 Bildhauer haben jahrelang an den Figuren gearbeitet, die künstlerische Qualität der Skulpturen soll durchaus unterschiedlich gewesen sein. Diese "Siegesallee" wurde von den Berlinern als "Puppenallee" verspottet.

Der aus Venedig stammende Skulpteur Valentino Casal war ausersehen, um den Weg vom Gipsentwurf zur Marmorskulptur anzuleiten. In der Görresstraße 16 richtete Casal einen "Bildhauerhof" ein. Bekannte und unbekannte Bildhauer gaben sich die Klinke in die Hand, um die Steinmetzarbeiten von Casal ausführen zu lassen. Regelmäßig fuhr der Kaiser bei Casal vor, um sich am Fortgang der Arbeiten zu ergötzen. Ein weiteres Ateliergebäude entstand in der Görresstraße 21-23. Dieses Gebäude ist jetzt akut bestandsgefährdet, weil ein Investor, - der dort Eigentumswohnungen mit Tiefgaragen errichten will - es sich selbst überlasst, um es abreißen zu können.

Friedhof Friedenau (Friedhof Schöneberg III)
Die Idealfigur des Carstenn'schen Grundrisses ist in Friedenau nicht vollständig verwirklicht worden. An der linken oberen Ecke sollte der Hamburger Platz als einer der vier Schmuckplätze entstehen. Dort wurde vorübergehend der Friedhof Friedenau eingerichtet. Er sollte bei fortschreitender Bebauung verlegt werden, um dann den Schmuckplatz zu realisieren. Wie bei vielen Provisorien ist das eine Dauerlösung geworden: Der Friedhof wurde mehrfach erweitert und ist heute als Künstlerfriedhof bekannt.

Marlene
Marlene Dietrich wurde 1992 auf dem Friedenauer Friedhof beerdigt, ganz in der Nähe des Grabes ihrer Mutter. Mit 21 Jahren begann ihre Karriere als Schauspielerin und Sängerin. Nach ihrem deutschen Filmerfolg als "Blauer Engel" ging sie nach Hollywood und feierte dort als deutscher Filmstar Erfolge.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nahm sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an und trat in der Truppenbetreuung für die US-Soldaten auf. Bei ihrer Rückkehr nach Kriegsende wurde sie vom deutschen Publikum gefeiert, erlebte aber auch Anfeindungen als "Vaterlandsverräterin“. 1976 ging sie nach Paris, wo sie völlig zurückgezogen lebte und nur über das Telefon Kontakte in alle Welt pflegte.

"Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin" ist der Titel ihrer Biografie, und so wollte sie auch in Berlin beerdigt werden. Die Flaggen auf ihrem Sarg spiegelten einmal mehr ihr Leben zwischen konträren Polen: Während der Trauerfeier in Paris lag die Trikolore - die französische Fahne - auf dem Sarg. Bei der Überführung nach Berlin war der Sarg vom US-Sternenbanner eingehüllt. Nach der Ankunft in Berlin wurde die amerikanische gegen die Berliner Fahne eintauscht. Als Bundeskanzler Helmut Kohl erfuhr, dass nicht die deutsche Fahne schwarz-rot-gold auf dem Sarg liegt, lehnte er seine Teilnahme an der Beerdigung ab.

Bildhauerwerke für Busoni und Prowe
Außergewöhnliche Grabdenkmäler bekamen der Komponist Ferruccio Busoni und der Gutsbesitzer Wilhelm Prowe. Für Busoni schuf der Bildhauer Georg Kolbe die Bronzeplastik „Genius“. Auf einer schlanken viereckigen Säule wächst eine expressionistische tanzende Figur in die Höhe, ein sehr ausdrucksstarkes kleines Bildhauerwerk. Am Grab des Gutsbesitzers steht die Skulptur einer Trauernden vor der Pforte zur Ewigkeit, geschaffen von Valentino Casal.


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Ottomar Anschütz
Wie Filme entstanden und die Bilder laufen lernten, hatten wir beim Blick auf das Leben von Max Skladanowsky gesehen: "Ein Foto ist tot - was lebendig ist, bewegt sich". Oder war es doch anders, konnten auch Fotos bewegte Bilder zeigen? Auf dem Friedhof Friedenau ist Ottomar Anschütz beerdigt, "der Erfinder der beweglichen Fotografie". Seine Erfindung kann heute als "Gif"-Fotoformat standardmäßig auf allen Computern abgespielt werden. Es handelt sich um mehrere Fotos, die in einem Bild miteinander verknüpft sind und so als animierte Grafik eine kurze Bewegung abspielen können. Kein Video, aber eine kurze Sequenz innerhalb eines Fotos.

Was hatte Anschütz getan, um den "Augenblick" fotografisch zu überlisten? Er nahm mit einer Reihe von 24 nebeneinander aufgestellten, gekoppelten Kameras Einzelbilder auf, die jeweils einen Folgemoment einer Bewegung aufzeichneten, beispielsweise fliegender Störche oder die Flugversuche von Otto Lilienthal.

Für das Abspielen reihte er sie hintereinander in einem Elektrotachyscop ("Schnellseher") auf, der mit einer Kurbel schnell bewegt wurde und wegen der Trägheit des Auges die Bilder zu einem Film verschmelzen ließen. Später wurde eine Trommel namens "Zoetrop" ("Rad des Lebens") verwendet, deren Drehung die Bilder ineinanderfließen ließ.


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Versammlung am Grabe
Augenzwinkernd das Leben auf einem Grabstein darstellen - dieses Kuriosum wollten wir mit eigenen Augen sehen, wussten aber nicht, wo genau auf dem Friedhof der aus der DDR emigrierte Schriftsteller Kurt Bartsch beerdigt worden ist. Also gingen wir auf Suche nach Friedhofsbesucher/innen, die ein Grab pflegten. In der Hoffnung, dass sie uns den Weg zu "dem" Grab weisen könnten.

Nacheinander wendete ich mich an sechs ältere Frauen, die - höflich angesprochen - alle das Bild auf meinem Handy ansahen und - bis auf eine - sagten, ja, habe ich schon einmal gesehen, das ist hier auf dem Friedhof. Auch der Friedhofsgärtner, der halb in der Erde stehend gerade eine Grube aushob und Sand nach oben schaufelte, wusste von dem Grab. Aber das "wo" konnte keine und keiner beantworten. Eine Frau fühlte sich so an der Ehre gepackt, dass sie uns erfolgslos begleitete, wobei sie einen Friedhofsteil ausschloss, da konnte es nicht sein, da war sie sich ganz sicher.

Dort war es dann aber doch. Ein älterer Mann mit Krückstock (wirklich!) führte uns schließlich zum gewünschten Ort, danke! Inzwischen waren wir zu einer kleinen Gruppe angewachsen, wie die Schatten auf meinem Bild zeigen. Ein rechteckiger Grabstein, auf dem sich eine nackte Frau mit einem Weinglas in der Hand lümmelt und provozierend auf die Besucher blickt. Und noch ein leiblicher Genuss: Neben ihr hockt auf dem Grabstein ein Gerippe mit einer Fluppe im Mund.


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Unsere Route:
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Ein Glanzpunkt für Friedenau