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Rettungsgasse zum Sieg


Stadtbezirk: Tiergarten
Bereich: Kemperplatz
Stadtplanaufruf: Berlin, Kemperplatz
Datum: 14. November 2011

Der erste Herrscher war großmannssüchtig. Er ließ eine Siegesallee mit Herrschaftsverherrlichungen anlegen. Nach dem verlorenen Krieg - den sein Volk auszubaden hatte - starb er im Exil. Der zweite Herrscher war größenwahnsinnig. Er wollte auf dieser Straße den Mittelpunkt einer Welthauptstadt schaffen. Wegen des verlorenen Krieges - den sein Volk auszubaden hatte - beging er Selbstmord. Für den Sieger, der dann sein Siegesdenkmal an dieser Stelle errichtete, waren mehrere Millionen Soldaten gefallen. Heute gibt es keine Hinweise mehr im Stadtbild auf die Siegesallee, doch ihr völliges Verschwinden bedeutet nur die Abwesenheit der Symbole, deren Wirkungen wir bis heute spüren.

Die Siegessäule mit der Viktoria war 1873 als Personifizierung erfolgreicher preußischer Kriegsführung vor dem Reichstag aufgestellt worden, die Dänen hatte man 1864 besiegt, die Österreicher 1866, die Franzosen 1871. Aber auch die Reichsgründung von 1871 als identitätsstiftendes Ereignis der Deutschen verbindet sich mit der Siegessäule. Vom Reichstagsplatz bildete eine Parkallee von 750 Metern Länge eine Sichtachse bis zum Kemperplatz. Der letzte Kaiser Wilhelm II. liebte Denkmale, deshalb verwandelte er ab 1895 diese Allee in einen Prachtboulevard mit 32 Marmor-Denkmälern aller preußischen und Brandenburger Herrscher seit mehr als 700 Jahren. Alle 50 Meter stand an diesem Boulevard eine 2,75 Meter hohe Skulptur mit Beiwerk, denn zu jedem Herrscher gehörten je zwei Büsten von wichtigen Personen seiner Regierungszeit. 27 Bildhauer haben jahrelang an den Figuren gearbeitet, die künstlerische Qualität der Skulpturen soll durchaus unterschiedlich gewesen sein. Diese "Siegesallee" wurde von den Berlinern als "Puppenallee" verspottet. Der auf dem Kemperplatz stehende Wrangelbrunnen musste dort verschwinden, er wurde durch ein Roland-Denkmal ersetzt (--> 1). Direkt vor dem Reichstag wurde 1901 das von Reinhold Begas geschaffene Bismarck-Denkmal errichtet.

Das Dritte Reich wollte Macht und Größenanspruch auch im Bild der Stadt demonstrieren. Hitlers Generalbauinspektor Alfred Speer realisierte unter Verbreiterung bestehender Straßenzüge eine Ost-West-Verbindung, die von der Allee Unter den Linden über die heutige Straße des 17.Juni, Kaiserdamm, Heerstraße bis über die Spandauer Stadtgrenze hinaus führte. Bereits 1917 hatte ein Stadtplaner die Idee einer Nord-Süd-Achse unter Einbeziehung der Siegesallee vorgestellt. Speer entwickelte daraus den Plan, eine Nord-Süd-Verbindung vom heutigen Südbahnhof bis über den Reichstagsplatz hinaus nach Norden als mächtige Trasse in den Stadtgrundriss zu schlagen. Auf der verbreiterten Siegesallee sollte diese Nord-Süd-Verbindung die Ost-West-Achse schneiden. Die wilhelminische Ausstattung der Siegesalle und die Siegessäule störten in diesen Planungen. Deshalb wurde die Siegessäule zum Großen Stern umgesetzt, die "Puppen" kamen zur Großen Sternallee, die vom Großen Stern zum Diplomatenviertel führt. Bismarck, Roon und Moltke setzte man an eine Ecke des Großen Sterns, wo sie heute noch stehen. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 war die Siegesallee leer geräumt.

Nördlich des Schnittpunkts beider Straßenachsen sollte vor dem Reichstag die "Halle des Volkes" errichtet werden, sie hätte das Zehnfache der Besucherplätze der heutigen O2-World gehabt. In der gigantischen Halle hätte das aus dem Atem der Besuchermasse entstehende Kondenswasser zum Regen innerhalb der Halle werden können. Ein Modell zeigt, wie das Brandenburger Tor als kleines Spielzeug neben der Halle steht, realisiert wurde die Planung nicht.

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Siegessäule fast unbeschädigt, viele Skulpturen wurden aber beschädigt oder zerstört, sämtliche Bäume des Tiergartens von den Bürgern abgeholzt und als Feuerholz verwendet. Das Sowjetische Ehrenmal steht im Tiergarten an einer Stelle, die man für zufällig halten könnte. Tatsächlich verstellt es an dem Schnittpunkt der einstigen Siegesallee mit der Ost-West-Achse bewusst die Verbindung zum Reichstag und zeigt unmissverständlich: die Siegesphantasien der Vergangenheit sind mit dem Deutschen Reich untergegangen, diese Geschichte kann keine Fortsetzung mehr haben. Hitlers Reichskanzlei lieferte als Steinbruch Teile des Baumaterials für das Ehrenmal, das als Riegel mit zwei Flügeln gestaltet wurde, auf dem Sockel in der Mitte steht ein Rotarmist. Diese Anordnung ähnelt der Form mehrerer wilhelminischer Denkmäler der Siegesallee, die anderen Sowjetischen Ehrenmäler in Treptow und Schönholz (--> 3) sind abweichend gestaltet. Das spricht dafür, dass die Siegerpose des Ehrenmals im Tiergarten auf der ehemaligen Siegesallee noch durch die gewählte äußere Form verstärkt werden sollte.

Die Siegesallee wurde1947 auf Befehl der Alliierten eingeebnet, die Figuren von der Großen Sternallee wurden zum Teil verbuddelt, später ins Lapidarium verbracht und von dort zur Spandauer Zitadelle. An der historischen Stelle der Siegesallee gibt es heute einen Fußgängerweg, dessen Beginn am Kemperplatz als "Rettungspfad" ausgeschildert ist. Der Kemperplatz ist kein Platz mehr, sondern eine große Straßenkreuzung. Hier beginnt der Tiergartentunnel, er ersetzt die Entlastungsstraße, die in West-Berlin als hilfsweise Nord-Süd-Verbindung parallel zur ehemaligen Siegesallee durch den Tiergarten geführt wurde.

Bei dem Spaziergang entlang der ehemaligen Siegesallee kommt man an dem Global Stone Project vorbei, das jeweils zwei charakteristische Zwillings-Steine von 30 Tonnen Gewicht hier und im Herkunftsland miteinander verbindet. Am 21.Juni sollen die hiesigen Steine über die Sonnenreflektion Verbindung zu den Zwillingssteinen in fünf Kontinenten aufnehmen. Ein Weltumsegler hat dieses globale Friedensprojekt gestartet (--> 4).

Auf der anderen Seite des Weges steht am Goldfischteich (Venusbassin) das Beethoven-Haydn-Mozart-Denkmal („Musikantenofen“) des Bildhauers Rudolf Siemering, Der Tiergarten ist ein Figurengarten, geht man weiter Richtung Siegessäule, dann kann man eine Amazone zu Pferde durch den Park reiten sehen, 1905 geschaffen von dem Begas-Schüler Louis Tuaillon und immer noch am selben Platz. Im Internet lese ich, dass Frauen, die Frauen suchen, jeden 2. Mittwoch rund um die Amazone im Tiergarten bei Sonnenuntergang "Amazonen-Cruising" machen können. Es gibt eben viele Wege, Kontakte aufzubauen, und wenn es klappt, dann war das hier für den Moment eine persönliche Siegesallee.

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(1) Wrangelbrunnen nach Kreuzberg umgesetzt: Heute letzter Tag
(2) Baumassentest mit dem Schwerbelastungskörper: Ein Bauverlangen ohnegleichen
(3) Kurze Bemerkungen zu den Russischen Ehrenmalen Treptow und Schönholz
Fanny Zobel und der Club Q3A und Kennen Sie Wilhelmsruh?
(4) Aktualisierung im Juni 2012: In Caracas haben venezolanische Ureinwohner vor der Deutschen Botschaft demonstriert. Sie fordern die Rückgabe des sogenannte Kueka-Steins, eines Heiligtums, das im Kunstprojekts "Global Stone" verwendet worden ist.


Im Spreebogen
Weil der Architekt es schön fand