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Der menschlichen Gestalt angenähert


Abstrakte Abbilder des Menschen
Datum: 1. Februar 2024
Bericht Nr.:830

Sie bevölkern das Stadtgebiet an vielen Stellen, in Parkanlagen, auf Plätzen, am Wasser, vor Gebäuden: Bildhauerwerke in vielerlei Gestalt. Meist geht der durch die Stadt hastende Mitbürger achtlos an ihnen vorbei, sie fallen ihm kaum auf. Da stehen, sitzen und liegen sie im Stadtraum, Abbilder menschliche Figuren in realitätsgetreuer Abbildung oder mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad: Als verfremdete Geschöpfe, denen der Künstler durch das Weglassen von Details andere Wesenszüge umso deutlicher hervortreten lässt. Bis hin zu den vermeintlichen Steinhaufen, vor denen der Betrachter steht und sich fragt, was uns der Künstler damit sagen will.

Dann treten Kunsthistoriker ins Bild und erklären uns, dass man in einem bestimmten Winkel und mit einer bestimmten Kopfhaltung dort eine Große Liegende erblicken könne. Diese Figur sehen wir dann plötzlich auch, Wissen verändert den Blick. Alle anderen, denen dieser Zugang nicht eröffnet wurde, sehen weiterhin einen Steinhaufen.

Warum stehen, sitzen und liegen sie da?
Der Herrscher auf dem Pferd kann den Zusammenhalt derjenigen stärken, die sich mit ihm identifizieren. Die Liegende von Henry Moore vor der Akademie der Künste am Hanseatenweg bringt uns mit einem bedeutenden Künstler und seinem Werk in Kontakt. Bildhauerwerke, die in verschiedenen Zeitabschnitten aufgestellt wurden, können an die unterschiedlichen Epochen von Weimarer Reich, Drittem Reich, DDR-Regime/West-Berlin und Nachwendezeit erinnern und gemahnen.


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Uns geht es heute um Freiplastiken, die sich nicht in ein Bauwerk einfügen, sondern einen autonomen Platz im Stadtraum gefunden haben. Nicht die realitätsgetreuen wollen wir uns anschauen, sondern die Bildhauerwerke mit einem wie auch immer gearteten Abstraktionsgrad. Als Flaneure waren wir überfordert, unsere heutigen Ziele in einem Zuge zu besuchen, zu weit sind sie im Stadtraum verteilt. Die meisten sind uns bei früheren Stadtrundgängen begegnet, wir stellen sie hier in einen neuen Kontext. Für diesen Bericht haben wir aber auch einige wenige besucht, die räumlich beieinander liegen.

Die menschliche Gestalt als Silhouette
Eine Figurengruppe? Ein Objekt aus Stahlplatten mit sieben Standfüßen und sieben Spitzen, sechs davon mit Köpfen - dieses Kunstwerk von Alexander Calder vor der Neuen Nationalgalerie ist weltbekannt. Ist es eine Gruppe von Personen, deren Silhouetten miteinander verbunden sind? Calder nennt es "Köpfe und Schwanz".


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Viele Beschreibungen aus anderen Quellen halten sich mit Interpretationen bedeckt, schildern die vernietete und verschweißte Konstruktion und die offene Kontur mit geschwungenen Linien, ohne zu verraten, was sie darin sehen.

Molecule Man
Weithin sichtbar und vom Sonnenlicht reflektiert steht in der Spree gegenüber dem Osthafen die Figur "Molecule Man". Die Silhouetten von drei Männern in Schrittstellung, die sich an den Händen und Füßen berühren, sind im gleichen Kreisabstand von 120 Grad miteinander verbunden. Die Einzahl "man" im Titel sagt, dass es sich um drei Fassungen desselben Mannes handelt: Die dreifache Figur im Schnittpunkt der Stadtteile Kreuzberg, Treptow und Friedrichshain steht symbolisch für die Wiedervereinigung.


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Ausgestanzt
Auf einer Rasenfläche an der Frankfurter Allee in Lichtenberg steht eine dekorative Plastik aus Stahl. Dargestellt werden Mischwesen aus Mensch und Widder. Die Figuren von Jörg Siegele sind ausgestanzt aus einer Stahlplatte, wobei sowohl Positiv (Figuren) als auch Negativ (ausgestanzte Stahlplatte) als Objekt gemeinsam gezeigt werden.

Mauerdenkmal Lichtenrade
Das Mauerdenkmal an der Stadtgrenze von Lichtenrade und Mahlow zeigt das Überwinden, Durchdringen und Öffnen von Mauern. Auch diese Plastik arbeitet mit dem Positiv und Negativ von ausgestanzten Figuren, wobei jede Kategorie eine eigene Symbolik bekommen. Die herausgestanzten Figuren erklimmen und übersteigen vier Mauersegmente, die ausgestanzten Stahlplatten symbolisieren die durchdrungene Mauer.


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An dieser Stelle gab es einen Grenzübergang für Mülltransporte auf eine DDR-Deponie.

Dreidimensional
Mauern durchbrechen wollen auch die beiden athletischen Figuren vor der bulgarischen Botschaft, die dynamisch eine unsichtbare Mauer wegzuschieben scheinen. Extremitäten fehlen zum Teil, Beine sind doppelt, die Bewegungen der beiden scheinen zu verschmelzen, vielleicht ist es ein Körper im Bewegungsablauf. Hier haben wir eine dreidimensionale Darstellung nackter Körper.


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Die Nacktheit war in der Antike eine idealisierende Darstellung von Jugend, Schönheit, Kraft, Reinheit. Sie wurde als etwas Natürliches angesehen. Das ist in unserer Zeit anders, durch Werbung und Pornografie ist die Nacktheit sexualisiert worden.

Nochmal: zu viele Extremitäten
Wo ist „Ecbatane“, der riesige nackte Mann mit drei Armen, der früher vor dem ICC mit dem linken Fuß eine Stadt teilweise platt getreten hat? Die von Jean Ipoustéguy geschaffene sechs Meter hohe Stahlplastik sollte ursprünglich Alexander den Großen bei der Eroberung der Stadt Ecbatane (heute Iran) zeigen, für den neuen Standort hat Ipoustéguy 1980 den Eckensteher Nante und den Berliner Bären eingefügt. Die Figur heißt jetzt "Der Mensch baut seine Stadt". Aber der Fuß blieb auf der Stadt.


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Die ICC-Architekten Schüler(-Witte) wollten dieses Standbild nicht vor ihrem Bau, in West-Berlin stritt man heftig über das Kunstwerk. Da fand die Messe Berlin 2005 nach Jahrzehnten eine ganz pragmatische Lösung. Der Betonsockel sei brüchig, auch die Figur roste, befand man und ließ den nackten Eroberer einpacken und im Keller verschwinden. Vielleicht kommt er irgendwann wieder, wer weiß.

Cemal-Altun-Denkmal
Aus dem Berliner Verwaltungsgericht stürzte sich 1983 während eines Prozesses um seine Anerkennung als politischer Flüchtling der 23-jährige Cemal Altun zu Tode. Die Bundesrepublik wollte ihn an das Regime ausliefern, das ihn verfolgte. Selbst die Europäische Kommission für Menschenrechte konnte nicht aufhalten, dass er uneinsichtig an die türkische Militärdiktatur überantwortet werden sollte. Sechs Monate nach seinem Tod hat ihm das Gericht posthum Asyl gewährt.


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Das Denkmal in der Hardenbergstraße vor dem Verwaltungsgericht ist als Negativform herausgearbeitet worden. Die Steinskulptur des Künstlers Akbar Behkalam ist von oben her mittig aufgebrochen und lässt zwei Hände erkennen, der Spalt symbolisiert das vernichtete Leben.

Balance
Über unseren Köpfen balanciert ein Seiltänzer in 13 Meter Höhe auf einer Stahlkonstruktion. Die Installation am "Prenzlauer Tor" (Prenzlauer Allee Ecke Prenzlauer Berg) steht für die Balance zwischen Denken, Handeln und Sein, für die vielfältigen Probleme, die der Mensch gleichzeitig zu bewältigen hat. Zu diesem Thema hat Hubertus von der Goltz nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten Gratwanderungen in luftiger Höhe inszeniert.


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Köpfe und fragmentarische Plastiken

Kopfbewegung - "heads, shifting"
Den eigenen Standort für einen Moment aufgeben, einen anderen Blickwinkel einnehmen, das öffnet unsere Köpfe für neue Bilder, andere Assoziationen, neue Einsichten. Eine kinetische Skulptur auf dem Forum Adlershof, aus zwei gleichgroßen androgynen Köpfen, die ständig in Bewegung sind, könnte uns das vermitteln wollen. Die Köpfe drehen sich sachte und ändern damit den Blick zueinander und auf die Umgebung. Gleichzeitig verändert sich die Form der Köpfe, die aus einzeln drehbaren Scheiben bestehen. So werden sie zu immer neuen plastischen Gebilden.


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Werdendes
Zwei Köpfe aus Stein schauen sich ins Gesicht; Die Skulptur "Werdendes" von Antonia Wysocka-Jonczak im Treptower Park zeigt nur Fragmente dessen, was "werden" soll, beide Figuren bleiben ein Torso, mehr wird von den Körpern nicht gezeigt. Und obwohl erst der Beginn einer Entwicklung in Stein gemeißelt ist, sieht die Bildhauerin darin schon "den Beginn der Vergänglichkeit". Vielleicht drückt sich darin auch ihr Schmerz über den frühen Tod ihres Sohnes aus.


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Ein Steinhaufen?

Grob behauene Steine fordern den Blick extrem heraus, darin eine Form, einen Körper zu entdecken. Von einem "Sich umarmenden Paar" im Park an der Buschallee in Weißensee sind nur die Arme zu erkennen, ansonsten verschmelzen die Personen so in der Umarmung, dass nur nicht zu differenzierender, aufrechtstehender Steinblock übrigbleibt. Die "Liegenden Frau" in demselben Park gibt sich stärker zu erkennen. Kopf, ein Arm, der geöffnete Schoß und die Dynamik des Aufrichtens gegen den Boden lassen die Figur plastisch werden.


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Widerstand gegen zwei Systeme
Ein kniender männlicher Torso und das christliche Kreuz verschmelzen zu einem Denkmal für Pfarrer Dietrich Bonhoeffer. Der Theologe - Mitglied der Bekennenden Kirche - wurde zum Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Wegen seiner Kontakte zu den Hitler-Attentätern vom 20. Juli 1944 wurde er hingerichtet.

An "seiner" Zionskirche sollte das Denkmal 1987 - zwei Jahre vor Ende der DDR - aufgestellt werden. Aber: Die Zionskirche gab der Bürgerrechtsbewegung gegen das DDR-Regime Unterschlupf und Unterstützung, wieder stand diese Kirche für den Widerstand gegen Unrecht und Unterdrückung, deshalb verhinderte die Stasi die Aufstellung des Denkmals. Erst nach der Wende konnte die eindrückliche, kraftvolle Plastik ihren Platz an der Kirche finden.


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Diese Beispiele stehen für Abstraktion, die die Formen aus der realen Welt verwendet, um sie mit gestalterischen Mitteln zu verfremden. Wenn Sie durch die Stadt gehen, halten Sie einmal inne und schauen, was Sie da sehen und was das mit Ihnen macht. Um es mit Picasso zu sagen: Die Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen läßt..
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