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Im Landeanflug


Stadtbezirk: Spandau
Bereich: Falkenhagener Feld
Stadtplanaufruf: Berlin, Zeppelinstraße
Datum: 6. Oktober 2010

Über dem Falkenhagener Feld kann man den Landeanflug der Verkehrsflugzeuge zum Flughafen Tegel verfolgen (1), kontinuierlich im Abstand weniger Minuten sinken die Maschinen von einer Flughöhe von unter eintausend Metern bis auf null zum sechs Kilometer entfernten Airport. Geht man im Park an der Spekte spazieren, dann unterbricht der Flugzeuglärm immer wieder die beschauliche Stille der Natur. In Berlin ist aktuell eine Diskussion um die Einflugschneisen des zukünftigen Großflughafens BBI-Schönefeld am Kochen, weil die von der Stadtplanung ausgewiesenen Fluglärmzonen heftig von der Realität des Luftfahrt- Bundesamtes abweichen. Unerwartet werden Lichtenrade, Kleinmachnow und Wannsee die startenden und landenden Flugzeuge stark wahrnehmen. Der Bürgerprotest formiert sich, und angesichts des neuen Selbstbewusstseins der vom Stuttgarter Bahnhofsbau Betroffenen wird es wohl auch in Berlin nicht bei ein paar Protestschreiben bleiben. Die Erinnerung daran, dass die Berliner gegen den Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof votiert haben, ist noch lebendig. Andererseits können sich Pankow, Reinickendorf und Spandau freuen, denn wenn der Flughafen Tegel geschlossen wird, dann sind sie den ständigen Fluglärm los. Wer lange an einer Bahnlinie gewohnt hat oder die S-Bahn im Viadukt über seinen Köpfen hörte und fühlte, der wird ohne diese Geräusche erstmal Entzugserscheinungen haben, in der ehemaligen Einflugschneise ist das weniger zu erwarten.

Das Falkenhagener Feld ist das letzte Stadtquartier, das man durchquert, wenn man Berlin Richtung Falkensee verlässt. Der Name dieser brandenburgischen Stadt ist aus den Namen der Dörfern Seegefeld und Falkenhagen zusammengesetzt worden, in Spandauer Straßen- und Gemarkungsbezeichnungen sind beide Begriffe noch lebendig. Durch die Ansiedlung des Schreibwarenherstellers Herlitz wurden in Falkensee nach der Wende vor den Toren der Stadt Arbeitsplätze und eine Neubausiedlung geschaffen, der öffentliche Zubringerverkehr fließt in Spandau über die Falkenseer Chaussee. Das wenig glückhafte Herlitz-Management steuerte das Unternehmen innerhalb von 12 Jahren nach der Wende in die Insolvenz, heute gehört die Gesellschaft mehrheitlich dem Schreibgerätehersteller Pelikan, ebenfalls einem PBS- Hersteller (Papier, Büro- und Schreibwaren).

Der stadträumliche Eingang zum Falkenhagener Feld wird durch eine expressionistische Wohnsiedlung des Architekten Richard Ermisch geprägt (2). Schon die Häuserzeilen entlang der Zeppelinstraße und Falkenseer Chaussee mit dreieckigen Erkern, über Eck gesetzten Balkons, mit farbiger Umrandung zu Bändern zusammengefassten Fenstern und kleinen spitzen Dachgauben geben ein unverwechselbares Bild dieser Siedlung. Die Schnittstellen beider Straßen werden von vier Türmen markiert, die von der Baufluchtlinie zurückgesetzt sind. Auf den Türmen thronen mehrfach gestaffelte Spitzhauben aus farbigen Schieferstreifen.

Der Architekt hatte ein großes Repertoire an Bauten mehrerer Epochen, nach dem beschriebenen expressionistischen Wohnensemble errichtete er zusammen mit dem Stadtbaurat Martin Wagner das der Neuen Sachlichkeit verpflichtete Strandbad Wannsee und in der NS-Zeit die Ehrenhalle und weitere Ausstellungsgebäude des Messegeländes. Einen Entwurf von Wagner und Poelzig, der nicht der neuen Ideologie entsprach, schob er dazu einfach beiseite. Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte er sich an den Planungen für den Wiederaufbau Berlins. Trotz hervorgehobener Stellung in der Berliner Bauverwaltung und Stadtplanung (Baurat, Oberbaurat, Magistratsbaurat, Stadtbaudirektor) konnte er sich von 1923 bis 1950 allen politischen Strömungen anpassen.

Am Nordrand des Falkenhagener Feldes liegt der Gemeindefriedhof - Pardon, Städtische Friedhof - "In den Kisseln", der als größter kommunaler Friedhof nur lokale Bedeutung hat. An der ehemaligen Nordmauer sind mehrere interessante Erbbegräbnisse und Mausoleen zu finden.

Eine Großsiedlung der 1960er Jahre an der Falkenseer Chaussee sollte den West-Berliner Wohnungsnotstand nach dem Mauerbau entschärfen, hierfür mussten Landwirtschaft und Schrebergärten vom Falkenhagener Feld weichen. Inzwischen hat sich die Situation grundlegend verändert, mit Quartiersmanagement versucht man, die sozialen Strukturen zu stabilisieren und den Ortsteil attraktiv zu halten.

Südlich der Falkenseer Chaussee gab es früher ein Flüsschen oder einen Bach namens Spekte, der in die Havel mündete, nachdem er die Havelniederung des Berliner Urstromtals entwässert hatte. Grundwasserabsenkungen für die Großsiedlungen Falkenhagener Feld und Heerstraße Nord und die Kiesgewinnung für diese Bauten setzten ihm zu, heute sind es nur noch zwei romantisch kleine Seen und eine verschilfte Wasserrinne dazwischen. Die Renaturierung ist gelungen, es entstand ein Naherholungsgebiet für die Anwohner. Forsch wie die Spandauer sind, wollten sie den Spektegrünzug gleich in eine Landesgartenschau mit dem Titel „Die grüne Brücke der Sympathie“ einbringen, aber Oranienburg hatte mehr zu bieten und holte sich 2009 die LaGa.

Klar, dass wir beim abschließenden Restaurantbesuch im Falkenhagener Feld bleiben. In einem der expressionistischen Ermisch-Türme gibt es einen Italiener, den wir beim Hereinkommen misstrauisch beäugen, weil er menschenleer ist und ganz offensichtlich weder Serviererin noch Koch in Italien zu Hause sind. Woher sollen wir wissen, dass alle Gäste im Raucherzimmer tafeln? Wir bleiben jedenfalls hier und sind zufrieden mit dem, was die Bedienung auf den Tisch bringt.

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(1) Bei der Deutschen Flugsicherung kann man die "Anflugspuren" der in einem Zeitraum landenden Flugzeuge ansehen, ich habe zwei Stunden unseres Stadtrundgangs vorgewählt (siehe anliegendes Bild). Zum Zeitpunkt unserer Stadtwanderung kamen alle Flugzeuge auf einer Spur angeflogen, die sich bereits über Falkensee gebündelt hatte und direkt über das Falkenhagener Feld hinweg führte. Die Farbe der Spur (orange) bedeutet, dass die Flughöhe zwischen null und 1.000 Meter (3.000 Fuß) liegt.

(2) Mehr über den Architekten Richard Ermisch: Ermisch, Richard


Granaten und Kleinstadtidyll
Mata Hari auf dem Flugfeld