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Ästhetische Verschleierung eines Lagers


Stadtteil: Spandau
Bereich: Waldkrankenhaus Spandau
Stadtplanaufruf: Berlin, Stadtrandstraße
Datum: 13. März 2016
Bericht Nr: 539

Charlie Chaplin hat den "Großen Diktator" karikiert, wie er selbstverliebt mit der Erdkugel spielt, bis sie zerplatzt. Wer herrschen will, muss Macht ausüben, muss andere Menschen dazu bringen, das zu tun, was er will, auch wenn sie ganz andere Vorstellungen haben. Dazu gehört ein unerschütterlicher, oft auch übersteigerter Glaube an sich selbst. Wenn er dann die Macht besitzt, kann er daran gehen, an seiner Unsterblichkeit zu arbeiten, Pyramiden zu bauen, Städte zu gründen, Länder zu erobern, neue Kulturen zu erschaffen. Wie krank muss aber ein Mensch sein, der den Entwurf für seinen eigenen Triumphbogen bereits mit sich herumträgt, bevor er überhaupt an die Macht kommt?

Die Rede ist von Adolf Hitler, der - als er Reichskanzler wurde - die Zeichnungen für seinen Triumphbogen bereits acht Jahren vorher angefertigt hatte. Er hatte schon vor der Machtergreifung geplant und gezeichnet, mit welchen Bauten er seine zukünftigen Siege verherrlichen wollte. Er war beherrscht von der Vorstellung, dass die Architektur ein Ausdruck nationaler Größe ist, mit der man in der Gegenwart beeindrucken und sich ein Denkmal für die Ewigkeit setzen kann. Bauten sollten "im Verfallszustand, nach Hunderten oder Tausenden von Jahren, etwa den römischen Vorbildern gleichen".


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Mit keinem anderen Menschen - nicht seinen Militärs und nicht mit seinen Parteigenossen - ging Hitler in der Sache so eng und vertraut um wie mit seinem "Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt" Albert Speer, der die Planungen in die Tat umsetzen sollte und mit dem er wie ein zweites Ich zusammen arbeitete. Seinen Dienstsitz nahm Speer in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Hitler konnte ihn dort zu Fuß von der Reichskanzlei durch die Ministergärten erreichen.

Speer selbst nannte Hitlers Vorstellungen später ein "Bauverlangen, das seinesgleichen nicht in der neueren Geschichte kennt", arbeitete aber mit Hingabe an der Umsetzung. Die Spuren dieser Gigantomanie sind heute unter Zeitschichten verborgen. Monströse Vorarbeiten veränderten die Stadt: Das Alsenviertel im Spreebogen, ein elegantes Wohnquartier und Standort ausländischer Vertretungen, wurde für den Bauplatz der "Großen Halle" geschliffen. Um an anderer Stelle Umsetzwohnungen zu erhalten, wurden dort jüdische Bewohner deportiert. Die ausländischen Vertretungen mussten ins Botschaftsviertel im Tiergarten verlegt werden. Friedhöfe an der Nord-Süd-Achse wurden beseitigt, Gräber quartierte man nach Stahnsdorf um. Letztlich wurde Berlin aber nicht zur "Welthauptstadt Germania", weil die Mangelerscheinungen während der Kriegszeit schließlich zur Einstellung der Arbeiten führten.

Unsere heutige Stadterkundung führt zu einem erhalten gebliebenen Rest des Produktionsapparats, der für diese überdimensionierte Bauaufgabe geschaffen werden musste. Wo hatte der "Baustab Speer" die Fahrzeuge der Transportflotte untergebracht, wo wohnten die Arbeiter? In Charlottenburg-Nord hatten wir bereits einen solchen Bauplatz aus der Nazizeit angesehen. Speer hatte dort eine 90.000 Quadratmeter große Fläche in Beton gießen lassen, um dort die LKWs des "Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps" abstellen zu können. Mehr als 12 Fußballfelder war die Abstellfläche groß. Ein kasernenartiger Gebäudekomplex umgab diese "Speer-Platte". Nach der Wende wurde das Gelände von allen alten Spuren gereinigt, ein Baumarkt und Speditionen errichteten Hallen, Nazi-Geschichte wurde unkenntlich gemacht.

Am 8 März 1939 berichtete der "Völkische Beobachter": "Deutschlands beste Fachkräfte bauen die große Versammlungshalle am Königsplatz". Aber wo wurden diese Fachkräfte untergebracht, schließlich sollten sich 8.000 deutsche Arbeitskräfte am Bau der "Großen Halle des Volkes" beteiligen? Hierzu muss man zum Falkenhagener Feld nach Spandau fahren, dort wo die Stadtrandstraße die Stadtgrenze zu Falkensee flankiert. Bevor wir uns auf den Weg machen, wollen wir uns aber noch kurz mit diesem Bauprojekt beschäftigen.

In der "Welthauptstadt Germania" sollten sich zwei Achsen in der Mitte der Stadt schneiden, im Schnittpunkt war eine zentrale Versammlungsstätte geplant. Die Ost-West-Achse (Unter den Linden - Brandenburger Tor - Kaiserdamm - Heerstraße) wurde 1939 an Hitlers 50.Geburtstag eingeweiht. Die Nord-Süd-Achse zwischen Südkreuz und Reichstag sollte von Hitlers Triumphbogen im Süden zu einem Kuppelbau im Norden führen, der "Halle des Volkes" im Spreebogen.


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180.000 Menschen sollten hierin Platz finden. Neben dem 320 Meter hohen Bau mit einer Betonkuppel hätte der Reichstag mit seinen 47 Metern Höhe wie ein Spielzeug gewirkt. Das monströse Bauwerk hätte aber auch außerordentliche Probleme mit sich gebracht: In der gigantischen Halle wäre womöglich das aus dem Atem der Besuchermasse entstehende Kondenswasser zum Regen innerhalb der Halle geworden. Um die Tragfähigkeit des sandigen Berliner Bodens für Monumentalbauten wie Triumphbogen und Große Halle zu prüfen, wurde in Tempelhof ein Schwerbelastungskörper gegossen, ein Betonzylinder, der den Druck auf den Untergrund simuliert.

Der Bau der "Große Halle" begann 1938, wurde dann aber während des Krieges 1942 eingestellt. Die Arbeitersiedlung "Große Halle" lag 18 km von dem Bau entfernt in Spandau. Geplant waren 25 Wohneinheiten aus je zwei Schlafgebäuden und einem Wirtschaftshaus, die u-förmig um einen Innenhof gruppiert waren. Hinzu kamen Handwerksstuben, Läden, eine Festhalle, Hand- und Fußballfelder sowie zwei Schwimmbecken. Es sind keine Monumentalbauten, sondern niedrige Bauten im Heimatstil zwischen märkischen Kiefern, eine "ästhetische Verschleierung des Lagers". Kurz vor Kriegbeginn wurde im Juli 1939 Richtfest gefeiert, bis Sommer 1942 wurde weiter gebaut. Insgesamt waren bis dahin neun Gebäude für 2.000 Arbeiter fertig gestellt worden. Angehörige des "Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps", dessen Fahrzeuge auf der "Speer-Platte" aufgestellt waren, zogen 1940 als erste in die Arbeitersiedlung ein. Als die Bauarbeiten an der "Großen Halle" eingestellt wurden, belegte man die Häuser der Arbeitersiedlung mit Zwangsarbeitern.

Nach Kriegsende übernahmen erst die Sowjets, dann die Briten die Arbeitersiedlung und nutzten sie als Kaserne. Doch schon im August 1945 wurde mit dem Aufbau eines evangelischen Krankenhauses begonnen, des heutigen Waldkrankenhauses Spandau. Es wurde in der Mitte des Geländes errichtet, die Bauten der Arbeitersiedlung wurden dadurch optisch an den Rand gedrängt. Sie sind heute in die Krankenhausorganisation funktional integriert und geben dadurch ihre Geschichte nicht preis. Diese Historie wird zwar nicht verschwiegen, aber nur sehr zurückhaltend gezeigt. Lagepläne fehlen, auf Wegweisern innerhalb des Geländes werden Erinnerungsorte nicht erwähnt. Die große Toranlage der ehemaligen Arbeitersiedlung ist 1978 abgerissen worden, jetzt hat der Besucher direkt die Krankenhausbauten im Blick, wenn er das Gelände betritt.

Im Zentralgebäude wird die Geschichte des Krankenhauses auf Schautafeln dargestellt. Hier finden sich das Bild eines Zwangsarbeiters als Anzugsträger, kurze Texte zur Arbeitersiedlung und ein plakatfüllendes Bild von Konrad Adenauer, der die Gründung des Krankenhauses unterstützt hat. Und dann gibt es noch im Arbeiterhaus 11 am südlichen Geländerand eine Ausstellung, die "bei entsprechender Anmeldung im Sekretariat des Verwaltungsdirektors" zugänglich ist, wie eine Tafel am Haus vermeldet. Eine Skulptur, die an die Zwangsarbeiter erinnert, steht im nördlichen Randbereich, auf sie wird nicht besonders hingewiesen. Spontan aufmerksam wird ein Besucher des Krankenhauses so nicht auf die Nazi-Geschichte, aber hier geht es ja um Gesundung und nicht um Eintauchen in die Vergangenheit. Und seien wir ehrlich: Viele Erinnerungsorte in der Stadt, seien es Bauten oder Plätze, öffnen ihre Geschichte nicht von allein, sondern erst, wenn wir nach ihrem Geheimnis suchen, sie erforschen und erkunden.

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