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Der Maler und die Industrie


Stadtteil: Pankow
Bereich: Weißensee Industrieviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Liebermannstraße
Datum: 27. April 2015
Bericht Nr: 504

Adolph Menzel malte realistisch. Das heroische, majestätische war ihm fern, obwohl er das gesellschaftliche, bürgerliche und großbürgerliche Leben und eine ganze Serie von Bildern über Friedrich den Großen malte. Zur Gründerzeit, kurz nach Gründung des Kaiserreiches, erarbeitete er in mehrjährigen Studien vor Ort in Schlesien das erste großformatige Industriegemälde in Deutschland, das den Produktionsprozess selbst in den Mittelpunkt stellt. Vorbei war die Zeit, als man Fabriken wie Schlösser in die Landschaft stellte und die rauchenden Schornsteine als Symbole des Fortschritts verklärte.

"Das Eisenwalzwerk" zeigt realistisch, naturalistisch, ohne Pathos oder Tendenz den typischen Arbeitsablauf bei der Herstellung von Eisenbahnschienen. Der Betrachter bekommt einen Eindruck von Hektik, schwerer Arbeit und Erschöpfung. Menzel malt die "Cyklopenwelt der modernen Technik", die Riesenschwungräder und Bänder und glühenden Blöcke und die arbeitenden Menschen, denen diese Technik sehr viel abverlangt.

Es war nahe liegend, dass ein Maschinenbauer, der selbst Malerei studiert hat, diese Ikone der Industriemalerei zur Werbung für seine eigenen Produkte einsetzte. Emil Ziehl bildete seinen Elektromotor auf einem Werbeplakat mit einem kleingewachsenen Mann mit Brille und weißen Bartkranz ab. Offensichtlich ist es Adolph Menzel, der hier die "Cyklopenwelt der modernen Technik" auf die Produkte der Ziehl-Abegg Elektrizitäts G.m.b.H. projizieren soll. Am Eingang des Fabrikgeländes in Weißensee, An der Industriebahn 12 wird diese Darstellung auch als Relief wiederholt. Dieses Bildwerk ist dort auch heute noch sichtbar, obwohl die Fabrikanlagen von der Sowjetischen Besatzungsmacht demontiert wurden und das Unternehmen aus Berlin abgewandert ist.



Über Adolf Menzel schrieb der Theaterkritiker Alfred Kerr: "Diese Gestalt, zu der jeder lebende Maler emporsieht, ist so klein, daß jeder normal gewachsene Mensch zu ihr hinabsieht. Menzel hat die Erscheinung eines Gnomen. Er scheint vorübergehend aus irgendeiner Bergspalte gekrochen zu sein. Sein Blick ist aber nicht heinzelmännisch. Er blickt streng; oder zumindest sehr fest; manchmal humoristisch. Der Kopf mit dem gewölbten, kahlen Oberbau und dem weißen Halsbart ist meist leise gesenkt, aber die bebrillten Augen emporgeschlagen"-

Ziehl-Abegg produzierte Spezialmotoren, die in Aufzügen, Luftschiffen und Flugzeugen verwendet wurden. Nach Zeichenschule und technischer Hochschule arbeitete Emil Ziehl bei der AEG und der Schwartzkopff-Maschinenfabrik. Er entwickelte den elektrischen Kreiselkompass und andere patentierte Maschinen. Am Standort der ehemaligen Rolandwerke in Weißensee gründete er seine eigene Fabrik, in der kurzzeitig der Schwede Abegg Teilhaber war. In der Straße An der Industriebahn ließ Ziehl neue Fertigungs- und Verwaltungsgebäude von dem Architekten Bruno Buch errichten, der in Weißensee auch für die Niles-Werke und die Kugellagerwerke Riebe gebaut hat.

Von Tegel nach Friedrichsfelde verlief die Industriebahn, die 1908 den Güterbahnhof Weißensee erreichte. Ein Jahr vorher hatte die Stadt ein Elektrizitätswerk übernommen und erweitert. Weißensee im damaligen Speckgürtel Berlins entwickelte sich dadurch zu einem Zentrum des Maschinen- und Apparatebaus. Für die sowjetische Besatzungsmacht war es daher nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht schwer, geeignete Fabriken für die Demontage auszusuchen und deren Maschinen in die Sowjetunion abzutransportieren. An diesem Industriequartier kann man Stadtgeschichte ablesen: Industrieansiedlung - technischer Fortschritt - Rüstungsproduktion - Zerschlagung und Demontage - Volkseigene Betriebe - Niedergang nach der Wende - Nachnutzung mit Kleingewerbe und Dienstleistungen.

An der Liebermannstraße wurden Kugellager gebaut, Karl Riebe, Betriebsleiter bei den „Deutschen Waffen- und Munitions-Fabriken“ (DWM), machte sich damit selbstständig. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete hier kurze Zeit Loewe Opta, danach stellte der "VEB Stern-Radio" hier Rundfunkgeräte her, überlebte aber die Wende nicht.

Die Niles-Werke produzierten seit 1898 Werkzeugmaschinen als Lizenznehmer eines amerikanischen Konzerns. Entlang der Gehringstraße, Neumagener Straße und der Straße An der Industriebahn beherrschen Niles-Bauten auch heute noch das ehemalige Industrie-Quartier. Fast hätte die Sowjetische Besatzungsmacht die Werke demontiert und gesprengt, aber auf Intervention des Magistrats wurde die Produktion wieder aufgenommen und später im Volkseigenen Betrieb "VEB Großdrehmaschinenbau '7. Oktober' Berlin" weitergeführt.

In diesem Weißenseer VEB Großdrehmaschinenbau war der DDR-Staatschef Walter Ulbricht nach dem 17.Juni 1953 das erste Mal öffentlich vor Arbeitern aufgetreten. Zu dem Volksaufstand vom 17.Juni 1953 - der Erhebung der Ost-Berliner Arbeiter - war es wegen der Erhöhung der Arbeitsnormen bei gleichzeitig verschlechterten Lebensbedingungen gekommen. Das Eingreifen der sowjetischen Panzer und die Verhaftungen durch die Stasi hatten weitere Empörung ausgelöst. So wurde Ulbricht von den Arbeitern mit Pfiffen und Johlen begrüßt, seine Mischung aus Selbstkritik und Drohungen kam nicht gut an. Die DDR-Nachrichtenagentur ADN veröffentlichte nach der Rede das Bild eines Brigadiers, der ungewöhnlich offen kritisierte: "Die zehn Punkte zur Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung haben bei uns großen Anklang gefunden. Die Hauptsache ist, dass der neue Kurs der Regierung nicht nur auf dem Papier steht. Wir werden Bebels Worte befolgen und mehr darauf achten, was getan wird als was geschrieben wird".

Einen weiteren Ausflug in die DDR-Geschichte machen wir, als wir die Neumagener Straße entlang schlendern. Auf einem Grundstück Richtung Berliner Straße steht ein typischer DDR-Wachturm, so wie er überall an der Mauer zu finden war. Hier gab es zwar keine Mauer, aber ein wichtiges Stasi-Objekt. Die Hauptabteilung Personenschutz der Staatssicherheit hatte 1953 das Fabrikgebäude an der Berliner Straße Ecke Liebermannstraße übernommen, an dem heute "Rathaus Weißensee" steht. Das Gebäude mit der ornamentalen Backsteinfassade war in der Nazi-Zeit für die Apparate-Werk Carl Otto Raspe (Askania-Haus) errichtet worden. Hier wurden Messapparate für die Luftwaffe produziert, nach Kriegsende haben die Sowjets die Fabrikanlage demontiert.



Seit die DDR-Führung aus Pankow nach Wandlitz umgezogen war, führte ihr Arbeitsweg ("Protokollstrecke") nicht nur am Thälmann-Denkmal, sondern auch an diesem Gebäude vorbei. Die Personenschützer der Stasi konnten von hier aus die Protokollstrecke überwachen und die Vielzahl von Spitzeln führen, die an den sicherheitsrelevanten Abschnitten wohnten oder arbeiteten. Die Bodyguards von Honecker, Mielke, Stoph und Genossen wurden von hier aus eingesetzt und die Motorradstaffel der Regierungseskorte war hier untergebracht. Und es gab noch mehr zu bewachen, denn als nach der Wende Mitglieder des Runden Tisches das Gebäude übernahmen, fanden sie ein großes Waffenlager der Stasi mit Handgranaten, Panzerfäusten, Maschinengewehren, Pistolen in acht Waffenkammern und in einem Bunker. Das "Wachregiment Feliks Dzierzynski" - militärischer Arm der Staatssicherheit - hatte hier im Hof eine Wachstube, und so wird wohl tatsächlich der Wachturm mit Posten besetzt worden sein, um "feindlich-negativer Personen" abzuwehren.

Vier Friedhöfe liegen als Cluster an der Piesporter Straße: Der jüdische Friedhof Adass Jisroel, der "kleine Bruder" des großen Jüdischen Friedhofs Weißensee. Angrenzend der aufgelassene Alte Friedhof Weißensee, gegenüber der Neue Friedhof Weißensee und der evangelische St.Bartholomäus-Friedhof.

Südlich des Industriestandorts Weißensee ist das ehemalige Säuglings- und Kinderkrankenhaus Weißensee zu einer Ruine verkommen. Zu den Bemühungen des Bürgermeisters Carl Woelck, Weißensee zu einer "besseren Wohngegend" zu machen, gehörte auch der Bau eines Kinderkrankenhauses. Die Säuglingssterblichkeit lag Anfang des 20.Jahrhunderts bei über zwanzig Prozent, in Berlin wurden mehrere Kinderkrankenhäuser geschaffen, um zu forschen und die Säuglinge und Kinder zu versorgen. Gemeindebaurat Carl James Bühring baute 1911 das Krankenhaus an der Hansastraße inmitten eines kleinen Parks. Ähnlich wie beim Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus wurde eine "Milchkuranstalt" mit einem Kuhstall, einer Molkerei und Anlagen zur Milchverarbeitung eingerichtet. Nach der Wende 1996 stillgelegt, kaufte es neun Jahre später ein russischer Investor, der aber das versprochene neue Gesundheitszentrum nie in Angriff nahm. Nach neunzehn Jahren Leerstand hat die Liegenschaftsverwaltung es immer noch nicht geschafft, das Gelände zu entwickeln. Baulich lohnt es ohnehin nicht mehr, die Stadt würde ein zerstörtes Gebäudeensemble zurück bekommen, das nur noch als Fotomotiv für „lost places“ taugt.

So bitter soll unser Spaziergang nicht enden. Wir erinnern uns, dass wir am Mirbachplatz bereits zweimal gut bedient worden sind und kehren für unser Flaniermahl dorthin zurück. Diese früheren Spaziergänge hatten am Mirbachplatz geendet: Weißenseer Bemühen und Das Lichterfelde des Ostens.

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Die Berliner Zeitung hat diesen Bericht in ihrem Artikel über den "Elektrozwerg mit Ähnlichkeit zu Adolph Menzel" zitiert und dabei auf unsere "verdienstvolle Heimatkunde-Internetseite" hingewiesen, siehe:
Berliner Zeitung "Geschichte am Straßenrand"

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Fliegender Yogi auf Friedensmission
Eine Steppe mitten in der Stadt