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Eine Kontaktverhinderungsstrategie


Stadtteil: Wedding
Bereich: Nordbahnviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Kattegatstraße
Datum: 21. Oktober 2019
Bericht Nr.: 672

Am S-Bahnhof Wollankstraße beginnt unseren heutigen Stadtrundgang im Nordbahnviertel. Kurz vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls ist der Fokus auf Grenzerfahrungen gerichtet, hier am Bahnhof sind wir mitten im Thema, denn die S-Bahn lag genau auf der Grenze, trennte die beiden Stadthälften. Unter dem Bahnsteig gibt es leer stehende Gewölbe, die nur von der südlichen Seite (damals West-Berlin) zugänglich sind. Hier haben Studenten im Januar 1962 einen Fluchttunnel gegraben, der nach 80 Metern einen Keller in der Ost-Berliner Schulzestraße erreichen sollte. Doch die Absicherung des Tunnels hielt den Erschütterungen durch den Bahnverkehr nicht stand, im Bahnsteig bildete sich mach drei Wochen ein Loch, der Tunnel war entdeckt, niemand ist hier geflohen.

Natürlich nutzte die DDR diese Entdeckung propagandistisch aus, behauptete, es sei versucht worden, Agenten in ihr Land zu schleusen und veröffentlichte eine handwerklich schlecht gemachte Fotomontage: Vor einem aufgemalten Tunnel kniet ein Tunnelbauer mit Bild-Zeitung in der Gesäßtasche, daneben steht gebückt Ernst Lemmer, westdeutscher Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, mit einem Bündel Westgeld in der Hand, neben ihm ein West-Berliner Polizist. Lemmers Arme sind unterschiedlich gekleidet, der Kopf ist unphysiologisch auf den Körper montiert, vor solchen Fehlern ist man auch heute in Zeiten von Photoshop nicht gefeit.


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Grenzbahnhof Wollankstraße
Die DDR hatte es echt schwer, ihre Grenze am Bahnhof Wollankstraße zu "schützen", nach dem Mauerbau wurde es ganz problematisch. Der Bahnhof selbst lag in Ost-Berlin, die Grenze verlief an der äußeren Gebäudekante auf der West-Berliner Nordbahnstraße. Ost-Berliner durften den Bahnhof nicht benutzen, deshalb wurden deren Ausgänge auf der gegenüberliegenden Bahnhofsseite gesperrt. Die Züge nach Waidmannslust, die im S-Bahnhof hielten, konnten nur von West-Berlinern genutzt werden. Wenn ein West-Berliner den ersten Schritt in den Bahnhof setzte, betrat er "exterritoriales" Ost-Berliner Gebiet. Das war skurril, aber unproblematisch, solange nur der Osten für den Zugbetrieb verantwortlich war.

Als die West-BVG 1984 das Management für die S-Bahn übernahm, wurde es kritischer. In den Zügen saßen West-Berliner Lokführer, auf dem Bahnhof aber standen Ost-Berliner Zugabfertiger, schließlich lag der Bahnhof im Osten. Damit die einen Berliner nicht mehr mit den anderen Berlinern redeten, musste sich die DDR nach ihrer Logik eine Kontaktverhinderungsstrategie ausdenken. An den Bahnsteig-Enden wurden jetzt Abfertigungsräume für die Ost-Mitarbeiter angebaut, von denen aus sie den Bahnsteig mit den West-Berlinern nicht betreten konnten bzw. durften.

Die übliche Zugabfertigung per Funk wäre ein unerwünschter Ost-West-Kontakt gewesen, deshalb wurden stattdessen Lichtsignalanlagen installiert, um die Zugführer zu informieren. Sah der Zugführer einen waagerechter Lichtstreifen (Zp 8), konnte er die Türen schließen, es folgte ein senkrechter Lichtstreifen (Zp 9) für Abfahren. Nach Verlassen des Bahnhofs konnten die Züge, in denen West-Berliner saßen, von den Ost-Berliner Zugabfertigern durch ein Notsignal und eine Zwangsbremsung angehalten werden. Damit der Ost-Mitarbeiter im Abfertigungsraum dem West-Mitarbeitern im Zug sagen konnte, was los ist, waren an den Notsignalen Lautsprecher angebracht. Kein direktes Gespräch war mehr möglich, ein Ungeist in deutscher Perfektion.

Gebietsreform 1938
In der NS-Zeit wurde in Berlin 1938 eine Gebietsreform vorgenommen, mit 15 Einzelmaßnahmen wurden Bezirksgrenzen untereinander verschoben. Den angestammten Bezirk mussten beispielsweise verlassen Eichkamp, Wilhelmsruh, Bohnsdorf, Oberschöneweide, Wuhlheide und Teile von Dahlem, Grunewald, Ruhleben. Die Änderung der Bezirksgrenzen betraf wesentlich mehr als einhunderttausend Einwohner. Nach dem "Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte" konnte der "Führer und Reichskanzler" städtebauliche Maßnahmen anordnen. In dem Gesetz waren weder die betroffenen Städte genannt noch die städtebaulichen Maßnahmen beschrieben, es ermöglichte diktatorische Eingriffe "bis hin zum legalisierten Verbrechen". Nicht nur in Berlin wurde durch Verordnungen und "Führererlasse" heftig davon Gebrauch gemacht.

Zuständig dafür war der "Generalbauinspektor" Albert Speer, der den "Ausbau der sogenannten Neugestaltungsstädte wie Berlin" übernommen hatte. "Berlin muß in kürzester Zeit durch seine bauliche Neugestaltung den ihm durch die Größe unseres Sieges zukommenden Ausdruck als Hauptstadt eines starken neuen Reiches erhalten" hatte Hitler ihm mitgegeben. Damit war klar, dass nicht nur städtebauliche Korrekturen gemeint waren, sondern gleichzeitig der Ausbau zur Reichshauptstadt "Germania" vorangetrieben werden sollte.

Die einzelnen Gebietsänderungen in Berlin werden heute überwiegend als reine Fakten genannt, ohne dass versucht wird, einen Sinn darin zu erkennen. So ist es auch mit dem Pankower Nordbahnviertel, das 1938 nach Wedding umgruppiert wurde, obwohl eine Pankower Seele in ihm schlug: "Dem Bezirk Wedding wurde 1938 der südwestliche Bereich der Gemarkung Pankow angegliedert", schreibt das Denkmalbuch Wedding lapidar.

Die Einwohner orientierten sich weiterhin nach Pankow, damit war nach dem Viermächtestatus Berlins nach dem Krieg Schluss. Das Nordbahnviertel wurde von der französischen Besatzungsmacht verwaltet, der Bezirk Pankow von der russischen. Ein Zeitzeuge berichtet, was man sich kaum vorstellen kann: "Einige tausend Bürger des Viertels forderten per Unterschriftensammlung die Wiedervereinigung mit Pankow". Aber wohl auch deswegen, "weil es im Osten ganz viel Fleisch und Brot gab – viel mehr als im Westen". Ein Seitenwechsel für persönliche Vorteile? Gottlob haben die meisten West-Berliner solchen Verlockungen widerstanden, sogar während der Blockade.

Nordbahnviertel
Der Bahnhof Wollankstraße wurde 1877 als Bedarfshaltestelle an der Nordbahn angelegt, die vom Nordbahnhof (vormals Stettiner Bahnhof) nach Stettin führte. Von der Nordbahn leitet sich der Name des Stadtquartiers zwischen Wollankstraße und Panke ab. Der Bauunternehmer Gustav Joachim erwarb das Terrain um 1890, parzellierte es und stellte einen Bebauungsplan auf. Sein Ziel war, im Vorgehen wie eine Terraingesellschaft ein Villenviertel zu etablieren, doch die Käufer der Grundstücke errichteten vornehmlich Mehrfamilienhäuser, wie sie in Vororten üblich waren.

So wurde auch sein eigenes Wohnhaus in der Kattegatstraße zu einem Mehrfamilienhaus mit villenähnlicher Anmutung. Es hat einen Vorgarten und unterbricht die Blockrandbebauung an einer Seite. Aus der asymmetrischen Straßenfassade tritt ein Eckturm hervor. Die vorschwingenden Balkone sind mit Statuen verziert. Eine Remise im Hof enthielt eine Kutscherwohnung und wurde als Wagenschuppen genutzt.

Gustav Joachim kam aus Waidmannslust. Auf einer Anhöhe über der Waidmannsluster Straße betrieb er seit 1886 das Kurhaus Bergschloss, ein burgartiges Gebäude mit Turm, Zinnen und Brüstungsmauern. Es war zunächst ein Erholungsheim mit Speisesaal und Badehaus. Später wurde es zur Ausflugsstätte. 1967 hat man das kriegsbeschädigte Gebäude abgerissen.

Lederfabrikation, Villa Römer
An der Wollankstraße ist inmitten von Wohnblöcken der 1970er Jahre die Villa eines Lederfabrikanten nahe der Panke erhalten geblieben. Seine Fabrik ist dagegen verschwunden. Bei der Veredlung von Tierhäuten zu Leder - dem Gerben - wird Wasser zum Einweichen der Felle und zum Auswaschen der Gerbstoffe gebraucht, deshalb sind Gerbereien immer an Wasserläufen errichtet worden. Durch Entwicklung von Gerbereimaschinen ab 1840 wurde die industrielle Produktion von Leder möglich, das Lederhandwerk stieg zum drittgrößten Gewerbezweig im Deutschen Reich auf. Wegen der starken Umweltbelastung und Wasserverschmutzung wurden die Gerbereien nach und nach aus der Stadt verbannt. Die Entwicklung von modernen Ersatzstoffen ließ die Lederproduktion schrumpfen.

An der Spree in Kreuzberg haben Lohmühlen Baumrinde zu Gerbstoffen gemahlen. Der rechte Flügel des Schlosses Bellevue am Spreeufer ist eine ehemalige Lederfabrik, die in den Schlossbau einbezogen wurde und damit sogar dessen Lage und Ausrichtung bestimmt hat. In Blankenfelde ist die "Alte Lederfabrik" an der Pankstraße sogar bis kurz nach der Wende in Betrieb gewesen. Und hier an der Panke ist mit der Villa Römer ein weiterer Hinweis auf die Lederproduktion in Berlin erhalten geblieben.

Zwei Wohnanlagen an der Wollankstraße
Noch vor Ende der Kaiserzeit hat der Architekt Carl Koeppen in der Wollankstraße zwei Wohnanlagen errichtet, die wohnreformerische Ansätze aufweisen, wie sie sonst erst in der Weimarer Republik üblich wurden. Das betrifft vor allem die großzügig bemessenen Wohnungen mit Balkons und Loggien und die Innenhöfe.

Für den "Vaterländischen Bauverein" entwarf Koeppen eine ausgedehnte Wohnzeile - die Posadowsky-Häuser - mit einem Mitteltrakt, der einen repräsentativen Ehrenhof umschließt. Dieser Bauverein war eine christlich-patriotische, kaisertreue Gesinnungsgemeinschaft, die mit preußischen Wohnungsbausubventionen finanziert wurde. In der Bernauer Straße gegenüber der Mauergedenkstätte hatte der Bauverein eine Wohnanlage mit sechs umbauten Höfen errichtet, in denen Zitate verschiedener Epochen vom Mittelalter bis zur wilhelminischen Zeit zu finden sind. Hier in der Wollankstraße ist es eine betont schlichte Fassade mit Balkons und Erkern. Ein Relief und ein Schriftband im Giebel wurden nach 1950 entfernt und durch den Namen des Vereins ersetzt.

Ganz anders der reich verzierte Backsteinbau etwas weiter nördlich an der Wollankstraße. Blumenranken, Stuckdekor, Sprossenfenster zeigen eher Elemente des Historismus. Der Innenhof ist ein großzügiger Gartenhof, von dem mehrere Aufgänge abgehen, die mit Backsteinumrandungen hervorgehoben sind. Der Durchgang durch das Haus ist öffentlich. Direkt nebenan befindet sich ein "Netto"-Einkaufsmarkt.


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Eine Kirche weicht einem Parkplatz
Auf dem Nachbargrundstück in der Wollankstraße 84 steht eine architektonisch anspruchslose "Netto"-Verkaufshalle mit einem zur Straße vorgelagerten Parkplatz. Auf diesem Grundstück war 1962 eine hölzerne "Behelfskirche" mit Glockenturm errichtet worden, weil durch den Mauerbau die Verbindung zur Pankower Martin-Luther-Kirchengemeinde verloren gegangen war. Die Behelfskirche war die Spende einer schwedischen Hilfsorganisation für deutsche Kinder, der die deutschstämmige Gräfin Lilly Hamilton vorstand. Die Hilfsorganisation war nicht unumstritten, weil sie parallel führende Nazis nach deren Flucht aus Deutschland unterstützte.

Die Behelfskirche war reparaturbedürftig, das Geld dafür fehlte der Kirchengemeinde. Im Jahr 2003 verkaufte daraufhin das evangelische Konsistorium das Kirchengrundstück und ließ die Behelfskirche abreißen. An der Stelle, an der die Kirche stand, parken jetzt die Kunden des Einkaufsmarkts. Die Kirchenbesucher waren über den Abriss ersetzt, ihnen fehlte der sakrale Ort, der Teil ihrer Identität als Gläubige geworden war, aber das Konsistorium fand den Abriss "nicht so dramatisch". Die sakrale Dimension wurde in der Kirchenverwaltung nicht verstanden, "das ist doch überhaupt keine Kirche, sondern nur ein maroder Behelfsbau", verlautbarte aus dem Konsistorium.

Französischer Friedhof
Von der Randwanderung der Friedhöfe blieb auch die Französische Gemeinde nicht verschont. Begräbnisstellen sollten aus hygienischen Gründen außerhalb der Stadt angelegt werden, deshalb zogen die Friedhöfe vor die Tore der Stadt, bis sie von der wachsenden Metropole eingeholt wurden und erneut weiter außerhalb neue entstanden. Die Französische Gemeinde legte ihren ersten Friedhof 1780 unmittelbar vor dem Oranienburger Tor an der Chausseestraße an. 1835 folgte der zweite Friedhof an der Liesenstraße. Beide Friedhöfe haben historisch und architektonisch bedeutsame Grabstätten.

Vor der Grenze Weddings wurde 1865 der dritte französische Friedhof an der Wollankstraße angelegt, um den herum in der Zwischenzeit das Nordbahnviertel am Rand der Panke erbaut wurde. Der Begräbnisplatz scheint sich gegenwärtig in Auflösung zu befinden. Er ist gepflegt, hat aber viele freie Flächen zwischen den verbliebenen Gräbern. Manche Grabsteine sind umgestürzt, Gräber zugewachsen. Der Charakter als Hugenottenfriedhof blieb erhalten, wie die französischen Namen auf den Grabsteinen bezeugen.


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Zwischen dem Französischen Friedhof und der Panke liegt in einer öffentlichen Parkanlage das "Franzosenbecken", ein Rückhaltebecken der Wasserwerke, das nach dem Friedhof benannt ist.

Steegerstraße
Die S-Bahngleise Richtung Bornholmer Straße werden bis zum "Nassen Dreieck" von der Steegerstraße flankiert. Namensgeber war der Pankower Grundbesitzer Fritz Steeger. Im Jahr 1973 lief im ZDF die Serie "Klimbim" an, Blödeleien, Sketche, Gags wurden in Nummernrevuen dargeboten und die Schauspielerin Ingrid Steeger begeisterte das Publikum mit erotische Anspielungen, frivolen Auftritten und aufreizender Kleidung. Im Juli 1973 wollten Klimbim-Fans die Blödelei auf die Steegerstraße ausdehnen und sie in Ingrid-Steeger-Straße umbenennen. Amtlich wurde das nicht, da kann man nur mit Ingrid Steeger singen: „Und ist es mal nicht wahr, dann mach ich mir ’nen Schlitz ins Kleid und find es wunderbar".

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Zarte Schleier niederrieselnden Wassers
Zuviel Fläche und zu wenig Räume