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Wieso ist die Bananenflanke krumm


Stadtteil: Mitte
Bereich: Dorotheenstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Dorotheenstraße
Datum: 9. Dezember 2013
Bericht Nr: 445

Der Boulevard Unter den Linden wird im Hintergrund - sozusagen "backstage" - begleitet von der Dorotheenstraße. Sie verläuft vom Reichstag bis zur Spree gegenüber der Museumsinsel. Die Flaniermeile Friedrichstraße wird von der Dorotheenstraße gekreuzt, doch weder vom Boulevard noch von der Flaniermeile fällt ein Abglanz auf die Dorotheenstraße, denn sie liegt hinter der Bühne. Sie verläuft nicht in einer Linie, sondern verspringt an der Charlottenstraße und an der Wilhelmstraße, weil an beiden Seiten später andere Straßen angedockt wurden. Sie ist einfach nur eine Parallelstraße oder Querstraße, mehr nicht. Dass sie immer "backstage" war, trug sie früher in ihrem Namen: im 17. und 18.Jahrhundert hieß sie "Hintergasse" und "Letzte Straße". Erst 1822 wurde sie nach der Ehefrau des Großen Kurfürsten benannt, die die Dorotheenstadt gegründet hat und an seiner Seite im Berliner Dom bestattet ist.

Die Dorotheenstadt ist 1674 als Stadterweiterung außerhalb der Festungsanlage als "Neustadt" angelegt worden. Auf diesen Namen bezieht sich die Neustädtische Kirchstraße, an der die Dorotheenstädtische Kirche lag. Heute ist dort an der Kreuzung mit der Dorotheenstraße eine innerstädtische Parkfläche, unter deren Grün die Grundmauern der Kirche und einige Grabstellen verborgen sind. Die Ruine der kriegsbeschädigten Kirche wurde zu DDR-Zeiten gesprengt. Nach der Wende gehörte das Gebiet zum Hochsicherheitstrakt um die US-Botschaft nach den Bombenanschlägen von 9/11 in New York. Nach dem Umzug der Amerikaner zum Pariser Platz konnten Archäologen noch schnell die Spuren der Kirche sichern, bevor der Ort als „Neustädtischer Kirchplatz“ planiert wurde.

Die Dorotheenstraße ist ein Ort der Wissenschaft. Hier schlägt sich ein Bogen von Robert Kochs Vortrag, mit dem er im Gebäude Ecke Wilhelmstraße die Entdeckung des Tbc-Bazillus bekannt gab, bis zum anderen Ende der Dorotheenstraße Ecke Am Kupfergraben, wo die (erste) Deutsche Physikalische Gesellschaft im Magnus-Haus ihren Sitz hat. Das Gebäude Nr.94-96 für die naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Institute der Königlichen Universität Berlin - in dem Robert Koch seinen epochemachenden Vortrag hielt - umfasst den ganzen Straßenblock an der Dorotheenstraße und Wilhelmstraße bis zum Reichstagufer. Die ausgebombte Seite am Ufer hat das Erste Deutsche Fernsehen mit seinem Hauptstadtstudio bebaut. Von hier aus sendet es seine Interviews mit dem majestätischen Blick auf den Reichstag im Hintergrund. Der holzgetäfelte große Hörsaal, in dem Robert Koch 1882 seine Entdeckung verkündete, war als Teil des Robert-Koch-Museums bis vor kurzem öffentlich zugänglich. Die Charité hat das Gebäude inzwischen verkauft und das Museum in seine anderen Bestände eingegliedert, der Vortragssaal ist nur noch für Events zugänglich.

Im Magnus-Haus Am Kupfergraben Ecke Dorotheenstraße hatte Gustav Heinrich Magnus ein physikalisches Kabinett eingerichtet, in dem er "physikalische Kolloquia" abhielt. Nach ihm ist ein Phänomen benannt, das die Ablenkung einer rotierenden Kugel durch eine Strömung beschreibt. Zur weiteren Erläuterung fragen Sie - wenn Sie mögen - einen Lehrer oder Physiker, oder lesen auf Welt-der-Physik nach ("Wieso ist die Bananenflanke krumm?").

Eine Ecke weiter, zwischen Universitäts- und Charlottenstraße, stand seit 1706 Berlins erste Sternwarte. Drei zusätzliche Geschosse für einen Turm von 27 Metern Höhe waren auf dem Nordgebäude eines Marstalls aufgestockt worden, der sich damals zwischen der Straße Unter den Linden und der Letzten Straße (der heutigen Dorotheenstraße) erstreckte. Hier arbeitete Berlins Turmsternwarte, bis auf Schinkels Anregung ein Neubau am Halleschen Tor errichtet wurde (1). Auf dem Gelände dieses Marstalls baute von Ihne ab 1903 die Deutsche Staatsbibliothek, zeitgleich erweiterte er den Alten Marstall hinter dem Schloss an der Breiten Straße (2).

Die erste Berliner Universitätsbibliothek (Haus Nr.28) war schon bald nach ihrer Fertigstellung 1884 zu klein, 1914 zog sie gegenüber in die Neue Königliche Bibliothek (später Staatsbibliothek und Universitätsbibliothek) um. Die alte Bibliothek ist architektonisch bemerkenswert: Der Backsteinbau zeigt im obersten Geschoss eine Rundbogengalerie, hinter der sich im Innern der gut belichtete Lesesaal befindet. Eine gusseiserne Haupttreppe mit filigranen Eisenpfeilern erschließt die Etagen. Eine schmale verglaste Galerie verbindet die beiden Gebäudeteile über den quadratischen Innenhof hinweg und sorgt auch hier geschickt für die notwendige Belichtung.

Auch die Post war mit zwei Bauten in der Dorotheenstraße vertreten, einem Postamt und dem Postscheckamt. Auf dem Grundstück Nr.29 war zunächst die Markthalle IV errichtet worden, eine von 14 historischen Markthallen, die in den 1880er Jahren als kommunale Einrichtungen geschaffen wurden, um die Versorgung zu sichern und hygienische Standards durchzusetzen (3). Das schmale Grundstück geht mit einem ausgedehnten Innenhof bis zum Reichstagufer durch. Nach 20 Jahren verkaufte der Berliner Magistrat das Grundstück an die Post, weil diese Markthalle nicht rentabel war. Jetzt entstand ein Neubau des Berliner Postscheckamts unter Verwendung von Gebäudeteilen der Markthalle. Dieses Amt war eine staatliche Bank nur für den bargeldlosen Zahlungsverkehr (Überweisungen, Schecks, Geldanweisungen). In dem Gebäude wurde der Massen-Geldverkehr im Deutschen Reich und in der DDR abgewickelt, dann kam 1996 die dritte Bestimmung für das Grundstück, es wurde Teil des Bundespresseamts. Für die staatliche Informationsvermittlung wurden diese Gebäudeteile einer Markthalle und eines Postscheckamts in einen größeren heterogenen Gebäudekomplex eingegliedert, dessen Hauptzugang sich am Reichstagufer befindet. Auch Plattenbau neben dem Markthallen-Postscheckamt – auf dem Grundstück eines ausgebombten Logengebäudes – wurde in das Bundespresseamt integriert.

Das Postamt NW7 in der Dorotheenstraße 62-66 hatte zunächst die Aufgaben eines Postscheckamts mit übernommen, wurde aber schon bald zu klein dafür. Deshalb wurde schon nach wenigen Jahren mit dem Bau des Postscheckamts auf dem Markthallengrundstück begonnen. Die Aufgaben der Stadtpost-Expedition verblieben dem Postamt, dessen Gebäude bis heute erhalten ist.

Manche alten Häuser sind mit Atlanten geschmückt, die auf ihren Schultern die Last des Gebäudes tragen oder mit ihrem weiblichen Gegenpart, den Kanephoren oder Karyatiden, die wie eine Säule Teile des Gebäudes stützen. Der Figurenschmuck an der Fassade kann aber auch konkret den Stolz des Bauherrn auf seinen Status und seine Tätigkeit zeigen (4). Der Betrachter ist dann aufgefordert, diese Codierung zu lesen, die Nachricht zu entschlüsseln. Eine solche Skulptur finden wir an der Fassade des Hauses Nummer 26, das von der Humboldt-Uni genutzt wird. Ein alter Mann mit viel Bart und wenig Kopfhaar schaut intensiv auf einen Folianten, ein großformatiges Buch, das er in seinem Arm hält. Ein Mann des Geistes, ein Forscher, ein Wissenschaftler, würde man angesichts der akademischen Nutzung des Gebäudes schnell erkennen. Doch das wäre ein Fehlschluss, erbaut wurde dieses Gebäude von der Industrie- und Handelskammer. Die zweite Figur auf der Balustrade ist ein Mann mit Werkzeugen, hier werden offensichtlich Handel (der Kaufmann mit seinem Folianten) und Industrie (der Arbeiter mit dem Werkzeug) dargestellt, die Themen des Bauherrn.

Am ehemaligen Hotel Splendid (Haus Nr.37) scheinen die Atlanten und Karyatiden über dem Erdgeschoss ihre Last nicht mehr lange tragen zu können, zu tief hängen sie bereits über dem Bürgersteig. Drei Etagen darüber enthüllen die weiblichen Skulpturen ihre Körper in koketten Bewegungen, sie scheinen von dem drohenden Absturz noch nichts zu spüren. Zwei Büsten mit kolonialen Motiven ergänzen an den Seiten die üppige, überladene Fassade. Hier konnte sich der nachempfundene Barock noch einmal voll entfalten, bald war es mit dem Historismus vorbei.

Wohnhäuser, Geschäftshäuser, Theater, Banken, Botschaften, ein Hotel, das Reichsinnenministerium, ein Finanzamt ("Steuerverwaltungsgebäude"), wer will, kann noch viel mehr entdecken in der Dorotheenstraße.
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Zu diesem Bericht gibt es einen Forumsbeitrag: Mitte, Dorotheenstraße (9.12.2013)

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(1) Mehr über Berlins Sternwarten: Sternwarte
(2) Marstall hinter dem Schloss an der Breiten Straße: Zerlegt - versetzt - wieder aufgebaut
(3) Mehr über Markthallen: Markthallen
(4) Weiteres Beispiel von "kodiertem" Fassadenschmuck: Konsumgenossenschaft: Rittergut Lichtenberg



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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Ständiges Lichtfestival
Aufstieg und Fall (in) der Wilhelmstraße