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Unwillige Bürger in der Residenzstadt


Stadtteil: Mitte
Bereich: Museumsinsel, Fischerinsel
Stadtplanaufruf: Berlin, Friedrichsgracht
Datum: 27. Dezember 2010

Berlin sollte eine vorzeigbare Stadt werden, so wie Paris oder London, hatte sich der Große Kurfürst vorgenommen. der 1640 kurz vor Ende des Dreißigjährigen Krieges die Regentschaft übernommen hatte. Berlins Einwohnerzahl hatte sich während des Krieges auf 6.000 halbiert, die Stadt stank zum Himmel, weil Kot und Unrat auf der Straße ausgeschüttet und abgeladen wurden, nachts war es finster in den Gassen. Doch sein Versuch, den Bürgern das Handeln aufzudrücken, mit dem der Fortschritt erreicht werden sollte, erzeugte einen heftigen Unwillen. Bis heute gilt, dass die Lebenswirklichkeit kaum durch Gesetze zu verändern ist, wenn die Menschen nicht motiviert sind und dass staatlicher Zwang nicht zur Motivation beiträgt. Hinzu kam, dass die Kosten einseitig den Hauseigentümern der Residenzstraßen aufgedrückt wurden. So sind aus den vielen kurfürstlichen Verordnungen die am spannendsten, die sich mit den "frevelhaften Unterfangen", dem "säuischen Wesen", den Unflätigkeiten, dem Hohn und Spott seiner Bürger über das kurfürstliche Verlangen beschäftigen. Erstaunlich hieran ist, wie ausführlich die Freveltaten beschrieben sind und mit welch heftigen Worten sie angeprangert werden. Man kann den Eindruck bekommen, dass falsche Gedanken unter Strafe gestellt werden sollten. Die preußische Verordnungswut und der Hang zur Bürokratie werden deutlich, wenn man sich näher in Edikte seiner Regierungszeit einliest, die beispielsweise verbieten, "wider die Feuerkasse zu sprechen" (die er eingeführt hatte) oder vorschreiben, "wie es in denen Königl. Landen mit der Trauer gehalten werden soll" oder dass "Dienst-Mägde und gantz gemeine Weibes-Leute, sowohl Christen als Juden keine seidene Röcke, Camisöler und Lätze tragen sollen".

Für die Straßenbeleuchtung wurde 1682 angeordnet, dass die Bürger an jedem dritten Haus eine Laterne heraushängen und für ihre Beleuchtung und Pflege sorgen sollten. Doch die Bürger widersetzten sich insgeheim, hängten keine Laternen heraus, zündeten nicht mit der gebotenen Hingabe die Lichter an oder pflegten die Laternen nicht. Schon vier Jahre später sah der Große Kurfürst ein, dass mit seinem guten Willen allein die Stadt nicht heller wird, deshalb ließ er Straßenlaternen aufstellen und durch Laternenanzünder bedienen, denen ein Inspektor der Stadtleuchten vorstand. Doch nicht nur, dass nun Docht oder Öl gestohlen wurden, in einer Verlautbarung werden die Übergriffe auf die Lampen mit Strafe bedroht, als da sind "Zerschlagung der Gläser mit Stein- und Schneeball-Einwerfen, Stöcken oder andern Instrumenten, Einhauung und Zersplitterung der Laternenpfähle, die Laternen gar diebischer Weise abzubrechen und zu entwenden, gedruckte oder geschriebene Zettel anzukleben oder anzunageln, Unreinigkeit und Schutt auszugießen, die Laternen zu öffnen um Tobaks-Pfeifen, Fackeln oder Licht daran anzuzünden oder die Pfähle anzufahren".

Laternenanzünder gab es auch noch, als die Straßenbeleuchtung auf Gas und auf Strom umgestellt wurde. Erst in den 1920er Jahren wurde der Beruf überflüssig, als man Laternen von der Zentrale aus durch einen Impuls steuern konnte.

Ähnlich ging es dem Großen Kurfürsten 1660 bei seinem Versuch, die Sauberhaltung der Straßen durch eine Brunnen- und Gassenordnung den Hauseigentümern und Anliegern aufzuerlegen. "Es ist nichts schändlicher, als wenn die Leute groß und klein ihre Nachttuben (Nachttöpfe) auf die Straßen, an die Häuser und Mauern, an Brunnen oder Märkten ausgießen, solch säuisches Wesen, solche Unflätigkeiten sind nicht zu dulden" befand der Kurfürst und ordnete an, dass ein Gassenmeister täglich den Unrat auf einen Karren laden und abfahren sollte, die Anlieger waren für das Fegen der Straße bis zur Straßenmitte verantwortlich. Auch die Pflasterung dieses Bereichs mussten sie aus eignen Mittel vornehmen lassen. Schweineställe vor den Häusern sollten wegen "einigen Gestanks" von öffentlichen Gassen weggeschafft werden. Mist und Müll durfte wegen Platzmangels in den Häusern auf die Gasse hingeschüttet werden, wenn es dem Gassenmeister angesagt wurde, der es am gleichen Tag wegbrachte. Der Hauswirt musste den Müll zusammen bringen lassen, so dass der Gassenmeister, wenn er mit dem Karren kommt, ihn nur noch aufladen muss. Der Gassenmeister sollte "in seinem Dienst fleißig sein, sich des Vollsaufens enthalten, damit er nichts versäume", er bekam bis zu 1 Groschen und 6 Pfennige pro Karre von den Hauseigentümern.

Es gab eine weitere Verordnung, dass Bürger "sich der Gassenordnung nicht entziehen, sondern derselben gehorsamst nachleben sollen". Wer in heimlicher Weise Mist, Müll oder Kot auf die Gasse schüttet, soll mit Gefängnis und bei Wiederholung mit dem Pranger bestraft werden. Verfolgt wurde auch das frevelhafte Unterfangen, Straßenbäume oder Weinstöcke zu beschädigen oder zu behauen. Der Gassenmeister hatte ein Monopol, kein Fuhrmann sollte sich an dem Unrat bereichern, den der Gassenmeister abzufahren hat. Über das Ansehen dieses Berufsstands gibt beredt die Anordnung Auskunft, die es bei 10 Taler Strafe verbietet, den Gassenmeister bei seiner ehrlichen Verrichtung zu schimpfen, höhnen oder verspotten. Ungnädiges Missfallen der regierenden kurfürstlichen Durchlaucht erregte auch das Verhalten, "als obs gleichsam zum Zierrat gereicht, gleich nach dem Abfahren des Unrats, Unflätigkeiten aus dem Haus zu tragen und recht mitten auf die Gassen und die Fahrwege zu schütten". Verbittert hat es den Monarchen, dass vor seinem Schloss in den Spreearm "ungeachtet des ernstlichen Gebots Müll und Auskehricht geschüttet wird". Bereits 1680 wurde die Aufgabe des Gassenmeisters staatlichen Stellen übergeben, ab 1848 wurde das Fegen und Sprengen der Bürgersteige und Straßen erst der Stadtgemeinde, dann der Feuerwehr übertragen, schließlich erfolgte 1875 die Straßenreinigung in kommunaler Selbstverwaltung.

Für einen weiteren Plan des Großen Kurfürsten wurden die Bürger regelrecht zu Frondiensten gezwungen, mussten Arbeitskraft und Material hergeben. Als Furcht vor einer weiteren Auseinandersetzung wie dem Dreißigjährigen Krieg wurde ab 1658 mit großem Aufwand ein massiver sternförmiger Befestigungsring um die Doppelstadt Berlin-Cölln errichtet. Dieser Festungsbau war bereits bei Fertigstellung aufgrund der höheren Reichweite der Geschütze strategisch überholt, er musste nie zur Verteidigung der Residenzstadt Berlin eingesetzt werden und ist ab 1734 wieder abgetragen worden. Hackescher Markt, Hausvogteiplatz und Spittelmarkt sind ehemalige Bastionen - die Sternspitzen der Festungsanlage -. Weitere Bastionen waren die heutigen Standorte des Märkischen Museums, der Hedwigskirche und Bereiche hinter der Neuen Wache, der Klosterkirche und dem Lustgarten.

Beide Themen - die Straßenreinigung und die ehemaligen Bastionen - begleiten uns auf unserem heutigen Stadtrundgang, den wir unter das Motto "Schnee in Berlin" gestellt haben. Zum zweiten Mal in Folge ist ein heftiger kalter schneereicher Winter über die Stadt gekommen, und die Schwierigkeiten, mit Schnee und Eis fertig zu werden, sind überall sichtbar. Wir haben uns die Fischerinsel zum Ziel genommen.

Dort, wo früher das Gertrauden-Hospital und das Gertraudentor standen, jagen Mäuse an dem Fries auf der Statue der Heiligen Gertrud entlang. Sie war eine barmherzige Frau, als Heilige schützt sie auch vor Mäuseplagen, Kammerjäger werden sich darüber nicht freuen. Von dem Denkmal aus blickt man auf die Jungfernbrücke (Spreegassenbrücke), die über den Spreearm hinweg Oberwasserstraße und Friedrichsgracht miteinander verbindet und die älteste noch erhaltene Brücke Berlins ist. Vorgängerin dieser Klappbrücke war bis 1798 eine hölzerne Zugbrücke.

Die Jungfernbrücke ist eine "Aufzieh-Brücke mit zwey Flügeln nach Berlinischer Arth". Diese Funktion hatten 1800 im Berlin-Cöllner Stadtgebiet 15 Brücken, die von Hand aufgezogen wurden, um den Segelschiffen die Durchfahrt über die Spree zu ermöglichen. Nachts wurde der Fluss an der Stadtgrenze an beiden Enden mit Schwimmbäumen gesichert, die "Oberbaumbrücke" in Kreuzberg verweist heute noch auf diese Funktion. Die Unterbaumbrücke lag am Schönhauser Graben, der später im Spandauer Schifffahrtskanal nahe dem heutigen Hauptbahnhof aufgegangen ist. Die Kronprinzenbrücke verbindet die Konrad-Adenauer-Straße (an der die Bundestags-Kita liegt) mit der "Unterbaumstraße" und gibt sich damit als Nachfolgerin der Unterbaumbrücke zu erkennen. Der Schönhauser Graben wurde von Eosander angelegt, um Gondelfahrten zwischen den königlichen Schlössern in Niederschönhausen, in Charlottenburg und dem Berliner Stadtschloss möglich zu machen, bis zum Wedding wurde die Panke entsprechend ausgebaut. Der durch den Invalidenpark und das Gelände der Tierärztlichen Hochschule geleitet klägliche Rest der Panke soll jetzt wieder reaktiviert werden, wenn die Neubauten des Bundesnachrichtendiensts fertig gestellt sind.

Der Schloßplatz ist flächig weiß, von einem Schloss keine Spur. Auf dem Gendarmenmarkt flackert der Weihnachtsmarkt noch einmal auf, über der Museumsinsel wie überall ist der Himmel verhangen.

Die Weidendammer Brücke, die einen repräsentativen Blick auf das Bodemuseum bietet, ist mit dem geschmiedeten Geländer, den Kandelabern und der Kaiserkrone auf dem Kopf des preußischen Adlers ein kunstvoll geschmückter Brückenbau. 1871 entstand mit der Krönung Wilhelms I. in Versailles das deutsche Reich neu, nur wurde ihm damals keine Kaiserkrone aufgesetzt, diese hat es nie gegeben. Der Kaiser wurde also nicht "gekrönt", sondern nur "proklamiert". Die Krone an der Weidendammer Brücke war ursprünglich nach einem nie verwirklichten Kronen-Entwurf gestaltet worden und ging irgendwann bei Restaurierungs- und Umbauarbeiten der Brücke verloren, wahrscheinlich zu DDR-Zeiten. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die DDR, die das kaiserliche Stadtschloss sprengte, später an anderer Stelle Insignien des Kaisers wieder erneuern würde? Im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm hatte man die Krone 1985 an der Theaterdecke als Stuckelement entdeckt und sie danach neu geschmiedet und angebracht.

Vietnamesisch ist unser letztes Flaneuressen in diesem Jahr, direkt am Bahnhof Friedrichstraße in der Georgenstraße schnappen dicke Fische in einem künstlichen Bach nach Luft. Das Essen ist in Ordnung, wir sind zufrieden.


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