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Kriegerische Vergangenheit einer Straße


Stadtteil: Mitte
Bereich: Spandauer Vorstadt
Stadtplanaufruf: Berlin, Linienstraße
Datum: 11. März 2019
Bericht Nr.: 649

Die Mutter aller Brandwachen, Berlins ältestes Feuerwehrgebäude, steht am westlichen Ende der Linienstraße nahe der Friedrichstraße. 1851 wurde die Berufsfeuerwehr als Institution geschaffen und damit eine neue Bauaufgabe, das Gebäude in der Linienstraße wurde zum Modell für nachfolgende Bauten. Seit 1859 bis heute sind hinter den Rundbogen-Toren die Einsatzfahrzeuge aufgereiht. Zu Anfang wurden sie von Pferden gezogen, die in Ställen in Hofgebäuden untergebracht waren. Die beiden Obergeschosse des Hauptgebäudes dienten als Unterkünfte für die Feuerwehrleute.

Die Entstehung der Linienstraße
Damit sich der Angreifer nicht vor einer Festung niederlassen konnte, wurde "in gebührendem Abstand" vor der Festung - also außerhalb der Reichweite eines Kanonenschusses - ein Wall angelegt, der aus Palisaden, Sturmpfählen und Wassergraben bestehen konnte. Diese Circumvallationslinie schützte als fortlaufende Linienbefestigung den Zugang zur eigentlichen Festung. Eine solche Linie erstreckte sich seit 1705 dort, wo heute die Linienstraße verläuft. Auf einen Wassergraben weist die kreuzende Tucholskystraße hin, die ab 1705 "Wassergasse" hieß. Die Festungsmauer und das Spandauer Tor nahe dem Hackeschen Markt waren 600 Meter entfernt.

In den 1730er Jahren ließ der Soldatenkönig die Befestigungen auf den Bereich der heutigen Torstraße verschieben und mit Stadttoren versehen. Auch diese Akzisemauer (Zollmauer) bestand zunächst aus hölzernen Palisaden. Fünfzig Jahre später wurden die Palisaden durch Mauerwerk ersetzt. Mit der Akzisemauer wurden die Zolleinnahmen für Wareneinfuhren in die Stadt gesichert. Gleichzeitig wurden Deserteure daran gehindert, sich von dem Waffendienst in der Stadt abzusetzen.

Die Spandauer Vorstadt entwickelt sich
Die Bebauung der Spandauer Vorstadt nördlich der Berliner Altstadt wurde durch die Anlage eines Friedhofs angeregt und durch den Bau einer Kirche beschleunigt. In unbebautem Gebiet vor der Stadt entstand 1672 der Jüdische Friedhof in der heutigen Großen Hamburger Straße. Ab 1709 durften Juden nur durch das Rosenthaler Tor die Stadt betreten, ab 1750 war es stattdessen das Prenzlauer Tor. (Manchmal wird zusätzlich das Hallesche Tor im Süden der Stadt genannt). Im Bereich um den Friedhof bildete sich ein jüdisches Viertel.

Die Sophienkirche in der gleichnamigen Straße wurde als Pfarrkirche 1713 erbaut. Die Bewohner der Spandauer Vorstadt hatten die Königin Sophie Luise um Unterstützung ersucht, ein Zeichen dafür, dass die Vorstadt innerhalb kurzer Zeit stark gewachsen war.

Häuser in der Linienstraße
Am Feuerwehrhaus ist der Fassadenputz in Quader eingeteilt, eine Form, die von italienischen Palazzi abgeleitet wurde. Auch ein Wohnhaus Ecke Kleine Hamburger Straße zeigt diese Quader in der Fassade. Mehrere andere Häuser weisen einen fein ausgearbeiteten Ornamentfries auf. Viele Fassaden zitieren klassizistische Vorbilder, sie sind oft während Schinkels Lebenszeit (bis 1841) entstanden.


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Die ältesten denkmalgeschützten Häuser in der Linienstraße wurden 1796 erbaut. Historische Baudetails wie Treppenhäuser, Türen, Fußböden oder Wohnungsgliederungen sind leider nicht öffentlich zugänglich. Auch interessante Innenhöfe mit Remisen und Gewerbebauten bleiben uns oft verschlossen.

Eine Backsteinfassade hebt sich aus der Front der Putzbauten hervor. Das Gewölbe über der Durchfahrt verweist auf gotische Formen. Der Bau aus gelben Klinkern ist mit roten Ziegeln an den Fensterumrandungen abgesetzt, als Bänder und Ornamente gliedern und schmücken sie die Fassade. Auf dem Hof ist ein rechteckiger Schornstein erhalten geblieben. Ein gleichartiger Rauchabzug auf dem Hof eines benachbarten Grundstücks diente einer Zinkgießerei.

Die von Hans Poelzig geschaffenen Bauten in der Umgebung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz reichen vom Kino Babylon bis zur Linienstraße heran. Sieben Eckbauten waren es insgesamt, nur zwei Häuser blieben erhalten. Sie zeigen die Kraft eines architektonischen Entwurfs, bei dem die Eckbalkone den abgerundeten Fassaden folgen. Das sind sanfte, gefällige Formen, wie sie sich beispielsweise auch bei Erich Mendelsohns Wohnbauten auf der Rückseite der Schaubühne finden.


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Noch mehr Linienstraße: Frühere Spaziergänge
In der Linienstraße kommen besonders auf der Höhe Joachimstraße DDR-Plattenbauten ins Blickfeld, die zwischen Altbauten eingefügt wurden. Die Standardmaße der Platten passten kaum einmal genau in die Lücke. Man behalf sich damit, dass man den entstehenden Spalt durch vorgesetzte Elemente kaschierte, dahinter war einfach nichts, nur Luft und Leere. Viele Quadratmeter Wohnfläche sind dadurch verloren gegangen.

Diese Unzulänglichkeiten und andere markante Punkte der Linienstraße haben wir bereits auf früheren Spaziergängen beschrieben, auf sie soll hier nur kurz hingewiesen werden:

Der Koppenplatz mit seiner eindrücklichen Installation "Der verlassene Raum", die die Deportation von Juden mitten aus ihrem Alltag heraus fühlbar macht. Auf dem Parkett eines Wohnzimmers steht ein Tisch und ein Stuhl, ein weiterer Stuhl ist umgeworfen, wie es beim hastigen Verlassen eines Raumes passiert.

Das Königliche Leihamt, eine öffentliche Institution zur Beleihung und vielfach auch Versilberung von Wertgegenständen. Aus den Überschüssen des Leihhauses wurden unverheirateten Töchter von Offizieren und Beamten unterstützt.

Der Garnisonfriedhof, Berlins ältester Militärfriedhof, auf dem vor allem Offiziere liegen, die in der Zeit der Befreiungskriege daran mitwirkten, die napoleonische Besatzung abzuschütteln. Mehrere Grabmale auf dem Friedhof sind nach Entwürfen oder Ideen von Karl Friedrich Schinkel gestaltet.

An manche Hauswände ist in Augenhöhe eine gelbe Banane gesprüht. Mit diesen Graffiti markiert der "Bananensprayer" besondere Orte der Kunstvermittlung. Die so ausgezeichneten Galerien und Museen empfinden sie nicht als Sachbeschädigung, sondern als Ehre. Ob da manchmal eine Galerie auf die Idee kommt, selbst zur Sprühflasche zu greifen?


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Viele Ladentüren werden durch standardisierte gusseiserne Säulen eingefasst, erkennbar an der Mittelrosette und den Kanneluren (Rillen). Der Siegeszug dieses Bauelements ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Eisengießereien im "Feuerland" am westlichen Ende der Torstraße zu Hause waren.

Der Linienhof, ein Projekt selbstbestimmten Bewohnens und Arbeitens, hatte vor neun Jahren noch selbstbewusst an der Fassade den Investoren verkündet: "Baut Euer Haus woanders! Linienhof bleibt". Inzwischen ist das Nachbargrundstück in der Kleinen Rosenthaler Straße neu bebaut, die dort arbeitende selbstverwaltete Metallwerkstatt hat in Treptow eine neue Heimat gefunden. Das heruntergekommene Eckhaus Linienstraße 206 - das letzte besetzte Haus in Mitte - mit seiner abgewirtschafteten Fassade aus der Vorwendezeit ist seit der Räumung 2016 unbewohnt und dämmert vor sich hin.

Die katholische Kirche St. Adalbert ist in die Blockrandbebauung der Linienstraße eingezwängt. Der Bau ist architektonisch kraftvoll, mit vertikalen Fensterschlitzen himmelsstrebend, ähnlich wie die Elektrizitätsversorgung-Bauten von Hans-Heinrich Müller. Die Kirche ist für mich ein "Umspannwerk Gottes".

Ihr gegenüber steht ein Schulbau des Berliner Stadtbaurats Ludwig Hoffmann. Zwar hat er sich mit seinen schmuckvollen neubarocken Formen von den manchmal als dröge empfundenen Backsteinbauten seines Vorgängers Hermann Blankenstein gelöst. Doch auf dessen Markenzeichen mochte er an diesem Bau nicht verzichten, einen Berliner Bären als Wappen über dem Portal. Hoffmann hat das Wappen auf seine Weise umgestaltet, er lässt es von einer Putte mit Helm und Rüstung halten. Vielleicht eine Reminiszenz an die kriegerische Vergangenheit der Linienstraße?

Ein spezieller Verkehrsweg
Die Linienstraße soll jetzt zu dem werden, was sie bereits seit 10 Jahren ist. Paradox? Sie ist eine Fahrradstraße, auf der Radfahrer nebeneinander fahren dürfen. Motorfahrzeuge sind nur als Anlieger erlaubt, der Durchgangsverkehr muss draußen bleiben. Dass hier andere Regeln gelten, ist manchem Autofahrer nicht bewusst oder er hält sich absichtlich nicht daran.

Jetzt soll ein 25 Zentimeter breiter grüner Strich auf die Mitte der Fahrbahn gemalt werden. Kreuzungen erhalten große rote Flächen. Die Linienstraße hat dann Vorfahrt, nur nicht an den beiden kreuzenden Hauptstraßen. Eine Fahrradstraße der Zukunft? Man wird sehen. Bei unserem Rundgang am Vormittag haben wir außer dem Lieferverkehr nicht viele fahrende Autos gesehen, aber auch wenige Fahrräder.

Am Ende eine Harlekinade
Die Linienstraße endet hinter einem unbenannten kleinen Stadtplatz. Dort steht eine unzusammenhängende Schar von Skulpturen, der Soldatenkönig mit dickem Bauch, die antifaschistische Widerstandsgruppe Herbert Braun, die Interbrigadisten. Das sind "Fragmente aus dem Keller der Geschichte". Es ist kein Mahnmal, kein Denkmal, es ergibt keinen Sinn, sondern ist eine Harlekinade, eine Clownerie mit Versatzstücken der Historie.


Vor dem immer wieder einsetzenden Regen können wir uns zum Schluss in ein Café flüchten. Auf dem Rückweg bin ich dann doch noch heftig eingeregnet, weil ich mich trotzig weigerte, den inzwischen perfekt verstauten Regenschirm wieder auszupacken.

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Unsere Route:
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Späte Wiedergutmachung