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Goodbye Lenin


Stadtbezirk: Mitte
Bereich: Unter den Linden
Stadtplanaufruf: Berlin, Unter den Linden
Datum: 24. November 2011

Eine Ausstellung über "Macht, Pracht und Herrlichkeit" kann man derzeit in der Russischen Botschaft Unter den Linden sehen. Dass sich die Botschaft für die Berliner öffnet, ist für uns überraschend, auch die Krönung des Zaren Alexander II. von 1856 hätten wir nicht unbedingt an diesem Ort als Thema einer Kunstausstellung erwartet. Der Zugang zur Botschaft ist erstaunlich unkompliziert, die vorher per Mail eingesandten Namen werden aufgerufen, ohne Personen- und Sicherheitskontrolle betritt man das Gebäude. Und was für ein Gebäude! Ein historischer Ort und ein in seiner Pracht beeindruckendes Inneres.

Im Spiegelsaal Hammer und Sichel in Gold an den Kapitellen der Wandpfeiler, Reihen von Lüstern lassen den Raum erstrahlen. Viel Gold schmückt den Bau, vom äußeren Eingangsportal angefangen bis zur Innengestaltung der Räume. Alle Festräume zusammen sollen 1.500 qm umfassen, sie sind ausgestattet mit Säulen, Stuckdecken, Wandvertäfelungen, Parkettfußböden und viel Marmor. Das Fenster des 24 Meter hohen Kuppelsaals wirkt mit seinem Buntglasmosaik wie ein Kirchenfenster. Es zeigt den Erlöserturm, den höchsten Turm des Kremls. Die eingearbeitete Uhr geht wirklich, sie imitiert den Glockenschlag des Originals. Allerdings zeigt sie die "falsche" Zeit, wie ein Besucher bemerkt - nicht die Moskauer, sondern die Berliner Stunde wird geschlagen.

Der Kuppelsaal liegt in dem turmartigen Mittelteil des Botschaftsgebäudes, das sich mit der Bauhöhe und dem eingezogenen Eingangsbereich über das historische Lindenstatut hinwegsetzt. Um die Prachtstraße gegen Verunstaltung zu schützen, wurde 1880 mit einer Bauverordnung die Gebäudehöhe auf 22 Meter festgelegt und eine Blockrandbebauung vorgeschrieben. Die Sowjets als Siegermacht fühlten sich an Bauvorschriften nicht gebunden. In Siegerpose verwendeten sie auch Hinterlassenschaften des Dritten Reiches in dem Botschaftsgebäude. Lampen aus Hitlers Reichskanzlei sollen in einem Botschaftszimmer hängen, mit dem Adler nach unten statt nach oben. Und für die breite Treppe vom Vestibül ins Obergeschoss wurden Steine verwendet, die eigentlich für ein Siegerdenkmal Hitlers in Moskau (nach dem Sieg über die Sowjetunion) vorgesehen waren. Finnland war 1939 von der Sowjetunion angegriffen worden ("Winterkrieg"), der Krieg endete 1940 mit einem Friedensschluss in Moskau. Der finnische Oberbefehlshaber hatte später bei einem Treffen mit Hitler diesem mit Hinterlist die Steine mit dieser Zweckbestimmung geschenkt.

Die Botschaft hat auf diesem Grundstück Unter den Linden eine lange Tradition. 1837 kaufte Zar Nikolaus l. ein bestehendes Palais und baute es für die neue Zweckbestimmung um. Nur während des Ersten Weltkriegs war es geschlossen, beide Länder führten Krieg miteinander. Danach bis Juni 1941 war die Botschaft wieder ein kultureller Anziehungspunkt und ein gastfreundliches Haus. Die beiden Männer, die dann den Schlusspunkt setzten, überlebten beide die politischen Veränderungen nicht. Der deutsche Außenminister Ribbentrop übergab dem sowjetischen Botschafter Dekanosow am 22.6.1941 die Kriegserklärung, Ribbentrop wurde 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet, Dekanosow unter Beria vom Sowjetischen Geheimdienst erschossen. Das Botschaftsgebäude wurde nach der Schließung von den Nazis für das "Reichsministerium für die deutschen Ostgebiete" genutzt, bis es 1944 durch Bomben zerstört wurde.

Vier Jahre nach Kriegsende bauten die Sowjets ein neues Botschaftsgebäude im neoklassizistischen Stil, das gleichzeitig als Anschauungsobjekt für "sozialistische" Bauten - insbesondere an der Stalinallee - dienen konnte. Mit Säulen über drei Etagen - einer "Kolossalordnung" - und der strengen Gliederung der Werksteinfassaden wirkt das Gebäude machtvoll, und genau das soll es ja auch sein. Viele Entscheidungen über den kleinen Bruder DDR und zur Politik der Siegermächte wurde in diesem Haus getroffen oder vorbereitet, beispielsweise 1954 in einer Außenministerkonferenz der Alliierten, 1971 mit Verhandlungen zum vierseitigen Abkommen über Berlin. 1966 waren der Regierende Bürgermeister Willy Brandt und seine Frau Rut Gäste des Sowjetbotschafters Pjotr Abrassimow. Der Besuch könnte die Gespräche über den Moskauer Vertrag eingeleitet haben, mit dem 1970 die Ostgrenzen festgeschrieben wurden.

Ein guter Diplomat muss seine eigenen Gedanken verbergen, die seines Gegenübers aber erraten können. Er muss zur rechten Zeit schweigen und zur rechten Zeit reden, Charaktere abwägen, Schwächen ausnutzen, das gilt nicht nur für den russischen Botschafter. Der Eindruck "eines politischen Klubs mit leichtem Verschworeneneinschlag", den Harry Graf Kessler hier 1922 konstatierte, gehört der Vergangenheit an. Nach der Wende ist die Botschaft wieder um den alten, traditionell gastfreundlichen Ruf bemüht, und feiern können die Russen ja, Silvester wird bis zum 10.Januar gefeiert (ob die Beschäftigten in Russland wirklich 10 Tage lang arbeitsfrei haben?). Zum Sommerball 2009 der Botschaft in Berlin kamen eintausend Gäste, unter ihnen Gerhard Schröder. Und wer will, kann sich derzeit ansehen, wie prunkvoll Zar Alexander II. und die deutsche Prinzessin an seiner Seite ihre Krönung 1856 zur Darstellung der Macht inszeniert haben.

Zum Botschaftsgelände gehört nicht nur das Straßenkarree bis zur rückwärtigen Behrenstraße, sondern auch das dort gegenüberliegende Backsteingebäude (eine Schwimmhalle) mit dem unauffälligen grauen Fleck. Hier hing einmal Lenin, doch das Relief wurde nach Auskunft der Botschaft „von unserem technischen Dienst abmontiert“. Besser hatte es Lenins weiße Büste vor der Botschaft Unter den Linden, sie wurde immerhin aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Botschaftsmitarbeiter in den nicht einsehbaren Innenbereich versetzt. Natürlich denkt man sofort an "Goodbye Lenin", den Film, in dem einer kranken alten Frau das Weiterbestehen der untergegangenen DDR vorgegaukelt werden sollte. Der am Platz der Vereinten Nationen (Leninplatz) nicht mehr erwünschte Lenin wurde im Köpenicker Wald verbuddelt, jetzt muss der Senat immer wieder Schatzsucher vertreiben. Ein Ohr soll schon weg sein, da könnte Stalin aushelfen, von dessen Denkmal nur ein Ohr und der Schnurrbart übrig geblieben sind, als es 1961 klammheimlich aus der Stalinallee entfernt und eingeschmolzen wurde (--> 1). Aber es gibt eine Wiederauferstehung: An der Spandauer Zitadelle wird eine Dauerausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" vorbereitet, dort sollen ab 2013 die "Puppen" von der Siegesallee (--> 2), Lenin, Stalins Ohr samt Schnurrbart und andere historische Hinterlassenschaften gezeigt werden.

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(1) Stalins Ohr und Bart: Stalins Ohr und Tierskulpturen
(2) Die "Puppen" von der Siegesallee: Rettungsgasse zum Sieg


Faces of Berlin
Soldaten an der Friedrichstraße