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Zum Ausklang des Abends: Marschmusik


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Kaiserdamm
Stadtplanaufruf: Berlin, Rognitzstraße
Datum: 6. Januar 2021
Bericht Nr.:723

Der Kaiserdamm ist Teil der Ost-West-Achse, die von Berlins Mitte bis zur Spandauer Stadtgrenze reicht. Die einzelnen Abschnitte der Achse tragen unterschiedliche Namen. Am Sophie-Charlotte-Platz geht die Bismarckstraße in den Kaiserdamm über, der Charakter beider Straßenabschnitte ist so ähnlich, dass man die Weiterführung mit neuem Namen nicht nachvollziehen kann. Anders sieht es am Theodor-Heuss-Platz aus, wo der Kaiserdamm heute endet. Früher hieß der Abschnitt bis zum S-Bahnhof Heerstraße ebenfalls Kaiserdamm, wurde aber 1950 in die Heerstraße einbezogen, was dem unterschiedlichen Gepräge beider Straßen voll entspricht.

Der "Kaiser", nach dem die Straße benannt ist, ist Wilhelm II., der sie 1905 anlegen ließ, dazu wurde ein unbefestigter Sandweg ausgebaut. Einen anderen "Kaiser" hat die Berliner Bevölkerung erfolgreich abgelehnt: Als nach dem Tod des Bundeskanzlers Konrad Adenauer plötzlich sein Name auf den Straßenschildern stand, musste wegen der Bürgerproteste die Umbenennung nach ein paar Monaten rückgängig gemacht werden. Es war kein "Akt grober Undankbarkeit gegenüber diesem großen deutschen Staatsmann", hatte doch Adenauer selbst seine Schwierigkeiten mit Berlin, das nach seiner Aussage aus den 1920er Jahren in der "asiatische Steppe" lag (laut Spiegel).

Ins rechte Licht gesetzt wird der Kaiserdamm durch die "Speer-Leuchten", ein "Spalier aus Lichtsoldaten", eine endlos scheinende Reihe von Kandelabern, die den Straßenzug vom Bahnhof Tiergarten bis zum Theodor-Heuss-Platz flankieren. Albert Speer hatte diese zweiarmigen Kandelaber mit zylinderförmigen Glasaufsätzen, die das Licht rundum ausstrahlen, für die Ost-West-Prachtstraße entworfen.


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Erwin-Barth-Platz
Zwischen Sophie-Charlotte-Platz und Ringbahn sind die Straßen südlich des Kaiserdamms nicht im gleichmäßigen Raster angelegt, sondern umfassen mit ihren Rundungen und Winkeln den Lietzensee. Erwin Barth, der den Lietzensee-Park geschaffen hat, wird mit einer dreieckigen Restfläche am Kaiserdamm "geehrt", die 2005 nach ihm benannt wurde. Dazu hat man die südlich begrenzende Wundtstraße verkürzt, was dem trostlosen Eindruck nicht abgeholfen hat. Auf dem Platz, der nicht gärtnerisch gestaltet ist, steht verloren eine abstrakte Edelstahl-Skulptur von Volker Haase, "Skulptur mit Kern / blau rot“, die ohne Bezug zu Barth ist und "unbeabsichtigt die Anmutung eines Kreuzes hat". Die Figur stand ursprünglich am Seeufer, wurde dann aber nach mehreren Beschädigungen nach oben geholt, weil der Platz in seiner Tristesse besser einsehbar ist.

Erwin Barth war Charlottenburger und später Gesamtberliner Stadtgartendirektor, fast alle Charlottenburger Parks jener Zeit wurden von ihm gestaltet, geprägt vom Charakter der umgebenden Landschaft. Zu seinem 125. Geburtstag schien man sich daran nicht mehr zu erinnern, als man der Fläche am Kaiserdamm seinen Namen gab, ohne auch nur den Versuch einer gärtnerischen Gestaltung zu machen.

Fernsehsender "Paul Nipkow"
In einer Seitenstraße des Kaiserdamms begann die Geschichte des Fernsehens. Weltweit der erste Fernsehsender ging 1935 in der Rognitzstraße auf Sendung. Eine blondgelockte "deutsche" Ansagerin verkündete mit dramatischem Stimmklang: "Wie begrüßen alle Volksgenossen und Volksgenossinnen mit dem Deutschen Gruß", dabei winkelte sie ihre rechte Hand nach hinten ab, so wie der "Führer" grüßte.


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Diese Form des Grußes war keine Anmaßung, sondern die übliche Möglichkeit, wenn für den ausgestreckten Arm der Platz fehlte. Am Programmende kam sie wieder ins Bild mit der Ansage: "Zum Ausklang des Abends: Marschmusik". (Bemerkenswert ist, dass sie die Frauen [Volksgenossinnen] direkt anredete, die weibliche Form, um die heute immer noch gerungen wird).

Es war kein Zufall, dass der Fernsehsender 1935 eingerichtet wurde. Die Nazis hatten unter ideologischer Führung ihres Propagandaministers Joseph Goebbels erkannt, dass man Medien wie Rundfunk und Fernsehen zur Mobilisierung der Massen einsetzen konnte, gezielte Falschmeldungen eingeschlossen. Bereits im Jahr der Machtergreifung 1933 wurde auf der Funkausstellung der "Volksempfänger" vorgestellt, ein Radiogerät, das auf Direktive der Reichsregierung verbilligt angeboten werden musste. Das Radiogerät war ein Einheitsmodell, das alle deutschen Hersteller baugleich zu produzieren hatten. Ein Jahr später waren bereits 700.000 Haushalte mit diesem Propagandamittel versorgt, das "die Stimme des Führers direkt in jedes deutsche Wohnzimmer bringen konnte". Der gleichgeschaltete Rundfunk wurde bis ins Detail vom Propagandaministerium instrumentalisiert. Zahlreiche Wunschkonzerte, Unterhaltungssendungen, Hörspiele und später Wehrmachtsberichte wurden geschickt eingesetzt, um die Propaganda unterschwellig einzubetten.

Beim Fernsehen verhielt es sich ähnlich. Die Olympischen Spiele 1936 standen vor der Tür, mit Live-Berichten sollte der Welt die Überlegenheit Deutschlands demonstriert werden. Und natürlich hatte das Fernsehen "die größte und heiligste Mission zu erfüllen: das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen". In der Rognitzstraße wurde im Haus der Deutschen Fernkabel-Gesellschaft - gegründet von Reichspost und Kabelherstellern wie Siemens und AEG - 1935 das erste Fernsehstudio der Reichspost eingerichtet, der Sender "Paul Nipkow". Noch heute sind wohl am Gebäude die Weltkugel und ein Reichsadler-Medaillon zu sehen, wenn der Bau nicht gerade wie bei unserem Besuch komplett eingerüstet ist.

Paul Nipkow war nicht "der Erfinder" des Fernsehens, aber er hatte den ersten wichtigen Baustein entwickelt, wie man Bilder punkt- und zeilenweise abtasten und die Helligkeitswerte übertragen kann. Es folgte die Entwicklung der Kathodenstrahlröhre durch Karl-Ferdinand Braun ("Braunsche Röhre"), die das elektrische Fernsehen ermöglicht. Und schließlich Fritz Schröter, er entwickelte das Zeilensprungverfahren, mit dem erstmals flimmerfreie Bilder erzeugt werden konnten.

Ein Fernsehgerät war mit 2.500 Reichsmark (entspricht ca. 10.000 Euro) unerschwinglich. Analog zum Volksempfänger wurde der preiswerte "Einheits-Fernsehempfänger E1" entwickelt, dessen Produktion aber wegen des Kriegsbeginns nicht mehr anlief. Man behalf sich mit der Einrichtung von "public viewing": In Fernsehstuben konnten 30 Menschen auf einen Fernseher starren, dessen winziges Bild nicht größer war als ein DIN-A-4-Blatt. Oder in einer "Fernseh-Großbildstelle" saßen 300 Menschen vor einem leinwandfüllenden Bild, das mithilfe eines Projektors erzeugt wurde, vergleichbar den inzwischen auch schon historischen Dia-Abenden meiner Generation.

Als die Olympischen Spiele vorbei waren, ließ das Publikumsinteresse nach. 1939 sollte der Sender geschlossen werden, weil das Militär den Funkkanal brauchte und gerade einmal 500 Geräte angeschlossen waren. Durch die Erkenntnis, das Fernsehen könnte "kriegswichtig" sein, wurde der Weiterbetrieb gesichert, jetzt auch im Hinblick auf die Betreuung der Truppen. So wurden Bildschirme aus den Fernsehstuben in Berliner Lazaretten aufgestellt, um Verwundete abzulenken.


Man glaubt es kaum, dass es bei diesem ersten Sender bereits erste Ansätze gab, die in der Nachkriegszeit zu vollständigen Sendeformaten wurden. So waren die Verkehrserziehungsfilmchen "Achtung, Rotes Licht" Vorgänger der fünfminütigen WDR-Filme "Der 7. Sinn", die von 1966 bis 2005 ausgestrahlt wurden. Und die 1938 erfolgreiche Fahndung nach dem von einem Mörder zurückgelassene Mantel wirkt wie ein Vorläufer von "Aktenzeichen XY ungelöst", mit der im ZDF noch immer Kriminalfälle aufgeklärt werden können.

Heutzutage kann jeder sein eigener Propagandaminister sein, dazu braucht er keinen extra Sender, und mit dem Handy haben wir alle einen Volksempfänger in der Hand. Wie man mit Twitter Menschenmassen mobilisieren und sogar zu gewaltsamen Übergriffen motivieren kann, das haben wir gerade in den USA gesehen. Es ist dasselbe Werkzeug, das Goebbels benutzt hat, nur dringt es heute weltweit in jede Ritze vor.

Baudenkmale am Kaiserdamm
Die Denkmaldatenbank weist verhältnismäßig wenige Baudenkmale am Kaiserdamm auf. Manches ist sogar in der Nachkriegszeit verloren gegangen. So verweist das Charlottenburger Denkmalbuch aus den 1960er Jahren auf den geplanten Abriss des Hauses Nr. 96, der auch tatsächlich durchgeführt wurde: "Vornehmes Miethaus. Zur Bahn gelegene, vom Kaiserdamm aus sichtbare Schmalseite mit einer riesigen, loggienartigten, sonderbar wirkenden Öffnung vor der zurückspringenden Mitte. Das Haus wird wegen der für die Schnellstraße erforderlichen Verlängerung der Kaiserdamm-Brücke abgerissen".

Den Beginn des Kaiserdamms (Nr. 1) beherrscht das ehemalige Polizeipräsidium Charlottenburg in neubarocker Formensprache, das Erdgeschoss mit Bossenwerk (grob behauenem Naturstein) verkleidet, mit säulenbestandenem Portal und einem Fassadenschmuck mit Figuren und Kartuschen. Eine Gedenktafel erinnert an den Polizeipräsidenten Bernhard Weiß, der hier eine Dienstwohnung bewohnte und in der "Roten Burg" am Alexanderplatz arbeitete. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde er als Jude diffamiert und verfolgt, bis er nach seiner Absetzung ins Exil nach London flüchten konnte.

Ihre Wohnung hatten am Kaiserdamm eine Zeit lang Alfred Döblin ("Berlin Alexanderplatz"), der Maler Otto Dix, die Schriftsteller Erich Maria Remarque und Robert Walser, der Schauspieler Emil Jannings, aber auch der Nazi-Reichsmarschall Hermann Göring.

Junggesellenhaus
Der Architekt Hans Scharoun hatte die Vision, dass der Wohnungsbau Impulse aus kühnen Schiffskonstruktionen empfangen könnte. Andererseits folgte er bei Schiffen dem Gedanken der "schwimmenden Stadt", die mit Kabinengängen, Speiseräume, Restaurants, Sportplätzen innerhalb der Schiffswand als Stadtmauer längst mit den Kreuzfahrtschiffen Realität geworden ist. Es ist die Doppelwirkung, die ihn faszinierte: Einerseits dem Hausbau die Großzügigkeit des Schiffsbaus zugeben, andererseits dem Schiff die Planmäßigkeit der Stadt zu verleihen.

Elemente des Schiffsbaus wie Gangway, Reling, Bullaugen, Terrassen, Promenadendecks sind nicht nur in Scharouns Bauten zu finden. Andere Architekten wie Franz Höger, Erich Mendelsohn oder Le Corbusier schufen eigene Werke der Schiffsarchitektur. In Tegel ist im Rahmen der IBA 1984/87 (Internationale Bauausstellung) ein Wohnungsbau entstanden, dessen Gebäudeflügel sich wie Schiffsrümpfe nach Norden vorschieben.


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Am Kaiserdamm Ecke Königin-Elisabeth-Straße errichtete Hans Scharoun zusammen mit Georg Jacobowitz ein Apartmenthaus mit Ein- bis Zweizimmerwohnungen. Der weiße, sechsgeschossige Putzbau ist mit gerundeter Ecke und Elementen wie Bullauge, Reling und Promenadendeck erkennbar der Schiffsarchitektur zuzurechnen. Den Junggesellen dieses Junggesellenhauses sollte ein Gaststättenservice geboten werden, das wurde aber nicht verwirklicht.

Läden mit Geschichte
Der Kaiserdamm ist keine Flaniermeile, kein Boulevard. Er ist nicht so quirlig wie die Kantstraße und nicht so elegant wie der Kurfürstendamm, es fehlt ihm an Flair. Zwischen den großstädtischen Wohnhäusern, die schon zu Zeiten Kaiser Wilhelms erbaut wurden, haben sich nur wenige bemerkenswerte Geschäfte über längere Zeit erhalten können: Einer der ältesten Buchläden hat vor einiger Zeit aufgegeben, aber ein Eisenwarenladen, der "alles" hat, trotzt dem Ladensterben.

Buch & Kunst, seit 1947 an der Kaiserdammbrücke, war eine Buchhandlung, die in Berlin am längsten am gleichen Ort existierte, bis sie 2008 ihren Laden geschlossen hat und nur noch im Internet präsent ist - lange vor Corona. Im Laden gab es ein anspruchsvolles Buchsortiment: Belletristik, Reiseliteratur, Kinderbücher, Biografien, Kochbücher, Hörbücher, fremdsprachige Literatur, Sachbücher und Fachbücher. Jetzt gehört das Stöbern auf Büchertischen, die persönliche Beratung, das Gespräch mit Stammkunden der Vergangenheit an, wurde durch das Klicken am Bildschirm ersetzt.

Messer, Töpfe, Blumenzwiebeln, Küchengeräte, Wäschetrockner, Hollywoodschaukeln, Gartenstühle, Plastik-Swimmingpools, Sanitärbedarf, Schrauben, Schubkarren, Rodelschlitten, Rollatoren, Schlüssel, klassische Glühbirnen, all das bekommt man bei Eisen-Döring am Kaiserdamm auf drei Etagen. Vor 115 Jahren gegründet, gehört der Laden zu den wenigen, zwischen deren Eisenwaren-Krimskrams die Zeit stehen geblieben ist, genau wie bei C.Adolph am Savignyplatz.
Eisen-Döring öffnete seinen Laden zunächst in Neukölln. 1962 ist sind die Dörings mit Laden und Wohnung zum Kaiserdamm gezogen in das Haus, das sie erworben hatten. Die vierte Generation steht jetzt hinter dem Ladentisch, man ist stolz auf die lange Familien-Tradition, in der die Kinder im Laden aufgewachsen sind: "Unsere Kinder spielten mit Nägeln und Werkzeug".
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