Drüber und drunter - Tunnel in Berlin

Stadtteil: Treptow
Bereich: Spreetunnel
Stadtplanaufruf: Berlin, Platz am Spreetunnel
Datum: 20. April 2020
Bericht Nr.:693

Theodor Fontane trat 1844 der literarischen Vereinigung "Tunnel über der Spree" bei. Über der Spree? Ein Jahr vorher hatte London die Themse unterquert mit dem weltweit ersten Tunnel unter einem Fluss. Der Vereinsname war ein leichtes Bedauern, eine Anklage, ein Spott, dass die Weltstadt Berlin hier ins Hintertreffen geraten war. Gut 70 Jahre wurde der Verein alt und hatte in dieser Zeit mehr als 200 Mitglieder. Was mit dem Spott begann, wurde ein Verein von Liebhabern der Literatur und der Kunst.

Die Knüppelbahn
Es dauerte gut 50 Jahre, dann hatte auch Berlin seinen ersten Spreetunnel. Es brauchte eine technische Leistungsschau wie die Gewerbeausstellung von 1896, um sich an diese Aufgabe heranzuwagen, indem man ein Versuchsprojekt für den U-Bahnbau startete. Immerhin war diese Gewerbeausstellung als Weltausstellung gedacht, das wurde aber durch Kaiser Wilhelm II. verhindert, der seine Stadt für nicht vorzeigbar hielt. Und auch die Unterquerung der zwischen Treptow und Stralau 200 Meter breiten Spree hatte einen Widersacher: Den Baustadtrat James Hobrecht, der um seine unterirdische Kanalisation in der Stadt fürchtete, wenn man nach erfolgreicher Flussunterquerung Röhren für die U-Bahn in den märkischen Sand setzen würde.

Eine tiefe Schwemmsandschicht und der hohe Grundwasserspiegel waren Hindernisse, die überwunden werden mussten. Im Schildvortrieb - den man den Engländern abgeschaut hatte - wurde der 454 Meter lange Tunnel gebaut; er war allerdings nicht bis zum Ende der Gewerbeausstellung fertig. Durch den Tunnel ließ man keine U-Bahn, sondern eingleisig eine Straßenbahn fahren, die ein geniales Sicherungssystem bekam, um Zusammenstöße zu vermeiden: Einfahren durfte nur der Zug, der am Tunneleingang einen nur einmal vorhandenen Signalstab in Empfang genommen hatte. Einen grüngestrichenen Holzknüppel, der dem nächsten Wagenführer zu übergeben war - die "Knüppelbahn" war geboren.

Zeitgleich hatte die AEG an der Ackerstraße eine elektrische Tunnelbahn zwischen zwei Fabrikgebäuden unter der Straße hindurch gebaut, die nur dem innerbetrieblichen Transport diente, aber auch Mitarbeiter beförderte. Das Sicherungssystem war dasselbe: Hier übergab der "Stationsvorsteher" einen rot lackierten Stab an den Zugführer für das Einfahren in den einspurigen Tunnel.

U-Bahntunnel
Auch bei der U-Bahn hatten die Engländer die Nase vorn, 1863 fuhr in London die erste U-Bahn der Welt. In Berlin dauerte es bis 1902, bis die Stammstrecke der U-Bahn (und Hochbahn) durch Kreuzberg bis zum Potsdamer Platz mit einer "Ministerfahrt" eröffnet wurde. 1910 wurde der erste U-Bahntunnel unter der Spree gebaut. Die U 2 nutzt ihn zwischen den Bahnhöfen Klosterstraße und Märkisches Museum.

Parallel dazu unterquert der "Waisentunnel" die Spree von der Littenstraße zur Brüderstraße. Er gehört zu einem U-Bahnprojekt der AEG, das im Ersten Weltkrieg aufgegeben wurde. Er ist verwaist, bezieht aber seinen Namen von der Waisenstraße an der Oberfläche. Im Zweiten Weltkrieg wurde am Waisentunnel ein Luftschutzbunker eingebaut. In der DDR-Zeit nutzte ein Ost-U-Bahner mit seiner Familie den Tunnel zu einer spektakulären Flucht, indem er eine West-U-Bahn im angrenzenden U8-Tunnel mit einem Notsignal anhielt.

Auch Fußgängertunnel gibt es bei der U-Bahn, so wie bei der Metro in Paris und der Subway in New York. 160 Meter muss man durch den "Mäusetunnel" gehen, um am U-Bahnhof Stadtmitte zwischen den Perrons umzusteigen. Der Tunnel verbindet den ehemaligen Bahnhof "Leipziger Straße" auf der U6 mit dem ehemaligen Bahnhof "Friedrichstraße" auf der U9. Beide gehörten konkurrierenden Bahngesellschaften und wurden deshalb nicht als Umsteigebahnhof konzipiert. Erst 1936 erhielten sie ihren gemeinsamen Namen, um die Olympia-Gäste mit einer Stadtmitte zu blenden, die man hier gar nicht fand, wenn man die Treppenstufen emporstieg.

Tunnelbauer aus dem Tierreich
Vielleicht haben Tiere die Menschen inspiriert, Tunnel unter der Oberfläche anzulegen. Klar, der Maulwurf fällt uns sofort ein, und der Fuchsbau mit Höhlen und Gängen und Fluchtröhren nach draußen. Den putzigen Erdmännchen, die so schön aufrecht stehen und meist in Gruppen aufmerksam die Umwelt beobachten, sind die amerikanischen Präriehunde ähnlich, die "Wache schieben in der Steppe". Präriehunde bauen unterirdische Höhlensysteme riesigen Ausmaßes. Sie leben in Familien zusammen, die sich zu Kolonien mit Hunderten von Tieren verbinden. Den Aushub schichten sie als Erdhügel rund um die Eingänge auf, damit kein Wasser in den Bau läuft. Auf den Hügeln stehen sie abwechselnd Wache und "bellen", wenn Gefahr droht.

Unterirdische Städte
Mehrere Großstädte haben den Untergrund genutzt, um ausgedehnte Labyrinthe gleichsam als neue Stadtteile zu erschaffen. In Toronto verbindet das 30 km lange unterirdische Fußgängernetz "Path" U-Bahnstationen, Kaufhäuser, Hotels, Veranstaltungshallen und Büros. Es ist eines der weltweit größten Tunnelsysteme im Untergrund. Montreal hat ein weitschweifiges Tunnelsystem ähnlichen Ausmaßes, dessen Name Reso sich vom französischen "réseau” (Netzwerk) ableitet. Es wurde zur Verkehrsentlastung und zum Schutz vor der eisigen Winterzeit erbaut.

Die Finnen haben wegen der Angst vor dem aggressiven russischen Nachbarn seit den 1970er Jahren den Untergrund entdeckt. Bis zu 80 Meter tief in den Granit gebohrt befinden sich in Helsinki Versorgungsanlagen und Bunker unter der Erde. Beispielsweise ein Hallenbad in einem ehemaligen Bunker, der in den Felsen gesprengt wurde. Die Strom- und Wasserversorgung arbeitet unterirdisch, der Müll wird von Müllschluckern nach unten gesaugt, getrennt nach Papier, Bio, Restmüll. Hier unten gibt es einen Busbahnhof, ein Rechenzentrum, Shoppingcenter, Sporthallen, eine Kirche, 400 unterirdische Bauten aller Art.

Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn
Kehren wir in unsere Stadt zurück und ihre Tunnel im Märkischen Sand. Die U-Bahn fährt manchmal aus dem Untergrund nach oben und wird zur Hochbahn wie beim "Magistratsschirm". Das liegt meist daran, dass die Bürger in den "besseren Gegenden" keine Bahnanlagen vor den Fenstern haben wollten, anderen konnte man das zumuten. Andererseits fährt die S-Bahn auch im Untergrund.

Eine lange geplante Nord-Süd-Verbindung der S-Bahn wurde in den 1930er Jahren realisiert, ein Tunnel unter der Innenstadt kreuzt zwischen Nordbahnhof und Anhalter Bahnhof U-Bahnstrecken und Wasserläufe. Dass der Tunnelbau nicht ungefährlich ist, wurde beim Bau des Nord-Süd-Tunnels sichtbar. Nahe dem Brandenburger Tor stürzte im August 1935 die mangelhaft abgestützte Baugrube ein. Die Erde öffnete sich auf einer Länge von etwa 60 Metern und zog Sand, Eisenträger, Kräne, Straßenbahngleise und Baubuden in die Tiefe, mehrere Bauarbeiter starben.

Durch Kriegsfolgen wurde der Tunnel ein weiteres Mal verwüstet. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, lag die Ebertbrücke nahe der Museumsinsel zerstört in der Spree. Pioniere der Roten Armee kamen ohne Kenntnis der Örtlichkeiten auf die Idee, die Reste zu sprengen. Dabei beschädigte sie die Tunneldecke der Bahn, der Nord-Süd-Tunnel lief voll Wasser. Die DDR nutze den peinlichen Fehler zur Propaganda, verlegte die Sprengung verbal zum Landwehrkanal und beschuldigte die SS.

Einstürzende Tunnel gab es auch bei der U-Bahn. Am Theodor-Heuss-Platz traf es allerdings nur einen blinden Tunnel, der als Vorleistung für eine spätere Streckenführung unter der Heerstraße gebaut worden war. Im September 1991 sackte der Bürgersteig nach Unterspülung plötzlich ab. Das angrenzende Haus war auf Stahlträgern errichtet worden. Im Mai 1945 hatte die Sowjetische Militäradministration auf der Suche nach Deponiemöglichkeiten "den U-Bahn-Schacht vom Theodor-Heuss-Platz unter der Heerstraße Richtung Spandau als Müllgrube bestimmt". Ob die Absackung darauf zurückzuführen war? Ob der Hauseigentümer seine Hauskeller zu weit unter den Bürgersteig ausgedehnt hatte? Die BVG sah jedenfalls keine Schuld bei sich.

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Der verhinderte Tunnel
Dass die Yorckbrücken einen Tunnel unter dem Gleisdreieck-Bahngelände ersetzen, sieht man im Stadtplan, wenn man dem Verlauf von der Bülowstraße zur Gneisenaustraße folgt. Dieser Straßenabschnitt ("Generalszug") mit 60 Meter Straßenbreite sollte nach dem Hobrecht-Plan das Bahngelände der Anhalter und Dresdner Bahn unterqueren. Dass ein Bündel von Gleisen verschiedener Bahngesellschaften und die Güterbahnhöfe und Laderampen hätten untertunnelt werden müssen, das wollten die Bahngesellschaften nicht bezahlen.

So einigte man sich nach jahrzehntelangem Ringen auf eine südliche Umfahrung des Bahngeländes, wo "nur" noch 45 Brücken angelegt werden mussten - die Bülowstraße knickt nach Süden ab, die Yorckstraße ist nur noch 26,5 Meter breit und nähert sich dann wieder nordöstlich dem mit dem Lineal gezogenen Hobrechtschen Straßenverlauf an.

Untaugliche Vorleistung
Beim Bau des Hauptbahnhofs hatte man daran gedacht, dass eines Tages die S-Bahn direkt von der Ringbahn als S 21 hierher abzweigen könnte. Leider war nicht viel Zeit, 2006 war das Fußballfieber ausgebrochen, das dann tatsächlich zum Sommermärchen führte. Der Hauptbahnhof als Touristen-Knotenpunkt musste unbedingt vorher fertig werden, egal wie es unter der Erde aussah. Und so wurde bei den Vorleistungen für die S 21 gepfuscht und anschließend zugeschüttet, mit den Folgen kämpfen die Planer jetzt seit Jahren. Ein provisorischer Bahnsteig am Hauptbahnhof für Kurzzüge soll erst mal über das Dilemma hinweg helfen.

Wohin mit dem Aushub
Wenn Tunnel gegraben werden, kommt vor allem Sand an die Oberfläche. Wohin damit? Auch die Fluchthelfer, die während der Teilung Berlins Tunnel unter der Mauer gegraben haben, kämpften mit diesem Problem. Bewusst habe ich aus Platzgründen in diesem Bericht die Fluchttunnel komplett ausgespart, Fluchten aus der DDR haben einen eigenen Abschnitt bekommen.

Den Aushub beseitigen mussten auch die Geldschrankknacker Brüder Sass, die in die Tresorräume von Banken eindrangen, indem sie von außerhalb des Gebäudes einen Tunnel bis zu den Schließfächern gruben. Die Polizei verdächtigte sie längst, aber gerichtsfest konnte ihnen nie etwas nachgewiesen werden. Dann tauchte auf dem Luisenkirchhof in der Cauerstraße immer wieder verdächtiger Erdaushub auf, die Polizei entdeckte sogar einen professionell ausgebauten Schacht mit mehreren Einstiegen und legte sich auf die Lauer. In der Dunkelheit tauchte einer der Sass-Brüder auf, doch der Kripobeamte stolperte über einen Komposthaufen, ehe er ihn fassen konnte. (Wie sich Geschichte wiederholt: der Kaufhaus-Erpresser Dagobert entkam einem verfolgenden Polizisten, als dieser auf einem Hundehaufen ausrutschte). Und wie bei Dagobert war die Bevölkerung klammheimlich auf Seiten der Gentleman-Ganoven.

Die U-Bahn hatte mehrfach Glück, dass die beim Tunnelbau anfallenden Sandmassen an anderer Stelle gebraucht wurde, so beispielsweise bei der U 8 zur Verfüllung des Luisenstädtischen Kanals oder bei U 7 nach Spandau, um den Spektesee teilweise aufzufüllen.

Lindentunnel für die Straßenbahn
Einen Tunnel für die Straßenbahn verdanken wir Kaiser Wilhelm II. Er wollte nicht, dass die Straßenbahn quer über seinen Prachtboulevard Unter den Linden fährt. "Drunter durch, nicht drüber weg", lautete sein majestätisches Diktum. So entstand der Lindentunnel zwischen dem Maxim-Gorki-Theater und dem Bebelplatz. Er wurde vierspurig angelegt und verzweigt sich unter der Straße. Nach Einstellung des Fahrbetriebs 1951 gab es verschiedene Nachnutzungen, unter anderem als Requisitenlager des Theaters und der Staatsoper. Das Mahnmal für die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz wurde im Bereich einer Rampe des ehemaligen Tunnels angelegt.

Überbauung der Stadtautobahn
Das von der Mauer eingeschlossene West-Berlin suchte nach Möglichkeiten, trotz begrenzter Flächen neuen Wohnraum zu schaffen. Die Autobahn mit Wohnungen zu überbauen, war ein Rückgriff auf einen Plan von Le Corbusier aus den 1930er Jahren. In der Schlangenbader Straße in Wilmersdorf wurde diese Idee in den 1970er Jahren verwirklicht. Über der Stadtautobahn, die hier in einen leichten Bogen verläuft, wurde ein 46 Meter hohes und 600 Meter langes Gebäude errichtet, dessen sieben Bauteile durch Treppenhaustürme unterteilt sind. Die Schnellstraße steckt in zwei getrennten Tunnelröhren, die im Innern durch das Haus geführt werden, aber konstruktiv von dem Gebäude unabhängig sind. Das war ein Glück, denn das Gebäude fing an, sich wegen des morastigen Bodens leicht zu senken.

Wie ein Raumfahrtbahnhof erhebt sich die "Schlange", wie das Gebäude genannt wird, in drei Ebenen über der Autobahn: bis zur vierten Etage wie ein Berliner Mietshaus, darüber in pyramidenförmigem Anstieg mit Terrassen und schließlich als Hochhaus bis zur 14.Etage. Im Zeitalter der Raumfahrt schuf man "Space-Age-Architektur" mit neuen Materialien und neuen Formen.

Einen anderen Plan verfolgte man in Rudow und Altglienicke, als man den Zubringer zum Flughafen Schönefeld direkt auf der Grenzlinie zu Brandenburg für 304 Meter in einen Tunnel verlegte. Darüber wurde der Landschaftspark Rudow-Altglienicke angelegt. eine "grüne Nichtmehrgrenze". Dort kann man jetzt laufen, radeln und skaten, so schön kann eine "naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme" für den Autobahnbau sein. Für die Nutzer auf Rollen und Rädern gibt es eine Asphaltpiste am Rande von Ackerwiesen, jungen Bäume und alten Hainen.

Fußgängertunnel unter Bahnanlagen
Fußgängertunnel sind nicht modern, da das Durchqueren gefährlich ist und der Geruch in ihnen erbärmlich sein kann. Unter den Gelände der Görlitzer Bahn gab es einen Tunnel von der Wiener zur Görlitzer Straße, der wegen des Geruchs vom Volksmund mit einem ekligen Namen belegt wurde, den ich hier nicht wiedergeben möchte. Als in den 1980er Jahren die Bahnanlagen abgeräumt und ein Park angelegt wurde, öffnete man die Fußgängertunnel. Die Reste der Tunnelwände stehen heute noch und markieren die Lage des Tunnels. Im Stadtplan Open-Street-Map sind verdienstvollerweise solche verschwundenen Tunnel - auch der Spreetunnel - markiert und bezeichnet.

Auch das Bahngelände hinter dem Nordbahnhof (Stettiner Bahnhof) konnte von Fußgängern unterquert werden. Es liegt oberhalb des Straßenniveaus, die 180 Meter lange Unterführung ("Stettiner Tunnel") führte von der Gartenstraße (Mitte) nach Wedding. Zu DDR-Zeiten wäre das ein Fluchtweg gewesen, deshalb wurde der Zugang an der Gartenstraße zugemauert. Der Weddinger Zugang war schon vor dem Mauerbau verschlossen worden, er wurde nach der Wende komplett abgebrochen. Heute kann man den Tunnel bei Führungen besichtigen. "Demokratischer Sektor – Ende" und "Demokratischer Sektor – Anfang" markiert unter Tage den oberirdischen Grenzverlauf. Auch auf ein ehemaliges "Kulturhaus" der Angestellten weist ein Schriftzug hin.

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Fußgänger unter der Spree
Bevor die Müggelspree sich im riesigen Müggelsee verliert, war an der engsten Stelle 1927 ein Tunnel im Wasser versenkt worden. Das ist wörtlich zu nehmen, denn hergestellt wurde der Spreetunnel Friedrichshagen in der Senkkasten-Bauweise. Der Ansturm der Ausflügler, die von Friedrichshagen zum Müggelschlösschen übersetzen wollten, war so groß geworden, dass die Fähre ihm nicht gewachsen war. Eine Fußgängerbrücke hatte die Wasserbehörde abgelehnt, sie hätte den Schiffsverkehr behindert.

Auch beim Tunnelbau nahm man auf die Schifffahrt Rücksicht, an beiden Ufern wurden separate Tunnelhälften hergestellt, und nach dem Absenken erst auf dem Spreegrund verbunden. Der Spreetunnel ist 120 Meter lang und hat eine dem Ansturm gewachsene Breite von fünf Metern.

Fußgänger unter dem Alexanderplatz

Unter dem Alexanderplatz treffen sich drei U-Bahnlinien. Die U 2 von Pankow und die U 8 von Wittenau fahren parallel von Norden in den Bahnhof ein, die U 5 verlässt ihn quer dazu Richtung Osten. Die Gleisbetten sind übereinander gestapelt und erreichen bis zu 14 Meter Tiefe. Trotzdem war daneben noch Platz für einen Fußgängertunnel. Der Tunnel war fast 500 Meter lang, er unterquerte die Karl-Marx-Allee und die Grunerstraße und hatte direkten Anschluss an den U-Bahnhof. Als wir im Januar 2007 dort waren, wies er die übliche Verwahrlosung unterirdischer Anlagen für Fußgänger auf. Ein Jahr später ist er dann geschlossen worden.

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Fußgänger unter dem Messegelände
Ein poppiger, moderner, großzügiger Raum unter der Erde, mit Kacheln an den Wänden und an den dicken Säulen in Knallorange, mit kreisrunden überdimensionalen Deckenleuchten und Rolltreppen, was könnte man daraus machen! Aber wie konnte man ihn verkommen lassen zum "Tunnel des Grauens", so dass er sogar endgültig geschlossen werden soll? Ein solcher Raum muss entwickelt und gepflegt werden, stattdessen betrachtet die Verwaltung nur die vergangene Zweckbestimmung des Tunnels als "Passarelle", als Unterführung unter dem Messedamm, ohne neue Ideen für eine Nachnutzung zu prüfen, wie beispielsweise als geschlossener Veranstaltungssaal.

Hollywood hat diesen außergewöhnlichen Ort längst entdeckt, in einer "Bourne"-Folge mit Matt Damon hat der Tunnel als Moskauer Flughafen herhalten müssen. Und im Actionthriller "Wer ist Hanna?" prügelte sich die Hauptdarstellerin in der Unterführung. In dem Agentenfilm Atomic Blonde gab es hier eine Schießerei vom fahrenden Auto aus. Für Bollywood raste Shah Rukh Khan als Don durch den Tunnel. Und wir wollen dieses Kleinod zuschütten, das Rainer G. Rümmler entworfen hat, dem wir auch poppige U-Bahnhöfe an der Strecke nach Spandau verdanken?

Starkstromtunnel
Aus dem Umspannwerk Marzahn führen Strommasten ins Umland. Aber wo kommt der Strom her, der hier verteilt wird? Eine Erdleitung verbindet das Umspannwerk mit dem Kraftwerk Reuter, eine Transversale leitet Strom mit einer Spannung von 380.000 Volt durch die Stadt. Das Kabel ist in einem Tunnel verlegt, der streckenweise 30 Meter tief liegt, begehbar ist und mit einer Einschienen-Hängebahn befahren werden kann. Von Marzahn aus ins Umland wird der Strom durch eine Freileitung weiter verteilt.

Der Tunnelbau endet nicht

Autotunnel werden ausgehoben und wieder zugeschüttet (z.B. neben dem Europa-Center), Fußgängertunnel genauso (z.B. nahe dem Adenauerplatz), blinde Tunnel warten darauf, verwendet zu werden (z.B. Vorleistungen bei der U-Bahn), und der Tunnelbau hört nicht auf. Nach der Wende entstanden weitere Nord-Süd-Tunnel für die Fernbahn und für den Straßenverkehr ("Tiergartentunnel"). Die U-Bahnverbindung zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor wurde unter Berlins Mitte einschließlich Museumsinsel hindurchgebohrt. Andererseits muss mit den Bauten über der Erde Rücksicht auf die Röhren unter der Erde genommen werden.

Das nur zweieinhalb Meter tiefe "Handtuchhaus" am Kudamm 70 verdankt seine ungewöhnliche Bauweise dem Kudammtunnel, der zu seinen Füßen kreuzt. Dem geplanten Bau eines 150 Meter hohen Wohnturms am Alexanderplatz hat die BVG erst nach jahrelangen Verhandlungen zugestimmt, weil unter der Last des Turms Wasser in den U-Bahn-Tunnel der Linie U5 eindringen und das Netz lahmlegen könnte. Tatsächlich war 2016 durch einen Hotelbau Wasser in den Tunnel der U2 eingetreten und hatte den Tunnel absacken lassen.

Badeanstalt neben dem U-Bahnhof
Der Berliner Gartendirektor Erwin Barth blieb auf der Erde, schuf Volksparks, Parks, Gärten und Plätze in großer Zahl als Erholungsflächen in Licht, Luft und Sonne. Er verstand es als soziale Aufgabe, eine grüne Stadt zu schaffen für Menschen, "welche sich keine eigenen Gärten leisten können". Doch dann wagte er sich an eine Vision für den Raum unter der Stadt, entwarf eine unterirdische Badeanstalt unter dem Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz), neben dem U-Bahnhof, dessen Treppenzugänge bequem und einfach auch zum Schwimmbad führen könnten. Der Plan gehört zu den über 850 Blättern mit seinen Zeichnungen und Entwürfen im TU-Architekturmuseum.

Barth erläutert das über zwei Untergeschosse reichende Schwimmbad: "Es ist ein Schwimmbecken von 50 m Länge und 15 m Breite möglich, das Ideal der Schwimmsportler, daneben in ausreichender Menge Umkleidezellen mit getrennten Stiefel- und Barfußgängen sowie Duschräume. Das Obergeschoß, welches sich im Grundriß der Anlage anzupassen hat, nimmt außer Brausebädern Wannenbäder und Gymnastikräume für Männer und Frauen auf. Die Beleuchtung kann durch Oberlicht und elektrische Leuchtkörper erfolgen. Die Durchlüftung macht keine Schwierigkeiten, ebensowenig die Ableitung des Wassers. Der Zugang von der Untergrundbahn ist, wie die Pläne zeigen, außerordentlich bequem und einfach."

War es nur eine Vision? Barth meinte, "die Mehrkosten, welche durch einen halbunterirdischen Bau entstehen, werden vielleicht schon dadurch ausgeglichen, daß man die Kosten der Ausbildung einer Fassade spart". Er meinte, dass der Bau der Badeanstalt "praktisch möglich" sei. Die Idee wurde aber nicht verwirklicht und Barth kehrte mit seinen Planungen auf die Erde zurück.

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> Spionagetunnel Rudow
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> Eisenbahntunnel im Flughafen
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Christus klopft an
Das unbequeme Gefühl einer Fahrt in der Reichsbahn