Städter leisten ertragreiche Landwirtschaft

Stadtteil: Spandau
Bereich: Falkenhagener Feld
Stadtplanaufruf: Berlin, Spekteweg
Datum: 8. Juli 2019
Bericht Nr.: 660

Von der Spandauer Altstadt bis nach Falkensee kann man auf einem grünen Band flanieren. Die Spekte-Niederung ist Teil des Berliner Urstromtals, das durch Gletscher in der Eiszeit gebildet wurde. Feuchte Wiesen, flache Moore und einen kleinen Fluss gab es hier - die Spekte, die in die Havel mündete. Mittendrin liegt der Spektesee, der durch Ausbeutung von Kiesvorkommen im Nassbaggerverfahren seine spätere Gestalt erhielt, teilweise ist er mit dem Aushub des U-Bahnbaus wieder aufgefüllt worden (und leider auch mit Schutt). Auch die Spektelake ist ein ehemaliger Kiesteich. Die den Spektesee und Spektepark flankierende Straße "Am Kiesteich" weist auf diese Vergangenheit hin.

Am Großen Spektesee wartet eine große Liegewiese auf Sonnenhungrige. Ansonsten ist der See von Schilf umgeben und eingezäunt. Auch die Liegewiese wird durch eine Barriere mit nur einem Durchgang geschützt. Sind die Spandauer so ungestüm, dass sie sonst alles niedertrampeln würden? Oder ist das Bezirksamt überbesorgt gegenüber seinen Schutzbefohlenen?

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Klettern im Spekte-Grünzug
Der Spekte-Grünzug wurde als Naherholungsgebiet entwickelt. Besonders stolz ist man auf den Kletterfelsen, an dem sich die sportbegeisterten Spandauer abarbeiten können - wenn er denn geöffnet ist. Der als "eindrucksvolles Symbol für die Erholungs- und Freizeitqualitäten des Wohnstandortes Falkenhagener Feld" gefeierte 18 Meter hohe Sport- und Orientierungspunkt ist von einer stabilen Zaunanlage umgeben, die verschlossen ist.

Einen Antrag fürs Klettern kann man unter einer Charlottenburger Telefonnummer anfordern. Offensichtlich sollen Haftungsrisiken ausgeschlossen werden, dabei heißt es doch so schön: "Ringsum befindet sich ein Kiesbett als Fallschutz".

Meine 13jährige Enkeltochter Anna K., die uns heute wieder beim Flanieren begleitet, ist jedenfalls enttäuscht. Wenigstens konnte sie an der kleinen Kletterwand auf Höhe der Zeppelinstraße ihre Kräfte messen. So konzentriert sie sich wieder wie in den Vorjahren auf das Fotografieren. Das Bild einer Hummel, die in einem Blumenkelch ihre Flügel eingeklappt hat, um den Nektar zu saugen, hat Anna K. eingefangen.

Bötzowbahn
Auf dem Weg zum Kletterfelsen überquert man die Gleise der Bötzowbahn. Diese Kleinbahnlinie führte seit 1912 von Bötzow im nördlichen Umland über das Spandauer Johannesstift bis zum Vorortbahnhof Spandau-West. Sie war als Industriebahn konzipiert, das Kraftwerk Oberhavel und mehreren Industriebetrieben in Hakenfelde waren über Anschlussgleise angebunden. Für die Personenbeförderung fuhr später in Spandau die Berliner Straßenbahnlinie 120 auf den Bahngleisen. Die AEG baute hierfür einen Benzoltriebwagen mit zwei Anhängern, optisch eine Straßenbahn mit Kühlergrill. Für ihre Fabrik in Hennigsdorf war die AEG sehr an einer Anbindung an die Bahnstrecke nach Berlin interessiert, 1931 wurde die Linie dorthin verlängert. Für den Antrieb mit einem Verbrennungsmotor baute die AEG einen weiteren Triebwagen als Vorführwagen, der eher einem Schienenbus mit Kühlergrill ähnelte, ein Hightech-Fahrzeug.

Großsiedlung An der Kappe
Vier markante Siedlungen liegen am Spekte-Grünzug. Nahe der Altstadt ist es die Großsiedlung „An der Kappe“, die 1933 bis 1937 in mehreren Bauabschnitten errichtet wurde. Sie besteht aus 41 Wohnblöcken mit mehr als 1.100 Wohnungen. Aus dem Besitz einer städtischen Wohnungsgesellschaft ging die Siedlung zunächst an die Objektgesellschaft eines holländischen Finanzinvestors. Seit drei Jahren ist sie in der Hand der umstrittenen "Deutschen Wohnen", die nicht die Wohnungen erworben hat, sondern den wesentlichen Teil der Gesellschaft und mit diesem Anteilskauf ("Share deal") die Grunderbsteuer gespart hat.

Die Straße "An der Kappe" hieß früher "Armer Sünderweg" oder "Schinderweg". Ein Teil der "Zeppelinstraße" trug den Namen "Hochgerichtsstraße". Dem Stadtkundigen erschließt sich sofort, dass sich hier in der Nähe der Galgenberg befand, wo im Mittelalter öffentliche Hinrichtungen stattfanden. Der Galgen wurde weithin sichtbar auf einem Hügel platziert.

Wohnsiedlungen Zeppelinstraße
In der Zeppelinstraße gehören Häuserzeilen entlang dem Blockrand zu zwei Wohnsiedlungen aus den 1920er Jahren. Die schlichtere Wohnhauszeile auf der westlichen Straßenseite mit fünfzig Häusern verwendet teilweise farbige Fensterläden als Ornamente oder markiert die Hauseingänge mit über Ecke gestellten Balkons.

Rund um Zeppelinstraße und Falkenseer Chaussee hat der Architekt Richard Ermisch in den 1920er Jahren eine genossenschaftliche Wohnsiedlung erbaut, die mit ihrer expressionistischen Ausgestaltung ziemlich einmalig ist.

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Die Türme an der Schnittstelle beider Straßen hatte ich bereits früher beschrieben, auf ihnen thronen mehrfach gestaffelte Spitzhauben aus farbigen Schieferstreifen. Die fast einhundert Bauten auf unserem heutigen Weg entlang der Zeppelinstraße imponieren mit dreieckigen Erkern, über Eck gesetzten Balkons sowie Fenstern, die mit farbiger Umrandung zu Bändern zusammengefasst werden und kleinen spitzen Dachgauben.

Siemens-Siedlung Staaken
Auch Städter können Landwirtschaft, stellte Siemens fest und entwickelte daraus die Idee, ihre nicht vollbeschäftigten Arbeiter beim Erwerb eines Nebeneinkommens zu unterstützen. Dabei dachte das Unternehmen nicht an Ackerbürger früherer Zeit, sondern an Kleingärtner, die gezeigt haben, "dass ein grosser Teil der Stadtbevölkerung durchaus dazu befähigt ist, ertragreiche Landarbeit zu leisten".

Siemens richtete zwei Kleinhaussiedlungen am Spandauer Stadtrand ein. Quasi in einem Zweitjob sollten ihre Kurzarbeiter - mit maximal 3 Tagen Wochenarbeitszeit im Unternehmen - die Grundstücke an ihren Einfamilienhäusern bewirtschaften und "einen Teil der wichtigsten Lebensmittel selbst erzeugen". Das Unternehmen offerierte ihnen bezugsfertige kleine Siedlungshäuser, mit denen sie "aus dem Miethauselend der Grosstadt herausgenommen" wurden. Eigenkapital mussten die Siedler nicht aufbringen, aber "bei der Aufschliessung des Geländes, an der Gewinnung der Baustoffe, an der Errichtung der Baulichkeiten, der Strassen, Zäune, Brunnen, bei Transportarbeiten usw. mitarbeiten". Grund und Boden verblieben im Eigentum des Unternehmens und wurden in Erbpacht gegen entsprechende Pachtzahlungen vergeben.

Auf den 900 qm großen Grundstücken konnten im hinteren Teil Kartoffeln und vorn Gemüse angebaut werden. 6 Hühner, 8 Obstbäume, 40 Beerensträucher, dazu Sämereien, Saatkartoffeln und Düngemittel sowie Werkzeuge und Geräte bekamen die Siedler als landwirtschaftliches Startkapital dazu.

Nördlich von Gartenfeld schmiegt sich die Siemens- Hoka-Siedlung als gleichförmiges Band an den Spandauer Schiffahrtskanal, dort waren wir vor drei Jahren. Am östlichen Ende des Spektefelds wurde die Siemens-Siedlung Staaken errichtet, die heute an unserem Weg liegt. Die Siedler sind in einer Siedlergemeinschaft zusammengeschlossen. Die früher unbefestigten Wege wurden asphaltiert, die meisten Häuser herausgeputzt, nur bei manchen haben sich die Fensterläden aus der Bauzeit oder die Jägerzäune erhalten.

Katholische St. Markus-Kirche
"Christus ist die Mitte unseres Lebens, deshalb steht der Altar, der Christus darstellt, in der Mitte des Kirchenraumes". Nach dieser Vorgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils hat der Dombaumeister Hans Schädel einen modernen Kirchenbautyp entworfen, der in Berlin in den 1970er Jahren drei Mal in der Gropiusstadt, in Lichtenrade und im Falkenhagener Feld realisiert wurde. Hans Schädel war die "Leitfigur des Sakralbaus nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland". Von ihm stammt auch der Entwurf der Kirche Maria Regina Martyrum, der katholischen Gedenkkirche für die Opfer des Nationalsozialismus.

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Der quadratische Sakralraum im niedrigen Zentralbau der St. Markus-Kirche könnte eine Kuppel tragen. Statt dessen verwendete der Architekt Hans Schädel einen Kegelstumpf, dessen gerippte Außenhaut die Berliner zu einer Assoziation mit einem Kaffeefilter animierte, für sie heißt die Kirche "St. Melitta".

Paul-Gerhardt-Gemeindezentrum
Am Paul-Gerhardt-Ring gibt es ein Café mit eigener Kirchenglocke. So wirkt das Paul-Gerhardt-Gemeindezentrum bei der Annäherung von der Straße her. Tatsächlich steht der Glockenträger frei neben dem eingeschossigen Gebäudetrakt mit Gottesdienstraum und Nebenräumen. Der Kirchenraum lässt sich durch Schiebetüren zu einem Veranstaltungsraum vergrößern. Das Café verwöhnt mit Yogurette-Torte und Streuselpflaumenkuchen. Hier können wir unsere Stadtwanderung entspannt abschließen.

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Unsere Route:
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Gebaute Reiseimpressionen
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