Berliner Kurorte und Heilbäder

Stadtteil: Reinickendorf
Bereich: Hermsdorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Junostraße
Datum: 16. Juni 2014
Bericht Nr.: 466

Der Traum von einem mondänen Badeort ist in Berlin mehrfach geträumt worden. Mondän, weltgewandt, so wie beispielsweise Marienbad, wo der gealterte Goethe sich in ein junges Fräulein verliebt hat - eine unerfüllte Liebe, die in einer sehnsuchtsvollen, schwermütigen Dichtung ("Marienbader Elegie") der Nachwelt überliefert ist. Oder ein Kurort, an dem ein Mann um eine bereits vergebene Frau wirbt, avantgardistisch verfilmt in "Letztes Jahr in Marienbad". Und wenn es nicht wie in Wiesbaden oder Baden-Baden sein würde, wo die gehobene Gesellschaft sich traf, dann sollte es zumindest ein bürgerfreundlicher Kurbetrieb sein mit Unterhaltung und Zerstreuung, nachdem man sich der Gesundheit gewidmet hatte. Man trinkt ein Schlückchen aus dem Brunnenglas, und wenn "das Wasser schmeckt wie Hering mit Lakritzen" (Erich Kästner), dann bringt das Amüsement danach den gerechten Ausgleich. In den nicht so prominenten, lokalen Badeorten waren es nicht die Adligen, sondern die Bürger, die Heilung und Erholung suchten.

Und das wurde auch in Berlin angeboten, wenn auch nicht nachhaltig. Im Wedding war durch die Aufmerksamkeit König Friedrichs I. eine Heilquelle entdeckt worden, die mehr als hundert Jahre lang den Gesundbrunnen zu einem Kurort machten (1). Im Treptower Ortsteil Johannisthal war die Zeit als Kurort "Bad Johannisthal" sehr viel kürzer (2). In der Friedrichstraße in Mitte gab es das "Admiralsgartenbad", weil unter dem Admiralspalast eine Solequelle sprudelte (3). Und auch in Hermsdorf - dem Ziel unseres heutigen Stadtrundganges - gab es eine Solequelle, die eine Entwicklung zum Kurort erwarten ließ, dazu gleich mehr. Nachdem sich in Berlin die Hoffnungen nicht erfüllt haben, ein Heilbad zu werden, kann man heute wenigstens in einer künstlichen Salzgrotte Gesundheit tanken, die "Stadtsaline" funktioniert ohne Solequelle vor Ort. Oder man kann hier im Wasser schweben bei Kerzenschein und Unterwassermusik, ohne in einen Kurort reisen zu müssen.

Hermsdorf hatte zweimal Pech mit dem Wasser. Erst überflutete Wasser die Gruben, aus denen Ton gewonnen wurde, und brachte damit die Ziegelproduktion zum Erliegen. Später war sehr schnell die Karriere als Kurbad mit Solequelle zu Ende, als das salzhaltige Wasser versiegte, das man durch Zufall entdeckt hatte. Doch jetzt eins nach dem anderen: Hermsdorf ist eines der typischen Berliner Dörfer, die im 13.Jahrhundert im Zuge des Ostkolonisation gegründet wurden. Es gab in dem Ort am Tegeler Fließtal (4) einen Gutshof, eine Kirche und eine Mühle. Um 1840 richtete der Gutsbesitzer eine Ziegelei ein, um die Tonvorkommen zu nutzen. Sein Nachfolger baute um 1860 die Ziegelei zur "Cement- und Tonwarenfabrik Hermsdorf AG" aus. Es wurden nicht nur Ziegel hergestellt, sondern auch Formsteine und Baukeramik. Durch Ziegelstempel, die vor dem Brennen in die Steine gedrückt wurden, ist die Verwendung nicht nur bei Bauten in Hermsdorf nachzuweisen. Der Ziegelstempel "Hermsdorff" findet sich an Backsteinen des Zellengefängnisses in Moabit (5), auch die gelben Blendsteine für die Zionskirche in Mitte und Steine für die Innenfassade des Roten Rathauses kamen aus Hermsdorf. Zwanzig Jahre nach Gründung der Fabrik drang Wasser in die Tongruben ein, die Produktion musste eingestellt werden. Allerdings hatte schon der "Gründerkrach" (6), die erste große Wirtschaftskrise nach der Reichsgründung 1871, dem Unternehmen wirtschaftlich zugesetzt, jetzt war die Pleite nicht mehr zu vermeiden.

Aus der Tonwarenfabrik an der Junostraße wurde dann das Restaurant Seeschloss, ergänzt um weitere Gebäude mit einem großen Saal, einer Kegelbahn und eine Gartenhalle. Im Tongrubensee konnte gebadet werden, die Straße zum Freibad bekam den Namen Seebadstraße. Nach mehreren Privateigentümern übernahm die Gemeinde Hermsdorf das Bad. Unter zwanzig Badegästen brach 1924 der Steg, alle überlebten das Unglück. Es war kein Weltrekordversuch, sondern schlicht ein Schwimmfest, das zu diesem Unfall führte. Nach der Wende wurden Eigentumswohnungen in das historische Gebäude mit dem Stufengiebel eingebaut. Die Skulpturen auf dem Stufengiebel stammen noch aus der Tonwarenfabrik, stolz zeigte hier die Fabrik ihr Können.

Der Hermsdorfer Gutsbesitzer Leopold Lessing ließ sich von der Schließung seiner Tonwarenfabrik nicht unterkriegen. Neun Jahre später stieß er bei Bohrungen an der heutigen Solquellstraße in gut 300 Fuß Tiefe auf salzhaltiges Wasser, er hatte eine Solquelle gefunden. In einem Gradierwerk pumpte man das Solewasser auf Reisigwände hoch, durch Heruntertropfen wurde es vernebelt, die angereicherte Luft erzeugte ein Klima wie an der See. Doch das bereits geplante Kurhaus blieb ungebaut, die Quelle gab bald nichts mehr her, sie ließ sich auch mit einer Pumpe kein salzhaltiges Wasser mehr entlocken.

Die Entwicklung zu einem Villenvorort Berlins aber war eingeleitet, und der Anschluss an die Nordbahn im Jahre 1887 förderte die Bautätigkeit weiter. Es war keine Terraingesellschaft, die Hermsdorf insgesamt entwickelte, sondern Baugenossenschaften und Baugesellschaften, an die der Gutsbesitzer einzelne Flächen verkauft hatte. Die Berliner Baugenossenschaft errichtete Wohnhäuser in der "Kolonie Hermsdorf" an der Bertramstraße, die Deutschen Volksbaugesellschaft war westlich der Bahn tätig. Es gab eine Villenkolonie Hillmann und natürlich Vergnügungslokale in der Nähe des Bahnhofs, die die großstadtmüden Besucher anlockten. Der Bahnarchitekt Carl Cornelius (7), der selbst in Hermsdorf geboren war, schuf einen repräsentativen Bahnhofsbau. Daran angrenzend errichtete Richard Brademann das für die Elektrifizierung der S-Bahn notwendige Gleichrichterwerk als Putzbau in einer Form, die er für die nördlichen Berliner Vorortstrecken gewählt hatte (8).

Das heutige Zentrum Hermsdorfs liegt westlich der Bahn (9), die Straße Alt-Hermsdorf mit dem alten Dorfkern im Osten. Der dreieckige Dorfanger wird als überkommene Form aus der vorchristlichen, slawischen Zeit angesehen. Jedenfalls ist Hermsdorf kein Rundlingsdorf, wie der "Rundlingssteig" in der Nähe vermuten lässt, sondern ein Sackgassendorf. Die Dorfkirche ist mehrfach abgebrochen und neu gebaut worden. Dabei hat sie auch ihren Standort gewechselt, der alte Standort ist bei Ausgrabungen zur 750-Jahrfeier Berlins freigelegt und markiert worden. Dabei wurde auch ein Grab mit einem Skelett in Hockstellung entdeckt, das auf die frühere slawische Siedlung verweist. Man schließt daraus, dass es hier einen gemeinsamen heidnisch-christlichen Übergangszeitraum der ansässigen slawischen Bevölkerung und der zugezogenen Ost-Kolonisten gegeben hat.

Am Waldseeweg vor dem S-Bahnhof finden wir einen Italiener, der menschenleer ist, weil hier kein public viewing zur Fußballweltmeisterschaft angeboten wird. Wir genießen die Stille und das Essen und Trinken, der Spaziergang wirkt in uns nach.
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Eine weitere Solquelle mit angeschlossenem Kurpark haben später wir in Lichterfelde entdeckt:
Solbad und Kurort Lichterfelde
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(1) Luisenbad. Gesundbrunnen: Einfach nur nass
(2) Kurort Johannisthal: Fliegen ist notwendig. Leben nicht
(3) Solequelle unter dem Admiralspalast: Planschen an der Friedrichstraße
(4) Mehr zum Tegeler Fließ: Tegeler Fließ
(5) Zellengefängnis Moabit: Im Dreieck springen
(6) Gründerkrach 1873: Schneller als Ruhm schwinden die Börsenkurse
(7) Carl Cornelius: Cornelius, Carl (Karl)
(8) Richard Brademann: Brademann, Richard
(9) Im westlichen Teil Hermsdorfs unterwegs: Unermüdliche Fürsorge und warme Teilnahme


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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Besteigung der Borsigwalder Alpen
Unermüdliche Fürsorge und warme Teilnahme