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Holländerhäuser im Villenviertel


Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: „Fürstenviertel“, Zinnowwaldsiedlung
Stadtplanaufruf: Berlin, Cassinohof
Datum: 9. Februar 2015
Bericht Nr: 495

Als am 1.Oktober 1953 der Sarg des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter aus seinem Wohnhaus in der Bülowstraße nahe dem Mexikoplatz herausgetragen wurde, lag eine Baskenmütze auf der umhüllenden Berliner Flagge. So kannten die Berliner ihren Oberbürgermeister, eine Baskenmütze auf dem Kopf, volksnah und zugleich kämpferisch ("Völker der Welt, schaut auf diese Stadt"). Auf dem Weg zum Rathaus Schöneberg passierte der Trauerzug den Platz an der Charlottenburger Chaussee Ecke Hardenbergstraße, „Knie“ genannt. Die Verlängerung dieser Chaussee führt geradewegs zum Brandenburger Tor, wo damals Ost-Berlin begann. Am Knie machte die Prozession Halt für die Umbenennung in Ernst-Reuter-Platz (1). Einen Monat später wurde die Charlottenburger Chaussee in diesem Abschnitt in Straße des 17.Juni umbenannt. Beides symbolische Handlungen, die das Wirken Ernst Reuters in der Zeit der Konfrontation von Ost- und West-Berlin nach Kriegsende würdigten. Am Schöneberger Rathaus - dem Dienstsitz Ernst Reuters - endet an diesem Tag der Trauerzug.

Die Bülowstraße am Mexikoplatz gehört wie die Fürstenstraße und die Roonstraße zum "Fürstenviertel", das sich namensmäßig allerdings früher jenseits der Bahn bis zur Lindenthaler Allee erstreckte. Dort gab es bis 1937 die Dessauer- (2), Schwerin-, Derfflinger-, Hohenlohe- und Seydlitzstraße, die von der Zehlendorf-West Terrain-Aktiengesellschaft um 1900 angelegt wurden als Infrastruktur für die Parzellierung und Verwertung ihres Areals. Als Gartendirektor hatte die Terraingesellschaft den bekannten Gartenarchitekten Ludwig Lesser verpflichtet, der unter anderem in Frohnau und in Gartenstädten wie Staaken und Falkenberg repräsentative Plätze und Grünflächen gestaltet hat (3). Das Bahnhofsgebäude am Mexikoplatz - der pure Jugendstil, einer der schönsten Berliner Bahnhöfe - hat wie üblich die Terraingesellschaft bezahlt, um die Baugrundstücke verkaufen zu können. Die Königlich-Preußische Eisenbahn-Verwaltung hat ihr Wappen mit goldenen Buchstaben "KPEV" an der Brücke neben dem Bahnhof angebracht (4).

Der Cassinohof gegenüber der Bülowstraße verweist auf den italienischen Ort (Monte) Cassino, um den eine der längsten und blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges geführt wurde. 20.000 deutsche und 55.000 alliierte Soldaten sind dabei ums Leben gekommen, das Kloster Monte Cassino wurde durch Bomben völlig zerstört. Wie hätten die Alliierten auch ahnen sollen, dass der deutsche Oberbefehlshaber das Kloster ausdrücklich von der Besetzung durch seine Truppen ausnahm und schützte. Der Bezirk Zehlendorf und seine Partnerstadt Cassino sind sich über die Kriegsgräberstätten näher gekommen, als der Bürgermeister von Cassino die Gräber italienischer Soldaten auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof ehrte und dabei eine assoziative Verbindung zu den deutschen Soldatengräbern in seiner Heimat herstellte.

Im Cassinohof soll ein gerade fertig gestelltes Einfamilienhausensemble "ein Gefühl von Weite und Geborgenheit" vermitteln, ein Gemeinschaftsplatz steht für das "Ambiente guter Nachbarschaft". Die Gebäude sind nach einheitlichem Muster seriell vervielfältigt nebeneinander gebaut. Angrenzend steht ein modernes Gleichrichterwerk der S-Bahn, dessen bogenförmige Dächer den Betrachter dazu bringen sollen, ein Bahnhofsgebäude zu assoziieren. Zumindest auf der Handskizze der Architekten kann man sich das vorstellen, in der Realität sind die Bauten viel zu gedrungen, um ein Bahnhofsfeeling aufkommen zu lassen.

Am Gemeindewäldchen Zehlendorf steht ein Gebäude aus der dörflichen Zeit dieses Viertels, ein Landarbeiterhaus von 1872, eingeschossig, mit Wohnung und Stall. An der Fischerhüttenstraße dämmert ein eingeschossiger Bau mit Fledermausgauben vor sich hin. Das Grünflächenamt hat das Gelände aufgegeben, es soll neu bebaut werden. In der Beerenstraße erweckt eine Reihenhausanlage mit Holländerhäusern unsere Aufmerksamkeit. Die Häuser sind frei von jeglichen Ornamenten und durch kleine Vorgärten von der Straße zurückversetzt. Die Reihenhäuser scheinen so gar nicht in diese Villengegend zu passen, doch die Architekten Prömmel und Keller haben der Nachwelt sogar drei gleichartige Wohnhauszeilen aus den 1920er Jahren in Zehlendorf hinterlassen. Am Eiderstedter Weg nahe dem Dubrowplatz hatten wir bereits bei einem früheren Spaziergang über ihre Bauten gestaunt (5). Eine weitere Wohnhausgruppe befindet sich an der Clayallee 259-271. Über die beiden Architekten und ihre Intentionen ist kaum etwas bekannt, in Reinickendorf haben sie noch eine Wohnanlage in "herkömmlichem" Stil gebaut. Mehrere Bauten errichteten sie für die Süddeutsche Immobilien-Gesellschaft AG, der in Berlin viele Grundstücke und Beteiligungen an zwei Terraingesellschaften gehörten.

Sind Dächer eine Frage der Weltanschauung? In der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus gab es eine Auseinandersetzung, ob ein Spitzdach oder Flachdach das Haus nach oben abschließen sollte. Der "Zehlendorfer Dächerkrieg" (6) richtete sich gegen das Flachdach, ein symbolhaftes Merkmal von Bauten der Neuen Sachlichkeit. Es setzte ihm das Spitzdach als Ausdruck des Heimatstils entgegen. Als später die Nazis die "Baugesinnung" kontrollierten, wurde das Flachdach zur "entarteten Baukunst", das Spitzdach zum Bestandteil der nationalsozialistischen Ästhetik. Nicht nur am Fischtal - wo der Dächerkrieg seinen sichtbaren Ausdruck fand - sondern auch in anderen Siedlungen jener Zeit hatte die Dachform mehr als nur architektonische Bedeutung.

Am Hartmannsweilerweg liegen die Zinnowwaldsiedlung aus den 1920er Jahren und die Siedlung am Poßweg von 1933/1934 räumlich beieinander. Die Häuser der Zinnowwaldsiedlung mit ihren steilen Walmdächern stehen in der Tradition der klassischen bürgerlichen Wohnanlagen. Sie haben leicht expressionistische Einsprengsel wie die Fassade-Vorsprünge oder -Rücksprünge an den Treppenhäusern und verzierte Hausnummern und Reliefs. Die Siedlung am Poßweg nimmt die Idee der Waldsiedlung auf, die Bruno Taut für dieselbe Baugesellschaft errichtet hatte, verzichtet aber auf das Flachdach und setzt stattdessen ein flaches Walmdach auf die Häuser. Das ist ein Zugeständnis an die neue Baugesinnung, nur mit dem Kompromiss bei der Dachform konnte eine im Übrigen fortschrittliche Planung realisiert werden.

Unser Flanieren im "Fürstenviertel" und den angrenzenden Siedlungen wird von Anwohnern aufmerksam und kritisch begleitet. In der Beerenstraße stellt sich eine ältere Dame auf dem Fahrrad als Eigentümerin einer Villa vor und stellt fest, sie wünsche nicht, dass ihr Haus fotografiert wird. Ein anderer Anwohner, der das beobachtet, meint, sie solle doch ihr Haus aufladen und wo anders abstellen. Am Hartmannsweilerweg kommt uns ein Anwohner mit dem Fahrrad hinterher gefahren und fragt, warum wir seine Wohnung fotografiert hätten. Solche misstrauischen Blicke hat schon Franz Hessel ertragen müssen, als er in den 1920er Jahren in Berlin flaniert ist (7). Dabei richtet sich unser Bestreben nur darauf, uns und unseren Lesern die Vielfältigkeit Berlins näher zu bringen.

Unser Flaniermahl nehmen wir beim „Kretaner“, einem Griechen am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte ein. Die können kochen, da ist es kein Wunder, dass sich an einem Montagabend das Lokal nach und nach füllt.

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(1) Ernst-Reuter-Platz wird umbenannt: Der Regent an seinem Platz
(2) Die Dessauer Straße war nach dem "Alten Dessauer" benannt: Leopold I. von Anhalt-Dessau, der "Alte Dessauer"
(3) Der Gartenarchitekt Ludwig Lesser: Lesser, Ludwig
(4) Das Wappen der KPEV: Schwarzes Korps und "Weiße Juden"
(5) "Holländer-Häuser": Kiefern und Heidegestrüpp
(6) Zehlendorfer Dächerkrieg: Zehlendorfer Dächerkrieg
(7) Misstrauische Blicke auf die Flaneure: Franz Hessel - Der Vater der Flaneure

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route
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Orgelmusik im Herrenhaus