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Die Augen schließen vor der Lichterscheinung


Stadtteil: Schöneberg
Bereich: Malerviertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Eisackstraße
Datum: 16. Dezember 2019
Bericht Nr.: 681

Im Hochhaus am Innsbrucker Platz - Hauptstraße Ecke Rubensstraße - wurden jahrzehntelang Möbel verkauft. Kaum jemand wusste noch, dass die Einrichtungsgegenstände dort atomsicher präsentiert wurden, denn das Gebäude war als "Atomhochhaus" erbaut worden. Errichtet wurde es von dem Architekten der Nachkriegsmoderne Hans Schoszberger, der zusammen mit Paul Schwebes weitere "normale" Hochhäuser (Telefunken-Hochhaus, Bikini-Hochhaus) entworfen hatte.

Atomhochhaus
In den 1950er Jahren hätte man es eigentlich besser wissen müssen, dass das Gebäude keinem Nuklearschlag standhalten würde und die Menschen nicht geschützt werden könnten, schließlich waren die beiden Atombombenabwürfe über Japan noch nicht lange her. Stattdessen erzeugte die US-Atomenergie-Kommission den fatalen Eindruck, dass man sich im Fall eines atomaren Angriffs schützen könne und der Bundes-Innenminister schloss sich mit einer Broschüre "Jeder kann sich schützen" dieser Kampagne an. Die Amerikaner empfahlen, "alle unbekleideten Körperteile zu bedecken, sich im Freien auf dem Boden zusammenzukauern oder in Gebäuden unter einen Tisch zu kriechen", um sich vor der Strahlung zu schützen. Die Bonner schlugen vor, sich "flach auf den Boden werfen und vor der Lichterscheinung die Augen zu schließen, sowie Gesicht, Nacken und Hände zu schützen". Einen gewissen Schutz könne auch ein fester Tisch, Schreibtisch oder dergleichen bieten. Nach diesem Versuch gezielter Volksverdummung ist es nicht erstaunlich, dass irgendwann auch die "friedliche" Atomenergie von Bürgerinitiativen bekämpft wurde.

Der West-Berliner Senatsangestellte Menz berichtete auf einer Diskussionsveranstaltung in Ost-Berlin, an der auch Robert Havemann teilnahm, dass der Bau überwiegend aus öffentlichen Mitteln des Wohnungsbaus subventioniert wurde. Zur Freude der DDR-Propaganda, die den Senatsmitarbeiter als "Genosse Menz" vereinnahmte. Diskutiert wurde auch die Beteiligung eines "Bonner Geheimfonds" und von Mittel der Amerikaner.


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Man war sich einig, dass ein solcher Bau nur mit Zustimmung der amerikanischen Besatzungsmacht zustande kommen konnte. Gottlob musste die Eignung des Baus für den vorgesehenen Zweck nie geprüft werden.

Verkehrsadern neben und über der Rubensstraße

Unser Weg führt uns heute vom Innsbrucker Platz zur Rubensstraße, der wir bis zum Ende am Auguste-Viktoria-Klinikum folgen. Der Bau der Stadtautobahn hat den Kiez geprägt, auch die Rubensstraße, deren gerader Nord-Süd-Verlauf zur Hauptstraße abgeknickt wurde. Ein Straßenstumpf schließt die Eisackstraße an, die ursprünglich bis zum Innsbrucker Platz verlief. Kaum hat man die Ringbahn am Innsbrucker Platz verlassen, unterquert man in der Rubensstraße drei Brücken: Auf Höhe der Baumeisterstraße die Bahnbrücke der Wannseebahn, gleich gefolgt von zwei Stadtautobahnbrücken der A 103 nach Steglitz. 500 Meter östlich liegt dort das Autobahnkreuz Schöneberg als ausgreifendes Kleeblatt in der Stadtlandschaft. Südlich der Brücken beginnt rund um die Rubensstraße das Malerviertel, das bis nach Friedenau reicht.

Städtischer Friedhof Eisackstraße
Am Ende des Straßenstumpfes der Rubensstraße ist der Städtische Friedhof Eisackstraße mehrfach Opfer heftiger Eingriffe geworden. Als Gemeindefriedhof von Schöneberg war er 1883 in einer Größe von 44.000 qm angelegt worden. Im Zusammenhang mit den Germania-Planungen von Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer wurde der Friedhof an seinem oberen Ende verkürzt. Drei große Karrees wurden abgeschnitten, um der Bahntrasse zum Südkreuz einen diagonalen Verlauf zu geben.

Krass wurde es mit dem Bau der Stadtautobahn A 100 zum Kreuz Schöneberg. Der Stadtring wurde als Einschnitt diagonal durch die verbliebene Friedhofsfläche gelegt. Danach waren nur noch 18.000 qm oder 41 % des ursprünglichen Friedhofs übrig geblieben. Der erste (Ober-)Bürgermeister der Stadt Schöneberg, Rudolph Wilde, musste ebenso "wandern" wie "Der Schlaf" des Bildhauers Hermann Hosaeus, um noch auf dem Friedhofsrest einen Platz zu finden. Aus dem verbliebenen Friedhofsteil hinter dem Einschnitt wurde eine Kleingartenanlage. Friedhofsruhe kann hier nicht mehr einkehren, inzwischen ist die Begräbnisstätte entwidmet worden.


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Wer wohnte in der Rubensstraße?
Bevor die DADA-Künstlerin Hannah Höch im November 1939 ihr eigenes Häuschen in Heiligensee bezog, wohnte sie mit ihrem Freund in der Rubensstr. 66 Ecke Begasstraße. Mit einem Linolschnitt hatte sie 1933 den Einzug in diese Dreizimmerwohnung verkündet: Der Katze Mütt folgt im Gänsemarsch Hannahs Freund mit einem kleinem Koffer. Mit leicht gesenktem Kopf läuft die Künstlerin mit unter den Arm geklemmter Staffelei samt Bild am Ende der Prozession. Das erinnert an eine Radierung von Nikolaus Chodowiecki, die seine Familie auf einer Wallfahrt nach Französisch Buchholz zeigt.

Der Politiker Paul Löbe wohnte von 1936 bis 1939 in der Rubensstraße 118. Sein Lebenslauf ist wie ein Gang durch viele politischen Systeme: Breslauer Stadtverordneter, Vizepräsident der Weimarer Nationalversammlung, Reichstagspräsident, Mitglied des Parlamentarischen Rates - der das Grundgesetz ausarbeitete -, Alterspräsident des deutschen Bundestages, Ehrenbürger Berlins. Die Gedenktafel an seinem Haus in der Rubensstraße ist "abhanden gekommen", eine neue wird von der Hausverwaltung nicht gewünscht.

Durch eine "Verordnung zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung" (mehr Substantive passten nicht in diesen Text) ist ein Milieuschutzgebiet eingerichtet worden, um der "sozialen Verdrängung alteingesessener Mieter entgegenzuwirken". Gegen die Gentrifizierung soll ja auch der umstrittene Mietendeckel helfen, der seine Bewährungsprobe noch nicht bestanden hat.

Wohnanlagen
Hat man die Brücken unterquert, begleiten die Ceciliengärten den weiteren Weg auf der Rubensstraße. Die Häuser gruppieren sich um eine kleine Parkanlage, geschützt, versteckt und verträumt. Die Ceciliengärten waren bereits Ziel eines früheren Spaziergangs, heute werden sie nur mit ein paar Fotos erwähnt.

Die Gemeinnützige Baugesellschaft Berlin Heerstraße hat mit den Architekten Mebes & Emmerich und Peter Jürgensen zwei Wohnanlagen in der Rubensstraße realisiert. Die Baugesellschaft war nicht auf fremdem Terrain tätig, sondern hatte sich schon längst von ihrem Namen emanzipiert. Sie war mit den Siedlungen Eichkamp, Heerstraße und Ruhleben gestartet, bei denen sie mit Architekten wie Bruno Möhring und Max Taut zusammengearbeitet hatte. Aus der kommunalen Wohnungsfürsorgegesellschaft "Märkische Heimstätte" wurde so die Baugesellschaft Heerstraße, die 1937 wie andere städtische Gesellschaften in der GSW aufging.

In Hessenwinkel haben wir vor vier Monaten die Waldkapelle "Zum anklopfenden Christus" gesehen und in Wilhelmshagen die Taborkirche, beides Bauten des Architekten Peter Jürgensen, der an der Rubensstraße eine Wohnanlage für die Baugesellschaft errichtet hat.

Als "Grenzgänger zwischen Tradition und Moderne" werden Jürgensen und sein Partner Bachmann beschrieben, die die schnell aufeinander folgenden Stile in ihren Bauten zu einer Einheit formen konnten. Jürgensen hat an der Rubensstraße mit unterschiedlichen Elementen wie Balkons und Loggien, betonten Kanten und Fensterumrandungen aus Backstein den kompakten verputzten Baukörper aufgelockert und strukturiert.


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Grazer Platz
Der Platz um die Nathanaelkirche trug anfangs den Namen der Kirche, 1939 benannten die Nationalsozialisten ihn um. Nach dem "Anschluss Österreichs an das Reich" wurde er nach der Hauptstadt der österreichischen Steiermark umbenannt. An einer Wohnanlage in der Kauschstraße - Querstraße des Grazer Platzes - sind zwei Sandsteinreliefs aus der Nazizeit erhalten geblieben, ein Hitlerjunge und ein BDM-Mädchen über den Hauseingängen. Anders als in der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf, die offensiv mit dem ungewollten Erbe eines Hitlerjungen in Uniform an der Kanzel umgeht, fehlt an der Wohnanlage eine Distanzierung oder auch nur Erklärung. Da ein tiefer Vorgarten den Wohnblock von der Straße trennt, werden die Reliefs von einem vorbeigehenden Passanten nicht wahrgenommen.

Kolonial-Ausstellung
Westlich des Grazer Platzes fand ab Mai 1907 in unbebautem Gelände eine fünfmonatige Gewerbeausstellung statt, die der Gewerbeausstellung 1896 im Treptower Park ähnelte, nur vom Umfang sehr viel kleiner war. Aber auch diese "Deutsche Armee-, Militär- und Kolonial-Ausstellung“ hatte ihren künstlichen See. Anders als im Treptower Park wurde dem Militär viel Gewicht eingeräumt. Es gab eine Arena für militärische Vorführungen, eine Marinehalle, einen Pavillon für "amerikanische Kriegsspiele". Firmen präsentierten Militärfahrzeuge und Militärausrüstungen wie Schießstands-Einrichtungen, Telefonstationen für Armee und Marine, Spezial-Röntgen-Einrichtungen für militärische Zwecke, Armee-Feldstecher.

Im Mai 1907 hatte Preußen gerade ein eigenständiges Reichs-Kolonialamt geschaffen, um dem Kolonialthema ein größeres politisches Gewicht zu verleihen. Am Grazer Platz gab es eine Kolonialausstellung und wie im Treptower Park wurden "gezähmte Wilde", gezeigt im Bereich "Wild-Afrika". Dort wurden Menschen und Tieren aus den deutschen Kolonien Südwest-Afrika, Ost-Afrika, Kamerun, Togo und Neu-Guinea ausgestellt. "Männer und Weiber, von der gelben bis zur tiefschwarzen Gesichtsfarbe, sind vom Orient unmittelbar nach Berlin transportiert worden" und mussten sich vom Morgen bis zum Abend von faszinierten Ausstellungsbesuchern anstarren lassen.

Zum Gewerbebereich gehörten eine Maschinenhalle und eine Leistungsschau der Betriebe. Die Deutsche Grammophon AG hatte in der Haupthalle einen eigenen Stand und zeigte dort "sehenswerte Szenen aus unseren Kolonien". Ihre Schallplatten fanden als deutsches Kulturgut in den Kolonien guten Absatz.

Auguste-Viktoria-Klinikum
Nach Auguste Viktoria, der letzten deutschen Kaiserin, sind Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Stiftungen in großer Zahl benannt. Für evangelische Kirchenbauten hat sie sich engagiert eingesetzt, so dass die Berliner ihr den Ehrennamen "Kirchen-Juste" verpassten. Auch für die Nathanael-Kirche auf dem Grazer Platz übernahm sie die Schirmherrschaft. Bei der Einweihung der Kirche 1903 ließ sie sich von ihrem Sohn vertreten, dem Kronprinzen Wilhelm von Preußen. Auch Krankenhäuser hat sie gefördert, das 1906 eingeweihte Auguste-Viktoria-Krankenhaus an der Rubensstraße besuchte sie allerdings 1910 zum ersten Mal., Es trägt ihren Namen als allgemeine Würdigung und nicht wegen einer konkreten Beziehung.

Zum 50jährigen Bestehen hat sich das Krankenhaus 1956 etwas Ungewöhnliches einfallen lassen. Es hat nicht Honoratioren zu einer Festveranstaltung ans Buffet gebeten, sondern sich auf seine Klienten besonnen und - ohne Festakt - ein Festessen für die Patienten veranstaltet. 1999 wurden im Außenbereich des Krankenhauses ein Skulpturengarten sowie Duftkräuter- und Arzneipflanzengarten angelegt. Auch der technische Fortschritt war nicht aufzuhalten, 2016 erfolgte die erste Operation mit dem Roboter.

Von der Brücke über den S-Bahnhof Feuerbachstraße bietet sich ein toller Blick auf das entkernte Hochhaus des Steglitzer Kreisels. Wie eine grafische Struktur balanciert es zwischen den ehrwürdigen Häusern am Ende der Schloßstraße. Vollmundig verspricht der Investor ein "Lebensgefühl wie in Manhattan in dem höchste Wohnturm der Stadt". Die Mitarbeiter des Bezirksamts fanden es da oben sehr zugig, aber so etwas kann man in Manhattan auch in den Griff bekommen.
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