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Christus klopft an


Stadtteil: Köpenick
Bereich: Hessenwinkel, Wilhelmshagen
Stadtplanaufruf: Berlin, Im Haselwinkel
Datum: 26. August 2019
Bericht Nr.:666

Mehr jottwede (jwd = janz weit draußen) geht in Köpenick nicht, unser Ziel Hessenwinkel ist der östliche Ortsteil von Köpenick. Am schnellsten erreicht man ihn über die S-Bahn-Endstation Erkner und kurvt dann mit dem Bus nördlich um den Dämeritzsee herum zurück. Das Bezirksamt Köpenick schwärmt von der Lage am See, "den großen Straßenbaumalleen, den grünen Plätzen im öffentlichen Raum, der Vegetation auf den Grundstücken (im Vorgartenbereich und in den teilweise parkähnlichen Gärten) und den künstlich angelegten Gewässern wie dem Hubertussee". Bevor die kleine Villenkolonie entstand, wurde in den Mooren Torf abgebaut ("gestochen").

Hessenwinkel hat sich aus einem 1739 angelegten Vorwerk entwickelt. Und auch hier begegnet er uns wieder, der "Landjäger Bock", der wie eine Schimäre durch die Köpenicker Geschichte geistert. Landjäger? Er war ein Förster, der für Friedrich den Großen tätig war, das Vorwerk Hessenwinkel und das Landgut Adlershof nebst einer Kolonistensiedlung anlegte. Sein Tod kam plötzlich, bei übergroßem Eifer für seinen König "rührte ihn der Schlag", näheres steht in meinem Adlershofer Bericht.

Am Beginn der Lutherstraße treffen wir als erstes auf ein Schweizerhaus mit durchgehendem hölzernen Balkon, das aus der Entstehungszeit der Villenkolonie kurz nach 1900 stammt. An der Kanalstraße taucht eine Backsteinburg auf, die "Villa Burgfrieden" mit Zinnen und umlaufenden Blendfriesen. Ein ungewöhnlicher Bau, über dessen Architekten Larisch (Vorname unbekannt) keine weiteren Informationen online zu finden sind.


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Ein paar Grundstücke weiter steht eine prächtige weiße Villa, die Kronprinz Wilhelm von Preußen, Sohn des letzten Kaisers Wilhelm II. erbaut haben soll. Der Architekt der Villa Carl Krell ist vor allem in Hessen und in Hannover tätig geworden.

Die Kolonie Hessenwinkel wurde ab 1900 nach und nach mit unterschiedlichen Vorstadtvillen und Sommerhäusern bebaut. Vielfach wurde Holz als schmückendes Element verwendet als Fachwerk und bei auskragenden Dachkonstruktionen und vorgehängten Balkons. In der DDR-Zeit hatten sich die Kasernen des Grenzausbildungsregiments 39 "Ho Chi Minh" in nördlichen Hessenwinkel ausgedehnt. Sie waren natürlich nicht für die Bewachung der Grenze Richtung Erkner zuständig, denn hier war alles DDR. Vielmehr wurden die Pionier-, Nachrichten- und Transportkompanien an der "Staatsgrenze" und bei der inneren Sicherung des Staates eingesetzt. Nach der Wende und der Zwischennutzung der Bauten für Aussiedler und Flüchtlinge ist das Kasernengelände geräumt worden. Ein Bebauungsplan sieht vor, hier einen "landschaftlich sehr attraktiven Stadtraum" mit Wohnbebauung zu entwickeln, die Bebauung läuft.

Kupferhaus
In den Berliner Außenbezirken sind acht Häuser verstreut, deren Fassade und Dach vollständig aus Kupfer bestehen. Innen sind die Kupferhäuser mit "Wohnmetall" verkleidet, Platten aus geprägtem Stahlblech. Elektroinstallationen, Sanitäranlagen und Zentralheizung befinden sich bereits in den Bauelementen, auch Einbauschränke und eine komplette Küche sind integriert. Selbst die Tapeten waren bereits als Relief in Nilgrün, Pastellblau oder Korallenrot auf dem Stahlblech aufgetragen.

In Köpenick ist die Hälfte der Berliner Kupferhäuser versammelt, an der Köpenicker Straße und in den Ortsteilen Rahnsdorf, Müggelheim und Hessenwinkel. In der Ahornstraße in Hessenwinkel arbeitet der Besitzer des dortigen Kupferhauses Typ "Kupfercastell" im Garten, als wir vorbeikommen. Die Innenausstattung des Hauses sei nicht mehr erhalten, und in dem Kupferhaus wohne man wie in jedem anderen Haus, mehr können wir ihm nicht entlocken. Vielleicht hat er gespürt, dass wir eine Einladung zur Innenbesichtigung nicht abgelehnt hätten.

Friedhof Wilhelmshagen

Auf dem Friedhof Wilhelmshagen treffen wir auf eine Schülerexkursion. Eine Religionslehrerin lässt ihre Steppkes erforschen, was man auf einem Friedhof sieht (Bäume, Wege, Gräber), wie alt die Verstorbenen geworden sind und was vielleicht man über die Familienverhältnisse von den Grabsteinen ablesen kann. Die ersten drei Schüler, auf die wir treffen, haben eine ganz besondere Aufgabe, sie sollen drei Minuten still vor einem Grab sitzen (toll!). Mit unserem Erscheinen hat sich das erledigt, sie erzählen uns gern von ihren Aufgaben. Auch mit der Lehrerin kommen wir in guten Kontakt.

Ehrengrab Gramatté
Ein Ehrengrab auf dem Friedhof gibt die Geschichte der Verstorbenen erst nach gründlichen Recherchen preis. Der Maler Karl-Schmidt-Rotluff schuf das Grabdenkmal, ein voluminös eingerahmtes Grabfeld. An der erhöhten Kopfseite der Umrandung ist mit in Gold hinterlegten monumentalen Großbuchstaben der Name Gramatté eingraviert. Walter Gramatté war ein expressionistischer Maler, der wie viele seiner Generation als Freiwilliger begeistert in den Ersten Weltkrieg zog. Körperlich krank und seelisch verletzt kehrte er zurück, wurde bekannt mit Werken wie "Aufschrei", "Die große Angst", "Das Müdesein".

Seine erste Ehe geht schief, dann trifft er auf die berühmte russische Pianistin und Komponistin Sophie-Carmen Fridman-Kotschewskaja, die als Sonia Gramatté seine Frau wird. Sie ist seine Muse, er schafft mehr als 150 Bildnisse seiner Frau und wendet sich in der Malerei Landschaften und Blumen zu. Als er 1929 mit nur 32 Jahren stirbt, hat er 123 Ölgemälde, 240 Aquarelle, 400 Handzeichnungen und 240 Druckgrafiken geschaffen. Beerdigt wird er auf dem Friedhof Wilhelmshagen in der von seinem Freund Karl-Schmidt-Rotluff geschaffenen Grabanlage C9.

Bei dem Werk-Umfang und der künstlerischen Entwicklung Gramattés war es nicht verwunderlich, dass sich der Kunsthistoriker Ferdinand Eckhard in seinem Buch "Berliner Graphiker der Nachkriegszeit" (nach dem Ersten Weltkrieg) ausführlich mit dem Maler beschäftigte, den er als "einen der meistversprechenden unter der jüngsten Generation" ansah. Hierüber kam er der Witwe nah, und noch näher - beide heirateten im Jahr nach Gramattés Tod. Sie organisierten gemeinsam eine Gedächtnisausstellung zu Ehren von Walter Gramatté, die in mehreren deutschen Städten gezeigt wurde.

Eckhard studierte Kunstgeschichte in Wien, arbeitete als Journalist in Berlin, leitete bis zur Einberufung im Zweiten Weltkrieg den Aspirin-Vertrieb für die Bayer-Werke. Nach Kriegsende war er in Wien bei den staatlichen Kunstsammlungen tätig und ging dann nach Kanada als Direktor der Winnipeg Art Gallery.

Zusammen mit seiner Frau Sonia Eckhard-Gramatté sorgte er dafür, viele Werke von Walter Gramatté vor dem Zugriff der Nazis als "Entartete Kunst" zu schützen. Als beide 1953 nach Kanada umzogen, nahmen sie die Werke von Sonias verstorbenen Mann mit auf die Reise. Es wird geschrieben, dass Gramattés Bilder nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland weitgehend unbekannt blieben, weil sie schlicht nicht mehr verfügbar waren. Nach einer langen und erfolgreichen Zeit in der kanadischen Kunstszene trat Eckhard 1974 in den Ruhestand. Im gleichen Jahr kam seine Frau bei einem Autounfall ums Leben. Sie wurde in Berlin neben ihrem verstorbenen Mann Walter Gramatté im Grab C9 des Wilhelshagener Friedhofs beerdigt, nach 44 Jahren Ehe mit Ferdinand Eckhard.

Nach dem Tod seiner Frau beschäftigte sich Eckard mit dem Andenken seiner Frau, gründete eine Stiftung unter ihrem Namen sowie einen nationalen Musikwettbewerb und schrieb und veröffentlichte ihre Biografie. 21 Jahre nach seiner Frau starb er im gesegneten Alter von 92 Jahren in Kanada. Beerdigt wurde er im Grab C9 der Wilhelshagener Friedhofs, neben seiner Frau und deren vorverstorbenen Mann, mit dessen Werk er sich vor Jahrzehnten so ausführlich beschäftigt hatte. Am Grabdenkmal steht nur der Name Gramatté.

Friedhof Hessenwinkel
Hessenwinkel hatte 1909 einen eigenen kleinen Friedhof angelegt, der entsprechend dem Friedhofsentwicklungsplan von 2006 geschlossen wurde. Aufgrund der "Entwicklung des Bestattungsverhaltens in Berlin" wurde ein "langfristiger Flächenüberschuss" ermittelt, der zur Schließung von Friedhofsflächen führt. "Pietätsbefangen" sind die Begräbnisstätten noch 30 Jahre lang, Bestattungen sind jetzt auch in Familiengräbern nicht mehr möglich. Die Friedhofsverwalterin von Hessenwinkel brachte es so auf den Punkt: "Es ist ja nicht so, dass jeder einen Friedhof vor der eigenen Haustür haben muss". Nach der Entwidmung können Grünflächen angelegt oder die Flächen zur Bebauung freigegeben werden für ein "Wohnen auf Gräbern" (Deutschlandfunk).

Massengrab im Schützenwäldchen
Und noch eine Begräbnisstätte liegt auf unserem Weg, ein Massengrab im Schützenwäldchen zwischen Hochlandstraße und der Straße Siedlung am Walde. Als die Rote Armee 1945 als Sieger nach Wilhelmshagen einmarschierte, trafen sie dort auf keinen Widerstand, sie konnte den Ort kampflos einnehmen. Trotzdem mussten nach ihrem Eintreffen 17 Tote in einem Gemeinschaftsgrab im Wald beerdigt werden, nur in Tücher oder Teppiche gehüllt. Sechs Frauen und Mädchen aus der "Siedlung am Walde", die von Rotarmisten vergewaltigt worden waren, nahmen sich das Leben. Nicht gemeinsam, aber vereint in Verzweiflung, Angst und Scham. Drei Zivilisten, die in einem Erdloch Zuflucht genommen hatten, wurden von den Russen erschossen - weil sie Stahlhelme trugen und für deutsche Soldaten gehalten wurden. Und andere Einwohner starben durch russische Hand.

Die russische Administration ließ die Anlage und die Pflege des kleinen, "illegalen" Friedhofes stillschweigend zu. Die Bewohner redeten nicht über die Toten im Schützenwäldchen und schwiegen auf Fragen zu diesem Thema. Andererseits duldete die DDR von sich aus keine unangenehme Erinnerung an den großen Bruder in Moskau. Als der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei einen Anwohner bei der Grabpflege ertappte, unterband er das auf der Stelle. Nach der Wende ist der Gedenkort wieder hergestellt worden. Auf einem Gedenkkreuz im Walde finden sich die Namen der dort Bestatteten.


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Das Schützenwäldchen hatte seinen Namen schon vor der Anlage des Massengrabs. An zwei Seiten ist es umgeben von einer Behelfsheimsiedlung für Berliner, die ausgebombt wurden. Die Grundstücke lassen nur einen schmalen Zugang von der Ostseite zu, der schwer zu finden ist. Auf der Westseite des Wäldchens gibt es einen Weg von der Hochlandstraße.

Die Behelfssiedlung wurde von Zwangsarbeitern gebaut, italienischen Militärinternierten, die in einem Lager in Wilhelmshagen untergebracht waren. Östlich vom Bahnhof Wilhelmshagen standen Eisenbahnrampen, an denen von 1942 bis 1945 Zwangsarbeiter aus Osteuropa und aus westeuropäischen Staaten eintrafen, die von hier aus verteilt wurden. Der mit Hitler-Deutschland verbündete italienische Diktator Mussolini war 1943 gestürzt worden, die neue Regierung beendete für Italien den Krieg. Daraufhin verschleppte die deutsche Wehrmacht italienische Soldaten als Militärinternierte in die Zwangsarbeit.

Alte Spree
Unser Spaziergang hat sich nur zufällig zu einer Friedhofstour entwickelt. Der Ort wird eher durch das Wasser geprägt, Hessenwinkel liegt am Westufer des Dämeritzsees, der zur Hälfte zu Berlin und zur Hälfte zum Brandenburger Landkreis Oder-Spree gehört. Die Müggelspree fließt vom Dämeritzsee Richtung Berlin zum Müggelsee. Da der Wasserweg um die Südspitze von Hessenwinkel zu umständlich war, hat man einen Kanal durch den Ort gebaut, durch den der "Alte Spreearm" überflüssig ist, gleichzeitig aber der abgeschnittene Teil des Ortes zu einer Insel wird.


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Fracht-, Ausflugs- und Sportschiffer nutzen den Dämeritzsee. Fünf Wasserstraßen treffen hier aufeinander. In Hessenwinkel ist ein Leuchtfeuer wachsam, so kann die Orientierung gelingen, damit hier nicht wie in Rahnsdorf am Müggelsee "Menschenfischer" Schiffbrüchige aus dem Wasser ziehen müssen. Die Straßenbenennungen auf der kleinen Insel von Hessenwinkel könnten auch von der Schifffahrt inspiriert sein: Wodan, germanischer Gott des Sturmes und sein Sohn Baldur, Gott des Lichtes sowie Triglaw, der slawische Gebieter über Himmel, Erde und Unterwelt sind die Namensgeber.

Waldkapelle "Zum anklopfenden Christus"
Dass Christus nicht einfach erscheint, sondern vorher anklopft, wird in der Offenbarung des Johannes erzählt: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten". Im Altarbild der 1910 eingeweihten Waldkapelle in Hessenwinkel war diese Szene ausgemalt, doch zu DDR-Zeiten hielt man nichts von solchen Themen und überpinselte das Bild mit weißer Farbe. Bald konnten auch keine Gläubigen mehr außen an die Pforte klopfen, der Gemeinde fehlte das Geld, um die Kapelle zu erhalten. Nach der Wende zeigte sich, wie gut es ist, wenn der Landeskonservator der Kirchengemeinde angehört. Natürlich nach den Regeln des Denkmalschutzes - und mit Hilfe einer kreativen Finanzierung - wurde das Kirchlein saniert.

Erbaut wurde das Gotteshaus von den Architekten Bachmann und Jürgensen, die als Architektengemeinschaft auch das Rathaus Schöneberg und die Taborkirche hier in Wilhelmshagen entworfen haben. Der Kirchturm, den man in der Ansicht sieht, wenn man auf die Kirche zugeht, ist in Wirklichkeit ein Risalit, ein Bauteil, der aus dem eigentlichen Kirchenbau vorspringt, überdacht ist und die Glocke trägt. Drei kreisrunde Fenster in der Ansicht stehen für Vollkommenheit (Kreis) und für die Trinität (Dreieinigkeit).


Nach einem Rast an der Taborkirche kommen wir müden Fußes am Bahnhof Wilhelmshagen an, doch weder an der Kirche noch am Bahnhof bittet uns ein Café zu einer Rast. So nehmen wir die Bahn in die Innenstadt zurück und geben trotzdem den Rat: Fahrn se raus nach jottwede, hier herrscht eine unglaubliche Ruhe.

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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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