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Prozession zu den Hugenotten


Stadtteil: Pankow
Bereich: Französisch Buchholz
Stadtplanaufruf: Berlin, Pfarrer-Hurtienne-Platz
Datum: 23. Mai 2011

Ein Körbchen am Arm, eine Stange mit Brezel und Würsten geschultert, so führt eine Frau in der Kleidung von 1775 eine Prozession an. Ihr folgen auf einem Esel zwei Männer, hintereinander sitzend, in den beiden Körben links und rechts der Eselsflanken reisen zwei weitere Frauen. Der Esel äppelt vor sich hin, gottlob hält die ihm folgende Frau den Napfkuchen hoch genug. Neben ihr eine Dame mit einem Hut, der auch auf einer britischen Prinzenhochzeit Staat gemacht hätte. In ihrem Korb am linken Arm mehrere Flaschen, in denen man Hochprozentiges vermuten darf. Den Abschluss macht ein Musikus, der die "Wallfahrt" auf der Fidel begleitet.

In Französisch Buchholz wollte man uns verklickern, so seien die französischen Glaubensflüchtlinge ins Brandenburgische eingezogen. Aber wir wissen es besser: Daniel Nikolaus Chodowiecki wollte vermittelst dieses Bildes mit leichtem Spott seine Familie darüber hinweg trösten, dass wegen schlechten Wetters ein Besuch in Französisch Buchholz ins Wasser gefallen war.

2.300 Radierungen hat Chodowiecki geschaffen, er war Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Künste. Ihm gelang es vortrefflich, Szenen des bürgerlichen Lebens darzustellen. Johann Wolfgang von Goethe nannte Chodowiecki einen "sehr respektablen Künstler". Beide waren befreundet, Chodowiecki hatte Goethes "Leiden des jungen Werther" und danach noch viele andere seiner Werke illustriert. 1778 kam Goethe nach Berlin und war - so schrieb er es am 20. Mai in sein Tagebuch - mit Chodowiecki in Schönhausen, Tegel, Charlottenburg und Zehlendorf unterwegs.

Daniel Chodowiecki engagierte sich in der Französischen Gemeinde in Berlin. Sowohl seine Mutter - eine Schweizerin - als auch seine Ehefrau - eine Holländerin - waren hugenottischer Abstammung. Und damit sind wir in Französisch Buchholz mitten im Thema.

Der Ortsname "Französisch Buchholz" geht auf die Einwanderer aus Frankreich zurück, die vom Großen Kurfürsten nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs ins Brandenburgische geholt wurden. In den Dörfern waren durch den Krieg viele Bauernhöfe verlassen oder verwüstet, der historische Begriff "wüst gefallen" bringt es auf eine griffige Formel. Die Franzosen gaben dem Land einen Modernisierungsschub, auch im Dorf Buchholz - das bereits seit 400 Jahren bestand - zeigten sie mit dem Anbau von Gemüse, Kräutern und Blumen Fähigkeiten, die den Einheimischen unbekannt waren. In ganz Brandenburg führten die Hugenotten mindestens 46 Berufe neu ein, sie waren nicht nur Landleute, Handwerker und Kaufleute, sondern auch Intellektuelle und Wissenschaftler. Ihr Anteil an der Bevölkerung betrug in Berlin um 1700 zwanzig Prozent der Einwohner, in Buchholz ein Drittel.

Aber sie wurden oft nicht mit offenen Armen empfangen. Die faktische Überlegenheit gegen über den Einheimischen, die unterschiedlichen Glaubensansichten und die staatlichen Vergünstigungen für die Neuankömmlinge sorgten anfänglich für Ablehnung und Neid, auf lange Sicht aber wurde das Hugenottische bis in die Sprache hinein Bestandteil des Alltags und der Kultur. Bereits nach 60 Jahren bürgerte sich die Bezeichnung "Französisch Buchholz" ein, obwohl sie nicht die Mehrheit der Dorfbevölkerung bildeten. Die Dorfkirche nutzten sie aufgrund obrigkeitlicher Anordnung abwechselnd mit den Lutherischen, später wurden Neugestaltungen und Erweiterung der Kirche gemeinsam festgelegt.

Die Uckermärkische Landstraße, die durch das Straßenangerdorf führte, war eine Handelsverbindung von Berlin zur Ostsee, ab 1700 machten die Berliner Ausflüge in das hugenottische Dorf. 1830 wurde die Chaussee gepflastert (--> 1), heute wird der Fernverkehr über die Stadtautobahn 114 um Buchholz herum geführt, trotzdem lässt das Verkehrsaufkommen auf der Hauptstraße in Buchholz kein dörfliches Gefühl aufkommen. Östlich der Straße lagen ein Gutshof, eine Gärtnerei, eine Hühnerfarm und ein Wildgatter. Das Gelände wurde nach 1900 von einer Terraingesellschaft parzelliert, es blieb nur vom Gutshof ein Gebäuderest erhalten. Die Kirche mit dem schlanken quadratischen Turm und dem Stufengiebel am Pfarrer-Hurtienne-Platz zeigt eine Wetterfahne von 1886, dahinter steht das alte Schulhaus und auf einer Seite des Angers geben das Kopfsteinpflaster und die niedrigen Häuser noch einen Anhaltspunkt für die dörfliche Vergangenheit.

Um nach Französisch Buchholz zu kommen, haben wir vom S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf die Tram M50 genommen. Vor der Rückfahrt stärken wir uns in einem Lokal an der Berliner Straße und sind trotz kleinster Preise und möglicher Auswahl zwischen Chinesisch, Vietnamesisch und Thailändisch nicht so recht glücklich, aber wir haben es überlebt. Hatte ich nicht schon früher beschlossen, weiter zu suchen, wenn ich eine bebilderte Speisekarte sehe? Beim nächsten Mal werde ich es beherzigen.
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(1) 1792 wurde die Potsdamer Chaussee in Zehlendorf als erste Straße in Preußen befestigt: Die erste preußische Chaussee


Gurke und Sichel
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