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Gottesfürchtiges Neukölln


Stadtteil: Neukölln
Bereich: Britz, "Kirchenviertel"
Stadtplanaufruf: Berlin, Rungiusstraße
Datum: 19. Dezember 2018
Bericht Nr.:641

Alle 50 Meter eine Kirche, an jeder Querstraße ein Gotteshaus, was für ein gottesfürchtiger Ort ist das hier im Umkreis des Neuköllner Kranoldplatzes! Erweitert man den Radius um 500 Meter, dann findet man im Einzugsgebiet zwei weitere Kirchen und eine Religionsgemeinschaft. Eine Moschee nicht mitgerechnet, die man in Neukölln selbstverständlich erwarten kann.

Sie finden Kirchen nicht so interessant? Dann können Sie im Text springen zur Stadtautobahn unter dem Carl-Weder-Park

Wie kommt es zu dieser Agglomeration (Anhäufung) sakraler Bauwerke? Gestatten Sie einen Seitenblick auf die Wirtschaftstheorie: Wenn sich an einem Standort gleichartige Betriebe wie Kaufhäuser, Möbelläden oder Supermärkte zusammenballen, dann braucht der Kunde nur ein "One-Stop-Shopping" zum Einkauf: Was er beim Ersten nicht bekommt, findet er beim Nächsten. Aber ein Gang des Gottsuchenden von einem Kirchengebäude zum nächsten? Wohl kaum vorstellbar. Dann muss der Grund wohl eher auf der Anbieterseite liegen, bei einer großen Bevölkerung werden mehrere verschiedene Glaubensrichtungen ihre Anhänger finden.

Und tatsächlich sind es unterschiedliche Ausprägungen der christlichen Weltsicht, Denkweise, vielleicht auch Ideologie, die in dem - von mir so genannten - "Neuköllner Kirchenviertel" vertreten sind. Denken wir an Lessings Ringparabel in "Nathan der Weise", dann sind alle Religionen gleich wahr und gleich falsch und haben letztlich ihren Ursprung in ein und demselben Gott. Solange sie sich nicht gewaltsam voneinander abgrenzen, ist ihre Gleichzeitigkeit ein Vorteil, die Gläubigen haben - profan gesagt - mehr Auswahl.

Philipp-Melanchthon-Kirche
Neukölln wurde durch den rasanten Bevölkerungszuwachs während der Industrialisierung eine der größten evangelischen Stadtgemeinden Deutschlands mit 200.000 Gemeindemitgliedern. Die Gemeinde wurde in fünf Kirchenbezirke gegliedert, die sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg auflösten, als die Zahl der Kirchenmitglieder spürbar zurückging. Der Architekt Franz Schwechten - die Gedächtniskirche ist sein Werk - entwarf für den Reuterplatz eine monumentale Kuppelkirche für 1.100 Menschen, aber damit hatte die Gemeinde ihre finanziellen Möglichkeiten überschätzt.

Aus eins mach zwei: Fritz Gottlob, ein Mitarbeiter Schwechtens, konnte es billiger und baute 1913 für 600 Menschen die Nikodemuskirche in der Nansenstraße. Und für die Philipp-Melanchthon-Gemeinde einen Kirchenbau an der Kranoldstraße, der 1916 eingeweiht wurde. Diese Kirche - die heute an unserem Weg liegt - musste schon bald auf ihre Glocken verzichten, sie wurden im Ersten Weltkrieg zu Rüstungszwecken eingeschmolzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Kirchenbau durch Bomben und Artilleriebeschuss schwer beschädigt, 1948 erfolgte der Wiederaufbau.

Fürbitt-Kirche
Und dann gab es doch wieder mehr Gemeindemitglieder nach dem Zweiten Weltkrieg, als ab 1962 die Großsiedlung Britz-Buckow-Rudow - "Gropiusstadt" - gebaut wurde. 1964 weihte die Fürbitt-Kirche einen Neubau ein, den sie auf einem ungenutzten Friedhofsgelände an der Andreasberger Straße errichtet hatte. Das ist keine Wohnanlage mit eigenem Kirchturm, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Das Kirchenschiff versteckt sich hinter Bäumen, in dem zur Straße sichtbaren Baukörper sind Pfarrwohnung, Verwaltung und Jugendräume untergebracht. Die Zeit des Kirchenwachstums ist wieder vorbei, die Fürbitt-Gemeinde wurde inzwischen mit der Philipp-Melanchthon-Gemeinde zusammengelegt zur Fürbitt-Melanchthon-Kirchengemeinde, welch ein Wort-Ungetüm.

St. Eduard-Kirche und der "Apostel Berlins"
Nur 100 Meter von der evangelischen Philipp-Melanchthon-Kirche entfernt steht in der Kranoldstraße- aus der Baufluchtlinie zurückgesetzt - die katholische St. Eduard-Kirche. Sie ist zugleich dem Heiligen Eduard der Bekenner gewidmet und dem Gedenken an den "Apostel Berlins" Eduard Müller. Der Heilige Eduard war bis 1066 englischer König, er ließ die Westminster Abbey erbauen und ist dort auch beerdigt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er dreimal in einen neuen Schrein umgebettet. Es heißt, er sei tief religiös, bescheiden und wohltätig gewesen und hätte "milde Gesetze" erlassen, an seinem Grab hätten viele Kranke Genesung gefunden - eben ein Heiliger.

Eduard Müller (1818 - 1895) war ein Priester, der die Gründung katholischer Gemeinden in und um Berlin voranbrachte. Er war Mitbegründer des Kolpingwerks, des Akademischen Lesevereins und der Zentrumspartei. Als deren Abgeordneter saß er im Preußischen Landtag und im Reichstag, bis der Breslauer Bischof ihn zur Aufgabe seiner Mandate drängte. Es wird berichtet, dass Müller "jahrzehntelang in einem unbeheizten Zimmer in der Straße Hinter der Katholischen Kirche wohnte". Und weiter: "Sein Haus war ein Zentrum für Arbeiter, sozial Schwache und Durchwanderer". Er ruht (nach Umbettung) in der St. Eduard-Kirche - fast ein Heiliger.

Evangelisch-lutherische Pauluskirche
Evangelische Brüder und trotzdem getrennt, muss man das verstehen? Dass Evangelen so stark unterschiedliche Bekenntnisse haben, dass sie sich nicht in einer gemeinsamen evangelischen Einheitskirche wiederfinden, führte zur Entstehung lutherischer Minderheitskirchen. Beim Abendmahl liegen Welten zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche. Aber auch die Minderheit der evangelisch 'lutherischen' Kirchen grenzt sich beim Abendmahl von der herrschenden 'reformierten' Kirche ab. Es gibt noch mehr Unterschiede, kurzum die Evangelen sprechen nicht mit einer Stimme.

Als "moderne, flache Kirche" wird der Bau der Evangelisch-lutherische Pauluskirche am Kranoldplatz beschrieben: Seitlich angedockt an ein Wohnhaus, ein Kirchensaal mit schmalen Fensterschlitzen nach außen in einem unscheinbaren verputzten Gebäude mit Walmdach, ein schlichtes großes Kreuz auf der Seitenwand des angrenzenden Wohnhauses. Kein Zeigefinger Gottes, kein Kirchturm, der den Blick zum Himmel lenkt, keine Orientierung für die Umgebung. Das ist nicht nur bei diesem Kirchenbau so, sondern auch bei den weiteren Gotteshäusern, zu denen wir heute flanieren.


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Salemkirche
Die Zeiten, als Kirche und Staat miteinander verbandelt waren, sind in Deutschland seit der Aufklärung vorbei. Das schließt nicht aus, dass ein Pfarrer - außerhalb seines Kirchenmandats - Regierender Bürgermeister oder Bundespräsident wird. Kirchen, die sich vor der Aufklärung von der Einwirkung des Staates freigehalten hatten, nannten sich "Freikirchen". Später kennzeichnete der Begriff die Minderheitskirchen, die sich von den Volkskirchen fern hielten. Die Salemkirche in der Delbrückstraße ist eine solche Freikirche der Methodisten.

Die innere Umkehr, bewusst christlich fromm zu leben, das zeichnet die Methodisten aus. In der christlichen Lehre unterscheidet sie sich nicht von den anderen evangelischen Kirchen. Der englische Gründer der Kirche hat also keine neue Theologie verkündet, sondern die Idee der inneren Bekehrung unter die Menschen gebracht.

Neuapostolische Kirche
Die Neuapostolische Kirche ist eine christliche Glaubensgemeinschaft, eine Freikirche, die von ihrer Vorstellung her noch dem frühen Christentum nach der Kreuzigung Jesu anhängt. Diese Kirche wird von Aposteln geleitet wie bei den Urchristen. Ihre oberste geistliche Autorität ist der "Stammapostel", als Kirchenführer eine Art Papst. Dem SPIEGEL galt diese Glaubensgemeinschaft 1995 noch als Sekte, die mit Psychoterror zu gottesfürchtigem Leben anhielt. Inzwischen hat sie ihren Glauben neu formuliert, sie ist wie andere Kirchen eine Institution des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Befugnissen geworden. Ihre Gemeinde Christi nutzt an der Rungiusstraße eine Backsteinhalle, die ein nachgenutztes Industriegebäude sein könnte.

Zeugen Jehovas
Stumm standen sie einzeln am Straßenrand, Zeitschriften wie "Erwachet!" oder "Wachturm" hoch haltend, manchmal verhärmt dreinschauend, aber nie fröhlich. Sind das noch dieselben Zeugen Jehovas, die heute an frequentierten Orten als Gruppen fröhlich miteinander im Gespräch sind? Vor Trolleys mit Bibeln, DVDs und Druckschriften, die "Neue Nachrichten von Gott" versprechen und vor dem drohenden Untergang warnen?

Die neue Präsenz ging - wie sollte es anders ein? - von New York aus, das war 2011. Innerhalb von 4 Jahren sind weltweit 165 390 Trolleys an Jehovas Zeugen geliefert worden. Das Bild ist zu den früheren Erwachet-Auftritten so andersartig, dass man eine neue Sekte vermuten könnte. Geblieben ist das Missionieren an der Haustür, in Zweiergruppen klingeln sie, um anderen ihre Sicht der Bibel aufzudrängen, das ist lästig wie unbestellte Telefonwerbung, aber die haben die Zeugen Jehovas noch nicht entdeckt. Ihren "Königreichsaal" haben sie in Neukölln in der Naumburger Straße.

Die Apokalypse wird kommen, da ist sich diese Glaubensgemeinschaft sicher. Sie hatten berechnet, dass die Welt 1914 untergeht, danach revidierten sie den Zeitpunkt auf 1925 und schließlich auf 1975. Die nicht erfüllten Voraussagen beruhten - so erklärten sie - auf Fehlern bei der Auslegung der Bibel. Jetzt gibt es keine konkreten Jahreszahlen mehr, aber weiterhin ihre Gewissheit: Der Untergang kommt schon bald, und nur Jehovas Zeugen bleiben verschont.

Priesterweg
Seit 1899 gibt es im "Neuköllner Kirchenviertel" einen Priesterweg, der auf den Friedhof Buschkrugallee (Britz I) zuführt. Der Weg hat keine räumliche Verbindung zu den Gotteshäusern auf unserem Rundgang. Heute sind noch 120 Meter der alten Straße mit Kopfsteinpflaster übrig geblieben, früher verband sie die Buschkrugallee mit dem Britzer Damm. Durch die Anlage des Friedhofs und den Bau des Teltowkanals wurde diese Verbindung gekappt.


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Stadtautobahn unter dem Carl-Weder-Park
In Neukölln kann man an zwei Stellen auf der Stadtautobahn lustwandeln, und das mehrere Kilometer lang. Natürlich nicht auf der Fahrbahn, sondern in einem Park oberhalb der Tunnelröhren, in denen die Autos fahren. Im letzten Jahr waren wir in dem Naturschutzgebiet unterwegs, das über dem Zubringer zum Flughafen Schönefeld - A 113 - angelegt worden ist. Dort verläuft die Stadtautobahn unter dem Landschaftspark Rudow-Altglienicke in einem 304 Meter langen Tunnel.

Auf unserem heutigen Rundgang in Neubritz laufen wir auf dem 1.713 Meter langen Tunnel der Stadtautobahn A 100. Der Tunnel betseht aus zwei Röhren, einer pro Fahrtrichtung, in denen gegen Schnellfahrer Blitzlichtgeräte mit unsichtbarem Infrarot ("Schwarzblitzer") installiert sind. Trotz Warnschildern am Tunneleingang blitzt es alle sechs Minuten. Über den Carl-Weder-Park auf dem Britzer Tunnel soll man auf grünen Wegen die Hasenheide und den Britzer Garten erreichen können.

Kruppstahl aus Tempelhof
Zwischen Tempelhofer Weg und Teltowkanal hatte sich 1907 das Stahlbauunternehmen Druckenmüller niedergelassen. Über den Hof des ausladenden Industriegeländes führte eine Kranbahn, ein Ladekran am Teltowkanal erledigte die Verladearbeiten. Zwei Montagehallen konnten von der Kranbahn durchfahren werden. Backsteingebäude für die Verwaltung komplettierten die Industriebauten. 1911 erwarb der Stahlhersteller Krupp den Stahlverarbeiter Druckenmüller und sicherte damit den Absatzweg seiner Produkte. So entstand die Krupp-Druckenmüller GmbH, die später ihren Namen in Krupp Stahlbau GmbH änderte.

Das Unternehmen stellte Stahlkonstruktionen her für Hallenbauten, Straßen- und Eisenbahnbrücken und Stahlskelettbauten. Es baute 1936 die Hangar- und Flugsteigdächer des Flughafens Tempelhof. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb ausgerichtet auf Rüstungsproduktion. In einer U-Boot-Montagehalle wurden Metallteile für U-Boote geschweißt und montiert. Auch in der Nachkriegszeit und nach der Wende lief der Betrieb weiter, er wurde erst 2001 aufgelöst. Heute ist eine von Lidl genutzte Halle das letzte Relikt einer Industrieära.


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Mit diesem Bericht schließe ich den Jahrgang 2018 unserer Rundgänge ab, nicht ohne Albert Schweitzer das letzte Wort zu geben zum Thema Religiosität: "Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht".

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Unsere Route:
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Fahrstuhl zur Hochebene
Radioempfang im Spülbecken