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Haben Sie gedient?


Stadtbezirk: Tiergarten
Bereich: Kasernenviertel Moabit
Stadtplanaufruf: Berlin, Kruppstraße
Datum: 17. Januar 2011

"Haben Sie gedient?". Im preußischen Berlin konnte die Antwort auf diese Frage einen Lebenslauf entscheiden, denn die Teilnahme am Militärdienst ("Dienst für das Vaterland") war auch in der Zivilgesellschaft wichtig. Der Schuster Wilhelm Voigt hatte das leidvoll erfahren und die preußische Militär- und Autoritätsgläubigkeit als "Hauptmann von Köpenick" vorgeführt, als er im Oktober 1906 in der Chausseestraße vor der Kaserne des Garde-Füsilier-Regiments einen Trupp Soldaten unter seinen "Befehl" stellte, mit ihnen auf der Stadtbahn nach Köpenick fuhr und den Bürgermeister verhaftete (1). "Umkleide dich in Preußen-Deutschland mit einer Uniform, und du bist allmächtig" kommentierte die von Rudolf Mosse herausgegebene Berliner Volks-Zeitung. Dort, wo einst die Kaserne der Füsiliere stand, wird heute für den Bundesnachrichtendienst gebaut.

Bis zum 30jährigen Krieg wurden in Kriegszeiten Söldner in ein Heer geworben und gepresst, erst der Große Kurfürst sorgte für die Aufstellung einer stehenden - ständigen - Armee. Einheimische Bauernsöhne wurden dienstverpflichtet, der Adel stellte die Offiziere, weitere Soldaten wurden zwangsweise rekrutiert. Unter dem ersten preußischen König Friedrich I. wurde die jetzt "Königlich Preußische Armee" in Uniformen gesteckt. Erst der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ließ alle Knaben registrieren und hieraus die Wehrpflichtigen auswählen. Der Adel musste seine Söhne in die Kadettenanstalten schicken, die die Offiziersanwärter ausbildete. Das nach Russland ziehende französische Heer bereitete den Preußen 1806 bei Jena und Auerstädt eine vernichtende Niederlage, in deren Folge Scharnhorst das preußische Militär reformierte, angeregt durch die patriotische Begeisterung der französischen Soldaten. Bürgerliche konnten jetzt auch Offiziere werden, anstelle der Herkunft sollten Kenntnisse, Bildung und Tapferkeit der Auswahlmaßstab sein. Albrecht von Roon modernisierte 1859 mit Unterstützung Bismarcks die Ausrüstung und das Ausbildungssystem der preußischen Armee, die dann bei der Reichsgründung 1871 Kernbestandteil des deutschen Heeres wurde.

"Brüder, nicht schießen" riefen am 9.November 1918 die Demonstranten vor den Kasernen und eroberten dann die Institutionen des gerade untergegangenen Kaiserreichs, trotzdem gibt es an der Kaserne der Garde- Füsiliere in der Chausseestraße die ersten Toten. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde Deutschland weitgehend entmilitarisiert, die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft, die Berufsarmee zahlenmäßig begrenzt, die Luftstreitkräfte abgeschafft. In der Weimarer Republik begann heimlich die Wiederaufrüstung, die im Dritten Reich mit dem massiven Ausbau der Wehrmacht fortgesetzt wurde. In der Bundesrepublik wurde die Bundeswehr 1955 neu gegründet, seit 1956 gab es wieder eine Wehrpflicht, die jetzt gerade faktisch aufgehoben worden ist.

In West-Berlin gab es keine Wehrpflicht, wer hier seinen ständigem Wohnsitz hatte, durfte wegen des Sonderstatus' der geteilten Stadt nicht zur Bundeswehr einberufen werden, eine Zuwanderung von wehrunwilligen Westdeutschen war die Folge. In Ost- Berlin setzte man sich über den Status hinweg, die Wachablösung Unter den Linden und die Militärparaden auf der Karl-Marx-Allee setzten deutliche Zeichen. Nach der Wiedervereinigung wurde Berlin 1990 in die Wehrpflicht einbezogen, die Soldaten sind in drei Kasernen untergebracht: in der Julius-Leber-Kaserne am Kurt-Schumacher-Damm und in Spandau in der General-Steinhoff-Kaserne und der Blücher-Kaserne.

Und die Kasernen, die als Gebäude aus der preußischen Zeit erhalten geblieben sind? Militär spielt heute keine Rolle im Stadtbild und im zivilen Leben, Party, Kultur, Business, Multikulturelles, Wissenschaft, aber auch Hartz IV, Hundehaufen und anderer Dreck bewegen die Stadt. Die Kasernen, die die Zeit überdauert haben, wurden umgenutzt, beispielsweise in Kreuzberg für ein Finanzamt oder in Mitte gegenüber der Museumsinsel unter anderem für das Katholische Militärbischofsamt. Wer weiß schon, dass die Kleine Alexanderstraße ihren Namen nach der Kaserne des Kaiser-Alexander- Gardegrenadier-Regiments erhielt, das dort seit 1816 untergebracht war, und dass Gerhart Hauptmanns "Ratten" dort spielen? Die Ebertstraße am Potsdamer Platz hieß früher Kasernenstraße, die Gardes-du-Corps-Straße gegenüber dem Schloss Charlottenburg verweist heute noch auf die Einheit, deren von Stüler erbauten Kasernen ("Stülerbauten") zu Museen (Berggrün, bis vor kurzem auch Ägyptisches Museum) umgestaltet wurden. In die Kaserne am Lichterfelder Gardeschützenweg zog eine Abteilung des Bundesnachrichtendienstes und die Polizei ein, in die Finckensteinallee das Bundesarchiv, weitere frühere Militär-Standorte werden ebenfalls von der Polizei und anderen Verwaltungen genutzt, insbesondere im Moabiter Kasernenviertel, in das unser heutiger Spaziergang führt.

Zwischen dem östlichen Teil der Invalidenstraße und der Perleberger Straße erstreckten sich in der größten deutschen Garnisonstadt rund um einen Exerzierplatz großflächige Kasernenanlagen, der heutige Fritz-Schloß-Park und das Poststadion liegen auf einem Teil dieses Geländes. Die Bauten sind weitgehend erhalten geblieben, lediglich die Garde- Ulanen-Kaserne von vor 1848 an der Invalidenstraße ist 1955 abgerissen worden. In der Kruppstraße 15 steht das rot-gelbe Backsteingebäude des 1. Garde-Feld-Artillerie-Regiments im Burgenstil mit einem Emblem Kaiser Wilhelms I., in der Kruppstr.3-4 mehrere Mannschaftsgebäude, in der Perleberger Str.62 das Offizierskasino dieser Einheit. Im Haus Lehrter Ecke Kruppstraße befand sich das Königl. Corps- Bekleidungsamt. An der südlichen Rathenower Straße sind zwei Bauten für das 4.Garderegiment zu Fuß erhalten geblieben, die Kaserne und ein Wohnhaus für unverheiratete Offiziere. Von hier sind es nur ein paar Schritte zum Amtsgericht Tiergarten und dem Untersuchungsgefängnis Moabit. In einer Kaserne in der Kruppstraße wurde der Berliner Polizeipräsident festgesetzt, als 1932 die Reichsregierung gewaltsam die Regierung des Landes Preußen übernahm (2).

Auch eindrucksvolle Zivilbauten sind auf diesem Rundgang zu sehen. Ein Granit- und Marmorwerk produzierte und residierte in der Lehrter Straße 27, das Wertheim-Haus (Fabrik und Lagerhaus) in Nr.35 ist zur Zeit eingerüstet, in Nr.48b ist ein asymmetrisch gegliedertes Neorenaissancehaus anzuschauen. In der Lehrter Straße 39 ist die Sultan-Ahmed-Camii-Moschee in einem Wohnhausneubau untergebracht ("im Glauben leben, im Leben glauben und für die Liebe glauben"). Auf der Rathenower Straße hat ein Wohnhaus von 1884 massiv gemauerte Rundbögen über den Balkons und gleichzeitig einen zierlichen Bilderfries unter dem Dach.

An der Straße Alt-Moabit endet dieser Spaziergang durch die preußische Militärgeschichte, eingebettet in den heutigen Moabiter Kiez.
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(1) Der Hauptmann von Köpenick könnte die Soldaten aber auch an der Militärbadeanstalt Plötzensee abgefangen und mit ihnen vom Bahnhof Westhafen nach Köpenick gefahren sein, wie eine andere Quelle behauptet.
(2) näheres zum Putsch gegen Otto Braun und die Landesregierung: Politkrimi im Polizeipräsidium


Auf nach Paris
Im Spreebogen