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Wie Löffelchen in der Besteckschublade


Stadtteil: Friedrichshain
Bereich: Stralauer Viertel
Stadtplanaufruf: Berlin, Grünberger Straße
Datum: 8. Februar 2024
Bericht Nr.:828

Das Stralauer Viertel (Vorstadt vor dem Stralauer Tor) längs der Warschauer Straße war vor sieben Jahren schon einmal Ziel einer ausgiebigen Spaziererkundung. Heute sind wir entlang der Grünberger Straße unterwegs, die die Warschauer kreuzt. Eigentlich kann uns die Tram M10 direkt vom Naturkundemuseum zur Grünberger Straße bringen, aber wir müssen auf U-Bahn und S-Bahn ausweichen. Von den öffentlichen Verkehrsmitteln ist im Moment immer mindestens eins verspätet oder unterbrochen, Stellwerksstörung, Schäden an einem Zug oder Fahrzeug, Krankheit von Busfahrern und Zugführern, Polizeieinsatz, Notarzteinsatz, Kabeldiebstahl und andere Widrigkeiten bringen den Fahrplan zu häufig zum Fall.

Die Stralauer Vorstadt entwickelte sich zu einem Industrie- und Arbeiterbezirk mit Mietskasernenbebauung und Etagenfabriken in Blockinnenhöfen. Ein Schwerpunkt war die holzverarbeitende Industrie u.a. mit Möbelfabriken, auch Flugzeugpropeller wurden dort hergestellt. Wesentliche Teile der Wohnbebauung wurden im Krieg zerstört, und für die Stalinallee wurden Änderungen im Stadtgrundriss vorgenommen.

Grünberger Höfe
Zwischen Grünberger Straße und Kopernikusstraße gehen die Grundstücke bis zu 120 Meter in die Tiefe. Hinter den Wohnbauten an der Straße erstreckt sich ein Geflecht von Innenhöfen, an denen ab 1905 überwiegend fünfgeschossige Fabrikbauten errichtet wurden. An der Grünberger Straße 48 erstrecken sich die "Grünberger Höfe" über drei Innenhöfe mit Stockwerksfabriken für kleinere Unternehmen.


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Ensemble Grünberger Straße
Drei Bauten im Ensemble Grünberger Straße wurden kurz nach 1900 von demselben Bauhandwerker entworfen und errichtet, der offensichtlich die zeittypische Ausbildung an einer Baugewerkschule absolviert hatte, die ihn zu einer architektenähnlichen Tätigkeit qualifizierte: Heinrich Hubracht wird als Zimmermannsmeister, Klempnermeister oder Baugeschäftsinhaber tituliert. Sein Betrieb war auf der Höhe der Zeit, 1912 installierte er eine Dampfmaschine der Görlitzer Maschinenbauanstalt.

Architektonische Visitenkarte
Seine Bauten in der Grünberger Straße 50, 52 und 54 sind architektonisch sehr unterschiedlich gestaltet, zeigen einen Stilwandel, sachliche Architektur löst den Historismus ab. Mit repräsentativen Fassaden gab er den mittelständischen Firmen die Möglichkeit, die Vorderhausansicht als Logo zu verwenden, mit ihr auf Briefköpfen, Rechnungen und Firmenprospekten zu werben.

In den Etagenfabriken des Hauses 54 wurden Kühlschränke, Kühlanlagen und Klaviere hergestellt. In der DDR-Zeit zog der VEB Berliner Damenmoden mit der Produktion und den Abteilungen Modeentwicklung, Schnitt- und Nähabteilung, Lager, Büro und Versand in das Industriegebäude ein. Heute nutzen ein Fitnessstudio, ein Plattenlabel (Hip-Hop Vinyl-Store), ein Hostel, ein Fitnessstudio und die Psychologische Hochschule die Räume.

Aneinander geschmiegte Leiber
Ein Relief aus Zementguss am Portal der Grünberger Straße 54 gibt Rätsel auf. Eine Gruppe nackter Leiber aus seitlicher Sicht, alle Bauch an Rücken, durch leicht gebeugte Knie wie Löffelchen in der Besteckschublade angeschmiegt, manche Hände umfassen das Becken des vor ihnen stehenden Körpers. Unter den sieben Figuren ist eine Frau. Sie steht frontal hinter einem Kind, das von zweien der Männer auf einer Schlaufe getragen wird. Die erotisch wirkende Darstellung auf der einen Säule des Portals wiederholt sich spiegelverkehrt auf der gegenüberliegenden Säule. In allen Denkmalbeschreibungen und zugänglichen Quellen fehlen Hinweise und Beschreibungen zu diesen Reliefs, ihrer Entstehung, Bedeutung und zu den Künstlern.


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In allen Denkmalbeschreibungen und zugänglichen Quellen fehlen Hinweise und Beschreibungen zu diesen Reliefs, ihrer Entstehung, Bedeutung und zu den Künstlern. Schauen wir einmal nach Analogien in der Antike.

Die Säulen in ihrer eckigen Form spielen mit antiken Formen und Attributen. Klassische Säulen haben die runde Form einer Trommel. Die Basis, auf der der Säulenschaft steht, wurde hier weggelassen. Den oberen Abschluss bilden die Figuren anstelle eines Kapitells. Der Säulenschaft ist mit Kanelluren (Rillen) geschmückt, die an ihren oberen Enden jeweils mit einem Ei gefüllt sind, dem Symbol der Fruchtbarkeit. Aneinandergereihte halbnackte und nackte Figuren sind in antiken Darstellungen beispielsweise auf einer Säulentrommel am Artemistempel von Ephesos zu finden.


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Grünberger Straße 54, Vorderhaus und Innenhöfe
Das Vorderhaus mit einem Attikageschoss, zwei haushohen Erkern und vertikal eingefassten Fensterachsen hat oberhalb des Erdgeschosses einen zurückhaltenden Fassadenschmuck: Kleine Puttendarstellungen verteilen sich auf der Fassade und ornamental gerahmte Flächen im Attikageschoss. Im ersten Innenhof sind die Backsteinfassaden mit weißen Putzflächen abgesetzt. Die Fassaden im zweiten Innenhof sind mit weißen Kacheln belegt und mit farblicher Einfassung zu rechteckigen Feldern zusammengefasst.

Bärchenplatz
An der Ecke Grünberger und Warschauer Straße kann man eine Bärenskulptur entdecken, die sich wenig von ihrer Umgebung abhebt. Die kriegszerstörten Eckgebäude sind durch Neubaublocks ersetzt worden, die die Blockecke freilassen. Für diesem "Bärchenplatz" hat anlässlich der 750-Jahrfeier der Bildhauer Nikolaus Bode eine abstrahierende Bärenfigur geschaffen. Die Berliner Wappentiere aus dem Köllnischen Park hatte er ein halbes Jahr lang skizziert, Ähnlichkeiten sind rein zufällig. Der Nilpferdbrunnen auf dem Wühlischplatz ist ein weiteres Werk dieses Bildhauers.


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Dom des Ostens
An der Kadiner Straße 11 fällt ein Wohnhaus aus dem Rahmen der umgebenden Wohnbebauung. Unter dem Stufengiebel schmückt eine Fensterrose den Bau. Ein Haus mit sakraler Anmutung, im Stil märkischer Backsteingotik. Aber es ist kein kirchliches Gebäude, sondern ein architektonischer Verweis auf eine zeitgleich entstandene evangelische Kirche auf dem Nachbargrundstück. Ein Malermeister hatte das Wohnhaus erbauen lassen, er selber bezog eine Neun-Zimmer-Wohnung in der Beletage.

Die Lazarus-Gemeinde hatte sich 1907 auf dem benachbarten Eckgrundstück den trutzigen Kirchenbau aus Backstein mit einem 66 Meter hohen Turm erbauen lassen, einen neogotischer Bau mit Gewölben im Innern und einem großen Rosettenfenster, "Dom des Ostens" genannt. In dem Arbeiterviertel, das der Sozialdemokratie zugeneigt war, wollte die Kirche die Menschen zum rechten Glauben zurückführen.


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Zweimal wurde die Kirche im Zweiten Weltkrieg von Bomben getroffen, zuletzt brannte sie aus. Damit waren auch die Notgottesdienste im offenen Kirchenschiff nicht mehr möglich. 1949 wurde die Ruine gesprengt und teilte damit das Schicksal vieler Kirchenabrisse in der DDR.

Grünberger Straße 1 bis 11
Die benachbarte Wohnanlage hat die DDR 1955 als Gegenpol zu den überkommenen Arbeiterquartieren mit engen Hinterhöfen errichtet. Im Zusammenhang mit den Bauten an der Stalinallee wurde der Stadtgrundriss verändert und die Vorkriegsbebauung ersetzt. An den Bau angrenzend öffnete die "Jägerklause" (vorher "Nante-Eck"), sie wurde zu einem begehrten Lokal, obwohl kaum Wildbret angeboten wurde. Heute wird die Gaststätte vom "Jäger Lustig" bewirtschaftet.


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Comeniusplatz, Comeniuspark, Comeniushof
Alles mit den eigenen Sinnen aufzunehmen, anstatt auf fremde Zeugnisse und Beobachtungen zurückzugreifen, das war die Botschaft des böhmischen Theologen und Pädagogen Johann Amos Comenius (* 1592). "Die Lust zum Ergründen" wollte er als Pädagoge fördern. Was man sieht, hört, riecht, schmeckt, tastet wird im Gedächtnis bleiben. Er begründete die Didaktik (Unterrichtslehre), schuf das erste bebilderte Kinderbuch, Vorläufer der Schulbücher wurde, trat für die Schulpflicht ein. Kinder, und zwar alle Kinder, sollen von der Wiege an altersgemäß beim Lernen gefördert werden.

Mit seinem Namen schmücken sich der Comeniusgarten in Neukölln ("die ganze Welt als Garten") und in Friedrichshain der Comeniusplatz, Comeniuspark und Comeniushof. Drei Bildhauerwerke in Berlin ehren Comenius: Ein Gedenkstein im Böhmischen Dorf, eine lebensgroße Bronzefigur im Comeniusgarten und im Comeniuspark sehen wir heute eine Bronzebüste, die stadttypisch mit Farbe in den Augen und Kritzeleien am Sockel verunstaltet ist.


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Von der Grünberger Straße gelangt man über Innenhöfe zu dem Komplex Comeniushof an der Gubener Straße. Eine Möbelfabrik ließ die Gebäude 1905 errichten, in denen eine weitere Möbelfabrik, eine Ledermöbelfabrik und eine Bettfedernfabrik produzierten. Zum Gebäude-Komplex gehören auch Wohngebäude. Die Möbelfabriken produzierten in einem Fabrikgebäude mit großen Fensterflächen in der gelben Klinkerfassade. Das gestatte optimale Lichtverhältnisse in den Arbeitsräumen. Ergänzt wird der Komplex durch einen Neubau, der an die Stelle kriegszerstörter Gebäudeteile getreten ist. Zur Bauzeit sollten dort preiswerte Flächen für Gewerbe angeboten werden.

Heimliche Flaniermeile
Die Warschauer Straße ist Teil eines innerstädtischen Straßenrings, der um die historische Mitte der Stadt verläuft, entsprechend hoch ist die Verkehrsbelastung. Die 50 Meter breite Straße hat einen Mittelstreifen, der auf beiden Seiten durch Straßenbahngleise eingefasst wird. Auf der Höhe des S-Bahnhofs und des Reichsbahnausbesserungswerks bis zur Revaler Straße wirkt die Durchgangsstraße sehr abweisend, aber weiter nördlich wird sie mit kleinen Geschäften und sogar einem Biomarkt zu einer heimlichen Flaniermeile.

Ein Fachgeschäft für Künstlerbedarf entdeckt und besucht meine Begleiterin, anschließend haben wir die Auswahl unter vier Cafés in einem Straßenabschnitt. Unsere Auswahl fällt auf ein Café, das ein Homeoffice für Studentinnen ist. Sie sitzen an langen Tischen nebeneinander, die Laptops aufgeklappt. Wir erobern noch einen Katzentisch, lassen uns dort aber geruhsam nieder.
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Hierzu gibt es einen Forumsbeitrag:
Friedrichshain, Grünberger Straße (8. 2. 2024)
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Unsere Route:
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Ein Bahnhof ist virtuell auferstanden