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Dreifache Luise


Stadtbezirk: Charlottenburg
Bereich: Westend
Stadtplanaufruf: Berlin, Theodor-Heuss-Platz
Datum: 14. Dezember 2010

Am 15.Oktober 1842 hisst Richard Lepsius auf der Cheopspyramide den preußischen Adler und bringt ein dreifaches jubelndes "Hoch soll er leben" auf seinen König aus. Dreißig Beduinen haben dem Ägyptologen zur Spitze der Pyramide geholfen, damit er am Geburtstag seines Herrschers das "höchste aller Menschheitswerke" erklimmen kann. 1873 wurde Lepsius Direktor der Königlichen Bibliothek in Berlin, zwei Jahre später wurde sein Sohn Reinhold geboren. Reinhold Lepsius wurde Portraitmaler der Berliner Sezession, ein Impressionist, der als einer der ersten Fotografien als Vorlagen für seine Bilder verwendete. Seinen Wohnsitz nahm Reinhold Lepsius in Berlin-Westend.

"Wer vornehm wohnen wollte, wohnte um 1900 im Geheimratsviertel im Tiergarten, während Parvenues in die Villenkolonien wie Westend zogen". Dieser Text, den ich unter einem Foto der Bellevueallee gelesen habe, spricht wohl eher für die Blasiertheit seines Autors als für Emporkömmlinge in Westend, Lepsius ist da nur ein Gegenbeispiel. Robert Koch wohnte in der Ahornallee, Richard Strauss am Theodor-Heuss-Platz. Auch später blieb es ein attraktives Viertel, Lilian Harvey zog in die Ahornallee, Lilli Palmer in die Hölderlinallee, am Brixplatz wohnten Paul Hindemith, Max Schmeling mit seiner Frau Anny Ondra, Henny Porten und Joachim Ringelnatz.

Der Begriff "Parvenue" ist aus der Mode gekommen, aber "parvenir à la gloire", aus dem Nichts zu Ruhm gelangen, kann man auch heute noch. Und genau so schnell wieder verschwinden, Bernard L. Madoff, der Börsenmakler aus New York mit dem historisch größten Finanzbetrug hat das vorgeführt. Nun ist er nicht der Normalfall des Emporkömmlings, für den vielmehr der Aufstieg innerhalb einer einzigen Generation kennzeichnend ist , durch den man zum früheren Umfeld nicht mehr und zur neuen noch nicht dazugehört, aber eine der nächsten Generationen wird assimiliert sein, nicht mehr als ungebildet ausgegrenzt werden.

Nach dem Beispiel des feinen Londoner Westend entstanden ab 1866 zwischen Spandauer Damm, Reichsstraße und heutigem Theodor-Heuss-Platz um das Zentrum Branitzer Platz herum Villen für "wohlhabende Stände", die Straßen wurden nach einheimischen Bäumen benannt und auch entsprechend bepflanzt. Ab 1913 folgte die Siedlung Neu-Westend zwischen Reichsstraße, Westendallee und Heerstraße mit Miethäusern - auch von Baugenossenschaften - und Einfamilienhäusern. Die Baugesellschaft Westend, die den "feinen" Teil entwickelte und bebaute, brach zwei Jahre nach der Reichsgründung im Börsenkrach zusammen.

Um 1900 verhandelten Berlin und Charlottenburg (damals noch selbstständige Städte) über den Bau einer "Prachtstraße Berlin- Döberitz", die von der Bismarckstraße und dem Sophie-Charlotte-Platz durch die Siedlung Westend und durch das landschaftlich reizvolle Havelgebiet um Pichelswerder führen sollte. Die Deutsche Bank war nach großen Landerwerbungen in Westend (--> 1) sehr interessiert an dem Bau der Straße und der Erschließung durch eine U- Bahn, und auch militärische Interessen sprachen für eine Verbindung der Berliner Garnison zum Truppenübungsplatz Döberitz. So entstand 1906 der "Reichskanzlerplatz" (heute Theodor- Heuss-Platz) und der "Kaiserdamm" als Verlängerung der Bismarckstraße, die historische "Heerstraße" nach Westen wurde ausgebaut, das Westend bekam nach 40 Jahren eine erstklassige Verkehrsanbindung.

Die U-Bahn sollte später über die Heerstraße nach Spandau verlängert werden. Hierzu war ein Tunnel bereits unter am Beginn der Heerstraße errichtet worden, aus dem man 1954 die Eisenträger entnahm, um sie in der Müllerstraße für die U6 zu verwenden. 1991 rutschte vor dem Haus Heerstraße 4 der Gehweg in die Tiefe, drei Stunden brauchte die Feuerwehr im Kampf gegen die nachrutschenden Erdmassen, um eine Verschüttete zu bergen. Das Haus blieb stehen, weil es auf einer meterdicken Stahlbetonbrücke über dem Tunnel erbaut worden war. Und was sagte die BVG: "Der Tunnel ist sicher kein alter U-Bahn- Schacht", (weil eine U-Bahn ja dort nicht fährt, so einfach ist das).

Wir sind am Theodor-Heuss-Platz dem Untergrund entstiegen. Die BVG hat sich offensichtlich bemüht, Alfred Grenanders U- Bahnhof gesichtslos zu machen. Die Kassettendecke am alten Ausgang Richtung Ruhleben hat ihren ursprünglichen Charme verloren, der oberirdische Teil des neuen Aufzugsschachts wirkt, als trüge er einen quadratischen Wasserbehälter, ein plumpes Gegenüber zur Walmdachabdeckung über Grenanders Treppenaufgang. Mit Kunstwerken hat dieser Platz keine glückliche Hand: Die ewige Flamme am Mahnmal "Freiheit Recht Friede" - so hatten es die Heimatvertriebenen als Sponsoren festgelegt - sollte bis zur Wiedervereinigung brennen, jetzt sind wir schon 20 Jahre ein Volk und die Flamme flackert immer noch. Ein 15 Meter hoher "Blauer Obelisk" wurde, obwohl als Brunnen konzipiert, ohne Wasser betrieben, weil man Verkalkung befürchtete. Auf dem Rasen gegenüber dem Bau des Senders RBB stehen zwei Köpfe, einer mit tiefen Furchen und Kerben als "Großes Berliner Kopfzeichen", eine Warnung an die "Berliner Abendschau", nicht wieder zu weit in den Provinzialismus abzugleiten?

Wir folgen einer Route durch die Ahornallee, Klaus-Groth-Sraße, Lindenallee (nicht Lindenstraße!), Nußbaumallee, Eichenallee bis zur Bolivarallee und finden an unserem Weg Villen mit opulentem Schmuck, Bauten in Form einer mittelalterlichen Burg, eines Barockschlosses, eines Schweizerhauses, dem Klassizismus nachempfunden, im Jugendstil, mit expressionistischen Formen, am Eckgebäude Eichenallee/Branitzer Platz auch ein Fassade wie ein Bilderbuch vieler Stile.

Der Text "Luisens Andenken" und ein auf die Fassade applizierter Rosenstrauch am Haus Ulmenallee 50 weist auf die Stiftung hin, die Prinzessin Luise Auguste Wilhelmine Amalie von Preußen für sozial Benachteiligte gegründet hat. Die preußische Königin Luise, deren Jubiläum wir in diesem Jahr feiern, war ihre Mutter. Die Prinzessin heiratete einen niederländischen Prinzen und hatte wiederum eine Tochter Luise, die mit dem schwedischen König Karl XV. verheiratet war. Drei Luisen in Folge und zwei Stiftungen, denn die Königin Luise hatte auch eine Luisen-Stiftung als Bildungsanstalt für Erzieherinnen gegründet. Diese Stiftung betreibt heute eine Privatschule mit Internat in Dahlem. Und dann gibt es noch das Luisenstift, das zum Diakonischen Werk gehört, es durfte mit Luises Zustimmung ihren Namen tragen, wurde aber nicht von ihr gegründet.

Für die Villenkolonie Westend wurde in den 1870er Jahren der heute nicht mehr vorhandene "Wasserturm Germania" errichtet, der Volksmund nannte ihn "Tempel des Wahns". Nachfolgebauten wurden zwei Wassertürme an der Akazienallee, der niedrigere wirkt wie ein Burgturm. Das kam den heutigen Ausbauplänen entgegen, eine 370 qm große Wohnung ist entstanden und kann für 1,6 Mio Euro erworben werden oder eine 300 qm große Wohnung mit Gartenanteil für 773.000 Euro.

Die Gartendenkmale von Westend sind unter einer Schneedecke verborgen. Zum Schluss finden wir an unserem Weg ein Eckmiethaus von Peter Behrens in der Bolivarallee, bevor wir am U-Bahnhof Neu-Westend wieder im Untergrund verschwinden.

Verabschieden wir uns mit einem Gruß aus dem Westend von Joachim Ringelnatz:

Der Briefmark
Ein männlicher Briefmark erlebte / Was Schönes, bevor er klebte /
Er war von einer Prinzessin beleckt / Da war die Liebe in ihm erweckt /
Er wollte sie wiederküssen / Da hat er verreisen müssen /
So liebte er sie vergebens / Das ist die Tragik des Lebens

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(1) Siedlungen und Villenkolonien in Berlin sind typischerweise von
Terraingesellschaften entwickelt worden, die mit Banken zusammen arbeiteten.
Die Deutsche Bank finanzierte beispielsweise die Villenkolonie Grunewald und
den Kurfürstendamm, siehe Millionen für eine Villa - gern auch in bar


Ein anständiges Haus
Fortschritt im Ledigenheim