Platz für Kinderwagen, Fahrrad und Rollator

Stadtteil: Tempelhof
Bereich: Marienfelde
Stadtplanaufruf: Berlin, Waldsassener Straße
Datum: 26. Juli 2021
Bericht Nr.:743

Flanieren in einer Trabantenstadt? Unser heutiger Spaziergang führt uns in eine Großwohnsiedlung. "Mit dem Herumlaufen allein ist es nicht getan", schreibt der Flaneur Franz Hessel. "Ich muss eine Art Heimatkunde betreiben, mich um die Vergangenheit und die Zukunft dieser Stadt kümmern", und so wollen wir es auch heute wieder halten.

Um die Wohnungsnot in der Nachkriegszeit einzudämmen, setzten die Regierungen in beiden Berliner Stadthälften ähnliche Bauprogramme ein. In den 1950er Jahren waren es die Prestigevorhaben Stalinallee in Ost-Berlin und Hansaviertel in West-Berlin. Dann wurden im Massenwohnungsbau Großsiedlungen auf der grünen Wiese errichtet, wie in West-Berlin das Märkischen Viertel oder die Gropiusstadt und in Ost-Berlin die standardisierte Plattenbauten in Marzahn oder Hellersdorf.

Großsiedlung Waldsassener Straße
Für die nicht ganz so große Großsiedlung Marienfelde-Süd wurden südlich der Hildburghauser Straße auf landwirtschaftlichen Flächen des Dorfes Marienfelde die Waldsassener Straße und der Tirschenreuther Ring neu angelegt, beide umfassen das Baugebiet wie ein Dreispitz. Der Lichterfelder Ring, der ursprünglich an der Hildburghauser Straße endete, wurde um 80 Grundstücke verkürzt. Dadurch beginnt seine Zählung heute erst mit der Hausnummer 81. Das Terrain der 1943 ausgebombten Baumschule Hampel am Lichterfelder Ring 57 ging dadurch in städtisches Eigentum über und konnte in eine Grünfläche einbezogen werden. Für die neue Großwohnsiedlung brachte das den Vorteil, dass sie über einen alten Baumbestand verfügt.

Als die ersten Bewohner 1970 einzogen, lag die Waldsassener Straße mitten zwischen Wiesen und Feldern. Die Straße war nicht befestigt, der Möbelwagen blieb im Schlamm stecken. Man hatte keine Straßenschilder und keine Straßenbeleuchtung. Am Lichterfelder Ring gab es einen Bauern mit Pferden. Doch die Entwicklung ging zügig voran, "früher war man nur im Grünen und nun ist alles Stadt". Wie sich die Bilder gleichen: Auch von den Plattenbauten in Marzahn wird berichtet, dass die Wege nicht rechtzeitig fertig wurden, "Gummistiefel gehörten zur Grundausrüstung".

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Zwei Punkthochhäuser sind in die Siedlung integriert, das höhere hat 27 Geschosse. Mehrmals gab es dort den "Marienfelder Hochhaustreppenlauf" für Sportler mit genügend Atem. Einen ähnlichen Wettbewerb gibt es in der Gropiusstadt, dort wird im "Ideal"-Hochhaus der "Tower-Run" veranstaltet. Nicht zu vergleichen mit New York, im Empire State Building muss man 86 Stockwerke zu Fuß erklimmen.

Wohnen in der Großwohnsiedlung oder im gründerzeitliches Viertel?
Wohnen ist Weltanschauung, das wird man feststellen, wenn man die die Argumente für und gegen gründerzeitliche Viertel und Großwohnsiedlungen abwägen will. Unsanierte Altbauwohnungen und Mietskasernen sprachen früher für die Wohnungen mit besserer Ausstattung (Zentralheizung, Warmwasser, Bäder) in den Satellitenstädten. Zwar waren diese meist architektonisch und städtebaulich weniger differenziert, hatten aber effiziente Grundrisse und mehr Freiflächen als das "Abstandsgrün" zwischen den Altbauten. Hohe Decken, Stuck, Flügeltüren der Altbauten im urbanen Umfeld werden geschätzt, die unzureichender Infrastruktur und fehlende Nahversorgung der Großsiedlungen kritisiert. Dort gibt es mehr bedürftige Haushalte (Transferbezug, Kinderarmut), ein Indiz für Segregation (sozialen Trennung von anderen Bevölkerungsgruppen).

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Neue Ansätze sind gefragt, um die Großsiedlungen attraktiv zu machen. Die Wohnungen müssen saniert und energetisch zukunftsfähig gemacht werden. Leider gibt es immer noch kein vernünftiges Konzept für Wärmedämmungen. Die an den Außenfronten aufgeklebten und verputzten Dämmplatten werden nach wenigen Jahren unansehnlich, die Kontaktpunkte schlagen als optischer Streuselkuchen nach außen durch, die Flächen setzen Algen und Schmutz an. Dieses Ärgernis begleitet uns auf vielen unserer Stadtrundgänge.

Attraktiv für alle Altersgruppen soll das Wohnumfeld werden - Platz für Kinderwagen, Fahrrad und Rollator. Spielplätze gehören selbstverständlich dazu, gefragt sind aber auch Sitzflächen und Treffpunkte. Die Großsiedlung Waldsassener Straße wurde inzwischen sprachlich aufgehübscht, aus "Grün"fläche und "Marien"felde wurde "Mariengrün". Immerhin nicht nur ein neuer Name, es sind auch Neubauten ergänzt und die bestehenden Wohnungen und das Wohnumfeld verbessert worden, auch durch "kraftvolle Landschaftsgestaltung" und ein Angebot für Urban Gardening (Gemeinschaftsgärten). Bei 12 Euro liegt die Warmmiete in den Neubauten, die Abwägung zwischen tragbaren Mieten für die Bewohner und Leistungsfähigkeit des Wohnungsunternehmens für zukünftige Investitionen ist schwierig.

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Obwohl die Degewo die meisten Wohnungen verwaltet, sind viele Grundstücke eingezäunt. Bei unserem Rundgang kommen wir aus einer Wohnumgebung nur heraus, indem ein Handwerker für uns das martialische strombetriebene Einfahrtstor beiseite rollen lässt. Auch der Zugang zu den beiden grünen Bändern, die die Siedlung durchziehen, wird mit Zäunen kanalisiert. Und das, obwohl sie das viel genutzte Erschließungssystem für Fußgänger innerhalb des Wohnsiedlung sind.

Geht es hier um Sicherheit oder um Abgrenzung gegenüber dem Nachbarn, der bei derselben Wohnungsbaugesellschaft gemietet hat? Dazu drängt sich natürlich Rousseaus Erkenntnis auf, dass der Zaun unsozial ist, weil er den Verlust natürlicher Freiheit bedeutet.

Teltower Dörferweg

Wir sind hier am südlichen Rand Berlins in Marienfelde unterwegs, vor einer Woche waren wir in Malchow am Nordrand von Berlin. Auf beiden Rundgängen begegnen uns "Grüne Hauptwege", die die Fußgänger und Radfahrer durch die Stadt geleiten. Heute ist es der Teltower Dörferweg, der von der Krummen Lanke bis nach Rudow und Adlershof führt. In der Großsiedlung Waldsassener Straße verläuft er über den Grüngürtel zwischen den Häuserblocks. Über dessen Verlängerung kommt man bis zum Freizeitpark Marienfelde mit dem Schlehenberg, einem Trümmerberg. Im Juni 2017 hatten wir über dieses Ziel berichtet. Wikipedia zitierte in seinem Artikel über den Schlehenberg unseren Bericht als einzige Referenz, wir freuen uns über diese Wertschätzung.
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Unsere Route:
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