|
Stadtbezirk: Mitte Stadtplanaufruf: Berlin, Gendarmenmarkt Datum: 8. Mai 2007
Am Berliner Roten Rathaus erinnert das Relief "Die Ankunft der Hugenotten in der Mark Brandenburg" an die weitsichtige Anweisung des Großen Kurfürsten, den in Frankreich wegen ihres protestantischen Glaubens verfolgten Hugenotten eine "sichere und freie Zuflucht" anzubieten (Edikt von Potsdam, 1685). "Alle Hilfe, Liebe und Freundschaft" zu geben war ein Akt der Menschlichkeit, gleichzeitig aber auch ein volkswirtschaftlich weiser Schritt, der in den nächsten 50 Jahren Handwerk, Manufaktur und Wissenschaft mit großer Schubkraft entwickeln sollte. Da Französisch zu jener Zeit die Konversationssprache der Gebildeten war, kamen die Hugenotten auch als Lehrer an den Hof und in die adligen Häuser. Auch im wissenschaftlichen Leben spielten sie eine herausragende Rolle. Rund 18.000 Refugies ("Flüchtlinge") folgten dem Ruf und kamen nach Brandenburg.
Die Einwanderung war politisch gewollt, die Ankömmlinge wurden aber von den Einheimischen nicht begeistert begrüßt, sondern argwöhnisch und neidisch beobachtet. Der große Kurfürst hatte den mittellosen Flüchtlingen Nahrung und Baumaterial geschenkt und ihnen eine mehrjährige Steuerbefreiung gewährt. Die bei den Einheimischen unbekannten neuen Fertigungs- und Handwerkstechniken der Hugenotten wurden als Konkurrenz empfunden, die staatliche Bevorzugung als Ungerechtigkeit. Selbst die Lutherische Kirche wandte sich teilweise gegen die französisch-reformierten (calvinistischen) Glaubensbrüder.
Obwohl Berlin nicht als Französische Kolonie vorgesehen war, siedelten sich 5.500 Hugenotten hier nahe beim Hof an, jeder siebente Berliner war jetzt ein Franzose. Es dauerte Jahrzehnte, bis die einheimischen Berliner neben den neuen Techniken auch Elemente der Sprache, Mode und Kultur übernahmen. Viele französisch geprägte Sprachelemente gehen auf die Hugenotten zurück, einige sind auch durch Napoleons Französische Besetzung Berlins entstanden. Neben der Sprache der Gebildeten, die einfach französische Begriffe als Lehnwörter annahm, entwickelte die Volkssprache ihre eigene Umgangsweise mit dem Französischen: sie orientierte sich am Sprachklang und formte ihn in der eigenen Sprache nach.
Hier einige Beispiele: Boutique -> Budike estimanet (Gastwirtschaft) -> Stampe clameur -> Klamauk parlier -> Polier etre peut-etre (im Zweifel sein) -> ete petete pleurer -> plärren quincailleries (Kurzwaren) -> Kinkerlitzchen mocca faux (falscher Kaffee) -> Muckefuck visites de matin (Höflichkeitsbesuche am Vormittag) -> Fisematenten Boulette (kleine Kugel) -> B(o)ulette
Weitere Beispiele finden sich in einem begehbaren Kreuzworträtsel, das zur Zeit am Gendarmenmarkt vor dem Konzerthaus angesehen werden kann (eine temporäre Kunstinstallation). "Bulette" (ohne o) lesen wir dort und "Malheur" - und dies können wir nur bestätigen, denn bei dem wolkenbruchartigen Regen kriecht die Feuchtigkeit über die Schultern herunter und durch die Hosenbeine herauf, an weiteres Flanieren ist nicht zu denken. Die nahegelegene Löwenbräu-Brauhauskneipe bietet uns Schutz und wir können miterleben, wie unser Ober mit kaum fassbarer Geschwindigkeit Essen und Trinken heranschafft. Dabei läuft er immer etwas vorgebeugt, um möglichst wenig Luftwiderstand zu bieten. Klar, dass bei diesem Bedienungskampf mal ein Teller als Kollateralschaden durchs Lokal segeln kann. Die Speiserest werden unter dem Tisch eines Damenkränzchens zwischengelagert, die Scherben aufgelesen.
Weitere Wörter aus dem Gendarmenmarkt-Kreuzworträtsel: Blümerant, Neglige, Etepete, Bonfortionös.
|
|