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Vom Zuckerhut zum Kachelofen


Stadtteil: Charlottenburg
Bereich: Mierendorff-Insel
Stadtplanaufruf: Berlin, Sömmeringstraße
Datum: 17. April 2024
Bericht Nr.:832

Durch zwei Kanäle und die Spree wird das Gebiet um den Mierendorffplatz säuberlich vom übrigen Stadtgebiet abgetrennt. Trotzdem würden sich die dort lebenden Bewohner nicht als Insulaner auf einem Eiland bezeichnen. Das Feeling kann gar nicht aufkommen, weil die Mierendorffinsel über sieben Brücken mit dem umgebenden Ortsteil verbunden ist. Der Puhdys-Song "Über sieben Brücken musst Du geh‘n" passt hier perfekt. Die Insellage wird nur im Stadtplan sichtbar. Um auf die Insel zu kommen, stehen Schloßbrücke, Caprivibrücke, Röntgenbrücke, Sickingenbrücke, Goerdelersteg, Mörschbrücke und Siemenssteg zur Verfügung, damit man Westhafenkanal, Verbindungskanal und Spree überwinden kann.

Schloss Charlottenburg
Das Zentrum von Charlottenburg liegt südwestlich des Mierendorff-Kiezes. Die Kurfürstin Sophie Charlotte von Hannover hatte 1699 an der Spree ihre Sommerresidenz "Schloss Lietzow" erbauen lassen. Nach ihrem frühen Tod benannte ihr Gemahl Kurfürst Friedrich III. die angrenzende Siedlung "Lietzow" in "Charlottenburg" um. Ab 1709 führte die "Berlinische Brücke" - eine einfache Holzbrücke (Bohlensteg) - über die Spree. Vorher konnte man vom Berliner Stadtkern aus nur mittels einer Fähre über die Spree übersetzen.

Königliches Kabinetts- und Offiziantenhaus
Das Gelände östlich der Spree wurde wie ein erweiterter Schlossbezirk behandelt, der aus Schlossperspektive "Über der Spree" lag. So kam es, dass eine ehemalige Ofenfabrik am Bonhoefferufer nahe der Schlossbrücke bald Aufgaben für das Schloss übernehmen musste. (Die Geschichte des Ofenfabrikanten Johann Gottfried Sembdner erzähle ich am Ende dieses Berichts).


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In dem Gebäude wurden erst Prinzessinnen auf Berlinbesuch untergebracht, dann wurde es zum Königlichen Kabinetts- oder Offiziantenhaus, die Königliche Meierei zog in einen Seitenflügel ein, später wurde es zur Kaserne und zum Wohnhaus für höhere Offiziere. Zum Schluss wurde es zur Erziehungsanstalt kriegswaiser Mädchen unter dem Dach des Kaiserin-Augusta-Stifts.

Bebauung, Grünflächen, Bewohner
Inmitten der Mierendorff-Insel, die anfangs noch Kalowswerder hieß, entstand 1897 der heutige Mierendorffplatz. An der Westflanke der Insel lag das Kaiserin-Augusta-Stift, an der Ostflanke (Darwinstraße, Gaußstraße) wurde mit Gaswerk und Kraftwerk die Infrastruktur für die Energieversorgung angesiedelt. Dort ist das Areal auch heute noch durch Gewerbegebiete gekennzeichnet. In den Wohnbauquartieren auf der dem Eiland finden sich Bauten aus der Gründerzeit ab 1871 genauso wie Gebäude des Reformwohnungsbaus der Weimarer Republik.

Freiflächen lockern die Bebauung auf: Kleingartenanlagen, grüne Uferwege, Grünanlagen wie der Österreich-Park (ehem. Sömmeringanlage, 1902) und Schmuckplätze wie der Mierendorffplatz und der Goslarer Platz, die beide von dem Charlottenburger Gartenbaudirektor Erwin Barth geschaffen wurden. Erschlossen wird das Areal durch einen S-Bahnhof, zwei U-Bahnhöfe und mehrere Buslinien.

Die vom Durchgangsverkehr genutzten Straßen erzeugen eine Lärmbelastung deutlich über den Richtwerten. Nach dem Mietspiegel handelt es sich bei dem Kiez um einfache bis mittlere Wohnlagen. Der Migrantenanteil liegt bei 40 Prozent. Im Quartier wohnen 10 % weniger Senioren als im gesamten Bezirk, aber sie sind in erhöhtem Maße von Altersarmut betroffen. Für besserverdienende Ältere scheint der Kiez nicht attraktiv zu sein.

Inselrundgang
Die Bewohner um den Mierendorffplatz haben sich zusammengetan und 2018 begonnen, einen 5 km langen Inselrundgang zu schaffen, um "eine Kleinstadt mitten im Herzen der Metropole Berlin" zu erschließen. Weiter realisiert wird das Konzept abschnittsweise in den nächsten Jahren. Meine Leser konnten bereits vorher in dem Bericht von 2014 einen Rundgang finden, der drei Kirchen und eine Moschee, Gaswerk und Kraftwerk, Goslarer und Mierendorffplatz, Kaiserin-Augusta-Allee und Tegeler Weg verbunden hat. Heute sind wir in dieser Region mit neuen Themen unterwegs.


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Brücken in der Warteschleife
"75 Prozent der Brücken in Berlin sind in keinem guten Zustand". Die knapp 100 Jahre alte Charlottenburger Schlossbrücke wurde vor wenigen Jahren "runderneuert": Konstruktion, Fahrbahnaufbau, Abdichtung und zum Schluss auch noch wegen Korrosionsschäden das Brückenlager. Die BZ hatte hingeschaut und bemerkt, dass "sich jemand beim Anstrich deutlich im Farbton vergriffen hat". Sie erkannte zwei unterschiedliche Farben, weil über dem Schutzanstrich noch nicht der endgültige Anstrich erfolgt war. Die Verkehrsverwaltung beruhigte, "wir haben noch genug von der richtigen grünen Farbe".

Die übrigen sechs Brücken zur Mierendorffinsel aus Spannbeton, Stahl oder als Metallkonstruktionen sind zum Teil auch schon bejahrt. Reparaturen sind dort aber nicht geplant.

Um eine Planungsgrundlage für die Erhaltung der Berliner Brücken zu erhalten, hat der Senat 2018 beschlossen, ein "digitales Erhaltungsmanagementsystem für die Berliner Brücken (EMS-I)" zu schaffen. Völlig unerwartet sind dabei Probleme aufgetaucht, weil die Software ja erst noch entwickelt werden muss und die "personellen Kapazitäten wegen fehlender geeigneter Bewerbungen noch nicht zur Verfügung stehen". Ein Einführungskonzept für ein EMS-I liegt wohl bisher auch noch nicht vor, weil die "ursprüngliche Konzeptidee nicht sinnvoll umgesetzt werden konnte".

Bildung, Sport und Kunst an der Sömmeringstraße
Das Gebiet links der Sömmeringstraße zwischen Nordhauser Straße und der Spree gehört der Bildung, dem Sport und der Kunst. Die Mierendorff-Grundschule ist auf die Bedürfnisse berufstätiger Eltern ausgerichtet. Bereits für die Schulanfänger bietet sie Ganztagsunterricht an und sogar Frühbetreuung ab 6 Uhr und Spätbetreuung bis 18 Uhr. Die Schüler bekommen Mittagessen und ein Nachmittagsangebot mit unterrichtsnahen Themen.

Die Jugendkunstschule veranstaltet Kurse und Workshops für Schüler außerhalb eines regulären Schulbetriebs. Kinder können ihre Erfahrungswelten in einen gestalterischen und künstlerischen Prozess einbringen. "Bei den verschiedensten Kunstworkshops könnt ihr zeichnen, malen, Theaterspielen, Tonfiguren gestalten, ganze Städte aus Karton bauen". Ein Angebot lautet: "Tauche ein in die Mierendorff-Insel und gestalte deine eigene Bildgeschichte, indem du mit verschiedenen Drucktechniken experimentierst".

Im stumpfen Winkel wurde an der Ecke Mierendorffstraße 1893 eine Gemeinde-Doppelschule erbaut. Das Backsteingebäude im zeittypischen Dekor beherrscht die Ecke, ohne aufdringlich zu wirken. Die Universität der Künste nutzt heute diesen Bau, der mit dem Charlottenburger Stadtwappen über dem Doppeleingang auf die Geschichte der einst stolzen Stadt hinweist: Eine Burg mit zwei Wappen, das eine mit dem springenden Ross des Hauses Hannover, Herkunft der Königin Charlotte von Hannover. Und das andere mit dem preußischen Adler, Charlottes Gemahl Friedrich krönte sich 1701 zum König in Preußen.


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Die Sporthalle in der Sömmeringstraße ist ein Bau der Nachkriegsmoderne. Die größte Sporthalle in West-Berlin mit mehr als 2.000 Plätzen wurde aufgrund der Bodenbeschaffenheit auf rund 150 Stahlpfählen errichtet. Architekt war Ludwig Leo, dessen "Rosa Röhre" - der Umlauftank der Versuchsanstalt für Wasserbau auf der Schleuseninsel - weithin sichtbar ist. Genau wie der 12 Meter hohe Tauchturm am Pichelssee, der mit seiner Schräglage an eine Abfahrtsrampe für Skispringer erinnert.

Neben der Sporthalle hat die Shakespeare Company Berlin aus Bauteilen des ehemaligen Globe Theaters in Schwäbisch Hall eine neue Bühne "Globe Berlin" errichtet. Obwohl das Theater durch einen Anbau für Werkstattbühne, Foyer und Gastronomie ganzjährig nutzbar sein soll, ist bei unserem Besuch das Gelände verschlossen und wirkt verwaist.

Bildgießerei Noack
Gerade hatten wir uns in Friedrichshagen mit einer renommierten Bildgießerei beschäftigt, schon treffen wir auf diesem Spaziergang auf ein weiteres traditionelles Gießerei-Unternehmen. Die Bildgießerei Noack, 1897 gegründet, ist vor 15 Jahren an die Spree gezogen. Von ihren Werken sollen hier nur der Neuguss der Quadriga auf dem Brandenburger Tor genannt werden und die Berliner Bären von Renée Sintenis, die ankommende Autofahrer begrüßen und von der Berlinale als Trophäen mit nach Hause genommen werden können. Über eine Werksführung bei Noack können wir vielleicht demnächst berichten.


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Ofenfabrikant Johann Gottfried Sembdner
Hier folgt die Geschichte des Ofenbauers, dessen Fabrik nahe der Schlossbrücke dem Königlichen Zugriff weichen musste. Friedrich der Große hatte sich geärgert: Die Sachsen konnten hochwertige Kachelöfen bauen, die Preußen nicht. Wegen Handelsbeschränkungen kam er an die Sächsischen Kachelöfen nicht heran. Doch sein Versuch, mit einem Dresdner Ofenbauer zugleich das Know-how zu importieren und selbst eine Fabrikation aufzubauen, scheiterte genauso kläglich wie sein Versuch, mithilfe von Maulbeerbäumen eine Seidenraupenzucht hochzuziehen und selbst Seide zu produzieren. Handelsbeschränkungen waren öfter sein Thema: Kaffee-Importe wollte der Alte Fritz durch ein staatliches Monopol steuern und schickte den Bürgern Kaffeeriecher in die gute Stube, um illegalen Kaffeegenuss zu erschnüffeln.

Zuckerhutformen-Produktion
Der Fabrikant Sembdner stellte ursprünglich die Zuckerhutformen her, die gebraucht wurden, um aus importiertem Zuckerrohr den Zucker zu raffinieren. Der erhitzte Zuckerrohrsaft wurde in ein umgedrehtes, kegelförmiges Gefäß mit einem Loch in der Spitze gegossen. Durch diese Spitze lief der Sirup ab, während im Kegel der Zucker auskristallisierte. Nun drehte man den Kegel um, der Zuckerhut fiel heraus. Mit einer Zuckerzange konnte man den steinharte Zuckerhut dann zerkleinern.


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Der preußische Bankier und Fabrikant David Splitgerber hatte neben der Herstellung von Rüstungsgütern und dem Betrieb von Schmieden, Hochofen, Hüttenwerken und Kupfermanufakturen auch ein Monopol auf die preußischen Zuckersiedereien, für die die Zuckerhutformen fabriziert wurden. Mit der Entdeckung, dass heimische Zuckerrüben für die Zuckergewinnung gezüchtet werden können, war die Ära von Zuckerrohr und Zuckerhutformen vorbei.

Friedrich II. hatte die Niederlassung des Ofenfabrikanten subventioniert, und nach "Ergebnissen minderer künstlerischer Qualität" noch einmal finanziell nachgebessert, obwohl er ahnte, "dass auch diese Summe bey dem Sembdner nicht fruchten wird". Ein anderer Ofenbauer hatte später mit der Zunft der Töpfer zu kämpfen, als er tönerne Figuren auf die Öfen setzte.

Berliner Ofen
Letztlich wurde im Verlauf der Entwicklung durch Zusammenarbeit der Ofenbauers Tobias Chr. Feilner mit dem Architekten Karl Friedrich Schinkel um 1810 der Berliner Kachelofen entwickelt. Dieser Ofen ist ein hoher Kubus aus weiß glasierten Kacheln mit sparsamem Friesdekor. Höchste Ehren bekam die jahrhundertealte Tradition des Kachelofenbaus, als sie im letzten Jahr von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt wurde.


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