Schmückende Grabfiguren sind untersagt

Stadtteil: Zehlendorf
Bereich: Dahlem
Stadtplanaufruf: Berlin, Hüttenweg
Datum: 19. Februar 2018
Bericht Nr.:615

Das Dorf Dahlem, eine märkische Ansiedlung aus dem Mittelalter, die im Laufe der Jahrhunderte zu einem Landgut ohne Bauern "gentrifiziert" und dann an den preußischen Staat verkauft wurde, besteht heute nicht mehr. Die staatliche "Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem" schuf hieraus einen vornehmen Villenvorort und einen Wissenschaftscampus, der von der Thielallee bis zur Königin-Luise-Straße reicht (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Freie Universität). Bei unserem heutigen Stadtspaziergang entlang des Hüttenwegs treffen wir auf Zeugnisse beider Bereiche, sowohl im Hochschulgelände als auch im Villenviertel.

Im Wissenschaftscampus entstand 1918 am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie eine Forschungsstelle für Bienenbiologie und Bienenzüchtung, das spätere Institut für Bienenkunde. Dieses Institut legte an einem Weg nahe dem Thielpark eine Bienenhütte an, mit der sie ihre Feldforschungen betrieb. Im Jahr 1922 bekam dieser Weg den davon abgeleiteten Namen Hüttenweg. Heute verbindet der Hüttenweg den Thielpark mit der Avus und führt als Wanderweg noch weiter in den Grunewald hinein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die amerikanische Besatzungsmacht ihr Hauptquartier im ehemaligen Militärkomplex der Reichsluftwaffe an der Clayallee ein. Den Hüttenweg nutze sie, um mit Panzern Übungen im nahen Grunewald zu veranstalten. Der Weg führt über das Gebiet der Revierförsterei Dachsheide. Als die Amerikaner 1951 anrückten, um dort für ein Munitionsdepot den Wald abzuholzen, soll sich ihnen ein Förster mit entsicherter Schrotflinte in den Weg gestellt haben. Den Bau der Munitionsbunker konnte er nicht verhindern.

Turner-Kaserne „Am Petersberg“
Am Hüttenweg hinter dem Waldfriedhof Dahlem - an der Straße Am Petersberg - erbauten die Amerikaner 1951 die Turner-Kaserne mit Mannschaftsgebäuden und Werkstätten für eine US-Panzereinheit. Die Turner-Kaserne war der einzige Kasernen-Neubau der Amerikaner in Berlin, die anderen Standorte wurden in bestehenden Kasernen und Gebäudekomplexen (Telefunken) eingerichtet.

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Am Petersberg gibt es immer noch eine Zufahrt mit Schranke, die aber nicht mehr von den Amerikanern stammt, sondern einen Wohnpark abschirmt. Die Kaserne wurde 1998 abgerissen, an ihrer Stelle entstand das "Waldrandviertel Zehlendorf" mit 15 Häusern, in die - so war die Planung - Bundesbedienstete einziehen sollten.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Hüttenwegs gab es eine Selbsthilfewerkstatt mit Tankstelle für das amerikanische Personal, heute steht dort ein Lidl-Einkaufsmarkt.

Munitionsdepot Dachsberg Area

Hinter der Kaserne am Dachsberg entstand zeitgleich mit der Kaserne ein Munitionsdepot mit 30 oder 40 Bunkern, die Angaben widersprechen sich. Auf vier Wachtürmen rund und um das Depot standen Beobachtungsposten. Auch die Anlagen des Munitionsdepots wurden in den 1990er Jahren abgetragen bis auf einen unterirdischer Schutzraum, der den Fledermäusen als Winterquartier dient. Ein Teil des Geländes ist als Trockengras-Heide eingezäunt, der Rest wird der Natur überlassen.

Der amerikanische Hüttenweg
Die Betonpiste in den Grunewald, die für die US-Panzereinheit und das Munitionsdepot angelegt wurde, ist 1953 in den Hüttenweg einbezogen worden. Zwischen Parkfriedhof und Clayallee baute die Besatzungsmacht Wohnblocks für eine amerikanische Siedlung. die "Berlin Brigade Housing Area". Das Einkaufszentrum Truman Plaza wurde eingerichtet, dazu Schule, Kindergarten, Kirche und Sportanlagen. Die amerikanischen Versorgungseinrichtungen wurden mit dem Abzug des Militärs geschlossen. Anstelle des Einkaufscenters entstand jetzt um einen künstlichen See ein Neubaugebiet, die "Fünf Morgen Dahlem Urban Village". Das Schwimmbad gehört heute zu den Bäderbetrieben, im Sportcenter wurde eine Kletterhalle eingerichtet.

Waldfriedhof Dahlem
Am Dachsberg im Grunewald wurde ein Erdgrubengrab gefunden, ein Bestattungsplatz aus prähistorischer Zeit. Wissenschaftler rechnen diesen Fund der Kugelamphorenkultur um 3.000 vor Christus zu. Die Anlage des Waldfriedhofs Dahlem ganz in der Nähe der historischen Grabanlage ist Zufall, sie beruht auf der Tätigkeit der bereits zitierten Domänenkommission Dahlem, die einen neuen kommunalen Friedhof plante.

"Schmückende Grabfiguren sind untersagt", schreibt die Friedhofssatzung vor. Als der Waldfriedhof in den 1930er Jahren angelegt wurde, stand die Friedhofsästhetik im Vordergrund. Die Friedhofsreformbewegung wehrte sich dagegen, dass Grabmale immer seltener handwerklich-künstlerisch hergestellt wurden, die Industrialisierung hatte auch hier Einzug gehalten. Schlicht und sachlich sollten die Friedhöfe sein: Statt parkartiger Friedhöfe, die von Gartenkünstlern angelegt werden, bevorzugte man Waldfriedhöfe mit natürlich gewachsenen Bäumen als Landschaft.

Nun ist der Dahlemer Waldfriedhof zwar in den Kiefernwald hinein gebaut worden, doch bestimmen entlang von Alleen gepflanzte Fichten und Hecken zwischen den Grabreihen sein Bild. So entspricht der Waldfriedhof nur teilweise den Idealen der Friedhofsreformbewegung, er wurde aber zu der am stärksten durchgrünten Begräbnisanlage in ganz Berlin. Geländeunterschiede sind durch Treppen ausgeglichen, manche Strukturen sind ungleichmäßig oder gerundet.

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Bis Kriegsende wurden - wie von der Satzung vorgeschrieben - Grabmale ohne Figuren errichtet. Nur Reliefs finden sich auf manchen Grabsteinen, und weil die eigene Gewichtigkeit nicht in Grabplastiken ausgedrückt werden durfte, wurden statt dessen manchmal Grabmale von unangenehmer Monumentalität aufgestellt. In der Nachkriegszeit hat man das Schlichtheitsgebot nicht mehr so ernst genommen, beispielsweise sind mehrere Stelen mit Büsten in dieser Zeit entstanden.

Andererseits sind schlichte Grabsteine für Gottfried Benn und Renée Sintenis aufgestellt worden, wo man Grabplastiken schmerzlich vermisst: Gottfried Benn, von einem weiblichen Genius mit erotischer Ausstrahlung beweint oder Renée Sintenis, von einer ihrer zierlichen Tierplastiken begleitet.

Der Waldfriedhof Dahlem ist zum Prominentenfriedhof geworden. Der Kunstsammler Heinz Berggruen und die Maler Schmitt-Rottluff und Carl Hofer ruhen hier, die Schauspieler O.E.Hasse und Harald Juhnke, der Kabarettist Rudolf Nelson, der Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Rennfahrer Bernd Rosemeyer, der atemlose Theaterkritiker Friedrich Luft, der Schlagersänger Bully Buhlan ("Ich hab noch einen Koffer in Berlin").

Willi Wohlberedt - der als Laie in seinem Friedhofsführer mehr als fünftausend Berliner Grabstätten dokumentiert hat - nennt weitere Grabstellen: des Textdichters Bolten-Beckers ("Glühwürmchen", vertont von Paul Lincke) und des Komponisten Bredschneider ("Wie einst im Mai"), der mit Walter Kollo zusammen arbeitete. Und das Grab von Alexander Grau, der den Ufa-Film mitbegründet und jahrelang als Vorstand geleitet hat. Diese drei Prominenten sind 1937 und 1938 gestorben, ihre Gräber werden wohl nicht mehr vorhanden sein.

Dahlemer Villen
Zwischen Clayllee und Thielpark ändert sich der Charakter des Hüttenwegs und seiner Umgebung, Dahlemer Villen bestimmen das Bild. Zwei Kaufhausbesitzer haben hier gebaut. Moritz Jandorf, Bruder des Kaufhauskönigs Adolf Jandorf, ließ an der Gelfertstraße einen Bau im Stil des "spätbarocken Klassizismus" von imposante Größe mit verschachteltem Bauvolumen errichten. Küche und Wirtschaftsräume im Souterrain; zentrale Halle, Wintergarten und Loggia im Erdgeschoss; Privat- und Schlafräume im Obergeschoss und Dienstboten unter dem Dach, dazu ein freistehendes Garagengebäude mit herrschaftlicher Treppe zum Vorgarten.

Schräg gegenüber an der Gelfertstraße steht die Villa von Alexander Conitzer, scheinbar eingeschossig mit Sockel und Mansarddach, tatsächlich im Innern aber geschickt vierstöckig ausgebaut. Conitzer gehörten Manufakturwarengeschäfte (Stoffe als Meterwaren), gemeinsam mit dem Warenhaus Hermann Tietz bündelte er seine Einkäufe in einer Einkaufszentrale.

Die Architekten Mebes und Emmerich platzierten auf einem spitzwinkligen Grundstück eine Villa, die sich mit graziler Leichtigkeit in leichter Biegung zu der Spitze öffnet. Auf der Rückseite liegt ein großzügiger Garten. Bauherr des in den 1920er Jahren entstandenen Gebäudes an der Gelfertstraße Ecke Bitscher Straße war ein Siemens-Direktor.

Wohnhäuser für die Luftwaffe
Zu dem Militärkomplex der Reichsluftwaffe an der Clayallee zwischen Saargemünder Straße und Hüttenweg gehörten Dienstvillen für die Luftwaffenoffiziere. Direkt gegenüber der Dienstgebäude des Luftgaukommandos an der Saargemünder Straße sind 1937 fünf Mehrfamilienvillen mit 18 Dienstwohnungen für Unteroffiziere der Luftwaffe gebaut worden. Am Hüttenweg auf der Rückseite des Militärkomplexes errichtete Ernst Sagebiel - der Architekt des Flughafens Tempelhof - für höhere Offiziere 1937 zwei Einfamilienhäuser.

Die ehemaligen Militärbauten der Reichsluftwaffe wurden bis zur Wende als US-Headquarter genutzt. Die Putzbauten mit Natursteinverkleidung waren von einer grauen Mauer aus Bruchschiefer umgeben, die jetzt teilweise aufgeschnitten worden ist, um Zugänge zu Eigentumswohnungen zu schaffen, die dort entstanden sind und noch entstehen. "Metropolitan Gardens" nennen sich die 200 Wohnsuiten, die wohl bereits alle verkauft sind. Durch Eigennutzer ständig bewohnt ist nur ein Teil der Apartments, auch ausländische Geldanleger und zwischen mehreren Wohnungen in der Welt umherreisende moderne Vagabunden haben sich hier eingekauft.

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Der Baumeister Fritz August Breuhaus de Groot
Der voll verklinkerte, ornamentlose Bau des Hauses Isay am Hüttenweg gibt nicht preis, dass sich hier ein moderner Landsitz verbirgt, der in den 1930er Jahren von dem Architekten Fritz August Breuhaus de Groot geschaffen wurde. Die Wohn- und Repräsentationsräume befinden sich im Haupthaus, mit Kinder-, Elternschlaf-, Damen-, Kinderfräulein- und Gästezimmern sowie drei Bädern.

In einem angegliederten Seitenflügel ohne Fenster zum Garten sind die Wirtschaftsräume und die Räume für das Dienstpersonal untergebracht. Der Garten war mit Swimmingpool und Tennisplatz ausgestattet. Im Wirtschaftshof gab es Garage und Waschplatz.

Fritz August Breuhaus de Groot war ein prominenter Villen- und Landhausarchitekt, der auch Innenausstattungen von Schlafwagen, des Ozeandampfers "Bremen" (Norddeutscher Lloyd) und des Zeppelins "Hindenburg" entwarf. In einem "Breuhaus" zu wohnen, war für sich schon ein Zeichen erlesenen Geschmackes und gesellschaftlicher Anerkennung, man war damit Teil des begüterten Bürgertums. In Berlin sind 22 Bauten des Architekten Breuhaus de Groot als Baudenkmale erhalten. Die meisten stehen in Dahlem, Grunewald und Schmargendorf.

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Zehlendorf, Hüttenweg (19. Februar 2018)

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Waldfriedhof Dahlem

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Obstwiese mit akademischen Lauben
Der Pleitegeier stiert aus jedem Fenster