Maikäfer im Bunker

Stadtbezirk: Schöneberg
Bereich: Potsdamer Straße
Stadtplanaufruf: Berlin, Pallasstraße
Datum: 7.Oktober 2009

In Berlin stehen von mehreren Hundert vor Ende des zweiten Weltkrieges gebauten Bunkern noch gut zwanzig, vielleicht sind auch noch nicht alle wieder entdeckt worden. Die Hochbunker sind nicht zu übersehen, andere verbergen sich im Untergrund (wie im nie eröffneten U- Bahnhof Voltairestraße) oder in anderen Bauwerken (wie im Gasometer Fichtestraße). In der Reinhardtstraße in Mitte ist ein Hochbunker zum Domizil einer Kunstausstellung und der Wohnung des Kunstmäzens geworden, andere Bunker sind für geführte Besichtigungen, z.B. an Denkmaltagen geöffnet. In Schöneberg wurde aus dem größten erhaltenen Bunker Berlins in der Pallasstraße ein "Ort der Erinnerung", nachdem durch einen Zufall die angrenzende Schule Kontakt mit ehemaligen russischen Zwangsarbeitern bekam, die am Bau des Bunkers beteiligt waren.

Die Zwangsarbeiter waren im angrenzenden Gebäudekomplex des Augusta-Gymnasiums untergebracht, in dem sich heute die Sophie-Scholl-Oberschule befindet. Eine der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine schrieb 1994 einen Brief an die Schule, weil sie eine Bestätigung für ihre Internierung brauchte, um als Kriegsverfolgte anerkannt zu werden. Dieser Brief wurde zum Ausgangspunkt für die Kontaktaufnahme zu überlebenden Zwangsarbeitern. Es entstanden verschiedene schulische Forschungsprojekte über die Geschichte des Bunkers und der Augustaschule während des Zweiten Weltkrieges. Aus dem Kontakt entwickelte sich ein freundschaftlicher Umgang mit der ganzen Familie der Briefschreiberin, zwei Besuche in Berlin folgten (-> 1).

Die Sophie-Scholl-Schule ist die erste Schule in Deutschland, die (schon 1945) nach einer Widerstandskämpferin benannt wurde. Das Schulgebäude lag in unmittelbarer Nähe zum Volksgerichtshof, in dessen Gebäude nach dem 2.Weltkrieg die Alliierte Kommandantur und die Luftsicherheitszentrale der Alliierten ihren Sitz einzog. Dies war auch der Grund, weshalb der Bunker nicht gesprengt werden durfte: die Alliierten befürchteten Schäden an ihrem Gebäude.

Der Bunker sollte das zentrale Telegrafenamt der Post aus der nahe gelegenen Winterfeldtstraße aufnehmen, er blieb aber bis 1945 ein Rohbau. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich der Sportpalast. Nach dessen Abriss in der Nachkriegszeit wurde der Bunker teilweise mit einer Wohnanlage überbaut, dem "Sozialpalast" der heute "Pallasseum" heißt (-> 2). Wim Wenders drehte Teile seines Films "Der Himmel über Berlin" im Bunker. Bei einer Einzelführung konnte ich mich über die Geschichte des Bunkers unterrichten lassen und die Ausstellung "Maikäfer flieg" ansehen. Ich kam vom U-Bahnhof Kleistpark, deshalb sind hier auch Bilder von den Kolonnaden im Kleistpark und von der ehemaligen BVG-Zentrale in der Potsdamer Straße zu sehen.

Es gibt keine Nachkriegszeit, der Krieg ist nie vorbei. Nicht für diejenigen, die unter ihm gelitten und ihre Erfahrungen an die nächsten Generationen weitergegeben haben. Und nicht für diejenigen in anderen Regionen dieser Welt, in denen Krieg oder kriegsähnliche Zustände herrschen. Aus dieser Sicht hat Raffael Rheinsberg rostige Fundstücke aus der Hinterlassenschaft des 2.Weltkriegs zusammengetragen, Schrauben, Scharniere, Winkel, Zahnräder, die er in einem lang gestreckten Bunkerraum schachbrettartig angeordnet hat. Eine aufgerichtete Bombe, mit Stoff umlegt, steht an einer Schmalseite des Raumes und ist von weitem fast für einen Menschen zu halten. Die Malerin Lilli Engel stellt in einem anderen Bunkerraum ihre meist großformatigen abstrakten Bilder vor, deren Oberfläche aus Farbschichten besteht, die sie immer wieder abkratzt und neu übermalt, so dass die verschiedenen Schichten sichtbar bleiben wie in einer nach dem Krieg wieder aufgebauten Stadt.

Wie Kriegskinder ihren Alltag erleben, kann man aus den Bildern erfahren, die das Projekt "Maikäfer flieg" ebenfalls hier im Bunker ausstellt. Kinder aus dem Kosovo malen und zeichnen ihren Alltag, der auch unser Alltag sein könnte, wenn nicht jene verstörenden Elemente von wahrgenommener Gewalt uns erschrecken und erstarren ließen. Das Projekt wurde nach Kriegsende mit Fotos aus Einmalkameras fortgesetzt, die an die Kinder verteilt wurden.

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(1) Seit dem 8. Mai 1995 erinnert eine Gedenktafel im Eingang der Sophie-Scholl-Schule an das Schicksal der Zwangsarbeiter: "In diesem Gebäude befand sich nach der Evakuierung der staatlichen Augustaschule von 1943 bis 1945 ein Lager für sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Zusammen mit ihren Kindern waren sie hierher verschleppt worden. Alle arbeitsfähigen Internierten mussten den Bunker an der Pallasstraße bauen. Bei einem Bombenangriff Anfang Februar 1945 wurde auch das Schulgebäude getroffen. Viele der Internierten verloren ihr Leben."

(2) Hier ist unser Rundgang zum Sportpalast zu finden: Sozialpalast --> siehe auch Bausünde

Wo sind wir?
In der Kiesgrube verbuddelt