Ikarus auf Gabelstapler-Paletten

Stadtteil: Schöneberg
Bereich: Bülowstraße
Stadtplanaufruf: Berlin, Bülowstraße
Datum: 16. September 2019
Bericht Nr.:668

Wenn Wohnungsgesellschaften in Wettbewerb treten, um die Stadt attraktiver zu machen, kann das nur von Vorteil sein. Über die Initiative der "Deutschen Wohnen", mit Street-Art gleichzeitig das Image der Stadt und ihr eigenes Image zu verbessern ("Berliner Muralfest"), hatte ich in bei unserem Rundgang zu den Plattenbau-Wandbildern in Marzahn-Hellersdorf berichtet.

Die "Urban Nation", die von der Gewobag gefördert wird, hat schon seit Jahren in der Bülowstraße und am Art-Park Tegel um die Neheimer Straße feste Orte für Straßenmalerei etabliert. Weitere "One Wall"-Wandbilder, wie sie ihr Projekt nennt, entstanden auch in anderen Stadteilen. Graffiti und Wandbilder sind temporäre Kunst, sie verschwinden eines Tages im Nichts, so wie sie aus dem Nichts gekommen sind. So ist es klar, dass wir neue Street-Art sehen, wenn wir nach vier Jahren in die Bülowstraße zurückkehren.

URBAN NATION Biennale
Diesmal hat die Urban Nation zusätzlich ein auf drei Tage begrenztes Kunstevent mit Installationen, interaktiven Skulpturen und Live Performances veranstaltet, das sich sogar unser Regierender Bürgermeister - zugleich ehemaliger Teilzeit-Kultursenator - und der amtierende Kultursenator Klaus Lederer angesehen haben. Was demjenigen droht, der zu spät kommt, wissen wir seit Gorbis legendärem Ausspruch, das gilt auch für Flaneure. Dass am Tag drauf schon um zehn Uhr tabula rasa gemacht wird in einer generalstabsmäßig ablaufenden Aufräumaktion, hat uns überrascht. Und so können wir gerade noch am Wachdienst vorbei einen einsamen Ikarus auf Gabelstapler-Paletten und eine grau gewandete weibliche Figur vor künstlichem Schiefergestein besuchen, bevor wir energisch hinauskomplimentiert werden. Recht so, Ordnung muss sein.

Auch die riesigen farbigen Tentakel, die den Weg aus den Fenstern des Urban-Nation-Museums hinaus ins Freie gefunden hatten, sind schon abgebaut. Dafür können wir in Ruhe die Wandbilder ansehen, die in der Bülowstraße seit unserem letzten Besuch dazugekommen sind.

Hellersdorf

David de la Mano, “Gray Habitat”
Eine großformatige, schwarz-weiße Frauengestalt hat der Spanier David de la Mano im Mai 2019 an eine Hauswand in der Bülowstraße gemalt. Beine und Arme scheinen sich aus Wurzeln und Zweigen zu einem kraftvollen Körper zu entwickeln. De la Mano hat von der Universität Valencia einen Doktortitel (Ph.D.) für Kunst im öffentlichen Raum verliehen bekommen.

Es heißt, er beobachte das soziale und das unsoziale Verhalten seiner Mitmenschen im Detail. Das gilt für die meisten von uns, oft auch ungewollt, aber ein Künstler kann das in seine Werke umsetzen und uns als Betrachtern damit Gefühle und Gedanken entlocken.

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Nils Westergard, "UNforgotten"
Eingezwängt zwischen klobigen Balkonen auf der einen Seite und massiv eingefassten Fensterbändern auf der anderen Seite baut sich haushoch die Figur eines Mannes auf. Unter ihm sind die Schienen und das Eingangsgebäude eines KZs zu sehen. Der amerikanische Künstler Nils Westergard hat hier im queeren Nollendorf-Kiez eine Erinnerung an einen homosexuellen Mann geschaffen, der im KZ ermordet wurde.

Nils Westergard ist wie die meisten Street-Art-Künstler international tätig. Melbourne, so sagt er, sei für ihn die Hauptstadt der Street Art, weil seine Wurzeln in der Schablonenkunst liegen und dafür sei Melbourne Mekka. Weiter im Interview: "Ich liebe Graffiti und die Grausamkeit der Städte, die ich besuche". Das drückt sich auch in einigen seiner Wandbilder aus. Aber nicht nur verstörende, teilweise grausame Bilder werden Nils Westergard zugeschrieben. Auch ein Frauenportrait mit intensivem, zur Seite gewandten Blick findet sich in der Bülowstraße. Ein Motiv, das er öfter verwendet und manchmal mit Blumen verziert.

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Tankpetrol
Der polnische Künstler Tankpetrol (Irek Jasutowicz), der in Manchester (GB) lebt, zeigt oft "Frauen, die in einer Haltung der Stärke dargestellt sind". Er will damit der "Vielfalt weiblicher Charaktere gerecht werden". In der Bülowstraße trägt seine mit einem Portrait angedeutete Frauengestalt ein ganzes Haus, das mit Mandalas bemalt ist.

Ihre Kopfbedeckung breitet sich nach oben zu zwei Hörnern aus. Die Perle auf der Stirn und die Mandalas auf der Hauswand könnten ein Hinweis auf die indische Kultur sein.

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Hyuro
Ein Mensch (eine Frau?) hebt ein Stück der Berliner Mauer in die Luft und hält es mit den Armen umfasst. Ist das innige Zuneigung? Will er/sie das Mauerstück wegtragen? Hyuro (Tamara Djurovic) aus Argentinien, heute in Valencia (Spanien) lebend, suggeriert eine Botschaft, überlässt aber die Interpretation dem Betrachter. Auch das ist nicht ungewöhnlich, Kunst ist immer das, was der Betrachter sieht und empfindet, warum sollte es bei der Street-Art anders sein. Hyuro ist eine international anerkannte Künstlerin, sie nimmt an Festivals auf der ganzen Welt teil.

So hat der Besuch in der Bülowstraße doch noch zu neuen Eindrücken geführt, auch wenn die "Biennale" schon abgebaut war. Das ist das wohl unser kürzester Stadtrundgang bisher, aber auch dieser schließt in einem Flaniermahl ab, diesmal karg mit einem Milchkaffee samt Apfeltasche.

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Unsere Route:
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