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Freiheit für die Auswanderer


Stadtbezirk: Spandau
Bereich: Stresow
Stadtplanaufruf: Berlin, Freiheit
Datum: 30. Mai 2011

Das ist heute ein langer Spaziergang und es gibt viel zu berichten.

Ein Auswandererbahnhof, der an der Straße "Freiheit" liegt - in der Phantasie wird das zu einem Ganzen zusammen gefügt, aber leider ist die Assoziation falsch: Die Straße "Freiheit" in Spandau hat ihren Namen von einer Wiese, die in historischer Zeit "frei" war von Abgaben, vorher hieß die Straße auch schon mal "An der Artilleriewerkstatt". Etwas weiter südlich gibt es immer noch eine kurze Straße "An den Freiheitswiesen".

Und der Auswandererbahnhof? Der ist in Berlin weitestgehend unbekannt. Hamburg hat in den Auswandererhallen "Ballinstadt" auf dem Gelände der ehemaligen HAPAG-Reederei ein Museum eingerichtet, das dem Zug der über fünf Millionen europäischer Auswanderer in die Neue Welt gewidmet ist. Aus politischen, rassischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen verließen ab 1850 vor allem Menschen aus Osteuropa ihre Heimat. 1901 wurden die Auswandererhallen in Hamburg gebaut, ohne Kontakt zur Innenstadt wurde hier der Übergang von der Bahn zum Schiff organisiert und kontrolliert.

Die Freiheitsstatue vor Augen, konnten nur die Passagiere der Ersten Klasse ohne weiteres nach New York einreisen. Für die übrigen begann ab 1892 auf der Insel Ellis Island - die Manhattan vorgelagert ist - eine Prozedur mit Befragungen, Tests und ärztlicher Untersuchung. Mit Kreidezeichen auf der Kleidung markierten Ärzte, wenn sie eine gefürchtete ansteckende Augenkrankheit oder psychische Probleme vermutet oder diagnostiziert hatten, zwei Prozent der Ankommenden wurden zurückgewiesen. Vierzig Prozent der Amerikaner haben Vorfahren, die über Ellis Island eingereist sind. Die Geschichte der Immigration ist auf Ellis Island hervorragend und eindrucksvoll dokumentiert.

Der Auswandererbahnhof an der Straße "Freiheit" in Stresow (Ortsteil von Spandau) wurde 1891 als Durchgangsstation eingerichtet, als der Strom der osteuropäischen Auswanderer zunehmend die Wartesäle der Bahn in Berlin überfüllte. In Stresow wurden die Menschen untersucht, ihr Gepäck wurde vorsorglich desinfiziert, um Seuchen vorzubeugen. In drei Baracken mit bis zu 80 Metern Länge konnten insgesamt 600 Personen untergebracht werden, bevor sie zu den Schiffen nach Hamburg oder Bremen befördert wurden.

Die Straße Freiheit ist eine öde Gewerbestraße, die Gebäude des Auswandererbahnhofs verfallen, seine Eintragung in der Denkmalliste fehlt. Die Chance, die Reihe vom eindringlichen Geschichtsmuseum in Ellis Island/NY über das interaktive Museum Ballinstadt/Hamburg zum Stresower Auswandererbahnhof nach Berlin zu verlängern, wurde offensichtlich bisher nicht gesehen. Der Zustand des letzten vorhandenen Gebäudes lässt auch leider nicht mehr viel Zeit für eine solches Projekt (--> 1)



Die Militärstadt Spandau wurde 1873 durch das "Reichsfestungsgesetz" weiter gestärkt, nahe der Zitadelle und in Stresow waren nach und nach Pulverfabrik, Gewehrmanufaktur, Munitionsfabrik, Geschützgießerei und Artilleriewerkstatt entstanden und in Haselhorst eine Armeekonservenfabrik (--> 2). In der Geschützgießerei, die bereits1854 von Berlin nach Stresow verlegt worden war, fand "der erste Geschützguss im neuen Werk unter feierlichem Glockengeläut statt", die Friedensbotschaft wurde von der Kirche erst in späteren Jahren entdeckt. Nach dem Ersten Weltkrieg stellten die "Deutschen Werke Spandau" die Kriegsproduktion auf "Friedenswirtschaft" um (Stahlwalzwerk, Lokomotivenreparatur, Waggonbau, landwirtschaftliche Maschinen). Nach dem Zweiten Weltkrieg unterhielt West-Berlin im nicht zerbombten Gebäude der ehemaligen Geschützgießerei ein Getreidelager als Senatsreserve (--> 3). Das Gebäude liegt direkt am Zusammenfluss von Spree und Havel und wartet auf neue Nutzung.



Unsere heutige Wanderung haben wir am S-Bahnhof Pichelsdorf begonnen und damit den Spaziergang von Ruhleben zum Olympiastadion wieder aufgenommen (--> 4). Die Murellenschlucht hinter der Waldbühne gehört zum Berliner Urstromtal, der Schanzenwald diente150 Jahre lange militärischen Zwecken, zwei lang gestreckte, von Erdwällen umgebene Grünflächen waren früher einmal Schießplätze. Von Eingang oben an der Glockenturmstraße (Wegweiser fehlen hier leider) geht der Weg in die Schlucht hinunter, in der seit August 1944 mehr als 230 Menschen als Deserteure oder wegen "Wehrkraftzersetzung" hingerichtet wurden. Die Denkzeichen zur Erinnerung an dieses Unrecht hat Patricia Pisani geschaffen: Spiegel, die auf nicht vorhandene Abzweigungen des Weges gerichtet sind, sinnlos wie der Tod der hier Erschossenen und gleichzeitig ein Versuch, den Geist des Ortes sichtbar oder fühlbar zu machen. Der erste Spiegel wirkt befremdlich, in der Folge verstärken sie die düstere Wirkung des Weges in die Schlucht.



Von Pichelsberg bis zur Altstadt Spandau war es ein weiter Weg, erschöpft stärken wir uns dort im Fußgängerbereich bei einem Italiener.

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(1) Die Stadtplanung will im Rahmen der "Strategie Spreeband" das Gewerbegebiet Stresow mit "mittlerer Priorität" durch Grün und Parkplätze aufwerten, aber das Kleinod Auswandererbahnhof kommt darin nicht vor. Vielleicht lässt der Denkmaltag 2010 hoffen, der zu diesem Thema die Forschungsarbeit eines Jugendprojekts zeigte.

(2) mehr zur Armeekonservenfabrik: Reichsforschungssiedlung
(3) mehr zur Senatsreserve: Senatsreserve im eingeschlossenen West-Berlin
(4) von Ruhleben zum Olympiastadion: Im Innenraum der Rennbahn


Mata Hari auf dem Flugfeld
Pepita in Hakenfelde