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Zum Skifahren ins Gaswerk


Stadtbezirk: Tempelhof
Bereich: Mariendorf
Stadtplanaufruf: Berlin, Alt-Mariendorf
Datum: 1. November 2010

In Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten liegen die Tagestemperaturen je nach Jahreszeit zwischen 25 und 45 Grad, trotzdem kann man dort Skifahren und Rodeln. Der "Sunny Mountain Ski Dome" im Einkaufsparadies „Dubailand“ macht's möglich. Durch große Glasscheiben sieht man von der Mall aus die Skilifte, die die in Skiklamotten eingehüllten Sportler auf den Berg transportieren, auf der Bobbahn geht es derweil bergab. Das hätten wir in Berlin auch haben können, im stillgelegten Gaswerk Mariendorf wollte 2003 eine Tochtergesellschaft der Ruhrkohle AG ein Schneeparadies bauen. Vorgesehen waren ein 111 Meter hoher Skidom sowie eine Bobbahn, eine Bade- und Erlebniswelt und eine Kletterhalle für Extremsportler. Aber in Berlin wird das Geld nicht mit Erdöl verdient und die Menschen hier sind noch nicht ganz so crazy, das Projekt wurde (bisher) nicht verwirklicht.

Realisiert wurde dagegen auf dem Gelände eine Photovoltaikanlage, die einmal zum größten Solarkraftwerk Berlins ausgebaut werden soll. Ohne Superlative geht es auch hier offensichtlich nicht, schließlich war das Gaswerk, als es 1901 von der britischen Imperial Gas Association erbaut wurde, Berlins größte, modernste und technologisch fortschrittlichste Gasanstalt mit einem eigenen Hafen und einem eigenen Güterbahnhof. Zwei Wassertürme gehören zum Gaswerk, ein mittelalterlich anmutender Burgturm und ein von der GASAG 1969 nachgerüsteter Pilz mit Aussichtsplattform, der in diesem Kontext etwas außerirdisch wirkt.

Heute dämmert der denkmalgeschützte Gaswerkskomplex vor sich hin, am Zaun hängt ein großes Werbeplakat, mit dem man Mieter anlocken will. Fotografen möchte man nicht auf dem Gelände haben, der Pförtner, der sonst wenig zu tun hat, kann hier wenigstens einmal aus der Lethargie erwachen und den Eindringling abwehren. Aber der frühere Gasbehälter, dem das teleskopartig nach oben und unten verschiebbare Dach fehlt, kommt mir auch von außen auf die Linse. Die Eisenkonstruktion ist beeindruckend, vom Sachsendamm aus ist noch so eine frühere Umhüllung für die Gasvorräte zu sehen (--> 1).

Mein Spaziergang beginnt heute an der Endhaltestelle der U6 Alt Mariendorf. In der Friedenstraße steht eines der noch erhaltenen historischen Stadtmöbel für die dringenden Bedürfnisse, auch Café Achteck genannt, im Internet werden mehr als 30 dieser Pissoirs liebevoll beschrieben und abgebildet. Nicht dass das Häuschen schon immer hier gestanden hätte, ursprünglich war sein Platz an der Ringbahnstraße in Tempelhof, aber 1999 hat man es hierher umgesetzt, weil man am Verkehrsknotenpunkt für den Umstieg zwischen U-Bahn und Bus einen entsprechenden Bedürfnisbedarf vermutete. Wie fürsorglich doch unsere Stadtplaner sein können! (--> 2)

An der Ecke Großbeerenstraße hat sich ein Büdnerhaus von 1830 erhalten, damals am westlichen Dorfausgang gelegen und mit nur wenig Gartenland umgeben. Westlich davon, zwischen Lankwitzer Straße und Ringstraße erstreckt sich ein weitläufiges Industriegebiet, das ursprünglich nur dem Gaswerk Mariendorf diente. Später wurden an der Großbeerenstraße Industriebauten für Siemens und die Askania-Werke errichtet. An dem lang gestreckten Askania-Bau gliedern horizontale Fensterbänder die aus dunkelbraunem Klinker gemauerte Fassade, deren Steine im märkischen Mauerverband angeordnet sind. Bei diesem Mauerverband werden die Längsseiten und Schmalseiten der Steine systematisch so verwendet, dass sich auf der Fassade parallele vertikale Linien abbilden. Architekt war Hans Altmann, dessen Bauten uns nicht ganz zufällig in Friedenau schon begegnet sind - er war Gemeindebaurat in Friedenau, bis es nach Groß- Berlin eingemeindet wurde (--> 3). Askania baute feinmechanische und optische Geräte, im Zweiten Weltkrieg Rüstungsprodukte, irgendwann in der Nachkriegszeit kam dann das Ende des Unternehmens.

Die Lankwitzer Straße besteht nur aus Industrie und Gewerbe, bis auf ein Wohnhaus aus der Zeit um die Jahrhundertwende, das gegenüber dem Gaswerk stehen geblieben ist und sich stolz mit orangefarbener Fassade zeigt. Der Gewerbebau "MyPlace SelfStorage" bietet Lagerflächen an, "weil meine Wohnung langsam zuwächst - weil meine Wohnung keinen Dachboden und keinen Keller hat - weil ich mit jemandem zusammen ziehen möchte". Für Berliner ist das Auslagern der Wintergarderobe im Sommer usw. kein Thema, die Wohnungen sind groß genug. In New York sind Lagerhäuser ein besseres Geschäft. Ich erinnere mich an ein Werbeplakat, das ein ziemlich nacktes Ehepaar auf der Couch mit der Entschuldigung des Lagerhauses zeigt: "Vielleicht haben wir das Auslagern zu einfach gemacht".
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(1) Gasometer auf der „Roten Insel“: Rote Insel
(2) Mehr über Bedürfnisanstalten: Bedürfnisse
(3) Bauten des Gemeindebaurats in Friedenau Hans Altmann: Sei gegrüßt, Friedenau!


Dreidimensionale Geschichten aus Kymaerica
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