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Es gibt kein Bier in der Brauerei


Stadtteil: Prenzlauer Berg
Bereich: Windmühlenberg
Stadtplanaufruf: Berlin, Saarbrücker Straße
Datum: 17. Februar 2014
Bericht Nr: 452

Wenn man aus der kurfürstlichen Residenzstadt Berlin nach Norden sah, dann blickte man auf "den Berg". Die Spree hatte sich mit einem 10 bis 15 Meter tiefen Canyon in die Ebene eingeschnitten. Von dort unten aus dem Urstromtal (1) sieht die Kante dort oben wie ein Berg aus. Später wurden Windmühlen dort errichtet, der Berg wurde zum "Windmühlenberg" (2). Als sich schließlich die Stadt nach Norden über die Hochebene ausdehnte, wurde daraus der "Prenzlauer Berg". Von den Biergärten dort oben hatte man einen exklusiven Blick auf die Skyline der Stadt unten in der Senke.

Mit der fortschreitenden Industrialisierung wuchs die Stadt in enormem Tempo. Überbevölkerte Arbeiterquartiere entstanden, die "Mietskasernen". Brauereien siedelten sich auf dem Windmühlenberg an. Durch bayrische Braumeister wurde das untergärige Bier (Pilsner, Helles u.a.) eingeführt, das das bisher gebraute Weißbier weitgehend ablöste. Weißbier war nicht lange haltbar und wurde deshalb meist nicht zwischengelagert. Untergäriges Bier brauchte eine gewisse Reifezeit und kühle Lagerung, die längere Haltbarkeit war ein großer Vorteil. Tiefe Keller boten ideale Voraussetzungen für die Lagerung des Biers, mit Eisblöcken konnte man auch im Sommer die niedrigen Temperaturen halten (3). Brauereistandorte über dem Hang hatten den Vorteil, dass Keller auch von der Hangseite hineingetrieben werden konnten, und so siedelte sich auf dem Windmühlenberg um 1840 eine Brauerei nach der anderen an und grub ihre Lagerkeller in die Erde. An der Saarbrücker Straße waren drei große Betriebe nebeneinander aufgereiht: die Bötzow-Brauerei, die Königstadt-Brauerei und die Brauerei Pfefferberg. Heute sind sie Industriedenkmale, in denen kein Bier mehr gebraut wird. Die Weißbier-Brauerei Landré-Breithaupt-AG lag dazwischen an der Straßburger Straße, dort ist zurzeit nur eine riesige Baugrube zu sehen.

Hier an der Barnim-Kante - der Nordkante des Urstromtals - sind weitere ehemalige Brauereigebäude erhalten geblieben (4): in der Schönhauser Allee die Schultheiss-Brauerei - heute Kulturbrauerei -, am Volkspark Friedrichshain die Brauerei Schweizer Garten (5), an der Friedenstraße das Löwenbrauerei-Böhmische Brauhaus (6), an der Landsberger Allee die Patzenhofer-Brauerei (7). Auch an der südlichen Kante zum Teltow - dem Tempelhofer Berg und Kreuzberg - siedelten sich große Brauereien an (8).

Berlin hatte nach kurzer Zeit über 100 Brauereien. Die Großbetriebe wurden wegen des hohen Kapitalbedarfs als Aktiengesellschaften geführt, nur die Gutsbesitzer Bötzow führten ihren Betrieb - bis auf eine kleine zeitliche Unterbrechung - als Familienunternehmen. Neue Technologien revolutionierten Produktion, Lagerung und Vertrieb. Brauereien, die im Wettbewerb nicht bestehen konnten, wurden von anderen gekauft. Bald setzte sich Schultheiß als größter Berliner Brauer auch an die Weltspitze.

Bier war schon im Mittelalter "bürgerliche Nahrung" und die Biersteuer deshalb eine sprudelnde Steuerquelle. Seine Güte war oft mangelhaft, man konnte es "anpreisen wie sauer Bier" und wurde es doch nicht los. In Bernau soll man einer Überlieferung zufolge eine ganz eigene Qualitätskontrolle erdacht haben. Das Bier wurde über Sitzbänke gegossen, wenn Bierprüfer in Lederhosen darauf kleben blieben, war das Bier gut. Auch später in der Zeit der Brauerei-Aktiengesellschaften gab es manchmal Kritik an Gehalt und Geschmack des Bieres. Wenn die Brauereien mehr an die Gewinne ihrer Aktionäre (Dividenden) als an ihre Konsumenten dachten, beschimpfte man das Getränk als "Dividendenjauche".

Wie kam es dazu, dass in der Zeit der industriellen Revolution extrem viel Bier konsumiert wurde? "Proletarisches Trinkverhalten" oder "Elendsalkoholismus" werden hier genannt, der Alkohol als Mittel, die Last des Lebens vergessen zu machen. Die Arbeiter verrichteten körperlich extrem anstrengende Arbeit bei Beschäftigungszeiten von 70 Stunden wöchentlich und mehr. Unzureichende Wohnverhältnisse (räumliche Enge, Anwesenheit mehrerer Kinder und Schlafgänger in einem Zimmer, Heimarbeit der Frauen und Kinder) gaben keine Möglichkeit zur Regeneration. Die steigende Zahl von Biergärten und Wirtschaften schuf für die Arbeiter den Raum, um den schlechten Wohnverhältnissen zu entfliehen und das Fehlen von Kommunikation am Arbeitsplatz auszugleichen. Nicht zu vergessen der bis in die Nachkriegszeit typische "Lohntütenball", wo die Arbeiter freitags den bar ausgezahlten Wochenlohn gleich in Alkohol umsetzten. Auch für politische und gewerkschaftliche Veranstaltungen wurden die Biergärten genutzt, nur hier war genügend Platz für diese Zusammenkünfte.

Auch Arbeitgeber förderten anfangs das Biertrinken während der Arbeit. "Die Gartenlaube" berichtete 1867, dass über der Borsig-Kantine an der Chausseestraße der Spruch stand: „Zum guten Werk ein guter Trunk / Hält Meister und Gesellen jung!“. Es gab sogar einige Betriebe, die während der Arbeit Alkoholrationen an die Arbeiter austeilten.

Gegenüber der "Branntweinpest", dem übermäßigen Genuss von Kartoffelschnaps, war das Biertrinken das mäßigere Laster. Der Bierkonsum stieg erheblich, als ab 1887 eine hohe Branntweinsteuer erhoben wurde, die das Schnapstrinken drastisch verteuerte. Je mehr sich das Arbeitsleben und die Lebensführung veränderten, umso mehr änderte sich auch das Trinkverhalten. Steigende Löhne, bessere Wohnverhältnisse und die Angleichung der Arbeiter an die bürgerliche Lebensweise mit Sport, Ausflügen, Bildung, Lebensstil führten im Lauf der Jahre dazu, das das Trinken nicht mehr Selbstzweck war, sondern die Geselligkeit begleitete. Dadurch sank der Bierkonsum und erreichte nicht wieder die Mengen aus den Boomzeiten der Brauereien, auch wenn meist steigender Lebensstandard und Wohlstand tendenziell den Alkoholkonsum ansteigen lassen. Bei alledem wollen wir natürlich den Genuss nicht vergessen, den Bier in der richtigen Dosierung bereitet.

Unser heutiger Stadtspaziergang ist ein Brauereirundgang. Auf Bier müssen wir dabei verzichten, gebraut wird hier nicht mehr, auch wenn mein Mitflaneur das mehrfach bedauert, schließlich gehört zu einer Brauereibesichtigung ein zünftiger Umtrunk. Zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee liegen die Bötzow-Brauerei, die Königstadt-Brauerei und die Brauerei Pfefferberg nebeneinander an der Saarbrücker Straße und ihrer gedachten Verlängerung. Zum Biergarten der Bötzow-Brauerei ging man durch ein Portal eine Treppe zu einem Pavillon herauf. Karl Liebknecht hatte am 9.November 1918 vor dem Stadtschloss die "freie sozialistische Republik Deutschland" ausgerufen. Im Anschluss daran kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen in Berlin, dem Spartakusaufstand. Im Januar 1919 wurde hier in der Bötzow-Brauerei ein Revolutionsausschuss gegründet, der zum Generalstreik aufrief, um die Regierung zu stürzen. Hieran erinnert ein Gedenkstein, der so beschmiert ist, dass man ihn kaum entziffern kann. Das Bötzow-Imperium aus einer Vielzahl von Bauten ist zum Teil erhalten und wird gerade umgebaut. Von der Fabrikbesitzervilla blieb nur noch eine kleine Balustrade übrig, die heute unscheinbar in einen Currywurst-Kiosk integriert ist. Die Jahreszahl 1864 an einem Giebel verweist stolz auf das Gründungsjahr der Brauerei.

Genau wie die Bötzow-Brauerei verfügt auch die Königstadt-Brauerei über gewaltige Kellergewölbe. Die Phantasie, was man damit anfangen könnte, scheint unbegrenzt. Vom Wellness-Bereich und von Restaurants träumt man bei Bötzow, Königstadt veranstaltet Kunstprojekte im Untergrund und hat von der Straßburger Straße aus eine Tiefgarage ins Gewölbe geführt. Während bei Königstadt die kleinteilige Nachnutzung der Gebäude für Kleingewerbe und Dienstleistungen in vollem Gange ist, wird bei Bötzow gerade erst mit dem Ausbau begonnen. "Futuring" steht an dem Schornstein, der Weltmarktführer für "Mobilität, Gehen und Greifen" will hier ein futuristisches Science-Center für Prothesen und Rollstühle installieren, Chipperfield hat die Planung übernommen.

Die Pfefferberg-Brauerei hat ihren Weg schon lange gefunden. Jugendliche können im "Pfefferbett" übernachten, ein spanisches Restaurant nutzt Ladenräume an der Schönhauser und als Gartenlokal die Hochebene im ersten Stock, Medienunternehmen und Dienstleister haben sich eingemietet. Auch das BMW-Guggenheim-Lab war hier 2012 im zweiten Innenhof zu Gast, nachdem es aus Kreuzberg vertrieben worden war. Es sollte eine Ideenschmiede und ein öffentliches Forum sein, aber auch der Kurator selbst war zum Schluss nicht vom Erfolg überzeugt: "Das Lab hat mehr von Berlin gelernt als Berlin vom Lab". Ein privates Museum für Architekturzeichnungen ist an der Rückseite des Geländes zur Christinenstraße errichtet worden. Wie mehrere unregelmäßig übereinander gestapelte Schubladen sieht es aus, eine Visualisierung seiner Zweckbestimmung.

Im Industriequartier an der Saarbrücker Straße gab es nicht nur Brauereien, sondern auch das Hauptquartier von Aschinger (9). Mit Erbsensuppe und Schrippen war das einer der ersten Fastfood-Lieferanten Berlins, lange bevor es den Begriff "fastfood" gab. Angefangen hatte "Aschinger´s Bierquelle AG" mit unzähligen Eckkneipen und Stehbierhallen, hinzu kamen Hotels und Restaurants sowie Werkstätten und Betriebe, in denen Lebensmittel hergestellt wurden. Am Prezlauer Berg arbeiteten 4.000 Menschen für Aschinger, wöchentlich wurde mehr als eine Million Brötchen gebacken. In der Nazizeit kauften die Aschingers das Konkurrenz-Unternehmen Kempinski, das von seinen jüdischen Eigentümern weit unter Marktpreis abgegeben werden musste. Zu Kempinski gehörten das Haus Vaterland am Potsdamer Platz und das Hotel Kempinski am Kudamm Ecke Fasanenstraße.

Zu DDR-Zeiten wurde aus Aschinger ein Volkseigener Betrieb gleichen Namens, der später in VEB Nahrungsmittelwerk "Aktivist" umbenannt wurde und schließlich im VEB Backwaren-Kombinat Berlin (VEB BAKO) aufgegangen ist. Hier wurde bis zur Wende die "Ostschrippe" hergestellt. Nach der Wende scheiterte Horst Schießer mit einer Neuauflage der Backfabrik, jener schillernde Investor, der einmal einen ganzen gewerkschaftlichen Wohnungskonzern für eine D-Mark kaufte und wieder zurückgeben musste. Heute wird die "Backfabrik" nachgenutzt als "Ort für kreative Denkarbeiter".

Durch die Schönhauser nach Norden führt der Weg zur Kulturbrauerei, wie die ehemalige Schultheiss-Brauerei heute in der Phase der Nachnutzung heißt. Franz Schwechten hat die Silhouette mit dem markante Turm an der Ecke Sredzkistraße geschaffen (10). Die Berliner hatten den Festsaal im Turm zur "Bierkirche" ernannt, in unserer Zeit zog hier der Franzz-Club ein. Dieses Areal ist die Keimzelle der Schultheiss-Brauerei. Eine mittelalterliche Burganlage soll das Vorbild für die Anlage der Innenhöfe und Gebäude gewesen sein. Die Brauereigebäude sind fast vollständig erhalten und gut instand gesetzt. Zur Orientierung trugen die einzelnen Gebäude Funktionsbezeichnungen wie Flaschenbier-Abteilung, Fassbier-Ladehalle, Maschinenhaus, Wasserturm, Magazin, Aufenthaltsraum für fremde Handwerker, Wasch- und Umkleideräume, Personen-Autos, Lastauto-Garage, Futterboden, Aufgang zum Stall, Schmiede, Beschlagbrücke, Flaschenbier-Fahrpersonal. Man kann vor seinem geistigen Auge einen Film ablaufen lassen, wie geschäftig es wohl im Hof bei Vollbetrieb ausgesehen haben mag.

"Delicie" ist das Essen, das wir zum Abschluss als Flaniermahl an der Kollwitzstraße einnehmen. Nicht Bier, sondern Wein begleitet unsere Mahlzeit. Der geneigte Leser möge uns verzeihen, dass wir nach soviel virtuellem Bier beim Rundgang auf realen Wein umgestiegen sind.

(Textversion vom 21.August 2015)

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(1) Berliner Urstromtal: Urstromtal
(2) Windmühlenberg: Prenzlauer Berg zeigte ab 1992 die Windmühlenflügel in seinem Bezirkswappen.
(3) Eisblöcke aus den zugefrorenen Seen als Kühlmittel: Eisfabrik
(4) Brauereien
(a) am Prenzlauer Berg: Brauereien am Prenzlauer Berg
(b) in Friedrichshain: Brauereien am Friedrichshain
(5) Brauerei Schweizer Garten: Schlossbaustelle unter Wasser
(6) Löwenbrauerei-Böhmisches Brauhaus: Brauereibesichtigung
(7) Patzenhofer-Brauerei: Patzenhofer-Brauerei
(8) Brauereien
(a) in Tempelhof: Brauereien am Tempelhofer Berg
(b) in Kreuzberg: Architektur in Kreuzberg
(9) Aschinger: Aschinger, August
(10) Franz Schwechten: Schwechten, Franz



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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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