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Weniger Irre als geplant


Stadtteil: Berlin-Buch
Bereich: Krankenanstalten Buch
Stadtplanaufruf: Berlin, Wiltbergstraße
Datum: 10. September 2016
Bericht Nr: 560

Die spannende Frage, wie es im Innern interessanter Gebäude aussieht, können wir beim Flanieren meist nicht beantworten. Der Denkmaltag 2016 bietet wieder die Gelegenheit, hinter die Kulissen zu schauen.

Die Irrenanstalt IV von Ludwig Hoffmann in Berlin-Buch
Weitab von Berlin wurde um 1900 ein neuer Krankenhaus-Standort gebaut. Dadurch hat man hygienische Probleme von der Innenstadt ferngehalten und hohe Grundstückspreise vermieden. In Buch - heute Berlin-Buch an der nördlichen Stadtgrenze - errichtete der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann Krankenhäuser wie eine Lungenheilanstalt, eine Irrenanstalt, ein Alte-Leute-Heim, eine Kinderheilanstalt. Hoffmann hatte im Wedding das Rudolf-Virchow-Krankenhaus gebaut, das aus freistehenden Gebäuden (Pavillons) bestand und als "Gartenstadt" konzipiert war. In Berlin-Buch behielt er dieses Prinzip bei, errichtete Klinikgebäude mit 2 Stockwerken, die einzeln oder als Gruppen in einem parkartigen Gelände angeordnet sind. Er schrieb, er habe Freude an den Aufgaben, "die im freien Terrain eine größere Anzahl einzelner Bauten verlangten" und bei denen er auch "die Gartenanlagen zu projektieren" hatte.

Aus einem zentralen Bau versorgte Hoffmann alle von ihm gebauten Krankenanstalten in Buch mit Energie: Dampf für die Heizungen, Warmwasser, elektrischer Strom. Wasser kam aus einem eigenen Wasserwerk, außerdem gab es eine Wäscherei, eine Bäckerei und eine Apotheke.

Psychischen Krankheiten wurden zu jener Zeit nicht mehr als asoziale Haltungen, sondern als Erkrankungen des Gehirns begriffen und dem entsprechend differenziert behandelt. Auch Umwelteinflüsse wie die Arbeitsbedingungen und das "Irresein an der Großstadt" spielten eine Rolle. Weiträumige Grünanlagen, die liebevoll mit Ruhezonen aus Bänken, Brunnen und Pavillons ausgestattet sind, förderten die Heilung genauso wie die bauliche Unterteilung in Häuser für "ruhige Kranke", geschlossene Abteilungen für "Schwere Männer", Pflegehäuser, ein Überwachungshaus für Neuaufnahmen und Landhäuser für Genesende, vor der Entlassung stehende Patienten.

Das weitläufige Areal ist durch mehrere parallel laufende Alleen gegliedert. Männer und Frauen waren natürlich in unterschiedlichen Gebäudetrakten untergebracht, getrennt durch ein neutrales Gelände. Der geschlossene Bereich ist von einer Mauer umgeben, die erst durch einen durchbrochenen Lattenzaunaufsatz ihre notwendige Höhe erreicht, dadurch aber gefällig den Charakter des Eingemauertseins vermeidet. Die Eckpavillons dieser Begrenzungswände sind als Toilettenhäuschen konzipiert, um den Aufenthalt im Freien noch komfortabler zu machen.



Die Arbeitsbedingungen der Pfleger waren dagegen aus heutiger Sicht nicht fortschrittlich, sondern wurden durch die preußische Gesindeordnung diktiert, die erst 1918 aufgehoben wurde. 14 Stunden Arbeitszeit täglich, einen halben freien Tag wöchentlich, sonst keinen Ausgang, Verheiratete dürfen nur eine Nacht wöchentlich bei der Familie übernachten, ansonsten in der Unterkunft im Krankenhaus.

Das ist keine Beschreibung der Irrenanstalt IV, die an der Wiltbergstraße 50 erbaut wurde und heute am Denkmaltag besichtigt werden kann. Sie ist nie als Irrenanstalt in Betrieb gegangen, der Erste Weltkrieg kam dazwischen. Hoffmann hatte in Buch als erstes die Irrenanstalt III (Hufeland-Krankenhaus) errichtet, die denselben Leitgedanken folgte und binnen kürzester Zeit voll belegt war. Die als Klinikerweiterung geplante neue Anstalt in der Wiltbergstraße war bei Kriegsbeginn noch nicht ganz fertig, da wurde sie schon als Lazarett genutzt, so wie später im Zweiten Weltkrieg auch. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde keine zweite Irrenanstalt mehr gebraucht, jetzt wurde das Krankenhaus in der Wiltbergstraße zum größten Kinderkrankenhaus Berlins ("Genesungsheim"). Zu DDR-Zeiten war das Klinikum Berlin-Buch - zu dem auch das Areal in der Wiltbergstraße gehörte - das größte Krankenhaus des Landes. Auch das Regierungskrankenhaus und das Krankenhaus der Stasi gehörten dazu.

Nach der Wende wird die ehemalige Irrenanstalt IV als "Ludwig-Hoffmann-Quartier" von einem Investor behutsam für eine Nachnutzung mit Wohnungen, Schulen, Gaststätten, Dienstleistern - auch einer Tanzschule im ehemaligen "Unterhaltungshaus" - entwickelt. Stolz zeigt man am Denkmaltag vor, was bisher erreicht wurde.

Kleine Randbemerkung: Auf der Bahnfahrt nach Buch wurde ich von einem Afghanen angesprochen, der den von der S-Bahn eingerichteten "SEV" suchte - schon für Einheimische ist der Schienenersatzverkehr ein sprachliches Monster. Er ist ausgebildeter Betonbauer, Mitte 20, aus religiösen Gründen geflohen, hat bei der einmonatigen Flucht über Irak, Türkei, Griechenland seine Frau unterwegs zurücklassen müssen, lebt in einer Turnhalle. Nach einem halben Jahr Aufenthalt spricht er passables Deutsch, so dass es über das reine Verständigen hinausgeht, besucht einen freiwilligen Deutschkurs und einen bei der Volkshochschule. Die beiden Anleiterinnen des freiwilligen Sprachkurses - Assistentinnen an der Uni - gehen mit ihren Teilnehmern - alles Flüchtlinge unter dreißig - zu der Führung auf den Denkmaltag und besprechen mit ihnen im Hintergrund das Gehörte. Mein Kompliment für ihre Initiative zur Integration behalte ich natürlich nicht für mich.

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Bitte folgen Sie mir zu einem weiteres Ziel am diesjährigen Denkmaltag 2016:
> Theater am Kurfürstendamm, Komödie und Atelierhaus Fasanenstraße:
Pferdegerippe am Kurfürstendamm
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Hinweis: Am Denkmaltag 2016 konnte das ehemalige Stasi-Objekt in der Freienwalder Straße, die Villa Heike, nach Rückbau innen besichtigt werden. Meine Bilder finden Sie hier in der letzten Bildergalerie:
Meister der Angst in seinem Gefängnis inhaftiert
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Unserr Ziel:
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(Quelle: Google Maps, bearbeitet)


Zwei Kleinhaussiedlungen im Norden
Krankenhäuser jottwede