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Bestandsschutz für üble Gerüche


Stadtteil: Pankow
Bereich: Wilhelmsruh
Stadtplanaufruf: Berlin, Niederstraße
Datum: 25. Januar 2024
Bericht Nr.:827

Der Ortsteil Wilhelmsruh im Norden Berlins hat eine Kirche und eine Schule, aber kein Gutshaus und kein Rathaus. Wilhelmsruh war nie ein Dorf oder eine Landgemeinde, sondern eine Kolonie, die 1893 als Siedlung innerhalb des Einzugsgebiets von Berlin gegründet wurde. Anfangs gehörte Wilhelmsruh zu Rosenthal, dann zu Reinickendorf, dann wieder zu Rosenthal und schließlich seit 2001 zu Pankow.

Colonie Wilhelmsruh
Siedlungen wurden zu jener Zeit meist von Terraingesellschaften gegründet, hinter denen Banken standen. Die Gesellschaften übernahmen die Parzellierung und sorgten für die Infrastruktur. In Wilhelmsruh war es ein Bäckermeister Günther, dem das Privileg zuteil wurde, die Kolonie zu gründen. Ein "Colonie-Consens", also ein "obrigkeitlicher Einwilligungsschein", ermächtigte und verpflichtete ihn 1893, die Siedlung zu gründen. Wie die Grundstücke in Wilhelmsruh baureif gemacht wurden, wird in den zugänglichen Quellen nicht erwähnt. Es bleibt ein Rätsel, woher ein Bäckermeister das Know-how und die nötigen Finanzmittel für diese Aufgabe hatte. Der Rosenthaler Grundbesitzer Nieder erweiterte mehrere Jahre später die Kolonie um seine Besitzungen an der Niederstraße und dem Wilhelmsruher See.

Als Rosenthaler Gemeindevorsteher sorgte Nieder für den Bau einer Schule in der Kolonie. 1903 bekam Wilhelmsruh ein Postamt. 1907 wurde die Lutherkirche eingeweiht, der Architekt Fritz Gottlob (nomen est omen!) hatte für die Gemeinde einen mächtigen Bau der Backsteingotik und ein Gemeindehaus an der Goethestraße errichtet.

Mit einer Grünfläche an der Hauptstraße zwischen Goethestraße und Schillerstraße und der angrenzenden Kirche und Schule ist das ein zentraler Ort der Siedlung. Die Andeutung eines Geschäftszentrums befindet sich weiter südlich an der Hauptstraße.

Um die Jahrhundertwende 1900, siebzehn Jahre nach der Gründung, lebten bereits 8.000 Menschen in der Kolonie Wilhelmsruh. Der Bahnknotenpunkt von Nordbahn und Heidekrautbahn sorgte für gute Verbindungen in der Zeit vor der Motorisierung. Auch die Industrieansiedlung von Bergmann-Borsig 1907 profitierte von den Gleisanschlüssen für Materialtransporte und von den Personenzügen, die die Arbeiter aus der Stadt und dem Umland nach Wilhelmsruh brachten. Am Bahnhof Wilhelmsruh entstand als weiterer Industriebau ein Abspannwerk der Elektrizitätsgesellschaft Bewag.

Industriepark Wilhelmsruh

In die äußerste westliche Ecke von Wilhelmsruh zogen 1907 die Bergmann Electricitätswerke (Bergmann-Borsig), als sie am Standort Wedding keine Erweiterungsmöglichkeit mehr hatten. Zu dem Unternehmen gehörten ein Metallwerk, ein Kabelwerk und ein Werk für Dampfturbinen. In beiden Weltkriegen wurden Rüstungsgüter produziert. In der DDR-Zeit wurde das Werk zum bedeutendsten Großbetrieb des Ost-Berliner Maschinenbaus: Kraftwerksanlagen, Energiemaschinen und Turbinen wurden hier hergestellt, aber auch Rasierapparate "bebo sher". Die Abkürzung steht für bebo=BergmannBorsig, sher=schnell – hautschonend – elektrisch – rasiert. Die akustische Verwandtschaft mit "scheren" war wohl beabsichtigt.

Das im Stadtplan als Dreieck abgebildete Gelände war während der Teilung der Stadt an zwei Seiten von der Mauer umgeben, Fenster zur Grenzseite waren vergittert oder zugemauert worden.

Nach der Wende hat der internationale Elektrotechnik-Konzern ABB das Werk erworben. Die notleidende Kraftwerkssparte wurde bald verkauft, die Energiesparte landete nach mehreren Übernahmen bei General Electric. Die ABB in Wilhelmsruh ist nur noch ein Dienstleistungsunternehmen, das vor allem ein Ausbildungszentrum mit 200 Ausbildungsplätzen betreibt.

Das frühere Werksgelände von Bergmann-Borsig ist ein Industriepark geworden mit dem missverständlichen Namen "Pankow Park", der auf eine Grünanlage hindeutet, "Industriepark" wäre die treffendere Bezeichnung. Mehrere historische Hallen sind saniert und für eine neue Nutzung vorbereitet worden. Hier haben sich kleine Gewerbebetriebe eingemietet, aber auch mehrere große Player.

Rockband Rammstein
Die Rockband "Rammstein" hat drei Hallen vorbildlich umgebaut als Lager für ihre Bühnen- und Konzertausstattung und als Büros. "Rammstein macht nicht nur verdammt gute Musik, sie sind auch vorbildliche Denkmalschützer", sagte der Kultursenator 2009 bei der Übergabe eines Denkmalpreises an die Band.


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Regenwasser soll möglichst im Boden versickern und nicht bei großen Regengüssen in die Mischkanalisation eingeleitet werden. Rammstein hat einen Freiraumplaner mit der Gestaltung der Außenanlagen beauftragt. So sorgen Rasenmulden und Speicherbauwerke für die Rückhaltung des überschüssigen Regenwassers.

Black Box Music
Der Veranstaltungsservice Black Box Music bietet im Pankow-Park seinen Kunden mehrere Probehallen mit guter Akustik. Weitere Gebäude werden für die Organisation, Steuerung und Administration von Veranstaltungen sowie für die Unterbringung des Equipments genutzt. Zum Leistungsspektrum von Black Box Music gehören Konzept und Design von Veranstaltungen (Live-Effekte, Licht, Sound), eine Fahrzeugflotte für den Transport und die technische Unterstützung der Kunden. Der Jahresumsatz liegt irgendwo zwischen 10 und 50 Mio. Euro.


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Fahrzeughersteller Stadler
Der Industriepark ist auch ein Standort für die Produktion von Schienenfahrzeugen. Die S-Bahn lässt beim Fahrzeughersteller Stadler mehr als 100 Fahrzeuge montieren, die U-Bahn hat bis zu 1.500 Wagen bestellt, abrufbar in den nächsten Jahren. Stadler hat die Produktion auf seinem Werksgelände Wilhelmsruh konzentriert, eine neue Halle für die Schienenfahrzeug-Produktion errichtet und sein Logistikzentrum mit neuen Lagerkapazitäten dort eingerichtet. An 64 Montageplätze sind rund 1500 Mitarbeiter in der Bahnproduktion beschäftigt.

Die Auslieferung eines Zuges an eine Bahngesellschaft hat Stadler in Szene gesetzt mit einem Triebwagen, der eine Sperre aus Styropor-Mauersteinen durchfährt. Dazu tingeln Cheerleaderinnen (professionelle Anfeuerinnen) neben den Gleisen und wedeln mit bunten Puscheln in der Luft. Welche Sportart wurde denn dort gefeiert, welche Sportler bejubelt?


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Cheerleader
Das Anfeuern einer Mannschaft bei Sportveranstaltungen ist ein wichtiger Verstärker für die Sportler. Mit Pompons (Puscheln oder Tanzwedeln) in den Händen unterstützen die Cheerleader-Mädchen in mehr oder weniger knapper Bekleidung ihre rhythmischen Armbewegungen. Tanzende Unterhaltung beim Sport, so wird es gern in den Medien gezeigt. Und auch wenn es gar nicht um Sport geht, sondern um Marketing, werden sie als Hingucker eingesetzt ("sex sells"). Irgendwann hat es sich verselbständigt und ist zu einem eigenen Job geworden. Die kaum verhüllten Models, die sich in der Werbung vor Rennwagen räkeln müssen, haben Verstärkung bekommen.

Bei dieser Zweckentfremdung der Cheerleaderinnen durch Stadler kann man glatt vergessen, dass Cheerleading eine anerkannte Sportart ist und zwar nicht nur für Frauen, tatsächlich werden Cheerleader-Wettbewerbe auch in der Sportschau gezeigt. Beim Berufsbild gibt es die Ausrichtungen Akrobatik, Bodenturnen, Tanz - in drei Altersklassen Kinder/ Jugend/ Erwachsene. Spezialkategorien sind Groupstunt, Partnerstunt, und Double Freestyle, weitere Kategorien sind möglich. Für diesen Wettkampfsport gibt es Meisterschaften auf nationaler und internationaler Ebene. Die mediale Einengung auf puschelnde Mädchen wird dem nicht gerecht. So hat inzwischen der Basketball-Club Alba Berlin die Cheerleader-Auftritte als "nicht mehr zeitgemäß" abgeschafft.

Abspannwerk Wilhelmsruh
Eine burgartige Anlage nahe dem S-Bahnhof erschließt sich erst vom Innenhof her als Abspannwerk, das den von den Kraftwerken gelieferten Hochspannungs-Strom herunterregelt, um ihn dann über Verteilstationen an Haushalte, Betriebe und Bahnen zu liefern. Die höheren Eckbauten an der Straßenfront enthalten Wohnungen, im Mittelteil befinden sich technische Anlagen. Die überhöhten Treppenhaustürme auf dem Hof sind über dem Dach des Vorderhauses sichtbar, die runde Schaltwarte mit der Kommandozentrale bleibt nach außen unsichtbar. Ungewöhnlich sind die Fenstereinfassungen in der Fassade, die mit nach innen abgestuft an gotisches Stabwerk erinnern.


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Hans Heinrich Müller war von 1924 bis 1930 leitender Architekt der BEWAG, in dieser Zeit hat er elf Abspannwerke geschaffen, die in der technischen Einrichtung von den Transformatoren bis zu den Kommandozentralen einem einheitlichen Prinzip folgen. Bei der baulichen Umhüllung hat Müller eine Ausdrucksvielfalt entwickelt, die jedes Werk zu einem ikonischen Gebäude werden ließ, so dass auch nach der Außerdienststellung eine Vielzahl von Nachnutzungen möglich wurde.

Wohnbauten
Bereits im Jahr der Kolonie-Gründung wurde das erste Wohnhaus errichtet. Nur zwei Bauten aus den ersten Jahren Wilhelmsruhs sind in der Denkmaldatenbank verzeichnet, eine Villa an der Hertzstraße und ein Eckmiethaus an der Goethestraße. Aber der Ortsteil ist vielschichtiger, Wilhelmsruh entwickelte sich schnell zu einem Villenvorort Berlins. Weitere stattliche Bauten aus der Gründungszeit sind in Wilhelmsruh zu finden, auch wenn der Ortsteil seinen vorstädtischen Charakter behalten hat.


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Die Wohnungsbaugenossenschaft Wilhelmsruh verwaltet einen Bestand von Wohnbauten im Ortsteil, von denen viele nach ihrer Einschätzung "für heutige Verhältnisse relativ klein sind". In Neubauprojekten will sie vor allem mittlere und größere Wohnungen errichten. Am Garibalditeich baute sie zwei Gartenhäuser, mit Zweiraumwohnungen von 69 bis 75 Quadratmetern, was im Bereich des heute Üblichen liegt.

Heidekrautbahn
In Wilhelmsruh war ab 1901 der Ausgangspunkt einer Bahnlinie, die in die nach Norden in die Schorfheide führt - der Heidekrautbahn. Die hatte einen eigenen ebenerdigen Bahnhof neben dem Bahnhof Wilhelmsruh an der Nordbahn, der später auf einen Bahndamm verlegt wurde. Die Heidekrautbahn blieb ebenerdig. Der Industriestandort Bergmann-Borsig wurde mit einem Anschlussgleis verbunden. Die Bahn in die Schorfheide nutzten Berliner für Ausflüge in den Barnim und Arbeiter als Zubringer zu Bergmann-Borsig.

In der DDR-Zeit wurde ein durchgehender Zugverkehr vom Nordbahnhof über ein Anschlussgleis zur Heidekrautbahn bis in die Schorfheide eingerichtet. Mit dem Mauerbau lag der Bahnhof Wilhelmsruh der Heidekrautbahn im Sperrgebiet, er wurde abgerissen. Heute fährt die Niederbarnimer Eisenbahn auf dieser Strecke im Süden nur bis Berlin-Karow. Sie soll aber auf ihrer Stammstrecke bis Wilhelmsruh reaktiviert werden. Den sinnvollen weiteren Anschluss bis nach Gesundbrunnen wird es wohl nicht geben, weil die Nutzungszahlen zu gering sind für eine Übernahme der Kosten durch den Bund.

Die Niederbarnimer Eisenbahn stellt ihre Züge auf den Betrieb mit grünem Wasserstoff um. Brandenburg unterstützt das Projekt mit einer Förderung von rund neun Millionen Euro. Sieben zweiteilige Züge mit Brennstoffzellenantrieb hat sie beim Hersteller Siemens Mobility bestellt, die ab Dezember 2024 auf dem Netz der Heidekrautbahn (RB27) rollen sollen. Der Ausbau einer umweltfreundlichen, grünen Mobilität in der Region ist ein Highlight in der Verkehrsentwicklung.

Auch im Film kam die Heidekrautbahn schon vor. Der "Salonwagen E 417" war mit u.a. Paul Hörbiger und Curd Jürgens prominent besetzt, wurde aber als "sentimental und wenig originell" von den Kritikern nicht gut bewertet. Paul Verhoeven intonierte im Film als Drehorgelspieler "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei", und das stimmte ja auch.


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Gerüche
"Wie riecht Berlin?", hatten wir uns vor 12 Jahren gefragt, als wir an der Flottenstraße einen unangenehmen, eindringlichen Geruch wahrnahmen, der über dem ganzen Viertel hing. Die unangenehme Luftbelästigung kam von einem Recyclinghof. Auch heute noch beschweren sich Bewohner von Wilhelmsruh und Rosenthal über Geruchsbelästigungen, die vom Industriegebiet an der Flottenstraße ausgehen. Ein vom Bezirk in Auftrag gegebenes Geruchsgutachten hat 2019 die Immissionen bestätigt, neben Abfallgerüchen auch noch Gießerei- und Bäckereigerüche gefunden.

Umwelteinwirkungen gelten nur als schädlich, wenn sie "erheblich" sind, Erheblichkeit wurde mit dem Gutachten attestiert. Aber leider gibt es neben Auflagen für die Betriebe keine umfassenden "passiven Maßnahmen zum Schutz vor Gerüchen". Ein neues Stadtquartier mit rund 400 Wohneinheiten kann deshalb dort nicht gebaut werden, Für die Bewohner im Umfeld gibt es leider keine Lösung, sie haben "Bestandsschutz" und dürfen weiter den Gestank ertragen.

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Weitere Ziele in Wilhelmsruh:
Wilhelmsruher See und Garibalditeich: Vier Enden hat Berlin
Wilhelmsruh vor 20 Jahren: Kennen Sie Wilhelmsruh?
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... ACHTUNG, es folgen ZWEI Bildergalerien ...
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... und hier sind weitere Bilder ...
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Unsere Route:
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Ein Foto ist tot - Lebendiges bewegt sich