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Segeln und Bauen


Stadtteil: Mitte
Bereich: Spandauer Vorstadt
Stadtplanaufruf: Rosenthaler Straße
Datum: 6. September 2004 (Text vom 13. April 2020)
Bericht Nr.:692

[Diesen Stadtspaziergang habe ich im September 2004 unternommen, aber bisher nicht veröffentlicht. Wegen der aktuellen Ausgangsbeschränkungen habe ich auf neue Fotos verzichtet und stattdessen Ansichten aus Google Maps ergänzt.]



Mehrmals im Jahr fahren sehr reiche Männer mit sehr teuren Yachten sehr schnelle Rennen auf den Weltmeeren vor Südafrika, Spanien oder Portugal. Die rund ein Dutzend Teilnehmer kämpfen um die Weltmeisterschaft im Transpacific Race "TP52 World Championship“. Auch eine sehr schnelle Frau ist dabei. Bei ihr schiebt sich immer der Vater ins Bild, Hasso Plattner, Gründer der Softwareschmiede SAP und des Potsdamer Museums Barberini.

Im letzten Jahr wurde der Hamburger Harm Müller-Spreer Weltmeister, er hat die Seefahrt in den Genen. Sein Vater war Kapitän, er selbst ist gelernter Segelmacher. Heute ist er ein Immobilien-Mogul, der vor allem Berlins Mitte nach der Wende baulich mit geprägt hat. Wenn er sich "in Berlin Mitte mit verbundenen Augen und ausgestrecktem Zeigefinger einmal im Kreis dreht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er am Ende auf eines seiner Häuser zeigt". Er bewohnt eine Villa an der Hamburger Elbchaussee. In den Umbruchszeiten nach der Wende erkundete er das alte Zentrum Berlins, "trieb sich in den wilden Neunzigern in illegalen Bars und Clubs herum".

SAP-Gebäude Rosenthaler Straße 30
Müller-Spreer und Plattner kennen sich nicht erst seit den Segelregatten. Beide haben 2003 Richtfest gefeiert für das SAP-Gebäude in der Rosenthaler Straße, das Müller-Spreer für das Unternehmen von Plattner hochgezogen hat, SAP ist darin Mieter. Das Eckgebäude ist vollständig verglast. Mit seiner im großen Radius abgerundeten Ecke schwingt es sich von der Rosenthaler zur Gipsstraße. Mit dem hervorkragenden Dach, der horizontal gegliederten Fassade und dem voluminösen Baukörper reagiert es auf das eine Ecke weiter an der Neuen Schönhauser stehende Gebäude der Roten Apotheke, das der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird.

Franzöisches Palais Unter den Linden
Müller-Spreer ist immer als Bauherr aufgetreten, der Ideen für den jeweiligen Bauplatz entwickelt hat, die bauliche Ausgestaltung überließ er Architekten. Dass der Profit nur nebensächlich sei, sozusagen das Abfallprodukt einer guten Idee, versucht er als Legende aufzubauen. Tatsächlich ist ihm beim Französischen Palais der Bauantrag abgelehnt worden, weil er versucht hat, die bebaute Fläche "zu Lasten des Denkmals bis zum letzten Quadratmeter auszuquetschen".

Die französische Schlafwagengesellschaft "Compagnie Internationale des Wagons-Lits" ließ sich 1908 Unter den Linden 40 ein Verwaltungsgebäude mit prächtig geschmückter historisierender Fassade erbauen. Der "Eingangs- und Treppenbereich des Gebäudes ist mit neoklassizistischen Stuckdecken, Marmorintarsien an Wandverkleidungen und Kamin sowie einem vergoldeten Deckenmosaik" herausgeputzt. Diese für einen Verwaltungsbau ungewöhnliche Dekoration dürfte dazu geführt haben, dass bis heute der Bau umgangssprachlich "Französisches Palais" genannt wird. Erbaut hat es Kurt Berndt, von dem unter anderem die Hackeschen Höfe stammen.

Das Grundstück reicht bis zur rückwärtigen Mittelstraße. Unter den Linden wird das Gebäude eingerahmt vom Café Einstein und dem Zollernhof mit dem ZDF-Hauptstadtstudio. Nach der Wende hatte es zunächst der betrügerische Baulöwe Jürgen Schneider - der mit dem Toupet auf der Halbglatze - erworben und wieder verloren. Danach gehörte es der Bankgesellschaft Berlin, die es an Müller-Spreer weitergab. 350 Investoren hatten sich darum beworben, der Zuschlag war für ihn wie ein Lotteriegewinn. Der Architekt Architekten David Chipperfield hat die Umbauplanung erstellt und einen Teilabriss vorgesehen, der aber nicht genehmigt wurde.

Baudenkmale mit Restaurants und Kneipen

Fürstenbergsche Brauerei, Rosenthaler Str. 38
In einem schmalen Haus in der Rosenthaler Str. 38 nutzt SAP ein Data-Space, einen Veranstaltungsort. Auch dieses Haus gehört Müller-Spreer. Die Fürstenbergsche Brauerei hatte 1905 in dem dreigeschossigen Gebäude ein Bierlokal und mehrere Festsäle übereinander eröffnet. Fratzen und Wasserspeier schmücken die Jugendstilfassade. Architekt war Carl Schwatlo, der überwiegend "Postpaläste" errichtet hat. Müller-Spreer hat das Gebäude umfassend instandgesetzt und modernisiert. Hier wie bei anderen Baudenkmalen hat er dem Denkmalschutz bereitwillig Reverenz erwiesen. Wer nicht so gut wegkam, waren die Restaurants und Kneipen in den Gebäuden, die er erworben hat. In der Rosenthaler 38 traf es das Restaurant "Pan Asia", das wegen einer "utopischer Mieterhöhung" aufgab.

Münzstraße 21, "Alt-Berlin"
Am Zusammentreffen von Weinmeisterstraße, Münzstraße und den Schönhauser Straßen beherrscht in der Münzstraße ein Bau mit Neorenaissanceformen aus rotem Klinker und Sandstein eine lange Straßenfront. Mit einem schräg gestellten Erker schafft es den Anschluss an die Neue Schönhauser Straße. Der Gartenhof verfügt über Loggien und Erker, der zweite Hof wird von vier- bis fünfgeschossigen Gewerbeflügeln umschlossen. Das Anwesen ist ein Punkstück in der Sammlung denkmalgeschützter Häuser von Müller-Spreer.

In einem nur 70 qm großen Laden gab es das "Alt-Berlin", als Kiezkneipe seit 121 Jahren eine Institution. Bertold Brecht war hier zu Gast, genauso Schauspieler und Regisseure der Volksbühne, vom Gorki-Theater und dem Berliner Ensemble und natürlich die Nachbarn aus dem Viertel. Der Investor sagt, er sei in den letzten 15 Jahren Stammgast dort gewesen und habe die Atmosphäre immer sehr genossen. Trotzdem musste es der teuren Sanierung des Hauses weichen und ausziehen. Mit seinem alten Inventar ist es zum Ballhaus Berlin in der Chausseestraße ausgewichen, der alte Kiezbezug ging damit verloren.


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Neue Schönhauser Straße 13, Volkskaffeehaus
Ein paar Häuser weiter in der Neuen Schönhauser Straße 13 steht das Volkskaffeehaus. Es war ein Projekt, um Arbeiter vom Alkoholgenuss abzuhalten und ihnen als Ersatz Kaffee und Tee für wenig Geld zu liefern. Erfolgreich war das nicht, man musste einsehen, dass ein mäßiger Genuss von Bier zu gestatten sei. Der Architekt Alfred Messel hatte das Haus 1890 errichtet. Ob der Schriftzug auf der sandfarbenen Putzfläche, der auf den Zweck hinweist, Gäste in das Kaffeehaus locken konnte?

Das Szene-Lokal Schwarzenraben hatte hier zuletzt seine Gäste empfangen. Nachdem Müller-Spreer das Haus gekauft hatte, musste Schwarzenraben dicht machen. Der Investor sagte dazu: "Weil er pleite ist. Ich finde das auch sehr bedauerlich.“ Stattdessen konnte ein Flagshipstore die hohe Miete nach der Modernisierung bezahlen.

Haus Schwarzenberg Rosenthaler Straße 39
In der Rosenthaler Straße gehören Müller-Spreer die Häuser 30 (SAP) und 38 (Fürstenbergsche Brauerei). Da lag es nahe, noch ein Haus in derselben Straße zu kaufen, denn das Nachbarhaus 39 stand zur Disposition, es gehörte einer Gemeinschaft aus 30 Erben. Das Haus Schwarzenberg war und ist ein alternatives Biotop mit morbiden Charme, ein Kulturzentrum, zu dem ein Kino, Galerien, Ateliers, ein Platten- und Comicladen und das Anne-Frank-Zentrum gehören.

Und es ist ein historischer Ort, die Berliner Version von "Schindlers Liste" spielte hier in einer Blindenwerkstatt. Otto Weidt, ein couragierter Bürstenmacher, beschäftigte in seiner Werkstatt zur Nazizeit Juden und rettete sie damit vor dem KZ. Die Ausstellung "Blindes Vertrauen" über ihn wurde von Studenten in historischen Werkstatträumen erarbeitet und fand seit ihrer Eröffnung große Resonanz. Eine Führung durch diese Ausstellung ist sehr eindrucksvoll: Um Menschlichkeit zu zeigen, bedurfte keiner großen Bühne, in einer kleinen Fabrik begegnet sie einem dafür umso authentischer.

Die »Schwarzenberger« sind ein Hausprojekt, das seinen Namen aus Stefan Heyms Roman "Schwarzenberg" herleitet: Es war einmal ein kleines Dorf namens Schwarzenberg. Das war im Frühjahr 1945 für kurze Zeit Niemandsland: auf der einen Seite standen die Russen, auf der anderen Seite die Amerikaner - aber keiner von beiden betrat die Stadt. So riefen die Bewohner die "Republik Schwarzenberg" aus - die Geschichte einer kurzzeitigen Autonomie.

Ein monatelanges Tauziehen um die lukrative Immobilie begann, schließlich verhinderte 2004 ein Bündnis aus Wohnungsbaugesellschaft Mitte WBM und Stiftung Deutscher Klassenlotterie, dass Müller-Spreer bei der Versteigerung den Zuschlag erhielt, das voraussehbare Ende des Kulturzentrums war abgewendet.

Spree-Dreieck
Es ist ein ganz besonderer Bauplatz, ein Dreieck zwischen dem Bahnhof Friedrichstraße, der Friedrichstraße selbst und der Spree, Spree-Dreieck genannt. In einer viel zitierten, aber nicht verwirklichten Vision hatte Mies van der Rohe hier gedanklich einen gläsernen Wolkenkratzer hingesetzt, einen gewaltigen Kristallberg, der in der Höhe spitzwinklig zuläuft. Die DDR errichtete auf dem Grundstück einen Pavillon als Abfertigungsgebäude für Ausreisende am Bahnhof Friedrichstraße, dann kam die Wende.

Nach der Wende hat Müller-Spreer vom Senat den Bauplatz erworben und dort ein Bürohochhaus errichtet. Bei dem Grundstücksverkauf hat sich der Senat bis auf die Knochen blamiert. Sollte nicht einmal der Notar hat gemerkt haben, dass der Senat ein Grundstück mit verkauft, das der Bahn gehört? Als Entschädigung dafür bekam der Investor den halben Kaufpreis zurück, ein zusätzliches Grundstück und durfte höher bauen. Was den Nachbarn von gegenüber - ein Hotel - wegen Verschattung klagen ließ, hier war eine weitere Millionen-Abfindung fällig.

Fast wäre bei der Bebauung der "Tränenpalast" unter die Räder gekommen, jenes freistehende Abfertigungsgebäude vor dem Bahnhof Friedrichstraße für die Ausreise aus der DDR. So sehr sich Müller-Spreer auf bauliche Denkmale eingelassen hat, sowenig Verständnis hatte er für geschichtliche Zusammenhänge. "Der Tränenpalast ist eher ein politisches als ein bauliches Denkmal", war seine Meinung. Deshalb könne man ihn zum Teil abtragen, darunter eine Tiefgarage schaffen und ihn dann wieder aufstellen. Eine Idee, die die Denkmalschützer verhindert haben, heute ist der Tränenpalast eine Gedenkstätte.

Neubau Münzstraße Ecke Rochstraße
Im Jahr 2001 wurde der Neubau fertig, der auf einem 2.000 qm großen Eckgrundstück Münzstraße Ecke Rochstraße entstand. Ein voll verglastes Gebäude, dessen Ladenzeile an den Adidas Originals Flagship Store vermietet ist. Neben Harm Müller-Spreer wird hier Michael Rosenblat als Gebäudeeigentümer genannt. Er war Mitinhaber des Modeunternehmens Tom Tailor. In erster Ehe war er mit Colleen-Bettina Rosenblat-Mo verheiratet, einer Tochter des Industriellen Günther Quandt.


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Ullstein-Buchverlag
"In diesem Haus wurden alle Strömungen eingefangen, alle Stimmen gehört, registriert und wie von einem riesigen Resonanzboden verstärkt der Öffentlichkeit wieder zugeführt" - so präsentierte sich 1903 der von den Gebrüdern Ullstein als Zeitungsverlegern gegründete Ullstein-Buchverlag. Nach Arisierung in der Nazizeit wurde der Verlag neu ins Leben gerufen, von Axel Springer übernommen und schließlich an einen schwedischen Medienkonzern weiter verkauft.

Nach der Wende bezog der Verlag ein ehemaliges Schulhaus in der Friedrichstraße außerhalb des historischen Zeitungsviertels. Harm Müller-Spreer hatte das Gebäude der "Friedrich-Wilhelmstädtischen Höheren Lehranstalt" erworben, David Chipperfield baute es zu einem Verlagsgebäude um und stockte den Hofflügel um zwei Geschosse auf. Es ist die älteste erhaltene "Höhere Schule" von Berlin, 1848 errichtet. Im Gartenhaus wurde 1884 ein Musiksaal eingerichtet, dessen historische Holzdecke über die Jahrzehnte erhalten blieb. In diesem Haus kann der Verlag "wieder zum Spiegel des kulturellen und politischen Lebens der Hauptstadt" werden.


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Vom Segeln und Bauen handelt dieser Bericht Im übertragenen Sinn gilt für beides die überlieferte Seefahrerweisheit: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt". Von ihm war hier die Rede.

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Zu diesem Bericht gibt es einen Forumsbeitrag:
Mitte, Segeln und Bauen (6.9.2004/13.4.2020)
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Die Projekte im Stadtplan:
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Eine Gasse für die Armen
Hier frisst die Katze keine Mäuse